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Tonke Dennebaum

Urknall
Evolution

Schöpfung

Tonke Dennebaum

Urknall
Evolution

Schöpfung

Glaube contra Wissenschaft?

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.

© 2008 Echter Verlag GmbH, Würzburg

Inhalt

Geleitwort

Vorwort

I.   Glaube contra Wissenschaft: Ein Dialog ohne Zukunft?

Kein Raum mehr für Gott?

Kein Gespräch mehr möglich?

Der Naturalismus – weltanschaulich neutral oder atheistisch?

1.   Glaube und Naturwissenschaft

1.1.  Der christliche Theismus

1.2.  Der wissenschaftliche Naturalismus

1.3.  Schwacher und starker Naturalismus

2.   Bloßer Glaube oder reine Vernunft? Methoden in der Theologie

2.1.  Die eine Methode der Theologie?

2.2.  Das Handeln Gottes in der Welt

2.3.  Glaube und Vernunft

2.4.  Kritischer Rationalismus und Theologie

3.   Glaube und Naturwissenschaft in der Neuzeit

3.1.  Isaac Newton: Einheit von Glaube und Naturwissenschaft

3.2.  Physik und Philosophie: Kein Raum mehr für Gott?

3.3.  David Hume: Abschied von der Rationalität des Glaubens

3.4.  Von Darwin zum Darwinismus

II.   Die Entstehung der Welt: Handeln Gottes oder Naturgesetz?

Schöpfungsglaube als Grundthema des Christentums

Erschaffung der Welt: Theologie und Kosmologie

1.   „Im Anfang schuf Gott die Welt“: Der christliche Schöpfungsglaube

1.1.  Creatio ex nihilo

1.2.  Creatio continua

2.   Das kosmologische Standardmodell der Physik

2.1.  Grundlagen der modernen Kosmologie

2.2.  Das Urknallmodell

2.3.  Anerkennung in Theologie und Kirche

2.4.  Das atheistische Argument

2.5.  Konsonanz von Urknalltheorie und Schöpfungsglaube

3.   Das kosmologische Argument und der Naturalismus

3.1.  Das kosmologische kālam-Argument

3.2.  Stephen Hawking: Das Modell der Quantengravitation

3.3.  Die Theorie des oszillierenden Universums

3.4.  Alan Guth: Die Theorie des inflationären Universums

3.5.  Das kosmologische Argument heute

4.   Das teleologische Argument und der Naturalismus

4.1.  William Paley: Das traditionelle teleologische Argument

4.2.  Richard Swinburne: Die Renaissance der Teleologie

4.3.  Das Phänomen des fine tuning: Zufall, Naturgesetz oder Gottes Plan?

4.4.  Das anthropische Prinzip

4.5.  Multiversum I: Die Theorie des oszillierenden Universums

4.6.  Multiversum II: Die Viele-Welten-Deutung der Quantentheorie

4.7.  Multiversum III: Blasen-Universen und Inflation

4.8.  Exkurs: Kreationismus und Intelligent Design

4.9.  Das teleologische Argument heute

Fazit

Anmerkungen

Personenregister

Geleitwort

Früher gab es zwischen Naturwissenschaft und Theologie/Kirche, besonders in Zeiten des Materialismus und Darwinismus, heftigen Streit. Die Theologie hatte sich manchmal an zeitbedingte Weltbilder gebunden, die Wissenschaften enthielten weltanschauliche Voraussetzungen. Im Lauf des 20. Jahrhunderts ist diese Auseinandersetzung in vielen Bereichen sachlicher geworden. Die Theologie anerkannte die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaften, bedeutende Wissenschaftler redeten von Gott. Aber im Lauf der Zeit hat dieses allmählich schiedlich-friedliche Verhältnis auch zu einer Gleichgültigkeit geführt. Der Dialog blieb oft aus. In jüngster Zeit gab es jedoch ein neues Erwachen: Ein „Naturalismus“, der alles innerweltlich erklären zu können vorgab, und eine wortwörtliche Schriftauslegung, vor allem in den USA, erstarkten und schufen neue Konflikte.

