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Erich Garhammer / Franz Weber (Hg.)

Scheidung –
Wiederheirat –
von der Kirche
verstoßen?

Für eine Praxis der Versöhnung

ERICH GARHAMMER / FRANZ WEBER (HG.)

Scheidung –
Wiederheirat –
von der Kirche
verstoßen?

Für eine Praxis der Versöhnung

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Gewidmet
Matthäus Kaiser
(1924–2011)
Professor für Kirchenrecht
in Passau, Bochum und Regensburg

Inhalt

Erich Garhammer

Wider das vertikale Schisma

ERFAHRUNGSBERICHTE VON BETROFFENEN

Birgit Bauer

Den Amtsträgern lege ich ans Herz …

Erfahrungen einer betroffenen Seelsorgerin

Erika Hinrichs

Ein langer Prozess

Manfred Maier

Die Kirche schließt mich bewusst und dauerhaft aus

Was einen geschiedenen und wiederverheirateten Pastoralassistenten und Religionslehrer besonders schmerzt

Heinz Minkhaus

… bis dass der Tod euch scheidet

Lisa und Jogi Schneider

Wie zwei getrennte Wege zusammenfanden

ERFAHRUNGEN UND PRAXIS VON SEELSORGERN

Hansjörg Sammer

Es ist für mich keine Frage, der Bitte um Segen nachzukommen

Lernprozesse und Grundentscheidungen eines Pfarrers

Franz Harant

Gebet und Segen für Paare in ziviler Zweitehe

IMPULSE DER TIEFENPSYCHOLOGIE

Roswitha Dockendorff

Scheitern aus tiefenpsychologischer Sicht

POSITIONEN DER THEOLOGIE

Gerd Häfner

Ehescheidung und Wiederheirat – Neutestamentliche Aspekte

Thomas Schüller

Das Kirchenrecht und die wiederverheirateten Geschiedenen

Eberhard Schockenhoff

Ausgeschlossen vom Mahl der Versöhnung?

Plädoyer für eine Revision der kirchlichen Praxis gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen

Thomas Ruster

Alleinstellungsmerkmal Sakrament

Zur Entkoppelung von Natur, Vertrag und Sakrament

Otto Hermann Pesch

Ehescheidung und Wiederheirat in systematisch-theologischer Sicht

Franz Weber

Nicht ausgeschlossen, sondern aufgenommen, versöhnt und gesegnet

Für eine Pastoral der Wahrnehmung, Anerkennung und Begleitung von wiederverheiratet Geschiedenen

Herausgeber und Autoren

Erich Garhammer

Wider das vertikale Schisma

Im Jahre 1977 legte der Tübinger Dogmatiker Walter Kasper eine Theologie der christlichen Ehe vor. In seinem Vorwort gab er zu erkennen, dass seine Überlegungen aus Vorträgen zu verschiedenen Anlässen, aus der Tätigkeit in der Würzburger Synode und als Berater und Gutachter der Deutschen Bischofskonferenz hervorgegangen sind. Das Buch bot also mehr als nur eine theologische Erkenntnis am Schreibtisch, es war durch die Rezeption unterschiedlichster Gremien hindurchgegangen und gutgeheißen.

Kasper hielt fest: „Es ist auffallend, dass das Problem der Ehescheidung in der Vergangenheit immer beim Übergang der Kirche in einen neuen Kulturkreis und in eine neue Epoche aufbrach: Bei Matthäus und Paulus, beim Übergang zu juden-christlichen und heiden-christlichen Gemeinden, bei Origenes und Basilius, beim Übergang zur Groß- und Volkskirche, im frühen Mittelalter beim Übergang von der spätantiken zur germanischen Welt und im 16. Jahrhundert beim missionarischen Vorstoß aus dem abendländischen Kulturraum auf den asiatischen und südamerikanischen Kontinent.“1

Ehe in Zeiten des Übergangs

Heute steht die Kirche in einem ähnlichen Übergang: dem Übergang von einer Welt, in der die Kirche das Deutungsmonopol beanspruchte und innehatte, in eine Welt, in der sie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu einer lernenden Kirche geworden ist.

