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CORNELIUS MAYER
CHRISTOF MÜLLER
GUNTRAM FÖRSTER
HERAUSGEBER

Das Schöne in Theologie,
Philosophie und Musik

C A S S I C I A C U M

Forschungen über Augustinus und den Augustinerorden. Herausgegeben von der Bibliotheca Augustiniana – Forschungsbibliothek der Deutschen Augustiner

C A S S I C I A C U M

will theologische und philosophische Studien in der Augustinerfamilie fördern im Gedenken an die wissenschaftliche Tätigkeit Augustins zu Cassiciacum bei Mailand, wo er sich im Freundeskreis auf die Taufe vorbereitete.

Band 3910

R E S  E T  S I G N A

Augustinus-Studien

10

CORNELIUS MAYER
CHRISTOF MÜLLER
GUNTRAM FÖRSTER
HERAUSGEBER

Das Schöne
in Theologie,
Philosophie
und Musik

«redi ad pulchrum, ut ad pulchritudinem redeas» (Augustinus, sermo 177,9)

Beiträge des IX. Würzburger
Augustinus-Studientages
vom 16./17. Juni 2011

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 Augustinus bei echter, Würzburg
Umschlag | Peter Hellmund
Druck und Bindung | Lokay e. K., Reinheim

ISBN 978-3-429-04183-0
ISBN 978-3-429-04184-7 (PDF)
ISBN 978-3-429-04185-4 (ePub)

AUGUSTINI DIVI PATRIS FAUTORI PRINCIPI MAXIMOQUE ASSIDUO SECTATORIQUE LIBERALISSIMO NOBIS OMNIBUS MULTISQUE EXTRA SODALITATEM NOSTRAM ILLUSTRI FAMA OPINIONE OMNIUM PERNOTISSIMO DOMINO PRAENOBILI AC DOCTISSIMO

IOSEPHO ALEXANDRO BILL

(PROPRIE IOSIP SASCHAE CROATICAE LINGUAE VERNACULAE)

DUPLICITER VEL UTRIUSQUE MEDICINAE HONORIFICE PROMOTO, DEINDE EIUSDEM ARTIS ODONTOIATRICAE FACULTATE MUNEREQUE PRAEDITO, CUM MANU ERUDITA SECURI SUBTILIQUE MOLLIQUE VEL ARTIFICIO HABILISSIMO PERITISSIMOQUE EI CHIRURGO ODONTOIATRICO APTISSIMO MAGISQUE IDONEO GLORIAM ET LAUDEM SUMMAM ET HONORES SINGULARES ASSENTIUNT HOMINES AEGROTI ET PER TOTUM TERRARUM COLLEGAE EXTRANEI ATTRIBUUNT.

AMPLISSIMO VIRO OMNIUMQUE LAUDE CELEBRATISSIMO AUGUSTINUM PULCHRITUDINIS ELEGANTIARUMQUE VENUSTIQUE CULTOREM SEQUENTI LIBELLUM DE EIUSDEM AUCTORIS DOCTRINA DEDICARE, PRAESERTIM EIDEM SOCIETATIS NOSTRAE PRAESIDI VICARIO EX IMIS VISCERIBUS NOBIS FAS EST IURIQUE HONORI LAUDABILI PARTICIPIBUS SODALI
DECEM LUSTRA SOLEMNITER PERAGENTI
STUDIISQUE NOSTRIS PROVEHENDIS HAUD EXIGUAM QUOTANNIS PARTEM LUCRI LIBERALITATE PROFUNDENTI ANIMO GRATISSIMO OMNES MAGNOQUE PLAUSU GAUDENTES SODALES.

HERBIPOLI, A.D. X. KAL. IUL. A. MMXIII.

Inhalt

CORNELIUS MAYER

Vorwort

FRIEDHELM HOFMANN

Universale Schönheit in der Kunst bei Augustinus

WERNER BEIERWALTES

«Das Schöne ist der Glanz des Wahren»
Über klassische Paradigmen der Schönheit:
Plotin – Augustinus – Schelling

JOHANN KREUZER

‹Pulchritudo› – Über den Grund der Erfahrung des Schönen bei Augustinus

SILKE WULF

Gestaltung der ‹aequalitas numerosa› – Augustinus Über die Musik

ANJA HEILMANN

«amica est ... similitudo» (Boeth. mus. 1,1)
Musiktheorie und musikalische Ästhetik bei Boethius

CORNELIUS MAYER

Prinzipien der Ästhetik Augustins (Festvortrag vom 18. Juli 2007)

CORNELIUS MAYER

Delectatio (delectare) (= Augustinus-Lexikon 2, 267–285)

WOLFGANG HÜBNER

Musica (= Augustinus-Lexikon 4, 123–130)

Abkürzungsverzeichnisse

Stellenregister

Namenregister

Autoren- und Herausgeberverzeichnis

Vorwort

Augustinus war nicht nur Theologe, Philosoph, Psychologe, Pädagoge – dies sind Berufsfelder, die man mit seinem Namen gerne verbindet –, er war auch Künstler. Das lateinische Wort ‹ars› für Kunst wie das griechische τχνη bezeichnet nicht nur handwerkliches Können, sondern auch die schönen Künste, die bildenden Künste, die Wissenschaften. Augustin studierte bekanntlich Rhetorik, die Kunst der Rede, und nach seiner Ausbildung lehrte er an Hochschulen den kunstvollen Umgang mit der Sprache, ehe er in seinem dreißigsten Lebensjahr als Rhetor an den Kaiserhof nach Mailand berufen wurde.

