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Zum Geleit

In der Kirche stehen die Zeichen auf Dialog. Die Lebendigkeit des Glaubens und die Vitalität unserer Gemeinden und Gemeinschaften werden in Zukunft nicht zuletzt davon abhängen, wie wir auf allen Ebenen miteinander ins Gespräch kommen und wie wir das Gespräch mit jenen suchen, die scheinbar draußen sind. Die Dialogkultur, die es dabei zu entwickeln und zu verfeinern gilt, ist nicht nur eine bürgerliche Tugend, sondern bedarf auch einer tiefen theologischen Verwurzelung.

Pfarrer Dr. Udo Stenz leistet hierzu mit der vorliegenden Studie einen wertvollen Beitrag. Ihr Roter Faden ist die Einsicht, dass in allen Bereichen rechtes Miteinandersprechen ein achtsames Hören voraussetzt – ein Hören nicht nur aufeinander, sondern vor allem ein Hören auf eine Mitte, auf das Wort Gottes selbst, auf den Logos. Der Autor hat sich auf die Suche gemacht und in aktuellen Denkrichtungen von Philosophie und Theologie die Bestätigung gefunden, dass Gott selbst in einem unter Menschen geführten Dialog zu Wort kommen kann. Als Bischof von Speyer freut es mich ganz besonders, dass auch das Denken der hl. Edith Stein hierbei gewürdigt und rezipiert wird, die in unserem Bistum in Taufe und Firmung Christ wurde und als Lehrerin gewirkt hat.

Aus verschiedenen Ansätzen modelliert Pfarrer Stenz ein Verständnis des Dialogs, bei dem es zuvorderst darum geht, Beziehung lebendig werden zu lassen und zu fördern. Daraus entsteht kein in sich geschlossenes System; die Studie lässt vielmehr Raum, selbst kritisch-kreativ weiterzudenken, und erweist sich dabei als ein hilfreicher Leitfaden für jede Art von Dialog.

Ich kann deshalb nur begrüßen, dass Pfarrer Udo Stenz seine Forschungen und Überlegungen, die durchaus als richtungsweisend und gewinnbringend bezeichnet werden dürfen, hiermit allgemein zugänglich macht.

+ Dr. Karl-Heinz Wiesemann

Bischof von Speyer

E I N L E I T U N G

Dialog ist heute in aller Munde

Diese Feststellung kann in einem wörtlichen und in einem übertragenen Sinn verstanden werden. Im wörtlichen Sinne bezeichnet sie die Tatsache, dass der Mensch stets in Kommunikationen lebt, die sehr häufig als Dialog bezeichnet werden. Am ehesten denkt man dabei an das Gespräch mit einem oder mehreren anderen Menschen, das unterschiedliche Grade von Alltäglichkeit, Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit haben kann. Es kommt entweder zu einem Konsens oder zu einem Dissens. Doch auch mit technischen Geräten führt man Dialoge, etwa bei der Bedienung von Computerprogrammen, die sich scheinbar immer wieder in Meldungen der Absichten des Anwenders vergewissern und ihn zu Eingaben oder Mausklicks bewegen. Mittlerweile sind Autowerkstätten dazu übergegangen, die Überprüfung von Fahrzeugen und die Fehlerdiagnose als Dialog zu bezeichnen. Sie werden mit Geräten durchgeführt, die einen Impuls an den Bordcomputer des Fahrzeugs senden, welcher darauf antwortet. Auf literarischem Gebiet steht Dialog für eine literarische Gattung. Eine nicht zu übersehende Zahl von Schriftstellern hat sich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder einer verschriftlichten Gesprächsform bedient, um ihre Aussageabsichten darzulegen, indem sie sie anhand von Rede und Gegenrede erarbeitete. Dialog ist des Weiteren ein beliebtes rhetorisches Mittel, um in einer gegenüber einem Monolog lockereren und ansprechenderen Form Gedanken zu entwickeln. Dieser kurze Überblick zeigt, dass das Begriffsverständnis von Dialog sehr vielfältig ist: Dialog ist in aller Munde, jeder führt ihn. Das bedeutet nicht, dass jeder darunter dasselbe versteht oder dass die vielen Dialoge gleich aussehen.

Das große Spektrum, Dialog zu verstehen, fließt ein in die weitere Auslegung der eingangs erhobenen These, Dialog sei in aller Munde. Diese besteht in der Einsicht und der Forderung, dass Dialog stattfinden müsse. Der Mensch kann und darf sich dem Dialog nicht entziehen. Dialog zu führen, dialogisch zu leben: das sind Grundforderungen der Verhaltensweise, an denen niemand so leicht vorbeikommt. Dialogfähigkeit ist ein allenthalben als positiv anerkannter Charakterzug eines Menschen. Das gilt z. B. dann, wenn er Leitungsgewalt ausübt und anderen etwas zu sagen hat. Es geht dabei darum, den anderen zu Wort kommen zu lassen und ihn nicht einseitig zu befehligen. Dahinter steht offenkundig die Einsicht, dass der einzelne Mensch fast immer in mannigfaltigen und wechselseitigen Zusammenhängen steht, die er in unterschiedlichem Maß und Gewicht selbst prägt, die aber ihrerseits auch ihn prägen. Und dahinter steckt auch das Verlangen, dass Menschen einander in diesen Zusammenhängen ohne das begegnen, was im weiteren Sinne als Gewalt bezeichnet werden kann1. „Dialog“ und das Adjektiv „dialogisch“ kennzeichnen eine Kultur und eine Geisteshaltung, die die Gemeinschaft, die soziale Offenheit gegenüber einer individuellen Selbstgenügsamkeit hervorhebt.

Es liegt auf der Hand, dass die Forderung nach Dialog genau so vielfältig verstehbar ist, wie der Begriff selbst Bedeutungen hat. Diese Vielfalt zeigt einerseits eine positive Entwicklung an, die mit der zunehmenden Dialogisierung der Gesellschaft und Kultur einhergeht; andererseits bildet sie aber auch den Nährboden für Missverständnisse. Häufig redet man aneinander vorbei; dies ist ein aus dem Alltag hinlänglich bekanntes Grundproblem menschlicher Kommunikation und gilt auch für das Sprechen über das Sprechen, den Dialog. Bisweilen treten Konflikte auf. Soweit diese auf Missverständnissen beruhen, würde ihnen ein gutes Stück an Schärfe genommen, legte man die Unterschiede im Begriffsverständnis offen und einigte sich auf jeweils eines.