Die Theologie war für diese Auseinandersetzung nicht so gut gerüstet. Es gab zwar wichtige hochspezielle wissenschaftliche Untersuchungen, aber sie erreichten nicht nur schwer eine größere Öffentlichkeit. Es gab auch nur eine Handvoll Theologen, die zugleich kompetente Gesprächspartner waren. Dies hat sich langsam geändert und verbessert.

Zu dieser neuen Situation gehört auch dieses Buch eines bald 35-jährigen jungen Theologen, Dr. theol. Tonke Dennebaum, Priester des Bistums Mainz, der zuerst eine anerkannte Dissertation zum Thema schrieb (Kein Raum mehr für Gott? Wissenschaftlicher Naturalismus und christlicher Schöpfungsglaube, Würzburg 2006) und nun darüber eine eigene Schrift verfasst hat, die bei aller Anstrengung des Denkens einen breiteren Leserkreis sucht.

Der Verfasser ist sehr gut belesen, besonders im angelsächsischen Bereich. Mit jugendlichem Schwung geht er die Probleme an. Er spürt oft verborgene weltanschauliche und philosophische Voraussetzungen auf. Verlässlich-sachlich und gelegentlich munter-angriffslustig verteidigt er mit guten Gründen die biblischen Glaubensgehalte. Er versteht die neue, nun wieder fällige Auseinandersetzung als willkommene Herausforderung. Wer noch mehr wissen will, muss zu dem genannten umfangreicheren Buch und zur dort verzeichneten Literatur greifen.

Der Leser kann sich dem Verfasser anvertrauen. Er wird beim Gang durch die Fragen reich belohnt. Ich wünsche dem Buch, für das ich Autor und Verlag danke, eine gute Aufnahme und viele interessierte Leser.

Mainz, im September 2008

Karl Kardinal Lehmann

 

Bischof von Mainz

Vorwort

In Radio und Fernsehen ist es üblich, zu bestimmten Themen Experten ins Studio einzuladen und zu befragen. Es handelt sich dabei um Fachleute, die dem Publikum die Zusammenhänge in der Politik oder beim Fußball erklären, über die Verwandtschaftsverhältnisse in den Königshäusern Europas fachsimpeln oder einfach nur Tipps zur Gestaltung der eigenen vier Wände geben.

Es ist ohne Frage sinnvoll, dass uns auf diese Weise die mehr oder minder wichtigen Themen des Lebens näher gebracht werden. Eines jedoch steht fest: Wenn es um die grundlegenden Fragen der Menschen geht, sind nicht nur die Experten gefragt. Jeder Einzelne wird in die Verantwortung genommen für seine Entscheidungen. So muss auch die Frage nach der Bedeutung der Religion jeder selbst für sich entscheiden. Für alle, die im Glauben „ja“ sagen zu einem allmächtigen, liebenden und ewigen Gott, tun sich weitere Fragen auf: Ist es vernünftig, wenn Christen glauben, dass dieser Gott die Welt erschaffen hat? Können der Glaube und die Naturwissenschaften in der Welt von heute miteinander vereinbart werden?

Im Folgenden soll es nicht darum gehen, nach Expertenart Ergebnisse zu präsentieren. Stattdessen wird der Leser direkt in die Diskussion mit hineingenommen. Es besteht die Hoffnung, dass er so in die Lage versetzt wird, selbst zu entscheiden, wie Glaube und Wissenschaft zusammengehören und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.

Bei der Entstehung dieses Buches haben eine Reihe von Menschen mitgewirkt, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. An erster Stelle gilt mein Dank dem Bischof von Mainz, Karl Kardinal Lehmann, der mit den freundlichen Zeilen seines Geleitwortes in die Thematik einführt. Durch seine Unterstützung und Förderung ist die Entstehung dieses Buches erst möglich geworden. Darüber hinaus bedanke ich mich besonders bei Fabian Büchler, Juliana Büchler, Christian Feuerstein, Pfarrer Markus Lerchl, Patrick Matheisl, David Schroth und Viktoria Schroth, die das Manuskript gelesen und durch Nachfragen und konstruktive Hinweise zu seiner Verbesserung beigetragen haben. Ein herzliches Dankeschön gilt ebenso dem Lektor des Echter Verlags, Heribert Handwerk.

Mainz, im September 2008

 

 

Tonke Dennebaum

I.

