Jürgen Neitzert

Muslime und Christen

Ein franziskanischer Blick auf den Islam

Franziskanische Akzente

Für ein gottverbundenes und engagiertes Leben Herausgegeben von Mirjam Schambeck sf und Helmut Schlegel ofm

Band 13

Die Suche der Menschen nach Sinn und Glück ernst nehmen und Impulse geben für ein geistliches, schöpfungsfreundliches und sozial engagiertes Leben – das ist das Anliegen der Reihe „Franziskanische Akzente“.

In ihr zeigen Autorinnen und Autoren, wie Leben heute gelingen kann. Auf der Basis des Evangeliums und mit Blick auf die Fragen der Gegenwart legen sie Wert auf die typisch franziskanischen Akzente:

Achtung der Menschenwürde,

Bewahrung der Schöpfung,

Reform der Kirche und

gerechte Strukturen in der Gesellschaft.

In lebensnaher und zeitgerechter Sprache geben sie auf Fragen von heute ehrliche Antworten und sprechen darin Gläubige wie Andersdenkende, Skeptiker wie Fragende an.

JÜRGEN NEITZERT

Muslime und Christen

EIN FRANZISKANISCHER BLICK AUF DEN ISLAM

echter

Inhalt

Vorwort

Ein Tag unter Muslimen

1.  Wie es begann: Franziskus und der Sultan

Der Kreuzzug

Franziskus begegnet dem Sultan al-Malik al-Kamil

Anregungen aus der Begegnung mit Muslimen

Franziskaner und Muslime in der Geschichte: Dialog und Konflikte

Franziskanische Präsenz in muslimischen Ländern in Geschichte und Gegenwart

2.  Die drei abrahamitischen Glaubensrichtungen

Gemeinsame Wurzeln – gemeinsame Konflikte

Abraham im Judentum

Abraham im Islam

3.  Der Islam

Das Wesen des muslimischen Glaubens

Jesus und Maria im Islam

Die fünf Säulen des Islam

Der Dschihad

Die Scharia, das islamische Recht

Islamische Gruppen und Rechtsschulen

Schutzbefohlene – Stellung der Christen im Islam

4.  Sufismus

Kenntnis des Sufismus im Christentum

Berühmte Sufis der Frühzeit des Islam

Leben der Sufis

Gottgedenken

Berührungspunkte zwischen dem Sufismus und der franziskanischen Spiritualität

5.  Dialog mit dem Islam in Deutschland – Chancen und Probleme

Präsenz von Muslimen

Moscheeverbände und Gruppen

Der Salafismus – differenziert betrachtet

Grundlage des Zusammenlebens von Muslimen und Christen in unseren Gesellschaften

6.  Was die franziskanische Welt heute für ein friedliches Miteinander einbringen kann

Jean Mohammed Abd-el-Jalil: Einsatz für ein besseres Verständnis des Islam

Die Konferenz in Assisi zum Dialog mit dem Islam

Der Dialog der Franziskaner in Deutschland mit den Muslimen

7.  Schlusswort: Islam – Herausforderung für uns Christen

Anmerkungen

Zum Weiterlesen

Abkürzungsverzeichnis

Anmerkung: Arabische Umschrift und Koranzitate

Dank

Vorwort

Seit 800 Jahren stehen Franziskaner im Dialog mit Muslimen, der von unserem Gründer Franziskus von Assisi im Jahr 1219 mit dem Sultan von Ägypten begonnen wurde. Eine jahrhundertelange Präsenz der Franziskaner im Dienst an den Muslimen folgte dieser Begegnung, zuerst in den muslimischen Ländern, heute auch in den Ländern des Westens, wo Muslime eine Minderheit sind. Durch die Einladung des Papstes an religiöse Leiter aller Religionen zum Interreligiösen Friedenstag am 27. Oktober 1986 in Franziskus’ Heimatstadt Assisi wurde an dessen Geste des Dialogs mit dem Sultan erinnert. Die Auswirkungen dieser Geste in der franziskanischen Welt und in Deutschland sowie die Chancen für ein besseres Miteinander von Muslimen und Christen in der Zukunft versuche ich in diesem Band der „Franziskanischen Akzente“ aufzuzeigen. Dabei lade ich zu einem besseren Verständnis des Islam durch grundlegende Informationen als Bausteine des Dialogs ein.

