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Den österlichen Mehrwert im Blick

ERFURTER THEOLOGISCHE SCHRIFTEN

im Auftrag
der Katholisch-Theologischen Fakultät
der Universität Erfurt

herausgegeben
von Josef Römelt und Josef Pilvousek

BAND 42

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Den österlichen Mehrwert
im Blick

Theologische Beiträge
zu einer Kirche im Umbruch

Im Auftrag der
Katholisch-Theologischen Fakultät
der Universität Erfurt

herausgegeben von
Benedikt Kranemann
und Maria Widl

echter

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Satz
Matthias Kraus, Erfurt

Druck und Bindung
Difo-Druck, Bamberg

ISBN
978-3-429-03495-5 (Print)
978-3-429-04637-8 (PDF)
978-3-429-06047-3 (ePub)

INHALT

VORWORT

KATHOLISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND – WIE GEHT ES WEITER? VERSUCH EINER FRIEDLICHEN VERSTÄNDIGUNG ÜBER NOTWENDIGE GEMEINSAME SCHRITTE

Bischof Joachim Wanke

ISRAEL UND DIE VÖLKER IN JES 2,1–5.
EIN MODELL FÜR DIE SELBSTBESINNUNG DER KIRCHE?

Norbert Clemens Baumgart

VERTRAUEN: FUNDAMENT DER BEZIEHUNGEN ZWISCHEN BISCHÖFEN UND THEOLOGEN

Konrad Feiereis

WACHSENDE BEDEUTUNG DER LAIEN FÜR DIE KIRCHE

Josef Freitag

DAS AMT IN DER KRISE

Franz Georg Friemel

„SOFORT FIEL ES WIE SCHUPPEN VON SEINEN AUGEN ...“ (APG 9,18). GLAUBENSERFAHRUNG UND GLAUBENSZEUGNIS

Michael Gabel

RECHTSENTWICKLUNG UND GOTTESERKENNTNIS

Georg Hentschel

WAS WIR ALS CHRISTEN VON ANDEREN LERNEN KÖNNEN

Siegfried Hübner

LITURGIE UND ORTSKIRCHE

Benedikt Kranemann

VATICANUM II – DAS TOR ZU EINER MODERNEN CHRISTLICHEN ETHIK WIRD GEÖFFNET

Elke Mack

AUF WEGEN DES ERBARMENS.
GEDANKEN ZUR SITUATION DER KIRCHE

Claus-Peter März

CHRISTLICHE LEBENSFÜHRUNG ALS AUFGABENSTELLUNG DER THEOLOGISCHEN ETHIK

Christof Mandry

„DAS DAMALS NICHT VERGESSEN, ABER IN DIE ZUKUNFT SCHAUEN.“ ASPEKTE DES BISCHOFSDIENSTES IN DER DDR UND IM VEREINTEN DEUTSCHLAND

Josef Pilvousek

DER KULTURWISSENSCHAFTLICHE ANSPRUCH DER THEOLOGISCHEN ETHIK

Josef Römelt

„WER UNTER EUCH DER GRÖSSTE SEIN WILL, DER SEI DER DIENER ALLER“ – WIE CHRISTLICH IST MACHT?
ÜBERLEGUNGEN ZUR MACHTAUSÜBUNG IN DER KIRCHE

René Roux

KONFESSIONSVERSCHIEDEN – KONFESSIONSVERBUNDEN

Eberhard Tiefensee

WO GOTT WOHNT – ASPEKTE DER REALITÄT GOTTES IN PRAKTISCH-THEOLOGISCHER PERSPEKTIVE

Maria Widl

MISSBRAUCH – VERTRAUENSVERLUST – SCHUTZ DER GERINGSTEN: EIN PARADIGMENWECHSEL FÜR KIRCHENLEITUNGEN IN DEN MISSBRAUCHSFÄLLEN

Myriam Wijlens

AUTORINNEN UND AUTOREN

VORWORT

Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich unübersehbar in einem Umbruch. Alte Gewissheiten, gleich ob sie Lehraussagen oder das Selbstverständnis der Institution betreffen, und lange Vertrautes wie Strukturen und Institutionen, in denen sich Katholikinnen und Katholiken über die Jahre eingerichtet hatten, stehen in der Diskussion. Der Missbrauchsskandal hat in erschreckendem Maße Mängel in Alltag und Kommunikation der Kirche und der Lebenspraxis einzelner ihrer Mitglieder zutage gebracht. Das Memorandum „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“ hat zahlreiche Felder des kirchlichen Lebens benannt, auf denen Veränderungen anstehen; andere haben – zustimmend wie ablehnend – diesen Ball aufgenommen. Die deutschen Bischöfe haben einen Dialogprozess initiiert, der im Sommer 2011 mit einer großen Diskussionsveranstaltung verheißungsvoll begonnen worden ist, aber nun der weiteren Gestaltung und Entwicklung harrt. Über all dem kann eine generell nachlassende Bindung an die Institution Kirche und ein Verblassen des vor allem biblisch geprägten, personalen Gottesglaubens nicht übersehen werden.

Zugleich zeichnen sich in den vergangenen Jahren auch interessante Aufbrüche in der Kirche ab. Mit immer wieder neuen Initiativen und Impulsen äußert sich die Kirche im Sozialen und Kulturellen. Manche weitreichende Veränderung kann man im Bereich neuer Feierformen auch mit Menschen am Rande und außerhalb der Kirche beobachten. Und, gewiss mit vielen Schwierigkeiten und Missverständnissen behaftet, versteht sich die Kirche oder besser gesagt: begreifen Kreise in der Kirche diese wieder deutlicher als eine „missionarische“ Kirche. Sie soll den Glauben überzeugend leben und dadurch an Kreativität nach innen und Anziehungskraft nach außen gewinnen. Eine neue Sensibilität für die ernsthaft gestellte Frage, was den christlichen Glauben im Kern ausmacht, ist zu beobachten. Man begegnet einer wirklichen Offenheit für die Fragen von Zeitgenossen, seien sie gläubig oder ungläubig. Zum Teil überraschend offensiv ist sie mit dem Interesse an neuen Lebensorten und -formen des Glaubens, auch an neuen Vernetzungen von Katholikinnen und Katholiken in der Gesellschaft und den Lebensfeldern der Gegenwart verbunden.

Dem unzweifelhaften Veränderungsbedarf der Kirche auf der einen stehen eine erstaunliche Vitalität und ein Erneuerungswille auf der anderen Seite gegenüber. In dieser komplizierten Gemengelage hat Bischof Dr. Joachim Wanke 2010 in Berlin einen programmatischen Vortrag gehalten, der unter dem Titel stand „Katholische Kirche in Deutschland – wie geht es weiter? Versuch einer friedlichen Verständigung über notwendige gemeinsame Schritte“. Es sind Gedanken, die die Auseinandersetzung einmal mehr lohnen und die Perspektive mitbringen, dass sich etwas zum Guten ändern kann. Sie verlangen die offene Diskussion.