Dialog als Aufgabe für Kirche und Theologie

Auch die Kirche und die Theologie sind von dieser Problemlage im Bereich des Dialogs betroffen. Es wird verlangt, in Dialog zu treten, dialogisch zu leben2. Dabei sind ganz unterschiedliche Meinungen in Umlauf, wie dies zu verstehen ist. Der frühere Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König (1905 – 2004), stellte hierzu fest,

„dass das Wort Dialog bereits so abgenutzt ist – es ist quasi ausgebrannt und scheint heutzutage eine Art Schlagwort geworden zu sein. Ich glaube, man müsste sehr vorsichtig erklären, was echter Dialog bedeutet, nämlich indem man sich gegenseitig befragt und vermeintliche Wahrheiten abbaut, um näher an die Wahrheit heranzukommen.“3

In diesem Wort deutet sich neben der Diagnose zum Problem des Verständnisses von Dialog bereits die Therapie an: Alles muss daran gesetzt werden, im Dialog an die Wahrheit heranzukommen.

Für die Kirche erscheint dies in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen wird der Blick nach innen gelenkt. Dialog kann hier für eine Form des Umgangs der Glieder der Kirche miteinander stehen, die das gemeinsame Sein in der Wahrheit Jesu Christi immer mehr verwirklichen und vertiefen möchte. Im Rahmen des kirchlichen Selbstverständnisses als Sakrament des Heils für die Welt4 rückt auch der Dialog in den Bereich der Sakramentalität der Kirche und wird sogar als Teil derselben angesehen5. Damit wird zweitens der Blick nach außen gelenkt. Die Kirche tritt in Kontakt zu den Anderen, die nicht zur sichtbaren Kirche gehören, weil sie entweder einen anderen oder keinen Glauben haben. Die erste Perspektive stellt an den Dialog insbesondere die Anforderung, eine pragmatische, faire und offene Weise des Umgangs miteinander auf der gemeinsamen Grundlage des christlichen Glaubens zu sein. Insbesondere sind auftretende Konflikte möglichst zu lösen und Dissense zu beseitigen. Im Allgemeinen nennt man dieses Gespräch auch Diskurs.

Die zweite Perspektive indessen kann etwas tiefer gehen. Mit einem Dialogpartner, der nicht auf derselben Grundlage im Glauben steht, gestaltet sich ein Dialog anders, insofern er nicht nur pragmatische Fragestellungen aufwirft und beantwortet, sondern nach der Wahrheit strebt, die nicht ohne Weiteres von allen als die gleiche anerkannt wird. Während im Bereich der Philosophie der Dialog ein wichtiges und anerkanntes Mittel zur Erkenntnis und zur Begründung von Wahrheit ist, weil er auf der Grundlage der Vernunft geführt wird, scheint dies für die Theologie zunächst nicht in diesem Umfang zuzutreffen6. Denn in der Theologie ist die Offenbarung der Ort der Wahrheit; an ihr kann eine gemeinsame Feststellung weder etwas ändern, noch kann ein Dialog dafür offen oder gar konstitutiv sein7. Deswegen stellt sich die Frage, ob die im Untertitel dieser Studie gebrauchte Formulierung „Theologie des Dialogs“ eine contradictio in adiecto darstellt, weil Theologie und Dialog einander im Grunde ausschließen. Denn Theologie beschäftigt sich mit Gott und seiner Offenbarung. Ihre Erkenntnislehre und ihre Methodologie sind darauf angelegt, Offenbarung zu erkennen, mit ihr umzugehen und sie auf den verschiedensten Gebieten für den Menschen so darzustellen, dass sie Relevanz für sein Leben entwickelt. Die Reichweite menschlichen Sprechens und Sich-Verständigens und damit auch des Dialogs erscheint geringer. Verständigung setzt Verstehen voraus; und so spitzt sich gerade auch für den Dialog die Problematik zu, wie, in welchem Rahmen, wodurch usw. die genannten religiösen Inhalte, die in den Dialog eingebracht werden sollen, verstehbar sind, verstanden werden und im Zusammenhang mit dem Verstehen ins Wort gefasst werden können. Die Problematik menschlichen Denkens und mehr noch menschlicher Sprache und menschlichen Sprechens tritt spätestens dort zutage, wo es um Gegenstände geht, die sich als göttlich oder transzendent verstehen und damit der menschlichen Verfügung überhaupt entzogen bleiben. Wenn schon das Erkennen Stückwerk ist (vgl. 1 Kor 13,9) oder wenn jemand eine Freude an Gott empfindet, der, wie Cassiodor (485 – 580) sagt, „die Sprache nicht gewachsen ist“8 und die er damit gar nicht erst in Worte zu fassen vermag – wie will man sich dann mit anderen darüber in einer Weise verständigen, die Verbindlichkeit beanspruchen kann?

Wenn auch der Dialog allein keine Theologie konstituieren kann, so ist es doch nicht ausgeschlossen, dass die Theologie ein neues Verständnis von Dialog erarbeitet, das über die herkömmlichen Verständnisweisen des Dialogs hinausgeht und es ermöglicht, den Dialog theologisch von innen her zu erleuchten und neu zu begründen. Gesucht wird also ein Verständnis von Dialog, das einen Raum bietet, in dem Gott zur Sprache kommen kann. Die Heilige Schrift bezeugt, dass dies möglich ist. An einigen Stellen geht es in ihr um das Wort Gottes im Menschenwort.

So berichtet z. B. Jer 38,20 von dem Propheten Jeremia, er habe König Zidkija den Rat gegeben, sich den Heerführern des Königs von Babel zu stellen, und auf dessen Zögern versichert: „Man wird dich nicht ausliefern. Hör doch auf die Stimme des Herrn in meiner Rede! Dann geht es dir gut, und dein Leben bleibt erhalten.“ Der hl. Paulus schreibt in 1 Thess 2,13: „Darum danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern – was es in Wahrheit ist – als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Gläubigen, wirksam.“

Ein Verständnis also, dass Gott selbst sich in das Gespräch der Menschen hinein ausspricht, dass die Menschen also im Miteinander-Sprechen Gott selbst hören, könnte in der Tat ein neues Licht auf den Dialog werfen, sei es innerhalb oder außerhalb der Kirche im interreligiösen und interkulturellen Dialog.