Es zeigt sich jedoch gerade am Beispiel der wiederverheirateten Geschiedenen, dass das Lehramt der Kirche bisher viel zu wenig in die Lernschule menschlicher Erfahrungen angesichts des Scheiterns von Ehen gegangen ist. „Nicht wenige Seelsorger und Theologen, zu denen auch der Verfasser gehört, sind der Meinung, dass die geltenden kirchenrechtlichen Bestimmungen in der gegenwärtigen Situation keine befriedigenden Instrumentarien für pastorale Hilfen bieten.“2 Kasper erinnert an die Praxis der Ostkirche, die vom Trienter Konzil nicht verworfen wurde, sowie an die Praxis Jesu, der jedem Menschen, gerade auch im Scheitern, Möglichkeiten des Heils anbietet. So ist nach Auffassung von Kasper eine Zulassung wiederverheiratet Geschiedener zur Eucharistie möglich, wenn begangene Schuld bereut und nach Kräften gutgemacht, wenn alles Menschenmögliche getan wurde, um zu einer Versöhnung mit dem ersten Partner zu kommen, und wenn die zweite Ehe zu einer sittlich verpflichtenden Verbindung geworden ist, die nicht ohne neues Unrecht wieder gelöst werden kann. Die Kirche hat die Treue Jesu zu allen Menschen jenseits von Rigorismus und Laizismus zu bezeugen.

Lehramtliche Praxis wird nicht mehr verstanden

Papst Johannes Paul II. hat im „Apostolischen Schreiben Familiaris Consortio Über die Aufgaben der christlichen Familien in der Welt von heute“ (1981) die Hirtensorge für die wiederverheiratet Geschiedenen angemahnt: „Die Kirche, die dazu gesandt ist, um alle Menschen und insbesondere die Getauften zum Heil zu führen, kann diejenigen nicht sich selbst überlassen, die eine neue Verbindung gesucht haben, obwohl sie durch das sakramentale Eheband schon mit einem Partner verbunden sind. Darum wird sie unablässig bemüht sein, solchen Menschen ihre Heilsmittel anzubieten. Die Hirten mögen beherzigen, dass sie um der Liebe willen zur Wahrheit verpflichtet sind, die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden. Es ist ein Unterschied, ob jemand trotz aufrichtigen Bemühens, die frühere Ehe zu retten, völlig zu Unrecht verlassen wurde oder ob jemand eine kirchlich gültige Ehe durch eigene schwere Schuld zerstört hat. Wieder andere sind eine neue Verbindung eingegangen, im Hinblick auf die Erziehung der Kinder, und haben manchmal die subjektive Gewissensüberzeugung, dass die frühere, unheilbar zerstörte Ehe niemals gültig war. Zusammen mit der Synode möchte ich die Hirten und die ganze Gemeinschaft der Gläubigen herzlich ermahnen, den Geschiedenen in fürsorgender Liebe beizustehen, damit sie sich nicht als von der Kirche getrennt betrachten, da sie als Getaufte an ihrem Leben teilnehmen können, ja dazu verpflichtet sind.“3 Der Mahnung zur pastoralen Sorge um die wiederverheirateten Geschiedenen folgt aber dann die unmissverständliche Äußerung: „Die Kirche bekräftigt jedoch ihre auf die heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn der Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht. Darüber hinaus gibt es noch einen besonderen Grund pastoraler Natur: Ließe man solche Menschen zur Eucharistie zu, bewirkte dies bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung.“4