Das vorliegende Buch sucht dieses Gespräch mit Bischof Wanke, greift einzelne seiner Anstöße auf und führt sie weiter. Mit ihm als früherem Dozenten und langjährigem Diözesanbischof herzlich verbunden, gratulieren ihm die Autorinnen und Autoren zu seinem 70. Geburtstag. Alle gehören der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt und ihrer Vorgängerinstitution als Professorinnen und Professoren wie Dozenten an. Sie wollen für die anstehenden Diskussionen in der katholischen Kirche Impulse geben, aber durchaus auch im positiven Sinne provozieren und herausfordern. Was die Beiträge vereint, ist der Wille, an Perspektiven für eine gute Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland mitzuarbeiten.

Herausgeberin und Herausgeber danken für den Auftrag, die vorliegenden Aufsätze im Namen der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt zusammenzustellen und zu redigieren. Ein besonderer Dank gilt Matthias Kraus für den Drucksatz des Buches.

Erfurt, am Fest des heiligen Albert Magnus,
des Patrons der Katholisch-Theologischen Fakultät
der Universität Erfurt

Benedikt Kranemann und Maria Widl

KATHOLISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND – WIE GEHT ES WEITER? VERSUCH EINER FRIEDLICHEN VERSTÄNDIGUNG ÜBER NOTWENDIGE GEMEINSAME SCHRITTE

Bischof Joachim Wanke

Gegenwärtig werden uns Bischöfen mancherlei Ratschläge gegeben, wie unsere Kirche ihre angeschlagene Glaubwürdigkeit wieder aufbessern könnte. Wir kennen die geäußerten Vorwürfe und leiden selbst unter dem, was sich als Schuld in den Reihen des Klerus und darüber hinaus gezeigt hat. Wir nehmen ein kaum zu entwirrendes Gemenge von Problemanzeigen wahr, meist untersetzt mit starker Emotionalität und Empörungsrhetorik, auf die schwer zu reagieren ist.

Wie soll ich mich als Bischof dazu verhalten? Einsichtige Analytiker wissen um den begrenzten Handlungsspielraum, den ein Bischof, eine Bischofskonferenz insgesamt hat.

Wie also vertieft neue Glaubwürdigkeit gewinnen? Wir wissen aus Erfahrung: Glaubwürdigkeit ist nur indirekt zu erlangen. Das gilt auch für unsere Kirche. Glaubwürdigkeit wird „geschenkt“, nicht gemacht. Sie ist nicht ein Produkt von gutem Management oder professioneller Medienarbeit (allein). Sie ergibt sich, wenn vieles zusammenkommt, vor allem Wille zur Wahrhaftigkeit, persönliche Integrität, Bereitschaft zum Gespräch, Entschiedenheit, die sich mit Menschenfreundlichkeit verbindet.

In der Tat: Profiliertheit muss nicht abstoßend wirken, im Gegenteil: Sie weckt Interesse, wenn denn die Intention dieser Profiliertheit, deren Bedeutung für unser Menschsein (und Christsein) verständlich wird. Der österliche „Mehrwert“, den der Gottesglaube schenkt, muss in den Blick kommen. Dazu ist Kirche da, dem dient ihre Verkündigung und alles, was sie darüber hinaus tut.

Dass es mit der Kirche weitergeht, ist keine Frage für den, der ernsthaft an die göttliche Stiftung der Kirche Jesu Christi glaubt. Die Frage ist freilich: Wie sollte sich ihr Leben in Zukunft entfalten? Welche Gestalt muss sie hierzulande, in dieser konkreten gesellschaftlichen Luft der Bundesrepublik Deutschland ausprägen? Das sind offene Fragen, über die es gemeinsam nachzudenken gilt.

Meine Überlegungen möchten einen Beitrag dazu leisten: Es gilt nüchtern auf die Situation zu schauen, in der wir leben, aber ebenso neu die biblischen und theologischen Baupläne der Kirche anzuschauen und zu fragen, wie diese zur Grundlage von kirchlichem Umbau, Ausbau und geistlicher Erneuerung werden können.

Ich gehe mein Thema in drei Schritten an (nach dem alten bewährten Dreischritt: sehen, urteilen, handeln). Dabei lehne ich mich an das bemerkenswerte Referat des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, an, das er bei der Herbstvollversammlung im September 2010 in Fulda gehalten hat. Er hatte dort das Bild einer hörenden, pilgernden und den Menschen dienenden Kirche entfaltet und zum Gespräch über diese „Kirchenvision“ eingeladen.

Veränderungen in Kirche und Gesellschaft wahrnehmen („sehen“)

Seit dem 2. Vatikanum und der nachfolgenden Würzburger Synode haben sich die Rahmenbedingungen kirchlich-katholischen Lebens in unseren Diözesen beträchtlich verändert. Manches an innerkirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen hat sich verschärft, anderes ist in den Hintergrund getreten. Neue Horizonte haben sich aufgetan. Seit der friedlichen Revolution 1989/90 und der nachfolgenden Wiedervereinigung ist der Anteil der nichtchristlichen Bevölkerung in der Bundesrepublik stark gewachsen. Der Prozess der europäischen Einigung ist weiter gegangen. Weltweit haben sich neue Herausforderungen in den Vordergrund geschoben: das Phänomen des Terrorismus etwa, die Klimabedrohung, die Energiefrage, aber auch ein erwachendes neues Selbstbewusstsein der großen Religionen, etwa des Islam mit den daraus erwachsenden Spannungen und Konflikten.

Für die Kirche in Deutschland ist die Erfahrung eines sich verschärfenden Säkularismus, ja eines zum Teil aggressiven Atheismus eine geistliche Herausforderung, auf die es zu antworten gilt. Der Prozess der gesellschaftlichen Freisetzung des Einzelnen von Vorgaben und Traditionen jedweder Art geht weiter – bei gleichzeitiger Zunahme neuer, besonders ökonomischer Zwänge, die vielen zu schaffen machen. Es wächst „das Unbehagen an der Moderne“ (Charles Taylor). Es wachsen – auch über die Grenzen der Kirche hinaus – die Sorgen, wie denn der innere Zusammenhalt der Gesellschaft auf Dauer gesichert bleiben kann.

Innerkirchlich haben sich in den letzten Jahren zunehmende Spannungen ergeben, die sich bis in den Kern unserer Gemeinden, aber auch unter Priestern und kirchlichen Mitarbeitern bemerkbar machen. Meist machen sich diese an der Frage fest, wie die Kirche auf den anhaltenden Rückgang der Priester- und Ordensberufe reagieren soll. Die Forderung nach der Ausweitung der Weihezulassung für Verheiratete und Frauen wird nachdrücklicher gestellt. Die Kirchenaustrittszahlen nehmen weiterhin zu, wobei die Gründe hierfür unterschiedlich sind. Es gelingt oft nicht, die nachfolgende Generation in das Mitleben mit der Kirche und ihren überkommenen Selbstverständlichkeiten einzubinden. Sparzwänge und deren Folgen machen sich bemerkbar. Die herkömmliche Struktur der Gemeinden wird weitmaschiger, was mancherorts viel Unmut bereitet. Mancherorts ist in den Diözesen eine resignative, ja verbitterte Grundstimmung zu beobachten. Dazu kommen Spannungen, die sich aus weltkirchlichen Vorgaben, etwa für die Zulassung zu den Sakramenten, ergeben. Viele leiden an dem öffentlichen Ansehensverlust der Kirche wegen der jetzt bekannt gewordenen Missbrauchsfälle durch Kleriker und Ordensleute. Die sexualethischen Weisungen der Kirche sind in manchen Bereichen, etwa der Empfängnisregelung, schwer vermittelbar. Manche meinen, die hierarchische Verfasstheit der Kirche selbst, die Art, wie in ihr Macht ausgeübt wird, sei eine der Ursachen ihrer Reformschwäche. Sie bemängeln das Fehlen eines offenen Dialogs auch über strittige Themen bzw. ein vorschnelles Abwiegeln solcher Fragen. Es gibt Anfragen an das überkommene Verhältnis von Staat und verfasster Kirche. Der so genannte „Dritte Weg“ im Arbeitsrecht und die Rolle der Kirche als Arbeitgeberin sind nicht unumstritten.