Der Vorschlag Kardinal Ratzingers
und das „Himmelskonzil“ bei Nikolaus von Kues

Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., (geb. 1927), hat vor einigen Jahren im Gespräch mit der „Katholischen Integrierten Gemeinde“, zu deren theologischen Hauptanliegen ein vertieftes Gespräch mit dem Judentum gehört, einen Vorschlag zum Verständnis des interreligiösen Dialogs gemacht, der sich von der Theologie her versteht. Er formulierte den Wunsch, dass

„der Dialog der Religionen […] immer mehr zu einem Zuhören auf den Logos werden“ solle, „der uns die Einheit mitten in unseren Trennungen und Widersprüchen zeigt“9.

Dieser in Form eines Wunsches geäußerte Vorschlag regt zu der Frage an, wie dies geschehen kann. Diese Frage geht in zwei Richtungen: Erstens fragt sie nach der angemessenen Form des Dialogs als Kommunikation zwischen Menschen. Das von Ratzinger angeregte Verständnis von Dialog nennt neben den Dialogpartnern den Logos als eine Wirklichkeit, die mit einer eigenen teilnehmerischen Qualität als eine Art „Drittes“ hinzutritt. Daraus ergibt sich, dass Dialog hier gar nicht primär mit dem Schwerpunkt des Sprechens oder eines sonstigen aktiven Beitrags charakterisiert wird, sondern vom Zuhören her, also zunächst einmal nichts sagend, sondern passiv: empfangend. Zweitens fragt Ratzingers Vorschlag nach den Möglichkeiten, die innerhalb und außerhalb der Kirche und des Christentums bestehen, dem einen Logos zuzuhören.

Dabei greift er zurück auf Nicolaus Cusanus’ (eigentlich Nikolaus v. Kues, 1401 -1464) Schrift De pace fidei10 (1453). Dieser beschreibt darin eine Art Konzil, das im Himmel um das göttliche Wort, also den Logos herum, stattfindet. Vor ihm versammeln sich die „bedeutsamsten Männer der Welt“11, um herauszufinden, wie die eine Wahrheit mit der Verschiedenheit der Religionen und Bräuchen in Zusammenhang gebracht werden könne. Sie hören dem Logos zu, der ihnen verständlich macht, dass die Wahrheit nur eine ist, sich aber aufgrund des freien Willens der Menschen in unterschiedlichen Bräuchen und Religionen ausdrückt. Die Verschiedenheit der Religionen sei aber auf den einen wahren Glauben zurückzuführen, so wie die Weisheit nur eine sei und einen Ursprung habe.

Das Interesse, aus dem Cusanus sich die Mühe macht, in der ihm eigenen dialektischen Art die Spannung zwischen Einheit und Vielfalt theologisch zu erläutern, wird in der Forschung nicht einheitlich gesehen. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, der Kardinal habe vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Spannungen im Mittelmeerraum aufzeigen wollen, dass der Friede gerade von den Religionen ausgehen müsse. Zum Teil wird ein religionstheologisches Anliegen bescheinigt, sodass De pace fidei als ausdrückliche Toleranzschrift erscheint12. In diesem Rahmen wird sie wiederum unterschiedlich gedeutet: Cusanus wird von einigen die Ansicht zugeschrieben, keine Religion könne die ganze Wahrheit besitzen, diese müsse gemeinschaftlich zusammengetragen werden13. Demgegenüber wird betont, die Weisheit als der Ursprung von allem bilde bereits die Einheit, diese müsse aus den Religionen heraus nur noch gesucht und gefunden werden. Da die Weisheit des Logos nicht verschieden von der einen philosophischen Weisheit sei, könne Cusanus die Zuversicht haben, dass alle zur wahren Religion kämen14.

Wie auch immer man die Beweggründe des Cusanus deutet: In dem diskutierten Werk geht es nicht darum, Religionen zu ersetzen oder auszutauschen. Sie können nebeneinander bestehen. Wohl aber muss erkundet werden, worin ihr wahrer Kern liegt. Dies geschieht aus dem Logos heraus. Dabei lässt der Kardinal keinen Zweifel daran, dass er monotheistischtrinitarisch und von daher in Bezug auf die Religionen christologisch und christozentrisch denkt15. Es wird deutlich, dass Cusanus von der Beziehung ausgeht, die sich vom Logos her mit den Anderen ergibt. Wenn der Dialog als Beziehungsgeschehen verstanden wird, kann sich aus De pace fidei in der Tat eine Anleitung zum Dialog ergeben.

Hören auf den Logos auf Erden

Das Hören auf den Logos dürfte sich allerdings in der irdischen Praxis weniger reibungslos gestalten als auf dem cusanischen Himmelskonzil. Was auf dem Hintergrund christlicher Theologie einleuchtet, erscheint in anderen Religionen und Weltanschauungen unmöglich, die den Logos als solchen nicht kennen oder anerkennen. Wenn Ratzinger im Kontext des jüdisch-christlichen Dialogs aber trotzdem den Wunsch zu äußern wagt, dass man nicht nur dem Logos zuhören möge, sondern dies gemeinsam tun solle, also religionsübergreifend, sieht er offenbar hinter dem Horizont des christologischen Bekenntnisses zum Logos weitere Möglichkeiten, dass dieser eine Logos sich verständlich macht. Diese Möglichkeiten sind, christlich verstanden, nicht einfach da, sondern aktuieren sich im Dialog, den die Kirche (und mit ihr die Christenheit) mit der Welt von heute und dabei insbesondere den Religionen führt. Eine wertvolle Hilfestellung bietet dabei der Gedanke, dass die universale Vernunft, die als Logos bezeichnet werden kann, allgemeiner und universaler Anerkennung und Zustimmung fähig ist. Für das Christentum ist diese Vernunft nicht außerhalb der Person Jesu Christi zu denken. Die Frage, wie das Hören auf den Logos möglich sein kann, führt deshalb an einige Problemkreise heran. Wenn der Glaube an den Logos Jesus Christus nicht geteilt wird, so bietet es sich an, das Hören auf den Logos als Akt des Menschen zunächst unabhängig von diesem Glauben zu beschreiben. Man kann versuchen, Anregungen zu finden, wie eine Struktur aussehen kann, in der ein Hinhören auf den Logos möglich ist. Diese Struktur wird sich aus Sicht des Christentums nicht anders realisieren können als im Hinhören auf Jesus Christus. Außerhalb des Bekenntnisses zu Jesus Christus wird sie aus der Sicht anderer Religionen und aus der Sicht nichtreligiöser Weltanschauungen als verbindliches Hinhören angesehen werden, sofern sie auf einem soliden philosophischen Fundament steht. Diesen Fragen soll in der vorliegenden Studie nachgegangen werden.