Mittlerweile hat sich aber das Argument umgedreht. Gerade die jetzige Praxis der Kirche in Bezug auf die wiederverheirateten Geschiedenen ruft Unverständnis und Verwirrung hervor. Sie wird nicht mehr akzeptiert. Dieses Dilemma zwischen Lehre und Praxis hat zu großen Zerreißproben in den letzten 30 Jahren geführt. Zum einen wird immer wieder die verständnisvolle Haltung gegenüber den wiederverheirateten Geschiedenen angemahnt, zum anderen der unmissverständliche Ausschluss von der Eucharistie gefordert und praktiziert. Von vielen, gerade auch gläubigen und der Kirche verbundenen Menschen wird diese Haltung als zynisch empfunden: Es ist die Rhetorik einer billigen Sympathie, die sich diese Sympathie aber nichts kosten lässt.

Lösungsvorschlag 1: Der Kirchenrechtler Matthäus Kaiser

Auf diesem Hintergrund sind gerade die Theologen nicht müde geworden, eine andere Praxis vorzuschlagen und auch theologisch zu ermöglichen. Einer der Vorreiter in dieser Frage war der Regensburger Kirchenrechtler Matthäus Kaiser. Er hat 1983 sein Buch „Geschieden und wiederverheiratet“ vorgelegt.5 Darin hat er ausführlich die Ehelehre des Zweiten Vatikanischen Konzils entfaltet, die die Ehe als Bund begreift. Das Zweite Vatikanische Konzil hat nicht ein neues Eheverständnis erfunden, sondern das biblische erneuert. Nach dem Verständnis der Konzilsväter ist die Ehe nicht ein Rechtsverhältnis zwischen zwei Partnern, das in dem gegenseitigen Recht zur geschlechtlichen Vereinigung besteht, das sich die Partner bei der Eheschließung übertragen haben. Vielmehr versteht das Konzil die Ehe als personale Lebens- und Liebesgemeinschaft von Mann und Frau, die sich gegenseitig als Person schenken und von Gott zu einer neuen Wirklichkeit verbunden werden. Damit ist die traditionelle Ehezwecklehre aufgegeben, nach der die Zeugung der Nachkommenschaft Hauptzweck der Ehe sei. Daraus ergibt sich: Wenn zwischen geschiedenen Partnern keine personale Verbindung mehr besteht, haben sie auch kein Recht mehr zur geschlechtlichen Vereinigung, die immer Ausdruck der personalen Einheit sein soll. Eine neue geschlechtliche Vereinigung als Ausdruck einer neuen personalen Lebens- und Liebesgemeinschaft verletzt also nicht das Recht des früheren Gatten und ist auch nach dem neuen Eheverständnis nicht als außereheliche Geschlechtsbeziehung zu betrachten. Somit hat jeder geschiedene Wiederverheiratete wie jeder Christ sich gewissenhaft zu entscheiden, ob er bei der Mitfeier der heiligen Messe die Eucharistie empfangen darf oder ob er sich einer schweren Sünde bewusst ist, die ihn von der Kommunion abhält. Wer auf Grund gewissenhafter Selbstprüfung zu der Überzeugung kommt, eine neue Ehe mit einem anderen Partner eingehen oder eine bereits eingegangene fortsetzen zu dürfen, ist auch nach der Wiederheirat nicht am Empfang vom Sakrament gehindert. Es gilt nämlich, was Papst Pius X. in seinem Dekret von 1905 über die tägliche Kommunion erklärt hat: Nur schwere Sünde hält von der hl. Kommunion ab. Wer dagegen im Stand der Gnade ist und in frommer Absicht kommunizieren will, darf nicht davon abgehalten werden. Er kann in Frieden mit der Kirche leben, auch wenn er geschieden und wiederverheiratet ist.