In der Zeit, die er noch als Privatdozent in Karthago verbracht hatte, muss er sich aufs Intensivste auch mit der Ästhetik ganz allgemein beschäftigt haben. Seinen Bekenntnissen zufolge stellte er sich damals Fragen wie, ob wir ‹sonst etwas liebten als das Schöne› oder ‹was überhaupt schön und was Schönheit sei› (ib. 4,20). Solche Problemstellungen motivierten ihn zur Abfassung eines Werkes – seines ersten überhaupt –, dem er den Titel gab: De pulchro et apto – Über das Schöne und das Angemessene. Ob es zwei oder drei Bücher waren, wusste er zur Zeit, als er die Confessiones schrieb, nicht mehr, denn sie gingen verloren. Offensichtlich war ihm das Thema Ästhetik so wichtig, dass er noch in Mailand den Plan zu einer viele Bände umfassenden Enzyklopädie Über die sieben freien Künste fasste. Sich dieser Künste bedienend, sollte der Leser befähigt werden, «vom Körperlichen zum Unkörperlichen wie auf gesicherten Stufen aufzusteigen»1. Der Neubekehrte machte sich zwar mit Eifer daran, doch die Enzyklopädie blieb ein Torso. Außer den sechs Büchern Über die Musik sind nur noch Bruchstücke vorhanden. Sie lassen allerdings bereits die Prinzipien einer Ästhetik erkennen, deren rationaler Charakter nicht zu übersehen ist. In summa: Das Schöne gefällt deshalb, weil sein Schönsein einsichtig ist.

Diesen rationalen Charakter seiner Ästhetik verdankte Augustinus zweifelsohne weithin den Neuplatonikern. Mit deren Philosophie kam er noch vor seiner Bekehrung in Berührung, und zu ihr bekannte er sich von Ausnahmen abgesehen zeit seines Lebens. Einer der Kerngedanken jener Philosophie war die erwähnte Lehre vom ‹Aufstieg› über eine hierarchisch gestuft gedachte Ordnung alles Seienden zu deren Quelle. Ebenso übernahm Augustin von den Neuplatonikern die Unterscheidung und Scheidung alles Seienden zwischen einem Bereich des ‹Draußen› für alles Materielle und einem Bereich des ‹Drinnen› für alles Geistige. Das sinnlich wahrnehmbare Schöne an den Dingen in Raum und Zeit sei lediglich Abglanz einer raum- und zeitenthobenen Schönheit, die Augustin mit dem Dreieinigen Gott identifizierte. In seiner Schrift Über die wahre Religion steht der Satz, der diesen Sachverhalt illustriert: «Geh nicht nach außen, in dich selbst kehre zurück; im inneren Menschen wohnt die Wahrheit» (ib. 72). Der Satz ist bis in seine Diktion hinein neuplatonisch. Nicht anders verhält es sich mit dem Leitwort unseres Studientages: «redi ... ad pulchrum, ut ad pulchritudinem redeas – Kehre dich ... zum Schönen hin, damit du zur Schönheit zurückkehrst» (sermo 177,9).

Dieser Studientag war insofern bemerkenswert, als für seinen Auftakt ein eigener Abend im Toscana-Saal der Würzburger Residenz anberaumt wurde. Dr. Thomas Goppel, MdL und Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung, wies in seiner Begrüßung auf die Rolle hin, die das Schöne gegenwärtig in der Werbung, in den Medien, in der Welt der Mode und der Models spiele. Dabei werde das Schöne häufig zum Fetisch, besonders dann, wenn das Verständnis des Schönen an der Oberfläche bleibe. Nicht so beim Kirchenvater Augustinus, der in der Hinwendung zum Schönen den Zugang zur Tiefendimension auch der Wahrheit zu entdecken lehrte.

Referent des Abends war der über ein ästhetisches Thema promovierte Bischof von Würzburg Dr. Friedhelm Hofmann. Als Mitglied der Liturgiekommission bei der Deutschen Bischofskonferenz und Experte für das Schöne und dessen Verbindung mit dem Glauben und der Theologie der Kirche lautete das Thema seines Referates Universale Schönheit in der Kunst bei Augustinus. Sowohl anhand einiger Frühschriften wie auch der Confessiones legte er nicht nur die Prinzipien der Ästhetik des Kirchenvaters dar, er wies zugleich auf dessen didaktisches und pastorales Anliegen hin, wie wir mit unseren Sinnen das bedingte Schöne freudig aufnehmen und als Sinnbild für die unbedingte Schönheit des Schöpfers, des ‹deus artifex›, begreifen können.