Aufbau und Methode der vorliegenden Studie

Die Formulierung der Fragestellung gibt im Groben die Gliederung und den methodischen Gang der Überlegungen vor.

Im ersten Kapitel wird der Überlegung nachgegangen, wie menschliche Kommunikation und Dialog aussehen können, damit sich darin ein Drittes, der Logos, zu verstehen gibt. Das Arbeitsgebiet ist hierbei philosophisch. Es geht um Strukturen, die auch ohne die Rückbindung an ein religiöses Bekenntnis einsichtig gemacht werden können. Von der Theologie aus gesehen: Eine Theologie des Dialogs ist umso solider, je mehr sie sich von der Philosophie gleichsam als Magd bedienen und sich von ihr gedankliche Strukturen und Instrumentarien bereitstellen lässt, mit denen sie theologische Inhalte verständlich machen kann16. Als philosophischer Denkweg bietet sich zunächst die Phänomenologie an. Sie erscheint für theologische Fragestellungen nützlich: Seit ungefähr einem Jahrhundert hat sich eine Religionsphänomenologie etabliert, die versucht, Strukturen religiöser Phänomene aufzuzeigen und von daher Gemeinsamkeiten der Religionen festzustellen. Auf diesen religionsphänomenologischen Ansatz soll indes nicht ausführlich eingegangen werden. Das phänomenologische Interesse richtet sich im vorliegenden Rahmen vielmehr auf die Beziehungen zwischen Menschen ihrer zugrunde liegenden Struktur. Es ist darzulegen, wie das Subjekt zum Anderen gelangt und was auf diesem Weg in der Beziehung zwischen ihnen entstehen und sich ereignen kann. Dialog wird damit phänomenologisch sowohl als intersubjektives Geschehen erschlossen wie auch als Möglichkeit, wahrzunehmen, dass Transzendenz sich immanent zur Sprache bringt. Dabei erweist sich unter anderem ein Blick auf das Dialogische Denken als hilfreich, welches auf dem phänomenologischen Gedankengang aufbaut.

Im zweiten Kapitel wird zunächst der Frage nachgegangen, wie Transzendentes sich in die dialogische Disposition der Subjekte hineingeben kann. Die zuvor aufgezeigten philosophischen Strukturen erweisen sich als geeignet, sowohl in einem allgemein religionswissenschaftlich verstandenen Sinn Heiliges als auch den Logos Jesus Christus zu empfangen. Es wird darauf Wert zu legen sein, dass es dabei nicht um eine Projektion menschlichen Denkens geht, sondern um ein Rufen nach Gott aus der Mitte der Existenz heraus, auf welches das Heilige – Gott – der Logos Antwort gibt, indem er sich auf den Menschen in intersubjektiver Verfasstheit einlässt. Religionswissenschaftlich werden sich deshalb die phänomenologisch begründeten intersubjektiven Strukturen als tragfähig für eine Offenbarung transzendenter Wirklichkeit erweisen. Aus christlicher Sicht wird zu zeigen sein, dass sich die Offenbarung in Jesus Christus auch mit dem philosophischen Instrumentarium der Phänomenologie denken lässt. In diesem Rahmen kommt es darauf an, ob die Mitte christlicher Theologie auch die Mitte eines Dialogs sein kann und darin zur Sprache kommt, dass also Jesus Christus Ausdruck und Ereignis des Dialogs ist. Damit wird die Frage nach dem bestimmten Dialog spannend, in welchen jemand einbezogen ist, dem das Bekenntnis zu Jesus Christus fremd ist. Diese Frage ist die alles entscheidende, denn von ihr hängt ab, ob es einen Dialog der Religionen als gemeinsames Hören auf den Logos geben kann oder nicht. Es wird zu zeigen sein, dass das gemeinsame Hören auf den Logos auch dann möglich ist, wenn es nicht allerseits auf der Basis des ausdrücklichen Bekenntnisses zu Jesus Christus aufliegt. Umgekehrt ausgedrückt: Wer sich je auf einen wirklichen Dialog über die Wahrheit und das Heil einlässt, der kommt unweigerlich in Kontakt mit dem Logos. Innerhalb eines so gedachten dialogischen Beziehungssystems findet die kirchliche Verkündigung Jesu Christi als des ewigen Logos ihren Platz und erweist sich als dessen Mitte. Dabei wird ein Zusammenhang deutlich, der zwischen der eher vertikal zu denkenden Selbstmitteilung Gottes an den Menschen und der eher horizontal zu denkenden intersubjektiven Kommunikation besteht. Gott teilt sich mit und bringt sich in diesem Mitteilen zugleich zwischenmenschlich kommunikativ zur Sprache.