Diese Position von Matthäus Kaiser ist deshalb wichtig, weil er als Regensburger Kirchenrechtler seinen Freund und Kollegen, den Dogmatiker Joseph Ratzinger und jetzigen Papst Benedikt XVI. damit beeinflussen konnte, wie er mir einmal in einem Gespräch erzählt hat. Der heute immer wieder zitierte Vortrag von Joseph Ratzinger an der Katholischen Akademie in München im Jahr 1972 ist ein Zeugnis davon. In diesem Vortrag hält Ratzinger fest: Wenn sich die zweite Ehe als sittliche Größe bewährt hat und im Geist des Glaubens gelebt wird, so lässt die Barmherzigkeit Gottes nach Auffassung von Basilius die Buße nicht unbeantwortet. Die Eröffnung der Kommuniongemeinschaft nach einer Zeit der Bewährung ist dann mehr als gerecht und voll auf der Linie der kirchlichen Überlieferung. „Wo eine erste Ehe seit langem auch in einer für beide Seiten irreparablen Weise zerbrochen ist; wo umgekehrt eine hernach eingegangene zweite Ehe sich über einen längeren Zeitraum hin als eine sittliche Realität bewährt hat […], da sollte […] die Zulassung der in einer solchen zweiten Ehe Lebenden zur Kommunion gewährt werden.“6

Lösungsvorschlag 2: Die Oberrheinischen Bischöfe

Diese Erkenntnisse aus der Theologie zum einen und die nach wie vor unbefriedigende Praxis zum anderen waren der Hintergrund für den Vorstoß der oberrheinischen Bischöfe Oskar Saier, Karl Lehmann und Walter Kasper im Jahre 1993 zur seelsorgerlichen Begleitung von Menschen aus zerbrochenen Ehen, Geschiedenen und wiederverheirateten Geschiedenen. Es standen dahinter auch die Forderungen der Diözesansynode von Rottenburg-Stuttgart, des Freiburger Diözesanforums und der Diözesanversammlung im Bistum Mainz.

Der Brief

In ihrem Hirtenwort schreiben die drei Bischöfe: „Von der Kirche und der Gemeinde fühlen sich die Geschiedenen und die wiederverheirateten Geschiedenen meist nicht verstanden und mit ihren Problemen allein gelassen. Viele glauben sich diskriminiert, ausgestoßen, ja verdammt. Die kirchlichen Vorschriften und Regelungen können sie nur schwer oder meist überhaupt nicht akzeptieren; sie erleben sie als unverständliche Härte und Unbarmherzigkeit. Diese Situation ist eine ernste Anfrage an die Kirche. Wir müssen uns fragen, wie wir den Geschiedenen und wiederverheirateten Geschiedenen in ihrer schwierigen menschlichen Situation die Nähe Gottes glaubwürdig bezeugen können.“7 Eine einfache und glatte Lösung könne es dabei allerdings nicht geben.