Glaube contra Wissenschaft: Ein Dialog ohne Zukunft?

Kein Raum mehr für Gott?

„Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer?“1 – Der Mann, der diese Frage stellt, heißt Stephen Hawking, und er ist weder Theologe noch Philosoph. Er zeigt kein besonders großes Interesse an den Schöpfungsberichten der Bibel. Die moderne Diskussion über das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft spricht er zwar immer wieder kurz an – aber die Zeit für eine ausführliche Untersuchung nimmt er sich nicht. Stephen Hawking, britischer Astrophysiker und Nachfolger von Isaac Newton auf dem Lukasischen Lehrstuhl an der Universität Cambridge, stellt die Frage nach dem Schöpfer der Welt – und bietet Antworten, die nichts mit Religion, dafür aber sehr viel mit Mathematik, Physik und Kosmologie zu tun haben.

Die Suche nach dem Grund und Ursprung allen Lebens gehört seit Beginn der Menschheitsgeschichte zu den wichtigsten Themen menschlichen Denkens und Fragens. Die Ergebnisse dieser Suche könnten unterschiedlicher kaum sein. Vom Schöpfungsmythos der Babylonier bis zur Urknalltheorie reicht die Bandbreite der Antworten, die Menschen im Laufe der Jahrtausende gegeben haben. Es liegt auf der Hand, dass es auch heute für den Glauben an Gott eminent wichtig ist, wie diese Antworten aussehen. Lassen die Vorschläge Hawkings und seiner Kollegen Raum für einen Gott? Sind sie plausibel und wissenschaftlich gut fundiert oder bleibt vieles vage und ohne Begründung?

Das Ringen um gute und verlässliche Antworten scheint umso wichtiger zu sein, als Hawking eben kein studierter Philosoph ist, von dem man erwarten könnte, dass er von Berufs wegen solche Fragen stellt. Hawking ist einer der populärsten Naturwissenschaftler unserer Zeit, und wie es aussieht, gehen von seinen Erkenntnissen fundamentale Anfragen an die Grundlagen des Glaubens aus.

Dabei erweist er sich als echter Gentleman. Er hält keine simplen und endgültigen Antworten parat, sondern macht nach seinen kurzen Ausflügen in die Religionsphilosophie immer wieder einen raschen Schwenk zurück zu Relativitätstheorie oder Quantenmechanik. Er überlässt es seinen Lesern, die richtigen Schlussfolgerungen und Konsequenzen zu ziehen. Dennoch gilt, unabhängig davon, wie diskret Hawking seine populären Thesen präsentiert: Für die Leser seiner Kurzen Geschichte der Zeit, eines der erfolgreichsten Sachbücher überhaupt, bietet sich im Grunde nur eine sinnvolle Deutung der Zusammenhänge an. Der Nachfolger Newtons, Stephen Hawking, hat ein Modell von der Entstehung der Welt entwickelt, das wissenschaftlich ist, das brillant zu sein scheint – und das ohne Gott auskommt. Wenn dieses Modell unsere Welt korrekt beschreibt, dann gäbe es nichts mehr zu tun für einen Schöpfer. Das Universum wäre sich selbst genug. Die Antworten auf die großen Fragen nach der Entstehung des Lebens könnten keine Antworten des Glaubens oder der Religion mehr sein, sondern ausschließlich der modernen Wissenschaften.

Kein Gespräch mehr möglich?

Damit scheint sich zu bestätigen, wovon die Vertreter des wissenschaftlichen Naturalismus schon lange überzeugt sind: Die wahre Erkenntnis und Einsicht über die Grundlagen der Welt und unseres Daseins kann man nicht gewinnen, wenn man die biblische Überlieferung in den Blick nimmt oder nach theologischen Antworten sucht. Der Naturalismus geht davon aus, dass die jahrtausendealten religiösen Überlieferungen und Mythen in der Welt des 21. Jahrhunderts allenfalls von kulturgeschichtlicher Bedeutung sind. Echte Erklärungen über unsere Welt würden hingegen nur noch die nüchternen und wissenschaftlichen Erkenntnisse liefern, die von Fachleuten in den Laboratorien, Instituten und Sternwarten gewonnen werden. Es ginge demnach nicht mehr um Weltanschauungen und Religionen, sondern um die reine Erkenntnis und die Vermehrung des Wissens der Menschheit – bis am Ende alle Fragen, die sich überhaupt sinnvoll stellen lassen, von den Wissenschaften beantwortet wären.