Im dritten Kapitel wird schließlich versucht, aus den philosophischen und theologischen Überlegungen ein Verständnis von Dialog zu entwickeln, das den Anforderungen der heutigen Pluralität der religiösen und nichtreligiösen Bekenntnisse und Nicht-Bekenntnisse gerecht wird. Die Überlegungen laufen auf eine Differenzierung zwischen zwei Herangehensweisen hinaus, die in einem Verständnis von Dialog möglich sind. Es kann einerseits darum gehen, dass die Gesprächspartner versuchen, sich im Dialog zu definieren, d. h. voneinander abzugrenzen oder sich gar in eine abgestufte Reihenfolge zu bringen. Neben diesem eher wettbewerblichen und deshalb als kompetitiv bezeichneten Verständnis wird ein relationales Verständnis vorgeschlagen. In diesem geht es darum herauszufinden, welche Beziehung zwischen den Dialogpartnern bestehen kann, wie sie aufeinander einwirken und voneinander lernen. Je weniger diese Frage von einer wettbewerblichen Sicht gekennzeichnet ist, desto geringer wird die Gefahr, die Wahrheit aufzugeben oder zu relativieren. Wenn auch beide Sichtweisen im Verhältnis zwischen den Religionen ihre Berechtigung haben – zumal das römische Lehramt beide Sichtweisen beleuchtet – so wird sich zeigen, dass innerhalb der Zielorientierung im Dialog ein relationales Verständnis weiter führen kann als ein kompetitives. Insbesondere im Bereich der Theologie der Religionen kann sich ein relationales Verständnis verdient machen, ebenso wie für die Herausforderungen, die sich für eine zahlenmäßig kleiner werdende Kirche im Kontext religiöser und weltanschaulicher Pluralität stellen.

Im Übrigen sind Methodologie und Auswahl des Stoffes persönlich geprägt. Im Lesen der zuvor zitieren Aussage Kardinal Ratzingers, der das Titelzitat entnommen ist, kam mir spontan die Frage, wie die Chancen aussehen, dass der geäußerte Wunsch sich erfüllt. Diese Frage stellte sich mir vor dem Hintergrund meiner eigenen missiologischen und theologischen Studien in Rom, die mich in den vergangenen Jahren mit Personen, Gedanken und Autoren in Verbindung brachten, die sich als hilfreich für die Fragestellung erweisen könnten. Vor diesem Hintergrund gestaltete sich der methodische Rahmen in der Weise, nicht eine vollständige Theologie des Dialogs zu erarbeiten, sondern Anregungen aufzuzeigen. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass es nicht darum geht, Gedankengänge eines Autors oder mehrerer Autoren in ihrer Vollständigkeit zu analysieren und zu valutieren, sondern diese aufzugreifen und Möglichkeiten zu suchen, sie für weiteres Nachdenken fruchtbar zu machen. Das hat dazu geführt, dass in dieser Studie zahlreiche Autoren zu Wort kommen und in eine Verbindung gebracht werden, die dazu anregen kann, die Grundlagen und Möglichkeiten des Dialogs, insbesondere des interreligiösen und interkulturellen, weiter zu vertiefen.

Jedes Kapitel beginnt mit einer skizzenhaften Darstellung des Hintergrundes, vor dem sich die dann folgenden Überlegungen verstehen und von dem sie angeregt werden. Damit ist nicht die vollständige Darstellung einer Wirklichkeit beabsichtigt, die ohnehin zu komplex erscheint. Es sollen vielmehr die Motivation der Gedankengänge anschaulich gemacht und der Einstieg aus der Zeit und dem Kontext heraus gefunden werden.

Bei all dem wird keine abgeschlossene Systematik einer Theologie des Dialogs versucht, vielmehr geht es um Anregungen, mögliche Wege des Dialogs weiter zu beschreiten.

1 „Der Dialog unterbricht die Gewalt“, schreibt W. STEGMAIER, Heimsuchung. Das Dialogische in der Philosophie des 20. Jahrhunderts, in: FÜRST, G. (HG.), Dialog als Selbstvollzug der Kirche? Quaestiones disputatae 166, Freiburg – Basel – Wien 1996, 9-29, hier: 9.

2 Vgl. das Eröffnungsreferat von Bischof KARL LEHMANN bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda vom 19. September 1994, Vom Dialog als Wahrheitsfindung in der Kirche heute. Zit. nach: SEKRETARIAT DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ (HG.), Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 17, Bonn 1994, 5: „‚Dialog’ ist auf neue Weise zum Signal für die Diagnose und Therapie in der heutigen Gesellschaft geworden. Überall wird in umfassender Weise der Dialog als Form des Umgangs miteinander und der Kommunikation gefordert. Dies gilt in besonderer Weise für die Kirche. Hier kann es […] programmatisch heißen: ‚Dialog statt Dialogverweigerung. Wie in der Kirche miteinander umgehen?’“

3 F. KÖNIG – J. DUPUIS, Unterwegs zu einem Dialog der Religionen, in: Stimmen der Zeit 226 (2008), 232-244, hier: 236.

4 Vgl. Lumen gentium 1.

5 Vgl. H. J. POTTMEYER, Dialog und Wahrheit. Wie die Kirche ihre Wahrheit findet und lebt, in: SCHAVAN, A. (HG.), Dialog statt Dialogverweigerung. Impulse für eine zukunftsfähige Kirche, Kevelaer 21995, 90–96, hier: 94.

6 Allerdings werden die Begriffe Diskurs und Dialog sehr häufig gerade im kirchlichen Sprachgebrauch synonym verwendet, was auch W. BEINERT, Wenn Mutter Kirche ihren Pass verliert. Oder: Ekklesiologie des Dialogs, in: ThPQ 146 (1998), 349-356, hier: 351, feststellt.

7 Vgl. W. LÖSER, Art. „Dialog“, in: W. BEINERT (HG.), Lexikon der katholischen Dogmatik, Freiburg – Basel – Wien 1997, 83-86, hier: 84.

8 CASSIODOR, Expositio in Psalmum 95 (94), Vers 1, PL 70, 671.

9 J. RATZINGER, Der Dialog der Religionen und das jüdisch-christliche Verhältnis; Erstveröffentlichung: Internationale katholische Zeitschrift Communio 26 (1997), 419-429; zit. nach: J. RATZINGER, Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund, Urfelder Reihe 1, Hagen 42005, 93–121, hier: 120-121.

10 NIKOLAUS VON KUES, Über den Frieden im Glauben – De pace fidei, zit. nach der Ausgabe L. MOHLER (HG.), Meiner Philosophische Bibliothek 223, Leipzig 1943.

11 Ebd., 96.

12 Zum Stand der Diskussion vgl. R. HAUBST (HG.), Der Friede unter den Religionen nach Nikolaus von Kues. Akten des Symposions in Trier vom 13.-15. Oktober 1982, Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 16, Trier 1984, darin: J. STALLMACH, Einheit der Religion – Friede unter den Religionen. Zum Ziel der Gedankenführung im Dialog “Der Friede im Glauben”, 61-75, hier: 63.