Wir sehen: Das ist eine Fülle von Themen und Problemanzeigen. Das alles muss besprochen, nüchtern analysiert bzw. in seiner theologischen und kirchlichen Bedeutsamkeit gewichtet und bedacht werden. Man kann sich in vielen Fragen nicht einfach auf frühere Regelungen und Selbstverständlichkeiten verlassen. Das Leben sowohl der Gesellschaft als auch das Leben der Kirche ist ständig im Fluss. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es für manche Fragen derzeit keine konsensfähigen Antworten gibt, zumindest keine, die wir in Deutschland allein geben können.

Was bedeutet das Verblassen bzw. das Zerbröseln einer nicht mehr „christentümlichen“ Gesellschaft für unsere Kirche, für ihre Stellung in der Öffentlichkeit und den „Stil“ ihres Wirkens? Was sagt uns die Tatsache, dass sich die Bindungsfähigkeit der Menschen schwächt, besonders bei Bindungen auf Dauer, etwa bei der Übernahme einer Weiheverpflichtung oder eines Ordensgelübdes? Welche Gründe gibt es dafür? Wie gehen wir um mit dem Phänomen, dass das Durchhalten einer Ehe heute schwieriger ist als früher, trotz des guten Willens der Einzelnen? Ist die Ausweitung von Handlungsmöglichkeiten im Blick auf die Natur und das menschliche Leben in seinen Anfängen und an seinem Ende für unseren Glauben und die sittliche Bewertung mancher Entscheidungen von Bedeutung? Was zeigt sich an neuer Suche nach „Lebensfülle“ in der Gesellschaft, auch wenn dieses Suchen derzeit oft an den Kirchen vorbeigeht? Was macht die Dominanz des Ökonomischen mit uns? Was erhoffen und wie leben junge Menschen heute? Die hier nur kurz angedeuteten Fragebereiche könnten helfen, vertiefter die Wirklichkeit um uns (und unter uns) wahrzunehmen, auch wenn uns das mit manchen Ratlosigkeiten konfrontiert.

Es geht also vornehmlich um ein vertieftes „Hören“, von dem Erzbischof Zollitsch in dem genannten Referat bei der Herbstkonferenz der DBK 2010 in Fulda sprach. Wir sollten versuchen wahrzunehmen, ob in den „Zeichen der Zeit“, und zwar der gegenwärtigen Zeit, möglicherweise Hinweise des Geistes enthalten sind, die uns besser die Absichten Gottes für seine Kirche und auch für uns Gläubige erkennen lassen.

Es geht also um ein nüchternes Bedenken der Rahmenbedingungen unseres kirchlichen Lebens hier und heute. Für mich als Bischof etwa war es in den Jahren nach der friedlichen Revolution, nach Maueröffnung und gesellschaftlicher Liberalisierung wichtig, diesen Wandel als eine geistliche Herausforderung zu erkennen. Ist die Freiheit, die Gott uns zumutet, nicht auch religiös gesehen ein Geschenk, eine Herausforderung, die uns hilft, in mancher Hinsicht auch kirchlich ehrlicher zu leben? Hier gelten die programmatischen Anfangssätze der Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes“, dass der Kirche die Freude und Hoffnung, die Trauer und Angst der Menschen von heute nicht fremd bleiben darf. „Es gibt nichts wahrhaft Menschliches, was nicht in den Herzen der Jünger Christi Widerhall fände.“

Das Evangelium neu in den Blick nehmen und in seinem Anspruch und seinem Zuspruch tiefer verstehen („urteilen“)

Wenn sich das Gespräch innerhalb unserer Kirche nicht in den heute meist sofort diskutierten „heißen Eisen“ (Zölibat, Priesterweihe für Frauen, Umgang mit geschieden Wiederverheirateten u. ä.) verlieren soll, bedarf es eines neuen Blicks auf die Mitte unseres Glaubens: die Verheißungen Gottes und die sich daraus ergebende Antwort der persönlichen und kirchlichen Umkehr und Erneuerungsbereitschaft. Allein vor diesem, aus dem Evangelium gewonnenen Horizont heraus, ist das Gespräch auch über strittige Einzelthemen (und manches andere mehr) zielführend. Das sollte in aller Offenheit geschehen, gegebenenfalls auch kontrovers, doch in einer Haltung des gemeinsamen Fragens nach dem Willen Gottes für uns heute, in einer Gesinnung, die Einmütigkeit anstrebt und von der Liebe zur Kirche gespeist ist.

Darum rege ich an: Es sollte alles auf den Prüfstand, was im Leben unserer Ortskirchen eine säkulare Eigendynamik entwickelt und sich von der Mitte des Evangeliums entfernt hat. „Suchet zuerst Gottes Reich [...]“ dieses Wort muss wieder einen überzeugenden Ort in der Prioritätensetzung unseres kirchlichen Handelns gewinnen. Damit meine ich durchaus keine spirituelle Lyrik. Wir brauchen in der sich verändernden Welt eine neue Verständigung über das, wozu Kirche eigentlich da ist.

Der Auftrag der Kirche ist es, Gott zum Vorschein zu bringen, nicht sich selbst. Es ist einfach falsch zu meinen, wir müssten als Kirche eine Gegengesellschaft zur Welt bilden, vielleicht noch perfekter als diese werden. Gerade diese Mentalität hat in der Vergangenheit manche strukturelle Heuchelei verursacht. Der Schein war dann wichtiger als das Sein. Die Kirche muss sich als Ferment im Ganzen verstehen, nicht als Rückzugsort für die Vollkommenen und Reinen.

Zudem gilt es den „eschatologischen Vorbehalt“ zu beherzigen, dem auch unser kirchliches Tun unterworfen ist. Wir brauchen den Mut, das auch Unvollkommene, aber in der konkreten Situation Evangeliumsgerechtere zu wagen. Hier greift das zweite Stichwort aus der genannten Rede von Erzbischof Zollitsch: Wir sind eine „pilgernde“ Kirche, eine Kirche, die unterwegs ist.