Alle weiteren Referate fanden tags darauf im Burkardushaus der Diözese statt. Im Hinblick auf die dichte Verankerung der Ästhetik Augustins im Neuplatonismus war es uns ein Anliegen, Plotins Theorie des Schönen und der Kunst auf unserem Studientag behandelt zu wissen. Es gelang uns, dafür Werner Beierwaltes als Referenten zu gewinnen, der einige Wochen zuvor seinen 80. Geburtstag beging und dessen Bedeutung für die Geistesgeschichte des Christentums die Süddeutsche Zeitung mit einem Artikel von Arbogast Schmitt treffend so ins Licht hob: Werner Beierwaltes «gilt als der weltweit beste Platoniker der Gegenwart». Er, so der Artikel, konnte auch «überzeugende Antworten auf die Frage geben, wie das Christentum sich die Philosophie der Antike anverwandeln und die Grundlage einer bedeutenden europäischen Kultursymbiose finden konnte»2.

Es versteht sich, dass an einem Studientag über die Ästhetik Augustins Gott, Inbegriff der Schönheit – «pulchritudo pulchrorum omnium» (conf. 3,10) –, unbedingt zur Sprache kommen muss. Das Hauptreferat Über den Grund ästhetischer Erfahrung bei Augustinus übernahm freundlicherweise Johann Kreuzer aus Oldenburg, habilitiert mit der Arbeit Pulchritudo. Vom Erkennen Gottes bei Augustin. Bemerkungen zu den Büchern IX, X und XI der Confessiones. Darin geht es um die Erkenntnis dessen, von dem der Kirchenvater in seinen Confessiones klagend und doch rühmend zugleich bekennt: «sero te amaui, pulchritudo tam antiqua et tam noua, sero te amaui – Spät hab’ ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät hab ich dich geliebt» (ib. 10,38).

Augustinus unterscheidet nicht nur die rein rationale, die zeit- und raumenthobene ‹ars› von der in der Zeit und im Raum ausgeführten – also den Künsten, den ‹artes› im herkömmlichen Sinn –, er scheidet sie auch. Die konstitutiv aus Zahlen, Verhältnissen und Gesetzmäßigkeiten bestehenden Kunstgattungen haben Anteil an einer sie übersteigenden Rationalität. An keiner anderen der Künste legte er so häufig und so intensiv diese seine Auffassung von der Bedeutung der Ästhetik für einen auf die Transzendenz hin ausgerichteten Kunstgenuss dar als an der Musik. Deshalb haben wir dieser Kunstgattung diesmal, sowohl was die Theorie als auch die Praxis betrifft, gebührend Zeit und Platz in unserem Programm eingeräumt.

Zunächst hat Frau Dr. Silke Wulf über die musikalische Ästhetik Augustins und dessen Musiktheorie referiert. Frau Wulf kommt ebenfalls aus Oldenburg, wo sie mit der Dissertation Vom Hören der Wahrheit. Zeit und Musik in der Philosophie des Aurelius Augustinus promoviert wurde. Ihr Beitrag Gestaltung der ‹aequalitas numerosa› – Augustinus Über die Musik vermittelt diese Schrift als ein philosophisches Werk über die Gestaltung des Schönen. Sie zeigt auf, inwiefern antike Denkmodelle von dem spätantiken Kirchenvater in das eigene Denken aufgenommen und gedeutet werden.

Unsere Studientage tragen stets auch der außerordentlich hohen Wirkungsgeschichte Augustins Rechnung. Frau Dr. Anja Heilmann, ausgewiesene Kennerin der Musiktheorie des Boethius – sie wurde an der Universität Rostock mit der Arbeit Boethius’ Musiktheorie und das Quadrivium. Eine Einführung in den neuplatonischen Hintergrund von ‹De institutione musica› promoviert , lenkt den Blick auf die in der Musik wirkenden Zahlen, für die Boethius sich, wie Augustinus neuplatonischer Tradition folgend, besonders interessierte.

Schließlich wagten wir diesmal gerade im Hinblick auf die beiden Referate über die musikalische Ästhetik in der Spätantike ein Novum. Frau Dr. Gabriele Ziegler, Leiterin des Cassian-Projektes in Münsterschwarzach und gute Bekannte unseres Zentrums für Augustinus-Forschung, bot uns mit ihrem Ensemble für mittelalterliche Musik einige klangvolle Beispiele zur Wirkungsgeschichte der Ästhetik Augustins in der Musik des Mittelalters.

Nach den Referaten waren auch diesmal Zeiten zu Diskussion und Nachfragen vorgesehen, die PD Dr. Christof Müller, mein Nachfolger in der Leitung des Zentrums, wie immer souverän lenkte. Zu danken haben wir über die Referenten hinaus der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung, insbesondere aber der Fritz Thyssen Stiftung für die finanzielle Unterstützung dieses unseres bereits 9. Studientages.