Stephen Hawking und eine ganze Reihe weitere Forscher lassen bei der Darstellung ihrer Theorien und Modelle oftmals keinen Zweifel aufkommen: Die Wissenschaften stehen bereit, endgültige Lösungen zu präsentieren. Die Welt hat sich gewandelt, der Übergang vom Mythos zum Wissen kann tatsächlich vollzogen werden, die Bedeutung – oder Nichtbedeutung – von Glaube und Religion muss von allen aufgeklärten Menschen völlig neu überdacht und akzeptiert werden.

Lassen sich die großen Erwartungen, die hier geweckt werden, tatsächlich erfüllen? Können die Wissenschaften wirklich alles beschreiben und erklären, die kleinsten Details ebenso wie die großen Fragen nach dem Warum der Entstehung unserer Welt? Und wie soll die christliche Theologie auf diesen Anspruch der Naturalisten reagieren? Macht es überhaupt Sinn, dass Theologen und Naturwissenschaftler das Gespräch miteinander suchen?

Man könnte durchaus der Auffassung sein, dass diese Gespräche endgültig der Vergangenheit angehören sollten. Ein Blick zurück auf die Entwicklungen und Veränderungen der vergangenen Jahrhunderte scheint eindeutig zu belegen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen fromme Mönche, von Forschungsdrang beseelt, die Welt der Religion und der Wissenschaft miteinander verbinden konnten.

Die Namen zweier bedeutender Naturwissenschaftler stehen bis heute geradezu symbolisch dafür, wie sehr sich Glaube und Wissenschaft voneinander entfernt haben: Galileo Galilei und Charles Darwin. An die 400 Jahre sind vergangen, seit Galilei (1564–1642) von Papst Paul V. (1552–1621) verurteilt wurde, weil die Kirche nicht akzeptieren wollte, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums steht und Galileis Beobachtungen richtig sind. Beinahe 250 Jahre später, im Jahre 1859, stand dann nicht mehr die Kosmologie, sondern die Biologie im Zentrum der Auseinandersetzung. Charles Darwin (1809–1882) veröffentlichte seine Schrift Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. Um das Wunder der Existenz des Lebens zu erklären, musste Darwin auf keinen Schöpfergott und auf keine Arche Noah verweisen. Stattdessen formulierte er eine einfache, natürliche Erklärung: Die Evolution, also das Zusammenwirken von Mutation und Selektion, beschreibt und erklärt die Vielfalt des Lebens in unserer Welt, ohne dass man Gott ins Spiel bringen muss.

Darwin selbst hat sich an den Spekulationen über die religionsphilosophischen Konsequenzen seiner Forschungen kaum beteiligt. Dennoch sieht es spätestens seit seinen Entdeckungen so aus, als wäre das Tischtuch zwischen Wissenschaft und Religion endgültig zerschnitten. Die Anhänger Darwins ließen es nicht bei der Evolutionstheorie bewenden, sondern entwickelten den Darwinismus. Aus der wissenschaftlichen Theorie wurde eine Weltanschauung, die von Grund auf atheistisch ist. Die Vertreter der Kirche reagierten darauf mit schroffer Ablehnung und zogen sich auf ihre Dogmen zurück. Es schien, als müsste sich spätestens von diesem Zeitpunkt an jeder Mensch entscheiden: zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Religion und Wissenschaft, zwischen alten Dogmen und der Welt von heute.

Bis in die Gegenwart hinein wird die Situation als verfahren empfunden. Zwar betonen die Theologie und die katholische Kirche schon seit vielen Jahrzehnten, dass sich die Evolutionstheorie und der Glaube an den Schöpfergott durchaus miteinander vereinbaren lassen, doch erheben sich auch immer wieder andere Stimmen. Vor allem in Nordamerika predigen evangelikale Christen mit großem Erfolg, dass die Schöpfungsberichte der Bibel wörtlich zu verstehen sind. Die kirchliche Tradition geht von Beginn des Christentums an davon aus, dass Glaube und Vernunft grundlegend zusammengehören und wie „die beiden Flügel“ sind, mit denen der Mensch zur Wahrheit gelangen kann.2 Dennoch haben die so genannten Kreationisten (von lateinisch creatio, Schöpfung) bei zahlreichen Menschen Erfolg mit ihrer Behauptung, dass die modernen Naturwissenschaften völlig falsch liegen und mit dem Glauben der Bibel nicht vereinbar sind.