Es gilt Verkrampfungen zu lösen, die daraus entstehen, immer genau zu wissen, was „das Katholische“ ist. Dieser Drang zum „Rechthaben“ lässt uns in Parteiungen zerfallen, weil wir dann dem Geist Gottes, der uns in der Wahrheit hält, nichts mehr an Führung und Wegbegleitung in unübersichtlichem Gelände zutrauen. Die latenten und z. T. offenen Schismen in unserer Kirche (Bischöfe vs. Priester; Amtsträger vs. Gottesvolk, Konservative vs. Fortschrittler, Hauptamtliche vs. Ehrenamtliche, etc.) sind „Früchte“ des Unglaubens. Ist es wirklich unsere Aufgabe, Gott gleichsam „unter die Arme“ zu greifen, als ob er ohne uns hilflos wäre? Was soll der falsche Eifer, der so manche Gruppen im rechten oder linken Kirchenspektrum umtreibt und aufeinander einprügeln lässt? Solche Polarisierungen atmen den Geist der Welt, der alles auf die Spitze treiben will und nichts von jener anderen Vollendung weiß, um die wir im Glauben wissen.

Darüber freilich sollten wir nachdenken: Hat unsere kirchliche Durchorganisiertheit, genauer: die Erwartungen, die wir daraus ableiten, noch mit dem Evangelium zu tun? Ist ein phantasieloses Festhalten an Gewohntem und Vertrautem (Stichwort: Pastoralstrukturen) mit christlicher Hoffnung vereinbar? Ist glaubhaft, dass wir auch kirchlich in „Zelten“ leben sollten, weil die Gestalt dieser Welt (und doch wohl auch der Kirche) vergeht? Und ein ganz heißes Thema: Ist eine Diakonie, die sich gänzlich (!) von öffentlichen Geldern abhängig macht, noch Caritas Christi? Lügen wir uns nicht mit manchen kirchlichen Einrichtungen in die Tasche? Oder: Ist Kirchenzugehörigkeit auch für jene praktisch und existentiell lebbar, die nicht allen kirchlichen Erwartungen entsprechen? Oder: Warum ist hierzulande das Zeugnis für das Evangelium Nichtglaubenden gegenüber so merkwürdig verhalten und ängstlich?

Dieser Gesprächsgang wird – so vermute ich einmal – schmerzlich sein. Aber er ist bitter notwendig.

Verabredung konkreter, aber verbindlicher Schritte („handeln“)

Das Gespräch über den künftigen Weg unserer Kirche in Deutschland sollte Handlungsbereiche in den Blick nehmen, bei denen wirklich etwas gemeinsam zu bewegen ist, beispielsweise etwa folgende:

Lebensdienliche Kirche bleiben und noch mehr werden

Es ist meine Erfahrung: Dort leuchtet das Evangelium am überzeugendsten auf, wo Christen Barmherzigkeit in die Strukturen dieser Welt einbringen. Diese Aussage meint nicht, dass die Welt keine Gerechtigkeit nötig hätte. Doch braucht der Mensch mehr als Gerechtigkeit. Dort wird das Licht des Evangeliums verbreitet, wo auch die Versager, die Zu-Kurz-Gekommenen, die Fortschrittsverlierer Beachtung und Zuwendung erfahren; wo diese von anderen hören: „Du bist keine Fehlkonstruktion, sondern du bist eine Sonderanfertigung Gottes!“ (für mich, für unsere Kirche). Hier lagen und liegen übrigens die überzeugenden Stärken unserer Caritas, der verfassten und der ehrenamtlichen. Hier bewährt sich auch die Ausstrahlungskraft unserer katholischen Verbände und Gemeinschaften.

Diese „Einfärbung“ der Lebensdienlichkeit muss freilich auch die Kirche selbst durchdringen, ihre Strukturen, ihre Pastoral. Ohne Erbarmen keine Umkehr zu Gott – das ist eine bleibende Erfahrung der Seelsorgegeschichte. Hier sind Bischöfe, Seelsorger und Theologen gefordert, den auch kirchenrechtlich gegebenen Spielraum für Lösungen in besonderen Lebenssituationen auszuloten. Bloßes Verurteilen und Ausgrenzen als einzige Antwort auf heutige Lebensprobleme verdunkeln das Evangelium. Das Scheitern oder das Zurückbleiben hinter dem, wozu uns das Evangelium drängt, muss dabei nicht kaschiert oder gar zur Normalität erklärt werden. Einem Kranken ist nicht geholfen, wenn man seine Not bagatellisiert. Doch sollte gelten: Auch der Gescheiterte kann sich auf Christus hin in Bewegung setzen, wenn auch manchmal nur auf Krücken.

Hier geht es also um das dritte Stichwort in der Rede von Erzbischof Zollitsch: Die Kirche ist am meisten bei sich selbst und ihrem ureigensten Auftrag, wenn sie „dient“. Dienende Kirche sind wir gottlob schon auf vielfältigste Weise, öffentlich und verborgen, als Einzelne und gemeinschaftlich, auch in der Seelsorge, in der Begleitung, im Angebot des Bußsakraments. Wir fangen mit der im kirchlichen Innenraum geübten Barmherzigkeit nicht beim Nullpunkt an. Freilich: Wie sieht heute konkret Barmherzigkeit aus? Wissen wir das wirklich? Gerade nichtprofessionelle „Barmherzigkeitsdienste“ werden künftig noch mehr gefragt sein. Es lohnt sich, darüber zu reden. In einem Beitrag vom 18. Juni 2010 im „Rheinischen Merkur“, der die Vision einer den Menschen dienenden Kirche in den Blick nahm, habe ich diese Frage noch einmal aufgeworfen. Ich hatte dabei auf die Werke der Barmherzigkeit verwiesen, die wir im Elisabethjahr 2007 „auf thüringisch“ neu durchbuchstabiert hatten. Das Echo darauf hat mir gezeigt, wie sehr sich Menschen davon ansprechen lassen.

Als Seelsorger kann ich durchaus die oft komplizierten Lebenssituationen der Menschen würdigen und in meinem Handeln berücksichtigen. Im Umgang mit konkreten Lebenssituationen könnte unsere Kirche vom ostkirchlichen „Ökonomie-Prinzip“1 lernen, auch wenn wir wissen, dass damit nicht alle Probleme gelöst sind. Unsere Seelsorge kann helfen, Menschen auf Christus hin in Bewegung zu bringen. Wir brauchen noch stärker eine Pastoral, die gestuft der Situation der Menschen in ihren Unterschiedlichkeiten Rechnung trägt, auch der Tatsache, dass Menschen scheitern können.

In unserer praktischen Diakonie tun wir das. Deswegen sind wir dort überzeugend und finden Vertrauen. Das sollte für uns eine Herausforderung sein. Warum nur leibliche Diakonie und nicht auch pastorale? Wenn das Erbarmen die Grundsignatur des Evangeliums ist, dann sind Caritas und Pastoral Geschwister im Geist. Es gibt „Sakramente“, die vor den Kirchentüren gespendet werden, wie Hans Urs von Balthasar formuliert hat. Nach Christus hungern mehr Menschen als nur jene, die unseren kirchlichen Normen entsprechen.

Nur eine, mir freilich wichtige, Nebenbemerkung: Wir spüren, dass sich die Sozialgestalt des Kirchlichen in der Gesellschaft langsam wandelt. Die bislang tragende pfarrliche Seelsorgestruktur dünnt sich aus. Sie wird gleichsam weitmaschiger. Sie entspricht zudem oft nicht mehr einer mobil gewordenen Welt, in der Menschen, besonders junge Menschen, sich anders verorten als früher.