Wie bereits in Band 8 der Reihe Res et Signa wurden auch in den vorliegenden Band einige weitere Beiträge aufgenommen, die das Rahmenthema des Studientags Das Schöne in Theologie, Philosophie und Musik unmittelbar berühren und detailliert behandeln: der Vortragstext Prinzipien der Ästhetik Augustins3 sowie die beiden dem Augustinus-Lexikon entnommenen Artikel: Delectatio (delectare)4 und Musica5. Die beiden Artikel verschaffen zugleich einen Überblick über die umfangreiche Bibliographie zum Thema ‹Ästhetik› bei Augustinus. Dem Schwabe-Verlag in Basel sei für die Abdruckgenehmigung herzlich gedankt.

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Lassen Sie mich nochmals in aller Kürze auf Augustinus zurückkommen. Ich sagte eingangs, er war Rhetor und als solcher Künstler. Dies blieb er auch als Seelsorger. In der ältesten Biographie über ihn – sie stammt aus der Feder seines Zeitgenossen und Mitbischofs Possidius – rühmt dieser den Gewinn, den Leser aus den Werken des Kirchenvaters immer noch ziehen könnten. Weit größer sei jedoch der Gewinn derer gewesen, die ihn persönlich im Gottesdienst sehen und ihn als Prediger hören konnten6. Er predigte in der Weise biblisch, dass er die Texte auf Christus und die Kirche hin auslegte. Weil aber in der Bibel – speziell in den Psalmen – die Lesenden immer wieder zum Gesang, ja sogar zum Griff nach Musikinstrumenten aufgefordert werden, geriet der predigende Bischof bei der Auslegung solcher Stellen geradezu ins Schwärmen. Der 150. Psalm, der letzte des Psalters, beginnt bekanntlich mit dem Vers: «Lobet Gott in seinen Heiligen, lobt ihn in seiner mächtigen Feste», und der Psalmist zählt daraufhin einige der Instrumente auf, mit denen Gott zu loben sei. Der Prediger Augustinus erklärt zunächst den musikalischen Charakter dieser Instrumente. Dann aber bezieht er sie metaphorisch auf die Gläubigen, denn sie selbst sollen «die Posaune» sein, «die Harfe, die Zither, die Pauke, das Saitenspiel, der Chor, die Flöte, die Zimbel, die alle gar herrlich klingen, weil sie zusammenklingen»7.

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Wie schon in früheren Veröffentlichungen der auf unseren Studientagen gehaltenen Referate widmet das Zentrum für Augustinus-Forschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg auch diesen Band einem seiner Mäzene, ohne deren finanzielle Unterstützungen es nicht leisten könnte, was zahlreiche Rezensionen über seine bisherigen Publikationen rühmend anerkennen. – Wie schon in früheren Bänden kleidete auch diesmal Dr. Karl Heinz Chelius, Redactor emeritus des Augustinus-Lexikons, den Text der Widmung in ein klassisches Latein.

Gewidmet ist der Band dem Privatdozenten Dr. med. Dr. med. dent. Josip S. Bill, Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V., für seine schon Jahre währenden finanziellen Hilfen zur Förderung unserer Projekte. Da Josip S. Bill, ein in Fachkreisen weltweit anerkannter Schönheitschirurg, im vergangenen Jahr 2012 seinen 50. Geburtstag feierte, betrachten wir im Nachhinein unsere ‹dedicatio› gerade im Blick auf die im Band 10 der Reihe ‹Res et Signa› erörterten subtilen Bezüge des Schönen in Raum und Zeit zu deren Quelle, dem raum- und zeitlos Schönen, als ideale Festgabe.

Cornelius Petrus Mayer OSA

1 Retr. 1,6.

2 Cf. A. SCHMITT, Der beste Platoniker. Dem Philosophen Werner Beierwaltes zum 80. Geburtstag: Süddeutsche Zeitung 7./8. Mai 2011, 15.

3 C. MAYER (Ed.), Ästhetik und Theologie. Dokumentation der Feier im Museum am Dom vom 18. Juli 2007, Würzburg 22009, 25–33.

4 C. MAYER, AL 2 (1996–2002) 267–285.

5 W. HÜBNER, AL 4 (2012sqq.) 123–130.

6 Cf. Possid. uita Aug. 31,9.

7 En. Ps. 150,8.

Friedhelm Hofmann

Universale Schönheit in der Kunst bei Augustinus

Die Diskussion über das Schöne in der zeitgenössischen Kunst reißt nicht ab. Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg, Auschwitz und Hiroshima – und heute kann man auch noch den 11. September und die Atomreaktorkatastrophe von Fukushima hinzufügen – wird die Berechtigung des Schönen in der Kunst angezweifelt. Bei manchen stößt diese Beschäftigung mit dem ästhetisch Schönen auf Argwohn oder gar Ablehnung, weil sie die Sorge umtreibt, dem schönen Schein aufzusitzen.

Der Schriftsteller Paulus Böhmer hat in seiner jüngsten Folge dreier Langgedichte «Am Meer. An Land. Bei mir» eine Ästhetik vorgestellt, die gleichsam als Plädoyer gegen das Schöne verstanden werden kann. Jan Röhnert schreibt dazu in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: «Es geht um biologische Determinanten unseres Daseins, mit denen sich vorherrschende Auffassungen vom Schönen schwertun: dass das Erhabene etwa im Fäkalischen seinen Widerpart hat, dass von unserem Willen unbeeinflussbare organische Vorgänge die Artikulation der Worte, die Arbeit der Ratio stets begleiten, dass die Tatsache des Lebens im Tod ihre Voraussetzung hat – und vice versa»1.

