Inhalt

Heft 1 | Januar-März 2017

Jahrgang 90 | Nr. 482

Notiz

Wenn der Geist wählt

Stefan Kiechle SJ

Nachfolge

Altern in Würde

Medard Kehl SJ

Bestätigung durch Gott. Entscheidungen im Pilgerbericht des Ignatius

Kevin Leidich SJ

Heilige Gastfreundschaft. Louis Massignon als Prophet des islamisch-christlichen Dialogs

Carol Cooke Eid dmm

„Kirche des Islam“. Zur Theologie Paolo Dall’Oglios

Eva-Maria Lika

Nachfolge | Kirche

Lectio Divina. Ein Werkstattbericht

Egbert Ballhorn

Kuba und Kreta. Beobachtungen zur geistlichen Ökumene

Daniel Galadza

Die Mathematik der Güte. Zur Logik der Barmherzigkeit

Oliver Tanzer

Nachfolge | Junge Theologie

Die gekreuzten Blicke. Ikone und Gebet bei Jean-Luc Marion

Daniela Feichtinger

Reflexion

Ungedeckte Schecks. Ist es klug, auf die Wahrheit des Naturalismu zu wetten?

Martin Breul

Arnheimer Mystik. Katholische Reform zu Beginn des 16. Jhs.

Kees Schepers

Beten mit Geist und Verstand. Tagungsbericht AGTS 2016

Katharina Karl

Lektüre

Das walte Gott. Luthers Morgensegen

Alex Stock

Was ist beten? Ein Literaturbericht

Hilda Steinhauer

Buchbesprechungen

Stefan Kiechle SJ | München

geb. 1960, Dr. theol, Exerzitienleiter, Autor, Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten

stefan.kiechle@jesuiten.org

Wenn der Geist wählt

Im Oktober und November 2016 fand in Rom eine Generalkongregation (GK) des Jesuitenordens statt. Eine GK berät über den Stand und die zukünftige Ausrichtung des Ordens, und in den meisten Fällen wählt sie – auf Lebenszeit – einen Generaloberen für den Orden. Weil der bisherige „General“ P. Adolfo Nicolás aus Altersgründen zurücktrat, wurde diese 36. GK der Ordensgeschichte einberufen. Sie hatte den 31. Nachfolger des hl. Ignatius von Loyola zu wählen. Die Findung des geeigneten Mannes ist ein geistlicher Prozess. Im Hören auf den Geist versucht man, den für dieses Amt geeignetsten Mitbruder zu identifizieren. Wie geht das?

215 „Elektoren“ (Wähler) kommen aus aller Welt zusammen; 70 von ihnen sind die Provinziäle, die übrigen werden von den Provinzen gewählt. Sie kennen sich kaum und sprechen keine gemeinsame Sprache. Jeder hat eine Stimme; jeder ist wählbar; jeder muss wählen; der Gewählte muss die Wahl – im Gehorsam – annehmen. Es gibt keine Kandidaten, die der Versammlung präsentiert würden und keine Diskussion über mögliche Kandidaten. Es gibt keine Parteien oder Fraktionen. Niemand darf „Kampagnen“ machen: weder für noch gegen sich selbst, weder für noch gegen einen anderen, sonst müsste er angezeigt und von der dafür zuständigen Kommission aus der Versammlung entfernt werden.

Was wird stattdessen gemacht? Vier ganze Tage lang wird „gemurmelt“: In einer Atmosphäre des Gebets und des Fastens verabredet man sich mit Mitbrüdern zu Einzelgesprächen: Man fragt über Dritte, die jener Gesprächspartner gut kennt, nach deren Stärken und Schwächen. Anfangs hat jeder einige Ideen, wer geeignet sein könnte. Diese persönliche Liste erweitert sich im Lauf der Tage, weil man von anderen Kandidaten hört, die man noch nicht kannte; zugleich kürzt sie sich, weil einige bei genauerem Zusehen doch nicht in Frage kommen. Die Einzelgespräche sind anstrengend, doch sie finden in einer brüderlichen und geistlichen, wertschätzenden und offenen, dabei zutiefst ehrlichen Atmosphäre statt.