Ich möchte einmal folgendes Bild gebrauchen: Wenn sich der Aggregatzustand eines Elementes verändert, also z. B. Wasser verdunstet, verliert sich dieses Element nicht. Es bleibt vorhanden. Und es ist zu erwarten, dass es sich in absehbarer Zeit neu „kondensiert“, in einer neuen Gestalt sich zurückmeldet. Das, was unsere herkömmlichen Gemeinden religiös getragen hat, scheint derzeit zu verdunsten. Aber ist dann wirklich weg, was an Verlangen nach Gemeinschaft, nach Verlässlichkeit, nach Angenommen-Werden, nach der Möglichkeit, wirklich Anbetungswürdiges anbeten zu können, bislang vorhanden war? Ich meine: Nein. Aber diese tragenden Grundkomponenten einer christlich-religiösen Existenz werden sich in einem anderen, veränderten „Aggregatzustand“ bemerkbar machen. Sie werden nach neuen Ausdrucksformen suchen. Hie und da kann man das schon wachsen sehen.

Hier tun sich also neue Türen auf. Ich mache es an dieser Beobachtung fest: Manche kirchlichen Einrichtungen, besonders auch solche sozialer Art, erreichen täglich viele Menschen, darunter auch nichtkirchliche Menschen. Ich denke an unsere Kindergärten, aber auch Schulen, Betreuungs- und Beratungseinrichtungen. Immer hängen an solchen Einrichtungen und Häusern auch Angehörige und Besucher, die solche „Brücken“ zur Kirche hin eher betreten als Kirchen und Pfarrhäuser. Wie können wir das stark machen, worin Kirche heute als „lebensdienlich“ erfahren wird? Die Deutsche Post z. B. scheut sich nicht, postalische Dienstleistungen in Lebensmittel-Discountern anzubieten. Es macht mich nachdenklich, was in der säkularen Gesellschaft an Beweglichkeit dieser Art zu beobachten ist. Sind wir kirchlich noch zu phantasielos? Ist unsere Pastoral noch zu sehr von der Vergangenheit fixiert?

Das Handeln von Laien in der Kirche fördern und profilieren

Ich schlage vor, den Ausbau und die „Ermächtigung“ laikaler Beauftragungen und Dienste weiter voranzubringen. Wenn das Weiheamt bei seinen spezifischen Diensten bleiben soll, wird den Getauften und Gefirmten vermehrt neue, eigenständige, aber nicht unbegleitete Verantwortung in der Verkündigung, der Liturgie, der Leitung und „ekklesialen Vernetzung“ zuwachsen.

Ich weiß um die Unersetzbarkeit des Weiheamtes. Aber diese Unersetzbarkeit darf sich nicht so absolut setzen, als ob ohne das Weiheamt vor Ort Glaube, Hoffnung und Liebe unmöglich würden. Das demütige Selbstbewusstsein aller Getauften und Gefirmten sollte gestärkt werden. Das wird auf Dauer auch positive Auswirkungen haben für ein neu akzentuiertes Dienstprofil der weniger werdenden Kleriker. Wir haben mehr und mehr Gläubige, die in Glaubensdingen wieder neu für andere auskunftswillig und auskunftsfähig sind. Das macht mich zuversichtlich für die Kirche von morgen – übrigens auch für die Weckung geistlicher Berufungen.

Hier gälte es Strategien der Weckung, der Akzeptanz und der Vernetzung solcher Kompetenzen zu entwickeln. Die Kirche morgen wird sich weniger auf Institutionen verlassen können, sondern sich mehr durch Gesichter ausweisen. Es muss sich noch mehr herumsprechen, dass wir die Sakramente nicht allein für uns selbst empfangen. Getauft- und Gefirmt-Sein ist immer auch Beauftragung für die Glaubensstärkung anderer.

Wie sehen heutige Formen an verbindlicher, vielleicht zeitlich begrenzter Laienermächtigung („Beauftragungen“) aus, auch in der Pastoral? Was bewirkt Freude am Mitmachen? Was stärkt in übernommener Eigenverantwortung? Manche Möglichkeiten neuer kirchlicher Communio-Formen sind noch lange nicht ausprobiert. Ich sehe vieles wachsen, was nach Ermunterung, Begleitung (vermutlich auch nach Korrektur) ruft. Auch hier wäre von Formen heutigen bürgerschaftlichen Engagements zu lernen.

Auf kirchliche „Leuchttürme“ setzen

In größeren Räumen sind „Leuchttürme“, die orientieren, unersetzlich. Die Kirche in Deutschland, ein Bistum, eine Region sollte überlegen, was für sie solche „Leuchttürme“ sein können und deswegen gestärkt werden müssen. Anzusetzen wäre dort, wo Menschen etwas als für sich wichtig erfahren: Wallfahrten, bistumsweite Initiativen, herausragende kirchliche „Orte“ mit Ausstrahlung, nicht zuletzt durch eine Präsenz von Menschen, die „Türen“ offen halten. Manche Ordenshäuser sind kostbare Anlaufstellen für den geistig vagabundierenden Zeitgenossen. Nicht die Vielzahl, sondern die Qualität wäre entscheidend. Was sich als wertvoll ausweist, zieht von allein an. Mir ist deutlich: Es gibt mehr „Gottesfürchtige” und am Glauben Interessierte als wir manchmal vermuten. Nicht der sich säuberlich abschließende Kokon ist Grundfigur von Kirche, sondern das Netzwerk, in das man sich einklinken und mit Eigenem einbringen kann.

Was hieße das konkret? Für das Gespräch mit der säkularen Gesellschaft? Für den Stil kirchlicher Präsenz in den Medien? Für die Bündelung von Kräften im Hochschul- und Ausbildungsbereich? Wir schieben oft genug noch anstehende Entscheidungen vor uns her und vergeben so Chancen. Unsere Bistümer, besonders in der Diaspora werden „Missionskirchen neueren Typs“ sein, die nicht flächendeckend, aber mit Anlauf- und Kontaktstellen zur Gesellschaft hin arbeiten müssen. Für neue Formen des Kirche-Seins kommt uns eine neue Beweglichkeit vieler Menschen entgegen. Generell gilt: Nicht unser Kleiner-Werden ist das Problem, sondern eher eine mentale Selbstmarginalisierung, für die es eigentlich keinen Grund gibt. Hier wäre manches von Minderheitskirchen anderswo zu lernen, zumindest was Selbstbewusstsein und spirituelle Ausstrahlung betrifft.

Demütiger werden

Bei diesem Punkt tue ich mich schwer, in Worte zu fassen, was ich derzeit empfinde. Ich sage es einmal so: Wir sollten als Bischöfe, von Amts wegen und auch ganz persönlich, demütiger werden. Wir müssen von allen falschen „Sockeln“ herabsteigen. Unsere Gewissheiten sollten bescheidener daherkommen, im Wissen um Fragwürdigkeiten, die bei manchen Problemfeldern trotz allem bleiben. Bei strittigen Themen sollten wir miteinander die kirchliche Lehre bedenken, deren Begründungen neu in den Blick nehmen und fragen, was das heute für uns bedeutet. Dabei müssen wir vermutlich auch aushalten, untereinander bei nachgeordneten Fragen nicht immer einer Meinung zu sein. Dort, wo wir als Kirche in Deutschland Rom gegenüber Anliegen haben, sollten wir diese klar und öffentlich benennen. Nicht jeder diesbezügliche Dissens muss sofort ein Dissens im gemeinsamen Glauben oder in der Einheit mit dem Papst als Petrusnachfolger sein.