Der holländische Architekt des Leipziger ‹Paulinum›, Erick van Egeraat, möchte dagegen in seinem aktuellen Werk, das er als ‹Erinnerungsbau› verstanden wissen will, die Rekonstruktion der dreischiffigen gotischen Hallenkirche ‹entstofflichen›. «‹Ich will die Schönheit sozusagen übertreiben›, sagt er, und verweist auf die Pfeiler und Gewölbe aus weißem Gipsguss»2. Die Pfeiler werden nicht nur nach maschineller Herstellung handwerklich nachbearbeitet, sondern «lösen sich zum Boden hin in Glas auf, das mittels Dioden sphärisch strahlt»3. Böhmer und van Egeraat, der Schriftsteller und der Architekt, stehen mit ihren aktuellen Äußerungen für zwei diametral einander gegenüberstehende Positionen der heutigen Zeit.

Der Kunstkritiker Eduard Beaucamp beklagt, dass «(m)anche glauben, dass Fortschritt nur aus Erneuerung und materiellem Wachstum resultieren kann. Die Kunst beweist ihre tiefere Wahrheit auch dadurch, dass sie diese flache Anschauung widerlegt»4. Und er verweist darauf, dass «niemand ... heute mehr die spirituell-hermetische Ästhetik des Mittelalters als dunkle Vorstufe für eine taghelle, strahlende Renaissance betrachten oder die Kathedrale von Chartres dem Petersdom und Giotto Raffael unterordnen (würde)»5. Sein Schlussplädoyer lautet: «Wenn wir heute unter den Engpässen, ja der Selbstvergötzung und Selbstversklavung der Moderne leiden, sollten wir jedwedem Futurismus entsagen und uns nach Anknüpfungen in der Vergangenheit umsehen. Wie in den vielen Renaissancen der Kunstgeschichte verspricht wieder einmal nicht die Zukunft, sondern die Rückwendung und Erinnerung Durchbrüche und Erneuerungen. Wer öffnet uns diesen Blick?»6

Ein zeitgenössischer Künstler, Mitbegründer von Zero, Heinz Mack, orientiert sich gegen den Trend der Zeit am Schönen. Dabei basiert seine Einstellung nicht nur auf der Kenntnis der Philosophie Plotins, sondern auch auf der Akzeptanz der scholastischen Trias von ‹ens›, ‹bonum› und ‹pulchrum›. Darin enthalten ist die Austauschbarkeit des Wahren mit dem Guten und Schönen. Ein besonderer Kenner des Mack’schen Gesamtkunstwerkes, Heiner Stachelhaus, schreibt über die Intentionen des Künstlers: «Er findet es absurd, dass man die Frage nach der Schönheit mehr und mehr dem Geschmack der Mode, der Werbung und der Konsumwelt überlässt. ‹Warum ist der Begriff der Schönheit so korrumpierbar?›, fragt er. Das Schöne sei die Sphäre, in der sich die Engel zeigen. Das Schöne sei unaussprechbar, und das Unaussprechbare könne wohl einzig und allein in der Kunst zur Erscheinung gebracht werden, so Mack 1976. ‹Darum kenne ich keine Kunst, die schön ist, ohne auch wahr zu sein, und wahr ist, ohne schön zu sein›. Im Zusammenhang damit nannte er das Ästhetische als solches ‹eine leere Oberfläche›, auf der keine Entscheidung stattfinde, keine Idee sichtbar werde»7.

Weitere zeitgenössische Künstler ließen sich in ihrer Suche nach dem Schönen – ich denke dabei etwa an Gerhard Richter – aufführen. Niemand konnte ihn davon abbringen, auch immer wieder reine Schönheit zu vermitteln. «Ich hatte Lust, etwas Schönes zu malen»8, hatte er einmal lapidar und provokant zugleich formuliert. Seine Landschaftsbilder, die teilweise von fast bestürzender Schönheit sind, gründen in einem sehr intimen, privaten Gefühlskosmos, in dem seelische Befindlichkeiten voll gestischer Klarheit und Größe aufscheinen9.

Stellen wir uns aber dem Thema dieses Referates. Wie sieht Augustinus die universale Schönheit in der Kunst?

2007 hat Professor Cornelius Mayer in einem Vortrag die Prinzipien der Ästhetik Augustins herausgearbeitet. Er verwies darauf, dass Augustinus wahrscheinlich noch während seines Mailänder Aufenthaltes Schriften Plotins gelesen habe, in denen jener über das Schöne berichtet habe. Gerade in dessen Unterscheidung des Schönen im Bereich des Sinnlichen (das vergehe) und im Bereich des Geistigen (das bleibe) sei die Grundstruktur des Seins abzulesen10.