In den Grundsätzen für eine seelsorgerliche Begleitung wird folgender Vorschlag gemacht: In einem klärenden seelsorgerlichen Gespräch der Partner einer zweiten ehelichen Bindung mit einem Priester, in dem die ganze Situation gründlich, aufrichtig und objektiv aufgehellt wird, kann sich im Einzelfall herausstellen, dass die Ehepartner, oder auch ein Ehepartner für sich allein, sich in ihrem Gewissen ermächtigt sehen, an den Tisch des Herrn zu treten. Das ist ganz besonders dann der Fall, wenn die Gewissensüberzeugung vorherrscht, dass die frühere, unheilbar zerbrochene Ehe niemals gültig war. Eine ähnliche Situation liegt nahe, wenn die Betroffenen schon einen längeren Weg der Besinnung und der Buße zurückgelegt haben. Hinzu kommt das Vorliegen einer unlösbaren Pflichtenkollision, wo das Verlassen der neuen Familie schweres Unrecht heraufbeschwören würde. Eine solche Entscheidung kann nur der Einzelne in einer persönlichen Gewissensentscheidung unvertretbar fällen. Er braucht dafür aber den klärenden Beistand und die unvoreingenommene Begleitung des kirchlichen Amtes, das die Gewissen schärft und dafür sorgt, dass die grundlegende Ordnung der Kirche nicht verletzt wird. Der Priester wird eine so getroffene Gewissensentscheidung gegen Verurteilungen und Verdächtigungen schützen, aber auch Sorge tragen, dass die Gemeinde keinen Anstoß daran nimmt. Bei dieser Gewissensentscheidung sind folgende Kriterien unerlässlich: Wo beim Scheitern der ersten Ehe schweres Versagen mit im Spiel war, müssen die übernommene Verantwortung anerkannt und die begangene Schuld bereut werden. Es muss glaubhaft feststehen, dass eine Rückkehr zum ersten Partner wirklich nicht möglich ist und die erste Ehe beim besten Willen nicht wieder belebt werden kann. Begangenes Unrecht und ein angerichteter Schaden müssen nach Kräften wiedergutgemacht werden, soweit dies möglich ist. Zu dieser Wiedergutmachung gehört auch die Erfüllung der Verpflichtungen gegenüber Frau und Kindern aus der ersten Ehe. Es ist darauf zu achten, ob ein Partner seine erste Ehe unter großem öffentlichen Aufsehen und evtl. sogar Ärgernis zerbrochen hat. Die zweite eheliche Gemeinschaft muss sich über einen längeren Zeitraum hinweg im Sinne eines entschiedenen und auch öffentlich erkennbaren Willens zum dauerhaften Zusammenleben nach der Ordnung der Ehe und als sittliche Realität bewährt haben. Es muss geprüft werden, ob das Festhalten an der zweiten Bindung gegenüber dem Partner und den Kindern eine neue sittliche Verpflichtung geworden ist. Es muss hinreichend feststehen, dass die Partner wirklich aus dem christlichen Glauben zu leben versuchen und aus lauteren Motiven, d. h. aus echten religiösen Beweggründen auch am sakramentalen Leben der Kirche teilnehmen wollen. Ähnliches gilt für die Erziehung der Kinder. Am Schluss des Schreibens wird an den Satz des Kirchenvaters Gregor von Nazianz erinnert: „Nicht durch Strenge übertreiben, nicht durch schwächliche Nachgiebigkeit revoltieren.“8

Die Reaktion Roms

Die Kongregation für die Glaubenslehre beantwortete diesen Vorschlag am 15. Oktober 1994. Das Schreiben wurde an alle Bischöfe der Welt gerichtet. Das anstehende Jahr der Familie sollte dafür einen verobjektivierten Anlass bieten. So hieß es ganz allgemein zu Beginn: „Das internationale Jahr der Familie bietet eine wichtige Gelegenheit, die Zeugnisse der Liebe und der Sorge der Kirche für die Familie wieder zu entdecken und zugleich die unschätzbaren Reichtümer der christlichen Ehe, die das Fundament der Familie bildet, erneut vorzulegen […]. In diesem Anliegen wurden in den letzten Jahren in verschiedenen Gegenden (!) unterschiedliche pastorale Lösungen vorgeschlagen, denen zufolge zwar eine allgemeine Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zur heiligen Kommunion nicht möglich wäre, sie aber in bestimmten Fällen zum Tisch des Herrn hinzutreten könnten, sofern sie sich in ihrem Gewissensurteil dazu ermächtigt hielten.“9 Das Schreiben hält dagegen fest, es komme dem universalen Lehramt der Kirche zu, in Treue zur heiligen Schrift und zur Tradition das Glaubensgut zu verkünden und authentisch auszulegen.