Ich habe immer wieder angeregt, dass wir als Bischöfe mit mancher medialen Präsenz und der Zahl unserer Verlautbarungen zurückhaltender sein sollten. Weniger könnte manchmal mehr sein. Wichtiger wäre, dass wir kirchenoffiziell selbst Themen setzen und uns dort zurücknehmen, wo man uns vorführen will.

Schließlich gilt es für uns als kirchliche Amtsträger immer neu das Verhältnis zu den Laienchristen zu überdenken. Wir sollten Zeichen setzen, dass wir auf den Glaubenssinn und die Kompetenz unserer Laienchristen vertrauen. Nicht nur die Schrift, die Tradition, das Lehramt der Kirche sind Bezeugungsinstanzen des Glaubens. Auch der Glaubenssinn des Volkes Gottes hat etwas mit der Bezeugung des Evangeliums zu tun. Auch bei gelegentlichen Konflikten muss erkennbar bleiben, dass Bischöfe mehr anzuerkennen als zu kritisieren haben. Die „christifideles“ sind es, die in Welt und Kirche (!) das Licht des Evangeliums auf den Leuchter zu stellen haben und es auch stellen. Wir Amtsträger, einschließlich Bischöfe, haben ihnen dabei durch unseren Dienst (mit Wort und Sakrament und der sachgerechten Darlegung der kirchlichen Lehre) beizustehen. Aber an der „Front“ dieser Zeit stehen sie, weniger wir.

Und schließlich liegt mir auch dieser Gesichtspunkt am Herzen, vielleicht ist er sogar der entscheidende:

Den „geistlichen Grundwasserspiegel“ heben

Das Christliche wird sich in Zukunft stärker qualitativ präsentieren und weniger quantitativ. Auch heute gilt das Wort: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts“ (Joh 6,63). Es braucht in einer sich ins Subjektive und Beliebige weiter verlierenden Moderne eine Spiritualität, die dem einzelnen Christen Stehvermögen verleiht und ihm hilft, sich dem anderen gegenüber zu öffnen. Wo kann man diese lernen, vor allem gemeinschaftlich lernen?

Zudem scheint es auch einen Frömmigkeitsstil zu geben, der mit den geistigen und intellektuellen Fragestellungen der Zeit korrespondiert. John Henry Newman etwa war ohne Zweifel bis in seine innerste Existenz hinein ein frommer Mann. Nicht umsonst ist er jüngst selig gesprochen worden. Aber er war zugleich ein fragender, suchender Mensch, der sich mit vorschnellen Antworten und gestanzten Klischees von katholischer Kirchlichkeit nicht zufrieden gab. Was zeichnet heute menschenfreundliches, profiliertes Christ-Sein aus? Wie sieht „Glaubwürdigkeit“ aus, die sich dem Evangelium verpflichtet weiß? Was bedeutet das für unseren Umgang miteinander, in der Ökumene, im Gespräch mit der Gesellschaft?

Christen, die sich mit ihrem Leben im Gottesgeheimnis verwurzeln, bleiben für die Leute immer interessant. Dass dies so ist, darauf gründet meine Hoffnung – auch für unsere Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, die in ein neues Jahrhundert hinein unterwegs ist.

Der Aufsatz geht auf einen Vortrag zurück, den Bischof Dr. Joachim Wanke am 30. November 2010 in der Katholischen Akademie Berlin gehalten hat.

1 Die Orthodoxie unterscheidet ein Handeln kat´akribeian (gemäß „Genauigkeit“, also genaunach Vorschrift) und ein Handeln kat´ oikonomian (gemäß Barmherzigkeit, also der Einzelsituation angemessen). Die lateinische Kirche kennt die Praxis der Dispens in Einzelfällen.

ISRAEL UND DIE VÖLKER IN JES 2,1–5.
EIN MODELL FÜR DIE SELBSTBESINNUNG DER KIRCHE?

Norbert Clemens Baumgart

Hinführung

Wenn demnächst eine repräsentative Umfrage in Deutschland dazu auffordern würde, innerhalb des folgenden Textes die gegenwärtig bekannteste Formulierung zu benennen, welches Ergebnis wird man erwarten dürfen?

1 Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, über Juda und Jerusalem schaute.

2 Es wird geschehen in zukünftigen Tagen:

Fest wird stehen der Berg des Hauses JHWHs

an der Spitze der Berge,
er überragt die Hügel
.

Alle Nationen werden zu ihm strömen,

3 viele Völker werden hingehen und sagen:

„Kommt doch, lasst uns hinaufziehen zum Berg JHWHs,

zum Haus des Gottes Jakobs.

Er lehre uns von seinen Wegen,

dass wir gehen in seinen Pfaden.“

Ja, von Zion wird Weisung ausgehen

und das Wort JHWHs von Jerusalem.

4 Er wird richten zwischen den Nationen

und zwischen vielen Völkern schlichten.

Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden,

ihre Lanzen zu Winzermessern.

Nicht mehr wird Nation gegen Nation das Schwert erheben,

noch werden sie ferner das Kriegshandwerk lernen.

5 Haus Jakob, kommt doch, lasst uns gehen im Licht JHWHs! (Jes 2,1–5)

Man darf wohl auf die Formulierung „Schwerter zu Pflugscharen“ tippen. Die Formulierung dürfte selbst Zeitgenossen bekannt klingen, denen die Bibel eher unbekannt ist. Denn die Formulierung ist vor nicht allzu langer Zeit zu einem Slogan aufgestiegen und hat eine beeindruckende Wirkungsgeschichte entfaltet. Wie war es dazu gekommen?

Eine Skulptur trug dazu bei. Der sowjetische Bildhauer Ewgenij Viktorowitsch Wutschetitsch (1908–1974) hatte die Skulptur angefertigt: Ein Mann schmiedet ein Schwert in eine Pflugschare um. 1957 kam diese Skulptur als Geschenk der UdSSR an die UNO nach New York. Dort aufgestellt, führte das Werk zu Reaktionen, die von den Schenkenden vermutlich gar nicht beabsichtigt worden waren. Angesichts militärischer Hochrüstung sowie düsterer großpolitischer und gesellschaftlicher Erfahrungen wurde die Skulptur als eine Verdichtung von Hoffnungen gedeutet und angenommen. Das geschah von Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre an vor allem in der Friedensbewegung der DDR, die in Teilen auch christlich geprägt war. Die Skulptur wurde auf einem Kreisrund als Bild wiedergegeben. Das Bild wurde zudem im Kleinformat auf Stoff geprägt, um es auf Bekleidungsstücke aufnähen zu können. Das Bild unterlegte man mit der Formulierung „Schwerter zu Pflugscharen“. Das Wort war für viele zum Motto ihrer Einstellung und Erwartung geworden. Das Bild und das Motto wurden auch schnell im Westen Deutschlands bekannt.