Während Augustinus den Gedanken des Ordnungsgesetzes, das in dem Universum ablesbar sei, ausführt, betont er zugleich, dass der Mensch vom Sinnlichen zum Geistigen, von der Vielfalt der Eindrücke zur Konzentration auf den einen Geist kommen müsse, um die Schönheit des Universums ermessen zu können11. Augustinus bringt in seiner Schrift De ordine (Die Ordnung) den Vergleich mit dem Mosaikfußboden, auf dem der stehende Mensch nur ein kleines Segment überblickt und den Künstler «wegen der Einteilung und Anordnung seines Werkes tadel(t), weil er in der Vielfalt jenes kleinen Feldes nur Unordnung und Unruhe entdecken wird, den ganzen Plan jedoch nicht übersehen kann, der aus den verschiedenen Steinchen ein passendes Ganzes von einer einzigen bewundernswerten Schönheit schuf»12. Und wenig später erklärt er: «Kommt erst der Geist so zu sich selbst, dann versteht er, worin die Schönheit des Universums liegt, das wahrhaftig seinen Namen von unus, dem Einen, hat»13. Die hier gemachte Voraussetzung, dass die vollkommene Einheit nur im Bereich der Transzendenz Gottes zu finden ist, ließ Augustinus nach seiner Bekehrung Gott als Künstler verstehen, der sozusagen als ‹deus artifex› des Kosmos von den Christen angesehen wurde. Cornelius Mayer: «(Die Christen) betrachteten das von ihm erschaffene Universum als Muster allen künstlerischen Schaffens. ‹Gott ist in der Weise Künstler im Großen, dass er im Kleinen nicht klein ist›, schreibt Augustinus in einem seiner Kommentare zum Schöpfungsbericht in der Bibel»14.

Augustins Grundthese lautet – und ich zitiere hier Jörg Trelenberg –: «Wer dieses göttliche ‹Eine› schaut, wird ... den Überblick über das Ganze erhalten»15. Augustinus leugnet dabei nicht das Übel, das Hässliche in der Welt. In der Nacht, die er manchmal schlaflos verbrachte, führte er ein Gespräch mit Trygetius und Licentius über das Böse in der Ordnung Gottes. Dabei zitierte er im Ringen um die Einordnung des Bösen in der Schöpfung den Licentius: «Scheint dir dadurch die Ordnung der Dinge geringer, weil Gott das Gute liebt und das Böse nicht? Das Böse, das Gott nicht liebt, liegt keineswegs außerhalb jener Ordnung, die Er liebt, denn Er liebt sie ja gerade dadurch, dass Er das Gute liebt und das Böse nicht: darin zeigt sich die ganz große Ordnung und göttliche Einrichtung. Mit der Unterscheidung von Gut und Böse, die das Wesen jener Ordnung und Einrichtung ist, steht und fällt das Gleichgewicht der Welt, und deshalb kommt dem Bösen seine Notwendigkeit zu. So wie sich in gewisser Weise auch für uns erst aus Antithesen eine bekömmliche Rede aufbaut, formt sich die Schönheit aller Dinge aus dem Zusammentreffen solcher Gegensätze»16.

Im Blick auf die Dichtkunst sagte Augustinus: «Wenn man es ... versteht, in eine gut gebaute Rede auch einmal ein wenig Nachlässigkeit und Ungeglättetes einzufügen, wird sie dadurch nur an Glanz gewinnen. Steht so etwas allein, so wirst du es als zu billig verschmähen; fehlt es aber, dann ragt die Schönheit nicht hervor, es fehlt ihr gleichsam das Gebiet, um darin zu herrschen, ihr eigenes Licht steht ihr im Wege und entstellt das Ganze»17.

Hier geht es – wie Jörg Trelenberg ausdrücklich festhält – Augustinus «um das kosmologische, nicht um das moralische Übel»18. In der Vielfalt des Seins gilt es für Augustinus die Ordnung des Ganzen zu sehen und nicht die Unordnung im Einzelnen. Die Schönheit des Alls ist darin begründet, dass alles Geschaffene seinen genuinen Ort hat und letztlich von Gott her und auf Gott hin ausgerichtet ist. Über die erfahrbare sichtbare Schönheit gilt es die unsichtbare Schönheit Gottes zu suchen.