Wie es aussieht, sind die Fronten grundlegend verhärtet. Die Vertreter des Naturalismus möchten auch die letzten Fragen unserer Existenz rein wissenschaftlich erklären und jede religiöse Deutung von vorneherein ablehnen. Unterstützung erhalten sie gerade auch in neuerer Zeit von einigen angelsächsischen Autoren. Statt mit britischer Zurückhaltung wird die Auseinandersetzung dabei eher im Stil eines Boxkampfes ohne Regeln geführt. Auf besondere wissenschaftliche Präzision oder komplexe logische Argumente wird verzichtet. Stattdessen bedient man mit Hilfe einer mal mehr, mal weniger unterhaltsamen Rhetorik die etwas einfältige Vorstellung, alle Religionen seien von Grund auf fundamentalistisch, irrational und menschenfeindlich.

Während also einige wissenschaftsbegeisterte Autoren die Diskussion zwar lautstark führen, jedoch weniger durch argumentative Brillanz bereichern, verkünden am gegenüberliegenden Ende der Skala die christlichen Kreationisten ihre Thesen immer vernehmbarer. Obwohl sie sich als bibeltreu verstehen, verabschieden sie sich dabei von alledem, was eine ernstzunehmende Theologie – von den frühen Kirchenvätern bis zu den Exegeten unserer Tage – über den Schöpfungsglauben der Bibel zu sagen hat.

Der Naturalismus – weltanschaulich neutral oder atheistisch?

Wenn es darum geht, die christliche Schöpfungslehre so zu formulieren, dass sie den Glauben an die Erschaffung der Welt durch einen liebenden Gott mit dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung in Einklang bringt, dann ist es notwendig, einen gut fundierten Mittelweg zwischen den beiden Extrempositionen zu gehen. Die entscheidende Herausforderung besteht dabei wohl nicht in der Zurückweisung des Kreationismus. Nicht nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse unserer Zeit, sondern auch die kirchliche Tradition spricht hier eine eindeutige Sprache. Bei der Auslegung der biblischen Texte – und damit auch der Schöpfungsberichte der Heiligen Schrift – geht es nicht um ein wortwörtliches Verständnis, sondern darum, den eigentlichen Sinn und die Aussageabsicht der Verfasser zu ermitteln. So bezieht sich etwa das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) auf Texte des Kirchenvaters Augustinus von Hippo (345–430), wenn es lehrt, dass „Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen“ habe:

„Will man richtig verstehen, was der heilige Verfasser in seiner Schrift aussagen wollte, so muss man schließlich genau auf die vorgegebenen umweltbedingten Denk-, Sprach- und Erzählformen achten, die zur Zeit des Verfassers herrschten.“3

Nicht so eindeutig ist die Sachlage in Bezug auf den wissenschaftlichen Naturalismus. Die Naturalisten nehmen für sich in Anspruch, dass sie nichts anderes tun, als die Erfolgsgeschichte der wissenschaftlichen Erklärungen der vergangenen Jahrhunderte aufzugreifen und konsequent zu Ende zu denken. Der Naturalismus ist zwar atheistisch, behauptet aber, dass er sich nicht auf weltanschauliche oder philosophische Gründe berufen muss, um von der Nichtexistenz Gottes überzeugt zu sein. Naturalisten gehen davon aus, dass es ausreicht, allein auf die Kraft und Reichweite der Wissenschaft zu vertrauen.