Ein Tag unter Muslimen

27. Januar 2016, 6:30 Uhr. Mit dem Fahrrad fahre ich von unserer Franziskanergemeinschaft in Köln-Vingst zu einer vom Verein Pro Humanitate Köln angemieteten Wohnung in das Nachbarviertel Höhenberg. Dort leben neun minderjährige muslimische Flüchtlinge, sieben Syrer, Kurden und Araber, ein Afghane und ein Albaner sowie ein indischer Sikh. Seit September 2015 sind sie in Deutschland und wurden von uns dort aufgenommen. Die jüngsten fünf, 15 bis 17 Jahre alt, werden von mir geweckt; wir frühstücken zusammen. Dann geht es mit der Straßenbahn zu einer Hauptschule, wo ich sie als neue Schüler anmelde. Wir lernen ihre Lehrerin und ihre zukünftige Schulklasse kennen, die Mitschüler sind auch zumeist neu in Deutschland angekommene Flüchtlinge. Danach besorge ich mit den fünf Flüchtlingen beim Verkehrsbetrieb Schülerfahrausweise für das restliche Schuljahr. In der Wohnung der Flüchtlinge essen wir zu Mittag; eine kurdische Bekannte hat dort für die Jungen gekocht. Nachmittags schaue ich dann bei dem Jugendraum des Vereins vorbei, der sich in unserem Stadtteil Vingst befindet. Dort trifft sich eine Jungengruppe. Die zwölf Mitglieder, 15 bis 18 Jahre alt, sind alle in Köln geborene Muslime; ihre Eltern oder Großeltern sind aus der Türkei gekommen. Auch die Eltern des Gruppenleiters Samet stammen aus Gaziantep im Süden der Türkei. Wir schreiben für einige aus der Gruppe Bewerbungen für Lehrstellen. Eine Stunde später trifft sich im Bürgerzentrum neben unserem Jugendraum die Mädchengruppe. Die Leiterin Ruken ist eine in Köln geborene Kurdin, die 14- bis 16-jährigen Mädchen sind muslimische Bulgarinnen und Kurdinnen. Wir planen miteinander eine Jugendfahrt nach Hamburg im Herbst.

Nach der Vesper, dem Abendgebet meiner Gemeinschaft, treffen wir uns mit dem Arbeitskreis „Dialog der Kulturen“ in der Kuba-Moschee im Nachbarviertel Kalk. Der Arbeitskreis kam zusammen, als vor sieben Jahren ein junger Marokkaner bei einem Streit mit einem Russlanddeutschen ums Leben kam und daraufvon seinen Landsleuten große Demonstrationen in unserem Stadtviertel veranstaltet wurden. Seitdem laden die Polizei, die Jugendpfleger und die Sozialarbeiterin für interkulturellen Dialog des Bezirks Köln-Kalk regelmäßig zu Treffen ein. Es kommen vor allem Vertreter der Moscheegemeinden, der Sikhs, der Kirchen und ich als Franziskaner. Wir planen diesmal einen interreligiösen Abend zum Thema: Feste in den Religionen und der Gesellschaft. Um 21:00 Uhr gehe ich noch kurz in die Turnhalle in Vingst, wo 25 jugendliche Roma, von mir organisiert, Fußball spielen. Sie stammen vor allem aus Serbien und Mazedonien, einige Albaner sind auch dabei; fast alle sind Muslime, so auch der Trainer, Schaban, aus Serbien. Wir sprechen kurz über ein von uns geplantes Fußballturnier, dann gehe ich endlich nach Hause.

Ein ganz gewöhnlicher Tag in meinem Leben als Franziskaner in Köln. Mein Alltag ist geprägt von Begegnungen mit vielen muslimischen Freunden.