In seinen Confessiones äußert sich der heilige Augustinus ebenfalls zur Schönheit – und wiederum im Blick auf die Gottesfrage. Im zehnten Buch bezeichnet er in einem vehementen Bekenntnis Gott als ‹Du Schönheit›. Wörtlich schreibt er: «Spät habe ich Dich geliebt, Du Schönheit, ewig alt und ewig neu, spät habe ich Dich geliebt. Und siehe, Du warst innen und ich war draußen, und da suchte ich nach Dir, und auf das Schöngestalte, das Du geschaffen, warf ich mich, selber eine Mißgestalt»19. Er verweist auf den geschaffenen Himmel und die Erde, die wir sehen können, und führt aus: «ob man dies verstehe nur vom stofflichen Teil der Schöpfung mit ihrem Oben und Unten, oder von der gesamten Schöpfung geistig und stofflich, und als Prächtigung dieser Teile (‹atque in ornatu harum partium›), aus denen also das Ganze ... der Schöpfung besteht, sehen wir das ‹Licht›, erschaffen und von der ‹Finsternis› geschieden. ... Wir sehen die Schönheit der ‹gesammelten Wasser› in den weiten Flächen des ‹Meeres›, und sehen das ‹trockene Land›, hier das kahle, dort das zu schaubarer Ordnung geformte, gebildet zum Mutterboden für Kräuter und Bäume»20. Man glaubt, den Sonnengesang des heiligen Franziskus zu erspüren, so poetisch, dicht und Gott lobpreisend sprudeln die Sätze aus Augustinus heraus. Die Schöpfung sieht er in ihrer Bestimmung begründet, Gott zu loben, damit auch die Menschen Gott lieben. Er unterscheidet die Erschaffung der Welt aus dem Nichts und der kunstvollen Gestaltung der ungeformten Materie. Er sieht im Geschaffenen eine «bildliche Bedeutung»21. So erkennt er Gottes verborgene Absicht in der Schöpfung erst durch die Erlösung vollendet: «Und wir sahen, dass jedes für sich ‹gut› und ‹alles› in seiner Gesamtheit ‹sehr gut› ist, sahen in Deinem Wort, in Deinem Eingeborenen, ‹Himmel und Erde›, Haupt und Leib der Kirche in ihrer Vorherbestimmung vor allen Zeiten, ohne Morgen und Abend. ... Und hast weiters auch die ‹Leuchten am Firmament› entzündet, Deine Heiligen, die das Wort des Lebens besitzen und durch des Geistes Gaben mit erhabenem Ansehen voranleuchten»22. Augustinus sieht den Menschen aufgefordert, in der Ordnung des Geschaffenen die Welt des Geistigen zu erkennen. Das Suchen und Finden der Wahrheit bedeutet aber zugleich auch das Suchen und Finden der Schönheit. Da aber die herrliche Ordnung der Dinge vergehen wird, «wenn ihr Maß und Ziel erfüllt ist»23, ersehnt Augustinus die Vollendung am «siebenten Tag ohne Abend, (der) geweiht ist zu ewiger Dauer»24. «Auch dann wirst Du es sein», schreibt er weiter, «der ruht in uns, so wie Du heute wirkest in uns, und jene Ruhe wird sein Dein Ruhen durch uns, so wie die Werke der Zeit sind Dein Wirken durch uns. ... So also steht es. Die Dinge, die Du gemacht hast, sehen wir, weil sie sind; sie sind aber, weil Du sie siehst. Und wir – wir sehen außen, dass sie sind, und sehen innen, dass sie gut sind: Du aber hast ebengleich mit ihrem Werdensollen ihr Gewordensein gesehen»25.

Für Augustinus ist der Erbauer der Welt (‹artifex mundi›) zugleich auch der Erlöser (‹redemptor›) und Vollender (‹ad finem perducere›), der über die erfassbare Schönheit in der geschaffenen Welt den erlösten Menschen zu sich, dem Urheber der Schönheit, geleitet.

In seinem Werk De uera religione (Über die wahre Religion) reflektiert er die Vergänglichkeit des Lebens, die aber doch in der Aufeinanderfolge «von zeitlichen Formen die eine Schönheit hervorbringt»26. Erst wenn «die Seele durch Gottes Gnade wiedergeboren ist,» – so folgert er weiter – «ihre Unversehrtheit zurückerlangt und sich dem allein unterworfen hat, der sie schuf, wenn auch ihr Leib zur ursprünglichen Dauer erneuert ist und sie angefangen hat, statt von der Welt besessen zu werden, die Welt zu besitzen, dann wird es für sie kein Übel mehr geben»27. Mit dem Blick auf den neuen Himmel und die neue Erde sieht er erst die Schönheit der Schöpfung in der Neuschöpfung vollendet.

In der Reflexion über «das unwandelbare Gesetz der Gleichheit, Einheit und Wahrheit»28 kommt er zur Einsicht, dass «die wahre Gleichheit und Ähnlichkeit, vollends die wahre und ursprüngliche Einheit, nicht mit fleischlichen Augen noch mit irgendeinem anderen Sinne, sondern allein mit dem Geist erkannt werden und geschaut werden (kann)»29. Er folgert weiter: «Während nun alles sinnlich Schöne im Bereich der Natur und Kunst, seien es Körper, sei es körperliche Bewegung, räumlich und zeitlich schön ist, gilt von jener Gleichheit und Einheit, die nur geistig erkannt und nach welcher unter Vermittlung der Sinne über die körperliche Schönheit geurteilt wird, dass sie weder räumlich aufgebläht noch zeitlich unbeständig ist»30. Eingehend lässt sich Augustinus darüber aus, «wo Schönheit und Wahrheit zu finden sind»31. Er setzt bei der Erinnerung an die ursprüngliche Schönheit an, die es im Menschen gibt und die sich in allen Abstufungen von Schönheit in der eigenen Lebenswirklichkeit finden lasse. Dann aber hebt er darauf ab, dass «das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen (Joh 1,9) ..., nicht mit unseren leiblichen Augen gesehen werden (kann)»32. Die Suche nach der Wahrheit ist zugleich die Suche nach der Schönheit. Wenn auch die leibliche Schönheit vergänglich ist, so weist sie doch Spuren der unvergänglichen Schönheit Gottes auf. Er fordert uns auf, die Schönheit des Weltalls wahrzunehmen, «so dass uns auch das, was als Teilstück abstößt, aufs beste gefällt, wenn wir es im Zusammenhang des Ganzen betrachten»33.