Das Bild enthielt von Anfang an einen Hinweis auf die Bibel: „Micha 4“. Der Hinweis hätte ebenso „Jesaja 2“ lauten können. Die beiden Abschnitte Jes 2,1–5 und Mi 4,1–5 sind im Wortlaut sehr ähnlich.

Die hier skizzierte Wirkungsgeschichte kennt also ein inspirierendes und beflügelndes Potential, das man dem alttestamentlichen Text zu entnehmen vermochte. Aber nicht nur die Wirkungsgeschichte ist interessant.

Beachtenswert sind auch die Funktionen, die der Abschnitt 2,1–5 innerhalb des Buches Jesaja übernimmt. Dem wird dieser Beitrag nachgehen. Der Abschnitt Jes 2,1–5 übt eine Art Signalfunktion für den Lesegang durch das Prophetenbuch aus. Diese Signalfunktion entsteht aber erst dadurch, dass der Abschnitt zusammen mit den Texten, die ihm vorausgehen, eine Spannung aufbaut.

Ein erster Pol, durch den die Spannung entsteht, ist leicht einsichtig und ergibt sich aus dem Gedanken in Jes 2,1–5, dass eine künftige Wallfahrt der Völker zum Zion, nach Jerusalem, die Lage auf der Welt deutlich verbessern könnte. Dabei würden global die Grundlagen für Krieg und Zwist abgeschafft werden und verschwinden – ein kühner Gedanke im antiken Buch Jesaja, dessen Entstehung sich vom 8. Jh. bis zum 4. Jh. v. Chr. erstreckte. Allseits würde Frieden einkehren.

Der andere Pol, der zur Spannung beiträgt, wird erst deutlich, wenn man das erste Kapitel des Jesajabuches als Hintergrund hinzunimmt. Am Anfang des Buches steht es innerhalb der Gemeinschaft am Zion und in Jerusalem offenkundig nicht zum Besten. Der Anfang des Buches muss bei der Gemeinschaft Desiderate feststellen. Die Gemeinschaft folgt nicht ihren religiösen und gesellschaftlich-politischen Idealen und Satzungen, sondern verkehrt diese Ideale und Satzungen eher in ihr Gegenteil. Die Desiderate haben bereits zu fatalen Schlägen und zu Verlusten für die Gemeinschaft geführt und könnten noch weitere, ähnliche Folgen für sie heraufbeschwören.

Die Spannung, die sich aus diesen beiden Polen ergibt, ruft im Jesajabuch eine eindringliche Fragestellung hervor: Wird die in Aussicht gestellte, erstrebenswerte Zukunft der Völker von der Gemeinschaft am Zion und in Jerusalem als etwas für sie Relevantes angenommen werden? Wird sie ihr Verhalten lenken können?

Diese Spannung im Jesajabuch lädt letztendlich die Größe „Jerusalem und Juda“ ein, sich ihrer Rolle und Verantwortung in der Welt der Völker bewusst zu werden. Verkehrungen im Innenbereich sind eine schmerzliche und beklagenswerte Sache. Aber das Jesajabuch bleibt dem kleinen Innenbereich und dessen Mängeln nicht verhaftet, sondern bietet eine Art Selbstbesinnung anhand einer geweiteten Perspektive an. In der Besinnung reicht es nicht aus, nur auf sich selbst zu starren wie auf einen isolierten Binnenzirkel. Vielmehr ist es nötig, die förderliche und die fordernde Verwobenheit in die breite Völkerwelt in den Blick zu nehmen. Dieser neue, weite Blick über den Innenraum hinaus kann vielleicht eine Motivation dafür liefern, die eigene Lebensführung zu überdenken und neu zu gestalten.

Wie das konkret in den Texten und im Buch aussieht, sei nun dargestellt. Zu beginnen ist mit dem oben schon zitierten Abschnitt Jes 2,1–5.

Die Völker kommen

Die zweite Überschrift im Prophetenbuch, Jes 2,1, wirkt wie eine kommentierende Stimme. Die Stimme stellt die Lektüre des Abschnittes 2,1–5 unter eine Regieanweisung. Was in diesem Abschnitt zu vernehmen ist, gehört zu „dem Wort“, welches Jesaja geschaut hat und welches sich auf die Zweiheit „Juda und Jerusalem“ bezieht. Beide Namen benennen Themen, die das Buch Jesaja durchziehen („Juda“ bis 65,9; „Jerusalem“ bis 66,20). Das Übergreifende im Buch gilt es zu beachten. Zwar wird unser Abschnitt nur „Jerusalem“ (vgl. 2,3) erwähnen und das ansprechen, was mit diesem Stadtnamen eng verbunden ist. Aber dem stellt die Überschrift 2,1 Signale voran, die sich an die erste Überschrift im Buch anlehnen (1,1). Die erste Überschrift bezieht sich auf das ganze Buch. Somit sind die wallfahrenden Völker zusammen mit dem wahrzunehmen, worum es der prophetischen Schrift laut ihrer ersten Überschrift insgesamt auch geht: Jesajas Vision über „Juda und Jerusalem“ (1,1). Wenn im Buch erstmals der Abschnitt 2,1–5 eine Wallfahrt der Völker zum Zion schildert, will die Schilderung anscheinend als eng auf das Buch bezogen wahrgenommen werden, und zwar derart, dass die Wallfahrt der Völker für die Konzepte im Buch bedeutsam ist. Juda und Jerusalem werden mit den Völkern konfrontiert. Man kann auch sagen: Die für das Buch ausschlaggebende theologische Größe „Israel“ wird auf die Völker bezogen.

Von Jes 2,2 an kommt der literarische Prophet Jesaja sozusagen selbst zu „Wort“. Seine Stimme ist jetzt im Text zu vernehmen. Sofort richtet Jesaja seinen Blick auf die „zukünftigen Tage“. Er denkt dabei an keine jenseitige Ära, die erst nach dem Abbruch der Geschichte eintreten würde. Jesaja versteht die kommenden Tage und das, was sich an ihnen ereignen wird, binnengeschichtlich. Jesaja rechnet damit, dass Völker in die Stadt Jerusalem kommen werden. Aber es gibt noch einen zeitlichen Spielraum, bevor die Völker herbeiströmen. Dieser Spielraum wird für Jesaja noch wichtig werden.

Jesaja ordnet das Kommen der Völker in eine hintergründige Topographie ein. Die Topographie stimmt nicht überein mit unserer Kenntnis über die faktische Lage der Stadt Jerusalem, über ihr Höhenniveau im Verhältnis zum Umland. Aber das Landschaftsbild, letztlich die Weltlandschaft, wird während des Kommens der Völker verwandelt sein. Das kontrafaktische Landschaftsbild hebt theologisch-konzeptionell auf die einmalige Bedeutung „des Berges des Hauses JHWHs“, des Zions, und von Jerusalem ab. Dieser Berg werde einst eine Festigkeit in der Schöpfung besitzen, er sei dann zugleich der höchste der Berge, und kein Hügel erreiche seine Höhe. Diese metaphorische Erhöhung Zion-Jerusalems wird mit der Aufwärtsbewegung der Völker zu dieser Stätte einhergehen: Sie werden „hinaufziehen“ wollen (Jes 2,3). Diese Aufwärtsbewegung der Völker schließt den Aspekt mit ein, dass die Völker solch „göttliche“ Höhe nicht mehr bei sich und in ihrem Umfeld werden finden können. Die Antike verband oft Götter und Berge, wobei die „Höhenverhältnisse“ Religiös-Theologisches zum Ausdruck brachten. Das Jesajabuch wird später – insbesondere ab Kapitel 40 – noch ausweisen, dass sich die Götter der Völker in der Geschichte als Nichtse entpuppen und dass sich Israels Gott JHWH allein als wahrhafte Gottheit erweist. Das klingt bereits in Jes 2 verhalten an. Die Völker werden schon vor ihrer Wallfahrt einsehen, dass ihnen Göttliches sowie göttliche Belehrung und Hilfe in der eigenen Umgebung und in dem ihnen sonst Zugänglichen entschwand, wohl aber in Zion-Jerusalem zu finden sein wird und dort als Geschenk entgegen genommen werden kann.