13 So: W. DUPRÉ, Menschsein und Mensch als Wahrheit im Werden. Einige Bemerkungen zum Problem der Religion bei Nikolaus von Kues, in R. HAUBST (HG.), Der Friede unter den Religionen, 313-324, hier: 320.

14 Vgl. J. STALLMACH, Einheit der Religion, 72-73.

15 Vgl. W. A. EULER, Einheit der Religionen – Friede unter den Menschen. Begegnung mit nichtchristlichen Religionen bei Ramon Llull und Nikolaus von Kues, in: C. LOHR – E. COLOMER (HG.), Anstöße zu einem Dialog der Religionen. Thomas von Aquin – Ramon Llull – Nikolaus von Kues, Freiburg 1997, 71–91, hier: 85-86.

16 Die Philosophie ist nach PETRUS DAMIANI, De divina omnipotentia 5,621, die „ancilla theologiae“.

Udo Stenz

Dem Logos zuhören

Anregungen für eine Theologie des Dialogs

Udo Stenz

Dem

Logos

zuhören

Anregungen für
eine Theologie
des Dialogs

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Mit dieser Studie wurde ich Ende 2009 an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom zum Doktor der Theologie promoviert. Mit Datum vom 23. Juni 2011 wurde die kirchliche Druckerlaubnis durch den Rektor der Universität, Erzbischof Enrico dal Covolo, erteilt. Nach der pflichtgemäßen Veröffentlichung durch die Druckerei der Lateranuniversität möchte ich die geringfügig geänderte Arbeit hiermit auch in Deutschland vorlegen.

Mein Dank gilt allen, die mich auf dem Weg dahin unterstützt haben. Statt vieler nenne ich unseren Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann für die großzügige Freistellung zum Studium, die finanzielle Unterstützung und insbesondere das freundliche Geleitwort. Frau Professorin Angela Ales Bello und den Herren Professoren Piero Coda und Michael Fuß sage ich herzlichen Dank für die fachliche und freundschaftliche Begleitung.

Mai 2013

Udo Stenz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.

© 2013 Echter Verlag GmbH, Würzburg

ISBN 978-3-429-03615-7

I n h a l t s v e r z e i c h n i s

Zum Geleit

Einleitung

Dialog ist heute in aller Munde

Dialog als Aufgabe für Kirche und Theologie

Der Vorschlag Kardinal Ratzingers und das

„Himmelskonzil“ bei Nikolaus von Kues

Aufbau und Methode der vorliegenden Studie

1. Kapitel: Philosophische Annäherungen – Wahrheit im Dialog

Vorbemerkung: Der Umbruch des Denkens als geistesgeschichtlicher Kontext

Eine prophetische These Hegels

Die Frage nach der Wahrheit, dem Logos und der Natur

1.1Phänomenologische Annäherung

1.1.1Phänomenologie der Intersubjektivität als Wegweiser zum Dialog

1.1.1.1Die Intentionalität und die phänomenologische Konstitution der Welt

1.1.1.2Systole und Diastole in der Bewegung vom Ur-Ich zur Welt

1.1.1.3Leib und Fleisch als Kristallisationspunkte des Lebens

1.1.1.4Die Erfahrung der Welt und die Intersubjektivität aus dem Ich heraus

Das Erscheinen des Anderen als Teil des Welterscheinens

Die Notwendigkeit des Anderen zur Konstitution objektiver Wirklichkeit

Die Erfahrung des Anderen als alter Ego und die Selbsttranszendenz des Ich

1.1.1.5Einwände gegen den phänomenologischen Zugang zur Intersubjektivität?

ExkursPhänomenologisch-intersubjektive Interpretation der Erschaffung des Menschen

1.1.2Phänomenologie der Kommunikation mit dem Fremden

1.1.2.1Die Einfühlung als Medium der Intersubjektivität

1.1.2.2Steins Analyse der Einfühlung: Originarität und Nichtoriginarität

1.1.2.3Die phänomenologische Einfühlung als Wegweiser zum Dialog

1.2Dialog als Begegnung mit der Wahrheit

1.2.1Ich – Du – Wahrheit: Dialogisch denken

1.2.1.1Dialog als „Zwischenreich“

1.2.1.2Das Dialogische Denken

Die transzendentalphilosophischen Voraussetzungen des Dialogischen Denkens

Die Neutralität des Zwischen

1.2.2Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit

1.2.2.1Kants Transzendentalphilosophie in die Aktualität hinein dolmetschen

Der Zerfall der einen Welt in viele verschiedene Orientierungszusammenhänge

Der Zerfall der Einheit des Subjekts „Ich denke“ in verschiedene Denkzusammenhänge

1.2.2.2Der responsorisch-dialogische Charakter jeglicher Erfahrung

Vom Wahrnehmungsraum zur Raumkonstruktion

Die Pluralität von Erfahrungsweisen

Erfahrung, Interpretation und ein dialogisches Verhältnis von Anspruch und Antwort

1.2.2.3Die religiöse Erfahrung als Dialog

Zwischenergebnis

2. Kapitel: Theologische Klärungen – Heiliges im Dialog

Vorbemerkung: Das Denken von Heiligem und die religiöse Erfahrung

Das Heilige zwischen Rationalität und Irrationalität

Religiöse Erfahrung und Nichts

2.1Dialogische Hermeneutik der Offenbarung des Mysteriums

2.1.1Das Heilige und das Denken (K. Hemmerle)

2.1.2Vom Dialog mit Heiligem zum Dialog zwischen Menschen (J. Poláková)

2.2Jesus Christus als Inhalt und dialogische Form der Offenbarung

2.2.1Der Logos als „Wort und Antwort zugleich“

2.2.1.1Dialogische Selbstgabe Gottes in Jesus Christus in Anrede und Antwort

Gottes Wort in Jesu Wort

Des Menschen Antwort in Jesu Wort

2.2.1.2Dialogische Struktur des Sakraments – sakramentale Struktur des Dialogs

2.2.2Der Logos als Mitte des Dialogs

2.2.2.1Die trinarische Struktur des Dialogs aus dem Zwischen

2.2.2.2Der Logos im Zwischen: Dialog aus der Trinität

2.2.3Der Dialog der Kirche im Heiligen Geist

2.2.3.1Das Zueinander von Christologie und Pneumatologie

2.2.3.2Die Geburt der Kirche aus dem Dialog: Das Pfingstereignis

2.3Für eine dialogische Hermeneutik von Schöpfung und Heilsgeschichte

2.3.1Die Creatio als Eintritt des dreifaltigen Gottes in einen Dialog mit der Creatura