Hier schließt sich der Kreis. Ausgehend von den platonisch-philosophischen Gedanken, die sich in der christlichen Heilsgeschichte auf den einen Gott ausrichten, der das Wahre, Gute und Schöne ist und hervorbringt, finden die äußerlich wahrnehmbaren Teilaspekte des Schönen in der unanschaulichen einzigen ewigen Schönheit Gottes ihr Ziel. Dies erkennen wir aber erst nach unserer Vollendung, wenn wir – um es biblisch auszudrücken – «vom Glauben zum Schauen» (cf. 2 Cor 5,7) gekommen sind.

Jetzt aber gilt für unsere irdische Pilgerschaft, dass wir in den verschiedenen Künsten Teilaspekten des Schönen begegnen. So nimmt Augustinus ausdrücklich auf die Literatur und die Musik Bezug, die davon bestimmt sind, dass «sich die Vernunft zur seligsten Schau der eigentlichen göttlichen Dinge emporschwingen»34 wollte. «Sie begehrte nämlich nach der Schönheit, die sie allein und von den Augen unabhängig erfassen konnte»35. Und zur Musik, der er sechs Bücher gewidmet hatte, merkte er in der Schrift De ordine an: «Auf dem letzten Gebiet, der Musik, erkannte die Vernunft sowohl in den Rhythmen als auch in der Gestaltung selbst die Herrschaft und uneingeschränkte Arbeit der Zahlen. Sie untersuchte sorgsamst ihre Art und ermittelte unter ihnen göttliche und ewige, mit deren Hilfe sie selbst ja alles Bisherige zustande gebracht hatte»36.

Augustinus sieht in der Verkörperlichung des Geistes allerdings auch die Gefahr der Verfälschung, «denn nur was der Geist betrachtet», folgert er weiter, «ist gegenwärtig und erweist sich als unsterblich ... Der Ton aber verweht, weil er ein sinnlich Wahrnehmbares ist, in der vergänglichen Zeit und prägt sich nur der Erinnerung ein»37. Die Vernunft betrachte über die Augen Erde und Himmel und «fühlte ..., daß ihr nur die Schönheit gefiel, und in der Schönheit die Formen, in den Formen die Maße und in den Maßen die Zahlen. Und sie prüfte in sich selbst, ob es Linien und Rundungen, Gestalten und Formen gab, die dem entsprachen, was der Geist in sich barg»38. Diese Gedanken fanden im Mittelalter – etwa beim Bau der großen gotischen Kathedralen – in der Anwendung der Geometrie ihren sichtbaren Ausdruck. Die nach Zahl, Maß und Gewicht geordneten Bauten ließen den Urheber aller Gesetzmäßigkeiten sinnenfällig erleben und erreichen ja auch heute noch die staunenden Besucher. Diese Sicht Augustinus’ hat aber auch heute noch für zeitgenössische selbstreflektierende Künstler Gewicht. Wenn es um die Bedeutung des Schönen in der zeitgenössischen Kunst geht, wird aus dem diese Geschöpflichkeit übersteigenden kreativen Schaffen die Frage nach dem Transzendenten, nach dem Mehr eines Kunstwerkes, unausweichlich. Der 1999 verstorbene Musikwissenschaftler Heinrich Eggebrecht bekannte im Blick auf das große musikalische Werk von Johann Sebastian Bach, in dem ein kaum auszulotender mystischer Zahlen- und Farbklang bis in die einzelnen Takte der Komposition hinein Leib gewinnt: «Je mehr ich wissen wollte und das Wissen auch anderen zu vermitteln suchte, desto deutlicher erkannte ich, daß bei aller Wissenschaft ein Rest bleibt, den das Wissen nicht erreichen kann. Und je älter ich wurde, desto größer wurde dieser Rest und desto klarer wurde mir, dass in ihm, in diesem nicht erreichbaren, die Hauptsache gelegen ist, das Wichtigste und Wesentliche»39.

Augustinus’ Gedanken zur Schönheit gewinnen über das bisher Gesagte hinaus im Bereich der Liturgie, wo es um Mystik, um die Berührbarkeit Gottes, geht, besonders aktuelle Bedeutung. Papst Benedikt XVI. äußerte sich als Joseph Kardinal Ratzinger eingehend zum Verhältnis von Kunst und Liturgie40. Wie Augustinus vertritt er den Standpunkt: «Gott ist in seinem geschichtlichen Handeln in unsere Sinnenwelt hereingetreten, damit sie durchsichtig werde auf ihn hin. Die Bilder des Schönen, in denen sich das Geheimnis des unsichtbaren Gottes versichtbart, gehören zum christlichen Kult»41.