Wiederverheiratete Geschiedene leben demzufolge in einer Situation, die dem Gesetz Gottes objektiv widerspricht, und darum dürfen sie, solange diese Situation andauert, die Kommunion nicht empfangen. Ein Kommunionempfang im Gegensatz zu den kirchlichen Normen ist ein in sich widersprüchlicher Akt. Die sakramentale Gemeinschaft mit Christus beinhaltet den Gehorsam gegenüber der Ordnung der kirchlichen Gemeinschaft, auch wenn das manchmal schwierig sein kann, und setzt diesen voraus. Zum Schluss folgt die Ermahnung: „Die Pastoral wird alle Kräfte einsetzen müssen, um glaubhaft zu machen, dass es nicht um Diskriminierung geht, sondern einzig um uneingeschränkte Treue zum Willen Christi, der uns die Unauflöslichkeit der Ehe als Gabe des Schöpfers zurückgegeben und neu anvertraut hat. Das Mitleiden und Mitlieben der Hirten und der Gemeinschaft der Gläubigen ist nötig, damit die betroffenen Menschen auch in ihrer Last das süße Joch und die leichte Bürde Jesu erkennen können.“10

In diesem Schreiben wird die Diskrepanz zwischen den Gefühlen und Empfindungen der Menschen und der mittlerweile unverständlich gewordenen lehramtlichen Position deutlich. Den Ausschluss von den Sakramenten als „süßes Joch“ zu umschreiben ist biblische Verhübschung einer rigiden kirchlichen Praxis. Eine Betroffene schreibt in diesem Band vom „drückenden Joch“ der Kirche (S. 38).

Antwortschreiben der Bischöfe

Die oberrheinischen Bischöfe richteten daraufhin ein Schreiben an alle hauptberuflich in der Seelsorge tätigen Damen und Herren in den Diözesen Freiburg im Breisgau, Mainz und Rottenburg-Stuttgart. Sie erkennen darin die Prinzipien des Lehramts an, geben allerdings zu bedenken: „Man kann freilich nicht übersehen, dass es sich bei den wiederverheirateten Geschiedenen oft um sehr schwierige und höchst komplexe menschliche Situationen handelt, in denen die konkrete Anwendung dieser Prinzipien pastoral schwierig ist. Wir haben zu zeigen versucht, warum diese Probleme in unseren modernen westlichen Gesellschaften aus verschiedenen Gründen enorm zugenommen haben. Sie stellen eine pastorale Herausforderung dar, die dringend einer Antwort bedarf. Die allgemeine Norm muss ja nach der traditionellen Lehre der Kirche jeweils auf die konkrete Person und auf deren individuelle Situation bezogen werden, ohne dass dadurch die Norm aufgegeben würde […]. Dabei geht es nicht um eine Aufhebung des geltenden Rechts und der gültigen Norm, sondern in schwierigen und komplexen Situationen um deren Anwendung nach Recht und Billigkeit, so dass der Einmaligkeit der jeweiligen Person Rechnung getragen wird. Das hat nichts mit einer sogenannten ‚Situationspastoral‘ zu tun.“11

Nach Ansicht der drei Bischöfe bleiben mit dieser Erklärung der Glaubenskongregation viele pastorale Probleme weiter ungelöst. Letztlich gehe es bei all diesen Fragen um die rechte Verhältnisbestimmung von allgemein gültiger objektiver Norm und persönlicher Gewissensentscheidung. Zum Schluss des Schreibens wird darauf hingewiesen, dass auch die theologische Wissenschaft sich weiterhin mit diesen Fragen beschäftigen müsse.

Eine solche Beschäftigung der Theologie mit diesen Fragen wird in vorliegendem Buch erneut vorgelegt. Die Beiträge kommen zu dem Ergebnis, dass eine Änderung der bisherigen Praxis nicht nur längst angezeigt, sondern theologisch auch möglich ist.