2.3.1.1Schöpfung als Kommunikation des Bundes

2.3.1.2Schöpfung als Anrede

2.3.2Schöpfung und Gnade: Religion in dialogischer Bewegung

2.3.2.1Die Gnade der Schöpfung und die Vielfalt der Religionen

2.3.2.2Die Verehrung der Herrlichkeit als gnadenhafte religiöse Grundstruktur

Zwischenergebnis

3. Kapitel: Kirche, die sich zum Dialog macht – Kompetitive und relationale Perspektiven

Vorbemerkung: Kirche und Dialog in postmoderner Pluralität

Dialogizität der Kirche – Ecclesiam suam

Die Geschichte des Menschen als Geschichte der Pluralität

Begegnung verschiedener Wahrheitsansprüche

Der Relativismus als postmoderne gegenseitige Verhandlung über Wahrheit

3.1Wege des Dialogs

3.1.1Dialog als Diskurs

3.1.2Kompetitiv oder relational? Begegnung als Wettbewerb oder Beziehung

Das kompetitive Argument: Begegnung als Wettbewerb Das relationale Argument:

Begegnung und Bewährung in Beziehung

3.1.3.Diskurs und Dialog – kompetitive und relationale Hermeneutik des Gesprächs

3.2Relational-dialogische Hermeneutik der Einzigkeit Jesu Christi

3.3Die Theologie der Religionen im Licht eines relationalen Verständnisses

3.3.1Linien der Theologie der Religionen

3.3.2Das Christentum in Beziehung statt im Wettbewerb zu den Religionen

Aufbruch „istischer“ Selbstverengungen in der Theologie der Religionen

3.3.3Ein Vorschlag: Kommunikative Religionstheologie

3.4Der kirchliche Auftrag zur interreligiösen Begegnung

3.4.1Die interreligiöse Begegnung als Ort von Wachstum und Heiligungsdienst

3.4.2Der Dialog als Ort der Religionskritik

3.4.3Licht für die Heiden und Herrlichkeit für sein Volk Israel Im Dialog mit Jesus Christus: M. Buber

3.5Kirche auf dem Weg des Dialogs – kompetitiv oder relational?

3.5.1Noch einmal: Ecclesiam suam und das Konzil

3.5.2Verkündigung im Spannungsfeld zwischen Dialog und Mission

3.5.3Johannes Paul II. und die Begegnung von Religionen

3.5.4Kompetitive Klarstellung und relationale Offenheit: Dominus Iesus

3.5.5Dem Logos zuhören: Benedikt XVI.

Zwischenergebnis

Synthese – Perspektiven des Dialogs

Wir sind Gespräch – Romantische Gedanken und ihre Verwirklichung

Der intersubjektive Weg zu Gott: Dialog

Die Differenzierung kompetitiv-relational als hermeneutischer Schlüssel

Dialog und Vollendung

Bibliographie

1.  K A P I T E L

PHILOSOPHISCHE ANNÄHERUNGEN — WAHRHEIT IM DIALOG

Vorbemerkung: Der Umbruch des Denkens als geistesgeschichtlicher Kontext

Wer sich daran macht zu untersuchen, wie auf philosophische Weise ein „Hinhören auf den Logos“ gehen kann, der wird sich zunächst darüber Gedanken machen, in welche Richtung die philosophische Betrachtung geht, d. h. wo das Denken seinen Ausgang nimmt und wohin es führen soll. Anders gefragt: Wer oder was ist der Agent, der Protagonist der Denkbewegung? Ist es der Denkende, der versucht, ein Gedachtes zu erreichen oder gar zu formen? Oder ist es das Gedachte oder zu Denkende, was nach dem Denkenden greift? Bei diesen Überlegungen mag man auf einen Begriff stoßen, mit dem eine geisteswissenschaftliche Strömung des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet wird: den „Umbruch des Denkens“1.

Der Begriff Umbruch lässt auf eine Entwicklung besonderer Art schließen. Mit ihm kann nicht nur beständiges Fortschreiten auf dem Weg durch die Zeit beschrieben sein, dass also das spätere auf dem früheren aufbaut, dessen Fehler aufzeigt, es weiter entwickelt und überwindet. Vielmehr liegt ein besonderer Akzent auf dem Bruch; die Abkehr vom Bisherigen ist radikal und dezidiert. Tatsächlich ist der Umbruch des Denkens verstanden worden als eine neue neuzeitliche Hinkehr zur Metaphysik2, aber nicht als neoscholastischer Pendelschlag zurück, sondern personalistisch gewendet und damit in Absetzung von allem bisher Dagewesenen3.

Eine prophetische These Hegels

Vorausgesehen mag diese Entwicklung bereits G. W. F. Hegel (1770 – 1831) haben, als er im Jahre 1802 schrieb, dass

„durch die Totalität der betrachteten Philosophien der Dogmatismus des Seins in den Dogmatismus des Denkens, die Metaphysik der Objektivität in die Metaphysik der Subjektivität umgeschmolzen worden ist und also der alte Dogmatismus und Reflexionsmetaphysik [sic!] durch diese ganze Revolution der Philosophie zunächst nur die Farbe des Innern oder der neuen und modischen Kultur angezogen“4 habe.

Mit diesem Urteil verbindet Hegel die Einschätzung, eine wahre Philosophie erstehe erst aus der Vernichtung der Absolutheit der herkömmlichen Philosophien5. Die Wortwahl des Autors deutet bereits den radikalen Umbruch des Denkens an, der etwas vernichtet: den Dogmatismus des Seins und denjenigen des Denkens.