In den folgenden Kapiteln wird es daher auch darum gehen, diese Position auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen. Dabei könnte sich herausstellen, dass der Naturalismus falsch liegt, wenn er behauptet, weltanschaulich neutral zu sein. Möglicherweise denken auch die Naturalisten nicht anders als etwa der amerikanische Philosoph Thomas Nagel. Dieser beschreibt seine Position mit entwaffnender Ehrlichkeit. Er glaubt nicht an Gott. Er will, dass der Atheismus wahr ist und hofft, dass es keinen Gott gibt:

„Ich will, dass der Atheismus wahr ist, und es bereitet mir Unbehagen, dass einige der intelligentesten und am besten unterrichteten Menschen, die ich kenne, im religiösen Sinn gläubig sind. Es ist nicht nur so, dass ich nicht an Gott glaube und natürlich hoffe, mit meiner Ansicht recht zu behalten, sondern eigentlich geht es um meine Hoffnung, es möge keinen Gott geben! Ich will, dass es keinen Gott gibt; ich will nicht, dass das Universum so beschaffen ist.“4

Die Vermutung liegt nahe, dass kein Mensch frei ist von weltanschaulichen Überzeugungen und Prägungen. Wenn Naturalisten der Meinung sind, dass ihre Überzeugungen keinen Einfluss auf ihre wissenschaftliche Arbeit, ihre Modelle und Theorien haben, dann gilt es, diese Behauptung kritisch zu prüfen. Thomas Nagel erhebt den Atheismus zum Programm und Ziel seiner Philosophie. Möglicherweise verfolgen die Naturalisten genau das gleiche Ziel – und lassen sich daher auf ihrem Weg eben doch nicht ausschließlich von den Methoden der Wissenschaft leiten.

Wenn die Überzeugungen von Naturalisten und Gläubigen offen und ehrlich benannt sind, ist es möglich, die jeweils verschiedenen Argumente zu untersuchen und abzuwägen, um am Ende eine Antwort auf die entscheidende Frage geben zu können: Ist es auch heute noch vernünftig, an die Erschaffung der Welt zu glauben? Kann man auch heute noch Glaube und Vernunft, Theologie und Naturwissenschaft als die beiden Flügel verstehen, die den menschlichen Geist zur einen Wahrheit emporheben?

1. Glaube und Naturwissenschaft

Was meinen Christen eigentlich, wenn sie von „Gott“ sprechen? Die zahllosen theologischen Abhandlungen, Aufsätze und Bücher zu diesem Thema machen zumindest eines klar: Es wird wohl nie eine einfache und einheitliche Antwort auf diese Frage geben. Die Theologen jedenfalls erkennen an Gott so viele Facetten, dass man das Wesen Gottes kaum in eine knappe Definition einpassen kann. Die Rede vom machtvollen Sieger und Retter der Welt hat genauso ihre Berechtigung wie der Blick auf den ohnmächtig leidenden Menschensohn am Kreuz. Der biblisch-christliche Gottesbegriff ist so vielschichtig, dass intensive theologische Reflexionen nicht nur denkbar, sondern auch notwendig sind. Andernfalls würde man sich womöglich allzu schnell mit einer einfachen und schlichten Rede von Gott zufriedengeben.

Es ist also nicht ganz unproblematisch, genauer zu bestimmen, was wir meinen, wenn wir „Gott“ sagen. Man kann sogar den Standpunkt vertreten, es sei gar nicht sinnvoll, genauere Aussagen über das Wesen Gottes zu machen. Weil Gott zu groß und zu anders ist, als dass wir ihn mit unseren menschlichen Begriffen auch nur halbwegs angemessen beschreiben könnten. Das Gegenteil einer lückenlosen Durchdringung des Wesens Gottes wäre es daher, gar keine Aussagen über Gott zu machen und schweigend vor dem unbegreifbaren Mysterium zu verharren.

Einen klassischen Mittelweg zwischen diesen beiden Extrempositionen bietet die so genannte Analogielehre, die schon im Jahre 1215 auf dem Vierten Laterankonzil gelehrt wurde. Die Konzilsväter stellten fest, man könne „zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf (…) keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“5 Demnach sind Gott und Mensch zwar sehr verschieden – aber immerhin gibt es eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf. Wenn man an diesen Punkt anknüpft, besteht die Möglichkeit, innerhalb bestimmter Grenzen Aussagen über das Wesen Gottes zu machen.