Das attraktive, anziehende Zion-Jerusalem mit JHWHs Wohnung in der Welt wird noch vor der Ankunft der Völker eine erste, einstweilen noch provisorische Einigung unter ihnen herbeiführen. Jesaja gibt die künftigen Worte der Völker wieder und zitiert sie. Sie werden sich gemeinsam in vereinter Rede bekunden können. Zuerst werden sie sich auf eine Absicht geeinigt haben, und zwar auf ihre gemeinsame Wallfahrt: „Kommt doch, lasst uns hinaufziehen zum Berg JHWHs, zum Haus des Gottes Jakobs“ (Jes 2,3). JHWH wird für die Völker zugleich der Gott von Israels Erzvater Jakob sein. So werden die Völker auch etwas von der Geschichte JHWHs mit Israel mitbekommen haben und damit davon, wie sich JHWH über die Zeiten hin anhand von Jakob-Israel in der Welt kundgemacht hat. Die Völker werden erahnen, wer als der eine und einzige Gott im Tempel auf dem aufgesuchten Zion präsent ist. Aufgrund des Erahnten werden die Völker von JHWH Orientierung erwarten, und sie werden sich daran auch halten wollen. Denn in ihren Worten sind sie davon überzeugt, von JHWH unterwiesen zu werden, und sie erklären zudem gemeinsam ihre Bereitschaft, seiner Unterweisung zu folgen: „Er lehre uns von seinen Wegen, und wir wollen gehen auf seinen Pfaden (2,3).“ Mit der für die Bibel typischen Wegmetaphorik wird hier ein Verhalten angesprochen, welches im göttlichen Belehren vorgezeichnet und dann in lernbereiter Folgsamkeit der Völker vollzogen werden wird.

Danach übernimmt wieder Jesaja das Wort. Dem Strömen, Gehen und Hinaufziehen der Völker zum „Berg des Herrn“ stellt er eine Gegenbewegung gegenüber: „Ja, von Zion geht Weisung aus und das Wort JHWHs von Jerusalem (Jes 2,3).“ Von zentraler Bedeutung ist der Begriff „Weisung“, hebräisch „Tora“, der kurz zuvor vorbereitet wurde durch das wurzelgleiche Verb „lehren“. Zwölfmal taucht der Begriff „Tora“ im Buch Jesaja auf (von Jes 1,10 bis 51,7) und damit vielleicht nicht rein zufällig in einer biblisch bedeutsamen Anzahl. Steht hier in Jes 2 die Tora in Parallele zum „Wort JHWHs“, dürfte Jesaja an keine feststehenden Tora-Gebote denken, sondern an eine durch das aktuelle Wort Gottes neu unterbreitete Tora. Jedenfalls wird die Tora den Völkern nicht verborgen bleiben, sondern die Tora wird sich aktiv den Völkern zuwenden.

Jesaja entfaltet keine konkreten Inhalte des JHWH-Wortes, dafür aber den Zweck, wozu das göttliche Wort ergeht. Der Zweck besteht keineswegs darin, dass JHWH zum Strafgericht über die Völker anhebt. Er wird nicht „über“ dieses oder jenes Volk richten. Vielmehr wird JHWH „zwischen“ den Völkern richten. JHWH wird sich ihres Zusammenlebens und Miteinanders annehmen, für gerechte Rechtssprechung eintreten und auf diese Weise unter ihnen Schlichtung bewirken: „Er wird richten zwischen den Nationen und zwischen vielen Völkern schlichten (Jes 2,4).“

Wird JHWH so die Angelegenheiten der Völker auf gerechte Weise entschieden haben, kommt es sodann unter den Völkern zu einem erstaunlichen Selbstlauf. Jesaja wendet sich mit poetisch dichten Worten diesem Selbstlauf zu, und dabei folgt nun die Formulierung, deren eindrückliche Wirkungsgeschichte im 20. Jahrhundert eingangs skizziert wurde: „Schwerter zu Pflugscharen“. Die Völker werden – so darf man meinen – wieder nach Hause reisen und dort eine so genannte „Rüstungskonversion“ vernehmen. Die teuren Materialien für Waffen und ihre aufwendigen Herstellungen hatten schon in der Antike wertvolle Ressourcen der Völker gebunden, die ihnen so für andere Entwicklungen und vielleicht sogar auch für soziale Aufgaben fehlten. Der Sinn des Verses 2,4 würde verkannt werden, wenn man ihn nur als romantische Idylle abtut. Der Vers befasst sich vielmehr mit dem, worauf kollektive Energien mit weitreichenden sozial-gesellschaftlichen und politischen Folgen ausgerichtet sein können. Was die Völker an Bodenschätzen in der Welt vorfinden und was ihnen an Potentialen selber zueigen ist, wird nicht mehr für Abschreckungen vergeudet oder für Eroberungen und Vernichtungen eingesetzt werden („Schwerter“, „Lanzen“), sondern wird der Ernährung dienen und das tägliche Arbeiten erleichtern dürfen („Pflugscharen“, „Winzermesser“). Doch damit nicht genug. Mit den abhandengekommenen Waffen wird auch selbstredend das Lernen und Einüben ihrer Anwendungen verschwinden: „Und sie werden ferner nicht mehr den Krieg erlernen (Jes 2,4).“ Der Prophet Jesaja rechnet somit mit einem Pazifismus, der in Zukunft möglich werden kann.

Die Grundlagen für diese kühne und hoffnungsvolle Aussicht im Jesajabuch sind zu beachten. Keine rein innerweltlichen Bestrebungen werden die neue und allseits friedliche Lage herbeiführen können. Menschliche Bemühungen allein werden das in Aussicht Gestellte nicht herbeizwingen können. Zuerst werden mittels der Tora und durch JHWH selbst Recht geschaffen und Schlichtungen herbeigeführt werden müssen, bevor die Konversionen der Rüstungsgüter erfolgen und die alten Gewohnheiten, das Kriegshandwerk zu lernen, enden. Beide, JHWH und auch seine Tora, werden Initiatoren jenes manifesten Friedens sein, in dem sich erst die Waffen und das Kriegshandwerk erübrigen werden. Die Völkerwelt wird keinen Frieden „machen“, sondern einen solchen geschenkt bekommen. Die Völker werden friedlich agieren, nachdem sie „von oben“ her und ohne Gewalteinwirkung befriedet worden sind.