Was Hegel „Dogmatismus des Seins“ nennt, hatte seit der Antike die Philosophie bestimmt und im Mittelalter seinen Höhepunkt erreicht. Alles, was ist, verdankt sich im letzten Grunde dem einen Sein, das allem seine Ordnung vorgibt und es in sein je eigenes Sein als Teilhabe entlässt. Ziel der philosophischen Erkenntnis ist die dadurch vorgegebene objektive Ordnung des Seins. Theologisch gewendet geht es darum, zur Erkenntnis der göttlichen Ordnung aufzusteigen, die hinter dem Kosmos steht und sich in ihm zeigt: die Metaphysik. In diesem Dogmatismus des Seins kommt dem Menschen zentrale Bedeutung zu. Er und mit ihm die Erde sollten der Mittelpunkt der ganzen von Gott her geordneten Welt sein. Was also im Mittelalter als Ordo-Gedanke zu universaler Bedeutung aufgestiegen war, nennt Hegel „Metaphysik der Objektivität“.

Mit den Begriffen „Dogmatismus des Denkens“ und „Metaphysik des Subjekts“ skizziert Hegel die Entwicklungen im Denken der Neuzeit. Unter dem Druck der Naturwissenschaften mit ihren neu erarbeiteten und erfundenen Forschungsmethoden und –instrumenten geriet die bisherige Sichtweise ins Wanken. Nicht mehr die Metaphysik, sondern die Astronomie erhob den Anspruch, die maßgebliche Erklärung für die Welt insgesamt und damit die Zielvorgabe des Denkens zu liefern. So hat G. Galilei (1564 – 1642) nicht nur die Hinwendung der Astronomie zum heliozentrischen Weltbild in unbestreitbarer Weise vollzogen, sondern zusätzlich den Anspruch der Mathematik, der Geometrie und damit der Naturwissenschaft generell reklamiert, der verbindliche Maßstab zur Beschreibung und Normierung jeglicher Ordnung der sichtbaren Welt überhaupt zu sein. Darin kommt der methodische Schritt der Reduktion zum Tragen: Von verschiedenen Hinsichten, unter denen derselbe Gegenstand betrachtet werden kann, wird eine als vorrangig angesehen; alle anderen treten ihr gegenüber zurück oder sinken gar in die Bedeutungslosigkeit. Mit der Reduktion der Wissensformen im Blick auf die Wirklichkeit der Welt auf die geometrischen Wissenschaften provozierte Galilei6 damit die Herauslösung der Geisteswissenschaft aus dem Bereich aller Fragestellungen, die die objektive Welt als solche betrafen.

Infolgedessen vollzog die Philosophie der Neuzeit die der Naturwissenschaft entgegengesetzte Richtung. Sie wandte sich von dem Anspruch ab, die Welt, die Dinge an sich objektiv sicher zu erkennen. Nachdem dies von den Naturwissenschaften übernommen worden war, rückte nun der Zweifel in den Blick des geisteswissenschaftlichen Zugangs und über diesen die Beschränkung auf das erkennende Subjekt selbst. Die Geisteswissenschaften – an prominenter Stelle R. Descartes (1596 – 1650)7 und I. Kant (1724 – 1804) – vollzogen also gegenläufig zu den Naturwissenschaften eine Entwicklung hin zum Menschen als bestimmendem Ausgangspunkt. Nicht mehr vom Sein her wird gedacht, sondern vom denkenden Menschen. Es erhebt sich die Frage, unter welchen Bedingungen überhaupt Erkennt-nis möglich ist. Die Kapazität des menschlichen Verstandes gibt radikal den Umfang möglicher Erkenntnis vor. Denken vom Sein her ist immer Denken des Subjekts. Nicht das Sein, nur das Denken ist sicher. Allein dieses lässt der methodische Zweifel Descartes’ übrig. Die Dinge an sich können im Denken nicht erreicht werden. Das metaphysische Grundanliegen der Philosophie war also in anderer Perspektive das gleiche geblieben: Wie bisher ging es darum, möglichst viel Wahres zu erkennen: Allerdings meinte man nun Wahres im Denken; das Wahre im Sein an sich wurde für unerreichbar erklärt. Metaphysik war fortan nur noch im Subjekt selbst, in seinem Denken und in seinen Sitten, zu finden.

Beide Denkrichtungen tragen nach Hegel also die Züge einer Totalität. Man darf ihm hier eine prophetische Gabe bescheinigen, denn genau dieser Begriff taucht 150 Jahre später wieder auf bei einem Philosophen, der sich damit gegen das Denken der Neuzeit stellt und der Sache nach die Vernichtung der Absolutheit proklamiert, die der deutsche Philosoph erhofft: E. Lévinas (1906 – 1995) wendet sich gegen ein Denken, das zum Ziel hat, seinen Gegenstand, die Wahrheit und letztlich Gott schlechthin zu erreichen und zu erfassen. Dies laufe nämlich darauf hinaus, dass das Ich im Denken sich des Gegenstandes seines Denkens bemächtigt und durch Begreifen vereinnahmt8, den Denkenden an das Gedachte bindet9 und damit eine Totalität herstellt, die Lévinas als „Krieg“ bezeichnet10 und mit der er dasjenige meint, was vom herkömmlichen philosophischen Denken als das Sein bezeichnet wird11. Lévinas formuliert seine Gedanken nicht zuletzt unter dem (Ein-)Druck der Geschehnisse des 20. Jahrhunderts, namentlich der Menschen verachtenden Kriege und Vernichtungen. Er fordert die Hinwendung zu einem Denken, das den Vorrang und die Zentralität des Menschen philosophisch ausdrücken und absichern kann. Subjekt und Objekt der Erkenntnis sollen getrennt voneinander bleiben; es ist ein Abstand zu wahren zwischen dem Selben und dem Anderen12. Beide sind nicht in ein System einzubinden. Dennoch besteht eine Beziehung, insofern das Andere immer wieder in den Horizont des Selben einbricht und sich Geltung verschafft. Die Bewegung im Denken kehrt sich bei Lévinas also um: Sie geht nicht mehr vom denkenden Subjekt aus hin auf den Gegenstand, sondern gestaltet sich als Empfangen von etwas, das sich zuwendet; aus dem Ergreifen wird ein Ergriffen-Sein.

Die Frage nach der Wahrheit, dem Logos und der Natur