Der Glaube an den christlichen Gott ist von seinem Selbstverständnis her verstehbar und rational verantwortet, kann also mit Hilfe der Vernunft nachvollzogen und verstanden werden. Das soll nicht bedeuten, dass man den Glauben vollständig mit Hilfe der Vernunft durchdringen oder gar durch die Vernunft ersetzen kann. Die Inhalte des Glaubens erschließen sich dem Gläubigen in erster Linie nicht durch Forschung oder wissenschaftliches Denken, sondern durch göttliche Offenbarung – zum Beispiel in der Bibel oder der jahrtausendealten Glaubenstradition der Kirche – und durch das ganz persönliche Erleben der Gegenwart Gottes in der religiösen Erfahrung.

Die Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie ist es, diese Glaubensinhalte genauer zu bestimmen und zu reflektieren. In der christlichen Dogmatik und Fundamentaltheologie geht es daher um die innere Systematik der Glaubenswahrheiten – und um die Verbindung des Glaubens mit der Welt und dem Wissen unserer Zeit. Auf diese Weise kann der Glaube ganz traditionell zum Ausgangspunkt von Erkenntnis und Verstehen werden. Es ist daher erforderlich, die Inhalte des Glaubens vernünftig zu begründen und sich immer wieder mit den kritischen Anfragen auseinanderzusetzen, die von nichtreligiösen Denkern formuliert werden.

Eine solche Offenheit des Glaubens gegenüber den Prinzipien des Denkens und des Verstandes ist nichts Neues. Schon die großen Lehrer der Kirche wie Augustinus von Hippo, Anselm von Canterbury (1033–1109) oder Thomas von Aquin (1225–1274) haben ihre Theologie aus dieser Offenheit heraus entwickelt. Was zur Zeit der Kirchenväter galt, ist für uns heute umso bedeutsamer: Wer glaubt, sollte seinen Verstand nicht ausschalten, sondern seinen Glauben vor der eigenen Vernunft rechtfertigen.

Angesichts der Kritik, die dem Glauben in der Welt von heute begegnet, haben wir die Pflicht, so präzise wie möglich nachzufragen, wie die Inhalte des Glaubens aussehen, was wir über das Wesen Gottes sagen können und was diese göttlichen Wesenseigenschaften mit dem Entstehen und der Existenz unseres Universums zu tun haben.

In der Tat ist der Glaube nicht einfach nur vielschichtig und von persönlichen Meinungen abhängig. Es gibt eine gemeinsame und verbindliche Grundlage, die für alle Christen gilt, wenn sie von Gott reden: das Apostolische Glaubensbekenntnis. Ausgehend von diesem Glaubensbekenntnis, das die Christen über die Grenzen der Konfessionen hinweg miteinander verbindet, kann man in einer Weise von Gott sprechen, die man als theistische Rede von Gott bezeichnet. Die zentralen Inhalte dieses christlichen Theismus sollen im Folgenden genauer dargestellt werden und als Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen dienen.

Neben diesem Blick auf den Theismus ist es ebenso wichtig, die Methode und das Ziel des wissenschaftlichen Naturalismus genauer zu bestimmen – und dabei zu beachten, wo die Grenzen zwischen einem konsequent naturalistischen Verständnis und dem gängigen und allgemein anerkannten naturwissenschaftlichen Denken und Arbeiten gezogen werden müssen.

Das Verhältnis von Theismus, Naturwissenschaften und Naturalismus ist keine rein theoretische oder akademische Frage, sondern hat direkte und ganz praktische Konsequenzen für die Grundlagen und das Funktionieren unserer Gesellschaften. Zahlreiche Länder der Erde waren nicht nur in vergangenen Epochen, sondern auch heute noch kulturell und gesellschaftlich durch das Christentum geprägt. In vielen Teilen der Welt ist das Leben durch ein positives Miteinander von Staat und Religion gekennzeichnet. Auch in Deutschland ist die Religion keine Privatsache, sondern in vielen Bereichen mit der gesamten Gesellschaft verbunden, in der schulischen und universitären Bildung genauso wie in der Caritas, im Gesundheitswesen oder bei wichtigen ethischen Meinungsbildungsprozessen. Gerade im Hinblick auf diese öffentliche Bedeutung des Glaubens ist es wichtig, dass das Verhältnis von Glaube zu Vernunft und Wissenschaft auf einem soliden Fundament steht. Wo und wie dieses Fundament verankert werden kann, zeigt sich besonders auch in der Frage nach der Schöpfung und Entstehung der Welt.