Am fünften Tag feiert die GK morgens ein Hochamt zum Heiligen Geist. Danach versammeln sich alle Wähler in der Aula, die dafür ganz abgeschottet wird.Ein älterer und weiser Mitbruder hält eine kurze Exhorte über die Weise der Wahl. Danach beten 215 Männer schweigend 45 Minuten lang in der Aula – nach Ignatius sollen die Wähler sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgelegt haben! Dann schreibt jeder einen Namen auf einen Zettel. Öffentlich werden die Namen verlesen. Die Stimmen konzentrieren sich auf wenige Mitbrüder. In der Geschichte wurde immer spätestens im zweiten Wahlgang ein Mitbruder mit absoluter Mehrheit gewählt – jener ist am meisten überrascht, denn er wird ja im „Gemurmel“ am wenigsten befragt. Daraufhin wird der Name – heutzutage geht das per Handy – dem Papst mitgeteilt. Nun tritt jeder Elektor vor und begrüßt den neuen General persönlich. Danach wird das Te Deum gesungen und der Name weltweit veröffentlicht. Am nächsten Tag gibt es eine feierliche Dankmesse mit der ersten Predigt des Gewählten, woraufhin die GK unter Führung ihres neuen Oberen mit der Arbeit an den Regularien fortgesetzt wird.

Voraussetzung für diesen Wahlprozess ist – ignatianisch gesagt – die Indifferenz aller Teilnehmer: Niemand hat eine Vorliebe oder ein persönliches Interesse, das er durchsetzen möchte. Es gibt keine „Richtungen“, keine nationalen, kulturellen oder theologischen Vorbehalte. Gewählt wird derjenige, der nach den Kriterien der Satzungen des Ordens der geeignetste ist: Er soll mit Gott verbunden, kommunikativ und brüderlich sein, er soll von Eigeninteressen frei sein und führen können, er soll das rechte Alter, gute Gesundheit und Energie haben. Während der Murmelphase macht man sich betend immer wieder neu indifferent: frei von einseitigen Ab- oder Zuneigungen; in den Gesprächen macht man niemanden schlechter oder besser, als man ihn in Wahrheit empfindet. Und alles bleibt diskret: Am Ende wird nur der Name des Gewählten veröffentlicht, nichts dringt nach außen über andere Kandidaten, die in die engere Wahl kamen, über die Stimmverteilung oder gar über Inhalte des Gemurmels.

Alle Beteiligten haben die fünf Tage der Generalswahl als ein bewegendes geistliches Ereignis erlebt. Der Richtige kristallisierte sich heraus, wie von Geisteshand bestimmt. Der Eindruck ist: Nicht wir haben gewählt, sondern wir haben dem zugestimmt, der gewählt ist. Und man fragt sich, warum es in der Kirche nicht öfters solche geisterfüllten Wahlprozesse gibt …

Am 14.10.2016 wurde mit P. Arturo Sosa (67) aus Venezuela erstmals in der Geschichte ein Nichteuropäer zum Generaloberen der Jesuiten gewählt. P. Sosa war Provinzial und Präsident einer Universität. In seiner vom Chaos zerrissenen Heimat engagierte er sich für Frieden und Gerechtigkeit. Seit 2014 wirkte er in Rom als Generalsberater und als Delegierter des Generals für die römischen Häuser und Hochschulen des Ordens. Er ist mit Papst Franziskus befreundet. Möge ihm der Geist, der ihn so überraschend ins Amt geschoben hat, die nötigen Einsichten und Kräfte geben. Möge sein Einsatz der größeren Ehre Gottes gereichen und den Menschen und der Kirche dienen.