Warnung vor einem vertikalen Schisma

Walter Kardinal Kasper hat in seinem Buch „Katholische Kirche: Wesen – Wirklichkeit – Sendung“ diese Probleme noch einmal aufgegriffen. Seiner Meinung nach ist eine Pastoral dann von pastoraler Klugheit bestimmt, wenn sie der Logik und der Tugend der Klugheit entsprechend ein allgemein gültiges Gesetz nach den Regeln der praktischen Vernunft person- und situationsgerecht auf konkrete Situationen anwendet. Das ist dann keine Situationsethik, welche die Situation zum Schlüssel der Wahrheitserkenntnis macht, sondern eine seelsorgerliche Haltung, welche angesichts der objektiven Komplexität zu einer gewissenhaften Abwägung kommt. Er verweist darauf, dass dieses Konzept von pastoraler Klugheit im Hintergrund des zusammen mit dem damaligen Erzbischof Oskar Saier und dem damaligen Bischof und jetzigen Kardinal Lehmann im Jahr 1993 unternommenen Vorstoßes zur Pastoral der wiederverheirateten Geschiedenen gewesen sei. Dabei sei die Unauflöslichkeit der Ehe nicht in Frage gestellt worden, ganz im Gegenteil. Auch sollte keine generelle Lösung erzielt werden, sondern die Unterschiedlichkeit und Komplexität einzelner Situationen ernst genommen werden, welche eine Abwägung angemessen erscheinen lassen. Kardinal Kasper fährt fort: „Wenn statt solcher pastoraler Klugheit ein rein pragmatisches Verhalten oder umgekehrt ein wirklichkeitsfernes, letztlich gnadenloses und liebloses Prinzipiendenken vorherrscht, dann kann es zu einem vertikalen Schisma kommen, zwischen Prinzipien, welche oben festgehalten und eingeschärft werden, und der Praxis unten, die oft wild und ungeordnet ihre eigenen Wege geht. Wer die gegenwärtige Situation der Kirche realistisch betrachtet, kann die Gefahr einer solchen Entwicklung nicht übersehen; sie ist in vielen Bereichen der Moral und der Pastoral inzwischen Wirklichkeit geworden.“12

Neuer Lösungsvorschlag: Die Beiträge dieses Buches

Um dem von Kardinal Kasper angedeuteten vertikalen Schisma zu entgehen, aber auch der Situation der Betroffenen gerecht zu werden, muss sich die Praxis der Kirche gegenüber den wiederverheirateten Geschiedenen ändern. Die Vorschläge dazu sind in diesem Buch entfaltet. Die Beiträge reichen von den bitteren und bewegenden Erfahrungen von Betroffenen über die Praxis von Seelsorgern und die Einschätzung einer Psychotherapeutin bis hin zu den aktuellen Reflexionen aus verschiedenen theologischen Disziplinen.

Die Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin Roswitha Dockendorff geht aus der Perspektive ihrer Disziplin dem Phänomen des Scheiterns auf den Grund. Denn als solches wird das Ende einer Ehe von vielen erlebt. Scheitern ist endgültiger als bloßes Misslingen. Es gleicht sprichwörtlich einem Schiffbruch: Das Schiff selbst zerschellt, die Betroffenen geraten in existenzielle Bedrängnis, müssen sich meist völlig vom ursprünglichen Weg und Ziel entfernen – machen aber auch bedeutsame persönliche Erfahrungen. Diese Erfahrungen, so Dockendorff, können sich destruktiv oder konstruktiv für das weitere Leben auswirken – Letzteres insbesondere dann, wenn es gelingt, sich der eigenen Zerrissenheit zu stellen, umzudenken und „umzufühlen“ (Verena Kast). Die kirchliche Praxis nehme jedoch die emotionalen Prägungen und seelischen Verwundungen der Partner – und damit einen großen Teil der innerseelischen Realitäten, die zum Scheitern einer Ehe beitragen können – gar nicht wahr. So komme zum persönlichen Scheitern in einer Ehe noch der Schmerz hinzu, sich von der eigenen Kirche im Stich gelassen zu fühlen und vom Empfang der anderen Sakramente ausgeschlossen zu werden. Auch könne die religiöse Gesinnung und Praxis den Betroffenen häufig nicht helfen, die auf einer anderen, nämlich der unbewussten Ebene liegenden psychischen Prägungen und die daraus erwachsenden Konflikte zu bearbeiten. Erst in der aktiven Auseinandersetzung mit dem Scheitern verberge sich eine Chance, zu mehr Sensibilität für sich und andere zu finden und in der eigenen Persönlichkeit zu reifen. Nicht zuletzt liege in diesem Reifungsprozess zu größerer Lebensfülle auch die Möglichkeit, näher zu Gott zu finden.

Der Münchner Neutestamentler Gerd Häfner fragt nach der ursprünglichen Fassung des Jesuswortes von Ehescheidung und Wiederheirat, das er in Mt 5,32 am ehesten bewahrt sieht. In seiner exegetischen Analyse arbeitet er heraus, dass Jesus in der Tradition der Evangelisten zwar die Ehescheidung verwirft, mit dem überlieferten Satz allerdings keine Regelung formuliert, die die Gemeinschaft seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger in allen denkbaren Fällen rechtlich verpflichten wolle. Es wird vielmehr klar, welche Bedeutung Jesu Worten zur Ehescheidung im Kontext seiner Reich-Gottes-Botschaft zukommt. So kann die Ehe – analog zum Sabbat – als eine vom Schöpfer gestiftete Einrichtung zum Wohl des Menschen verstanden werden. In diesem theologischen Horizont wird es schließlich möglich, in der Pastoral mit wiederverheirateten Geschiedenen Wege zu suchen, die der ganzen Vielfalt des Lebens auch heute gerecht werden können. Das Scheidungsverbot Jesu sollte also menschenfreundlich interpretiert werden. Man soll es nicht aushöhlen, wie es etwa die Kirche mit dem jesuanischen Eidverbot handhabt.

Der Dortmunder Dogmatiker Thomas Ruster arbeitet in seiner rechts- und dogmengeschichtlichen Untersuchung ein Alleinstellungsmerkmal der katholischen Kirche heraus: die Ehe als Sakrament. Genau dies sei der kostbare Schatz, der heute angesichts differenzierter Formen partnerschaftlichen Zusammenlebens und vor dem Hintergrund veränderter (kirchen-)rechtlicher Normen zum Leuchten gebracht werden könne. Dafür bedürfe es jedoch eines zentralen Schrittes: der Entkoppelung der sakramentalen Ehe von der Ehe als Vertragsgemeinschaft einerseits und von der normativen Vorstellung der Naturehe andererseits. In diesem markanten Schritt liegt nach Ruster die unerlässliche Voraussetzung dafür, in der festgefahrenen Frage nach dem Umgang mit den wiederverheirateten Geschiedenen Lösungen zu finden. Auf diese Weise werde nämlich ein Zweifaches möglich: Zum einen könne es in der Kirche gültige Ehen geben, die kein Sakrament sind. Zum anderen könne die Kirche ihre Lehrhoheit über nichtsakramentale Formen des Zusammenlebens von Mann und Frau aufgeben. Sie müsse diese nicht mehr an der Norm des Naturrechts messen und könne die vielen neuen Formen von Partnerschaft einfach das sein lassen, was sie sind: tastende, teils unausgegorene, teils schon bewährte Versuche, die Institution der Ehe den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen.

Otto Hermann Pesch, der eine katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung vorgelegt hat – seine 25-jährige Lehrtätigkeit an der Evangelischen Fakultät der Universität Hamburg prädestiniert ihn gerade dazu –, plädiert ebenfalls für die Unscheidbarkeit der Ehe, allerdings nur dann, wenn die Ehe wirklich eine Ehe ist. Die Unscheidbarkeit kann freilich kein rechtlicher Grundsatz sein, der erzwingbar ist. Insofern spricht Pesch sich für die Praxis der Ostkirche aus, die von der katholischen Kirche nie verurteilt wurde. Bei einer heillosen Zerrüttung der Ehe sollte ein Neuanfang in der Kirche möglich sein. Die Ostkirche beweist, dass dies möglich ist unter ausdrücklicher Anerkennung der Ehe als Sakrament.

Familiaris consortio