1.1. Der christliche Theismus

Die Inhalte der religiösen Vorstellungen in den Traditionen und Kulturen der Erde könnten bunter und verschiedener kaum sein. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich schnell, dass die Unterschiede nicht nur eine Frage der Folklore oder der kulturellen Ausprägung, sondern sehr wohl auch substanzieller Natur sind. Es macht einen grundlegenden Unterschied, ob man einen liebenden oder einen menschenverachtenden Gott verehrt, ob man Jesus Christus für Gottes Sohn hält oder nicht, ob man an das Ewige Leben glaubt oder an einen Zyklus der Wiedergeburt, ob man an einen wirklich existierenden Gott glaubt, bei dem man Trost und Hoffnung finden kann, oder einen Zustand der völligen Ruhe anstrebt.

Eine Erfolg versprechende Diskussion mit dem wissenschaftlichen Naturalismus ist nur dann möglich, wenn der Ausgangspunkt der Überlegungen auf eine bestimmte religiöse Tradition beschränkt wird, in diesem Fall auf den christlichen Theismus. Der Begriff „Theismus“ (von griechisch theòs, Gott) soll hier in Anlehnung an Richard Swinburne bestimmt werden, den langjährigen Professor für Religionsphilosophie an der Universität Oxford. Swinburne bezeichnet den Theismus als die Überzeugung, dass Gott existiert. Die Behauptung, dass Gott existiert, versteht er logisch gleichbedeutend mit der Aussage, dass eine „Person“ existiert, der bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden können. Ganz allgemein sind Personen mit Bewusstsein und Erkenntnis ausgestattete Wesen, die über die Fähigkeit verfügen, ethisch verantwortlich zu handeln.6 Wenn man von Gott als Person spricht, so ist dies als analoge Rede zu verstehen. Einerseits ist Gott „wirklich und wesentlich von der Welt verschieden“, „unbegreiflich“ und damit im Letzten sogar „unaussprechlich“.7 Auf der anderen Seite glauben Christen jedoch, dass er über ganz bestimmte Wesenseigenschaften verfügt, nämlich allwissend, vollkommen gut und allmächtig ist. Die christliche Tradition geht außerdem davon aus, dass Gott ewig, unermesslich, unveränderlich und vollkommen frei ist.8

Schon aus dieser kurzen Aufzählung kann man schließen, dass sich die Bedeutung Gottes im Christentum nicht auf ein jenseitiges, ewiges Leben beschränkt. Eine Religion, die an einen allmächtigen, gütigen und freien Gott glaubt, ist auch davon überzeugt, dass dessen Handeln von grundlegender Bedeutung für die Welt ist, in der wir leben. Mit den Worten von Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI.:

„Christlicher Glaube hat es gar nicht bloß, wie man zunächst bei der Rede vom Glauben vermuten möchte, mit dem Ewigen zu tun, das als das ganz Andere völlig außerhalb der menschlichen Welt und der Zeit verbliebe; er hat es vielmehr mit dem Gott in der Geschichte zu tun.“9

Dieser Gott hat nach christlicher Überzeugung aus freiem Willen kraft seiner Allmacht den Kosmos geschaffen und handelt auch weiterhin an und in der Welt. Das Wirken Gottes ist demnach nicht auf eine transzendente und irgendwie verborgene Ebene beschränkt, die für den Menschen immer nur diffus und mysteriös bleiben müsste. Stattdessen hat Gott nach theistischer Überzeugung eine ganz unmittelbare Bedeutung für die Phänomene und Zusammenhänge in der Welt. Insofern hat der christliche Theismus den Anspruch, wichtige Aussagen und Erklärungen über die Entstehung und die Entwicklung des Universums zu machen.

Auch das Erste Vatikanische Konzil, das von Papst . (1846–1878) in den Jahren 1869 und 1870 in Rom einberufen und geleitet wurde, hat sich in der Konstitution „Dei Filius“ zu Fragen der Schöpfung und des Verhältnisses von Glaube und Vernunft geäußert: