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Petra Lillmeier
Die Katholische Grundschule NRW
Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand

Studien
zur Theologie und Praxis
der Seelsorge

95

Herausgegeben von
Erich Garhammer und Hans Hobelsberger
in Verbindung mit
Martina Blasberg-Kuhnke und Johann Pock

Petra Lillmeier

Die Katholische Grundschule NRW Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand

Ein grundschultheoretischer Diskurs

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2015 Echter Verlag GmbH, Würzburg

978-3-429-04832-7 (PDF)

978-3-429-06249-1 (ePub)

Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?

(Ex 17,7)

Als ich 2002 zur Schulleiterin einer Katholischen Grundschule bestellt wurde, fragte man mich bei meiner Vorstellung im Rat der Stadt, ob ich auch dann bereit sei diese Schule zu leiten, würde sie in eine Gemeinschaftsgrundschule umgewandelt.

Der dieser Frage zugrundeliegende Sachverhalt, dass nämlich das Bundesland Nordrhein-Westfalen öffentliche Grundschulen als Gemeinschafts- und Bekenntnisgrundschulen bereithält, beschäftigt mich grundschultheoretisch und –praktisch bereits über viele Jahre: als Grundschullehrerin, als langjährige Schulleiterin und seit 2013 als Dozentin für Grundschulpädagogik und -didaktik am Institut für Lehrerfortbildung in Nordrhein-Westfalen.

Was kann, darf und muss, im Kontext der Zeichen der Zeit und ihrer Menschen, erwartet werden von einer Schulart, die als „Katholische Grundschule in öffentlicher Trägerschaft“ konstituiert ist?

Die hier vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 2015 im Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück als interdisziplinär angelegte Dissertation unter dem Titel „Die Katholische Grundschule in Nordrhein-Westfalen. Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand. Ein grundschultheoretischer Diskurs.“ angenommen.

Ich bin mir sehr bewusst, dass ein solches Werk ohne Unterstützung nicht geschrieben werden kann; schon gar nicht berufsbegleitend. Daher danke ich an dieser Stelle allen, die mich durch ihre je eigene Art und Weise bei meiner Arbeit an dieser Dissertation unterstützt haben:

Meine Doktormutter, Frau Professorin Dr. Martina Blasberg-Kuhnke, gab mir in anregenden Diskussionen, aus ihrem großen religionspädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Wissensfundus wichtige Impulse und Hinweise. Ihre wertvollen Anregungen waren mir immer wieder Hilfe und Ansporn.

Mein besonderer Dank gilt ferner Frau Dr. Dorothea Steinebach: ihrem aufrichtigen Interesse und geduldigen Zuhören, ihren stets dezenten, unaufdringlichen Hinweisen und ihrer konstruktiven Kritik verdanke ich so manche Klärung eines Gedankenganges, Stärkung und Durchhalten.

Für die Mühen der Korrekturarbeit richtet sich meine Anerkennung und Verbundenheit an „meine Grundschulfraktion“: meinen eigenen Grundschullehrern Herrn Grundschulrektor a.D. Winfried Schulte und Frau Barbara Kynast sowie meiner Kollegin und Freundin im Grundschullehramt Frau Karin Holtermann.

Den Herausgebern der Reihe „Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge“ im Verlag Echter, insbesondere Frau Professorin Dr. Martina Blasberg-Kuhnke und Herrn Professor Dr. Erich Garhammer, danke ich für die freundliche Aufnahme in diese Reihe.

Widmen möchte ich diese Arbeit meinem Vater, der die Beendigung dieser Arbeit auf seinem irdischen Weg leider nicht mehr erleben konnte. Seinem aus dem Bildungshunger der Nachkriegszeit gespeisten christlich-katholischen, kritischen und freiheitsorientierten Denken und Handeln verdanke ich viel!

Verl, im Juni 2015

Petra Lillmeier

Inhaltsverzeichnis

1Einleitung

1.1Die Katholische Grundschule Nordrhein-Westfalen

1.2Fokussierung der Fragestellung

1.3Methodischer Zugriff und Forschungsstand

1.4Aufbau der Studie

TEIL IRekonstruktion

2Historische Wurzeln

2.1Die Grundschule der Weimarer Verfassung

2.2Der Klerus zur Schulfrage der Weimarer Republik

2.2.1Denkschrift der katholischen Bischöfe von 1920

2.2.2Hirtenworte der deutschen Bischöfe zur Schulfrage

2.2.3Papst Pius XI.: Divini illius magistri

2.3„As in the Weimar Republic“: Die Grundschule nach 1945

2.3.1Die deutschen Bischöfe 1945

2.3.2Aufruf zur Abstimmung über die Konfessionsschule

2.3.3Der nordrhein-westfälische Episkopat zur Landesverfassung

2.4Die Grundschule in NRW als eigenständige Schulform

2.4.1Katholische Bekenntnisschule in Fachartikeln seit 1970

2.4.2Wilhelm Wittenbruch: „Inneneinsichten“

2.5Erkenntnisse

TEIL IIDeskription

3Rechtliche Grundlagen

3.1Staatliches Recht:
Die Katholische Grundschule als öffentliche Schule

3.1.1Aufnahme von Schülerinnen in die Grundschule

3.1.2Der Staat als Träger einer Katholischen Grundschule

3.1.3Elternrechte

3.1.4Kinderrechte

3.1.5Lehrerinnen an einer Katholischen Grundschule

3.1.6Schulleiterin an einer Katholischen Grundschule

3.2Die Katholische Grundschule im Kirchenrecht

3.2.1Die Katholische Schule im Codex Iuris Canonici

3.2.2Die Katholische Grundschule im Diözesangesetz

3.3Zusammenschau

4Standortbestimmung

4.1Institutionelle Verortung der Katholischen Grundschule

4.1.1Grundschule in Gesellschaft

4.1.2Grundschule im Selbstbild der katholischen Kirche

4.1.2.1Ecclesia ad intra: Lumen Gentium (LG)

4.1.2.2Ecclesia ad extra: Gaudium et Spes (GS)

4.1.2.3Grundsätze des Bekenntnisses

4.2Funktion und Auftrag der Grundschule

4.2.1Aktuelle Richtlinien der Grundschule in NRW

4.2.1.1Grundlegende Bildung

4.2.1.2Erziehender Unterricht

4.2.2Religiöse Erziehung und Bildung

4.2.2.1„Gravissimum educationis“

4.2.2.2„Die Katholische Schule“

4.2.2.3„Qualitätskriterien für Katholische Schule 2009“

4.2.3Pädagogische und religionspädagogische Richtungsanzeigen

4.3Schulische Akteure

4.3.1Person, Subjekt, Identität

4.3.2Das Kind

4.3.3Die Lehrerin

4.3.4Die Eltern

Teil IIIPerformation

5Die KGS als Entwicklungsmodell

5.1Religiöse – Christliche – Katholische Grundschule?

5.2Schulkultur

5.3Unterrichtskultur

5.4Leistungskultur

5.5Begegnungskultur

5.5.1Verantwortung

5.5.2Mitgefühl – Compassion

5.5.3Verständnis

5.5.3.1Information

5.5.3.2Sozialklima

5.6Katholische Grundschule entwickeln

5.6.1Vision – Mission – Ziele

5.6.2Herausforderungen

5.6.2.1Herausforderungen auf der Makroebene

5.6.2.2Herausforderungen auf der Mesoebene

5.6.2.3Herausforderungen auf der Mikroebene

6Schlussbetrachtung

7Literatur

7.1Rechtsquellen

7.2Sekundärliteratur

7.3Internetquellen

1 Einleitung

Die Frage nach der Rolle und Bedeutung von „Religion“ im öffentlichen Raum von Schule wird auf dem Hintergrund einer religiös heterogenen „postmodernen“ Gesellschaft diskursiv diskutiert und dabei zumeist auf den grundgesetzlich verankerten konfessionellen Religionsunterricht fokussiert. So wird beispielsweise grundsätzlich gefragt, ob ein konfessioneller Religionsunterricht unter den Bedingungen einer sogenannten Postmoderne überhaupt noch angezeigt, eine kooperativ-konfessionelle oder eine interreligiöse Ausrichtung nicht eher angesagt ist oder ob nicht ein allgemeiner Ethikunterricht eine zeitgemäßere Alternative darstellt.1

Eine solche Fokussierung der „Gretchenfrage“ auf den schulischen Religionsunterricht verkürzt Religion allerdings auf Unterricht und verstellt den Blick für die Frage nach Religion im gesamten allgemeinen, öffentlichen Raum von Schule.

In Eingrenzung dieser weiten Fragerichtung auf die Schulstufe der Grundschule, die ja die Eingangsstufe in das staatliche schulische Bildungs- und Erziehungswesen darstellt und die sich aufgrund ihrer „exponierten Anfangsstellung mit den wohl meisten Zusatzbedingungen und -erwartungen auseinandersetzen“2 muss, stellt sich dann die Frage: Welche Rolle spielen eine religiöse Erziehung und Bildung von Kindern innerhalb einer öffentlichen Grundschule, deren Auftrag und Ziel3 in einer umfassenden grundlegenden Bildung und Erziehung bestehen?

In Anlehnung an die Ausführungen von Jürgen Baumert4, dem ehemaligen Leiter des deutschen PISA-Konsortiums, ist davon auszugehen, dass es neben einem kognitiven, ästhetischen und normativen auch einen religiösen Zugang zur Welt gibt und dass ferner diese vier Zugänge in Verschränkung mit kulturellen „Basiswerkzeugen“ (sprachliche Kompetenz, mathematische Kompetenz etc.) insgesamt die Grundlage einer umfassenden Bildung darstellen. Daraus ergeben sich zwangsläufig Fragen nach Grundlagen und Gestaltungsperspektiven von Bildungs- und Erziehungsprozessen unter Einbeziehung religiösen Lernens in der Grundschule.

Im Rahmen dieser Überlegungen stößt man auf eine Schulart Grundschule, wie sie schulgeschichtlich in diesem Format ausschließlich in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen erhalten geblieben ist: die staatliche Grundschule im Typus einer Bekenntnisgrundschule oder, wie es im Titel heißt: eine öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand. Ihr Spezifikum auszumachen erweist sich bei näherer Betrachtung allerdings als schwierig, ist gleichwohl aber – nicht zuletzt im Blick auf die politische Entwicklung der Existenz dieser Grundschulart – in verschiedener Hinsicht dringend zu klären.

1.1Die Katholische5 Grundschule Nordrhein-Westfalen

Eine Präzisierung und Begründung erfährt das Forschungsinteresse im Sinne einer wissenschaftlichen Annäherung zunächst durch einen Blick auf die strukturelle Organisation des Schulwesens in Deutschland:

Das gesamte Schulsystem steht gemäß § 7 der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland unter der Aufsicht des Staates. Es ist föderaler Natur, so dass die Kulturhoheit in der Verantwortung des jeweiligen Bundeslandes liegt. Das gesamte Schulsystem ist nach Schulstufen aufgebaut.

Die Schulform Grundschule6 innerhalb der Schulstufe der Primarstufe, auf die sich diese Untersuchung konzentriert, realisiert sich gemäß der nordrhein-westfälischen Landesverfassung in drei verschiedenen und voneinander zu unterscheidenden Schularten, nämlich der Gemeinschaftsgrundschule, der Bekenntnisgrundschule oder der Weltanschauungsschule.7 Bekenntnisgrundschulen sind gemäß Artikel 12 der Landesverfassung „Evangelische oder Katholische Grundschulen“8.

Grundsätzlich ist auf der Grundlage der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland (Art. 7,4) zwischen öffentlichen und privaten Schulen zu unterscheiden. So ist beispielsweise die Katholische Grundschule NRW als öffentliche, staatliche Grundschule keine Privatgrundschule, oder, wertneutraler formuliert, sie ist keine Grundschule in freier Trägerschaft der Katholischen Kirche. Bekenntnisschulen sind also öffentliche Schulen in staatlicher Trägerschaft, deren Auftrag darin besteht, Unterricht und Erziehung im Rahmen der staatlichen Vorgaben nach den Grundsätzen des entsprechenden Bekenntnisses zu planen, durchzuführen und zu reflektieren.9

Als eine Schulart innerhalb der Schulform Grundschule ist sie landesverfassungs- und schulrechtlich10 von der Gemeinschaftsgrundschule zu unterscheiden, in der Schülerinnen und Schüler „auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen“11 unterrichtet werden. Im Unterschied dazu realisieren sich in der Bekenntnisgrundschule Unterricht und Erziehung nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses.12 In Nordrhein-Westfalen ist damit schulhistorisch eine Schulart erhalten geblieben, die in allen anderen Bundesländern, mit Ausnahme von Niedersachsen, in dieser Form abgeschafft wurde.

Gegenstand dieser Untersuchung ist die Bekenntnisgrundschule in NRW in ihrer katholischen Ausprägung. Unter den Bekenntnisgrundschulen in NRW insgesamt stellen sie den zahlenmäßig größten Anteil dar: So waren nach der amtlichen Schulstatistik des Landes NRW im Schuljahr 2011/1213 von den insgesamt 2978 staatlichen Grundschulen mit ihren 632 545 Schülerinnen und Schülern 914 Grundschulen Katholische Grundschulen mit 190 372 Schülerinnen und Schülern.

Innerhalb der nordrhein-westfälischen Grundschullandschaft realisiert sich die KGS regional unterschiedlich: In manchen Fällen bildet sie die einzige Grundschule innerhalb einer Kommune oder eines Stadtteils, die faktisch von mehr oder weniger allen Kindern des Ortes/Ortsteils und nicht – wie zu vermuten wäre – ausschließlich von den katholischen Schülerinnen und Schülern besucht wird. In anderen Fällen ist die KGS in regionaler Nähe zu einer Gemeinschaftsgrundschule verortet. Dann stellt sie mit Blick auf eine regionale Nähe zum Wohnort des Kindes eine Angebotsschule dar, ein Alternativangebot. Dieses grundsätzliche Nebeneinander (Alleinstellung und Koexistenz) der beiden Schularten führt nicht selten zu Problemen: In einigen Kommunen, die eine Katholische Grundschule als Angebotsschule vorhalten, führt der konfessionelle Zuschnitt zu einer „Milieuverengung“ innerhalb der Schüler- und Elternschaft der jeweiligen Schulart (GGS/KGS). Für den Schulträger, also eine Stadt oder eine Gemeinde, ergeben sich aus dem Nebeneinander der beiden Schularten Zuweisungsprobleme in der Festlegung der Zügigkeiten einer Schule und in der Steuerung der Schülerströme. Wenn nun, auch und gerade angesichts in der Regel offener Schulbezirksgrenzen,14 die Katholische Grundschule eine verfassungsrechtlich garantierte Alternative zur Gemeinschaftsgrundschule darstellt, muss die berechtigte Frage Antwort finden, was denn im Unterschied zur GGS das Spezifische an ihr ist, worin also ihr Proprium besteht. Ist sie die einzige Grundschule vor Ort und wird daher von mehr oder weniger allen Grundschülerinnen und -schülern des Ortes bzw. des Ortsteils besucht, stellt sich die Frage ihrer Ausrichtung zwar nicht in regionaler Unmittelbarkeit zu einer GGS, wohl aber mit Blick auf ihre Ausrichtung: In ihrem Namenszug nämlich trägt sie die Bezeichnung „Katholische Grundschule“. Dies darf mit Erwartungen verbunden sein. Aber mit welchen, so muss gefragt werden.

Die Tatsache also, dass es überhaupt neben einer GGS auch Bekenntnisgrundschulen gibt, sowie das Nebeneinander dieser Schularten als beiderseits öffentliche Schulen innerhalb der nordrhein-westfälischen Grundschullandschaft werfen eine Reihe von Fragen und Problemen auf. Gerhard Fuest spricht von einem als krisenhaft zu beschreibenden Zustand der staatlichen Bekenntnisschule zur Zeit der zweiten Grundschulreform (1968) bis heute.15

Auch in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion ist die Frage nach einer öffentlichen Bekenntnisschule virulent. So titelt und fordert die Initiative „Kurze Beine – Kurze Wege“ auf ihrer Homepage: „Schluss mit religiös begründeter Diskriminierung an öffentlichen Schulen in NRW.“16

Eine substanzielle, wissenschaftlichen Standards genügende Auseinandersetzung und Argumentation setzen hier bei der Frage an, was es denn handlungstheoretisch eigentlich bedeutet, Kinder nach dem katholischen Bekenntnis zu unterrichten und zu erziehen.

Innerhalb dieser Untersuchung geht es also darum, Antworten auf die Frage nach einem Proprium Katholischer Grundschulen zu finden: Worin liegen ihr besonderer, auf einem katholischen Bekenntnis beruhender pädagogischer Beitrag und gesellschaftlicher Auftrag? Findet eine Katholische Grundschule als Schulart in einer sogenannten postmodernen, zunehmend kirchenfernen Gesellschaft als staatliche Regelschule substanziell noch ihre Berechtigung, und welchem spezifischen Anliegen und Auftrag kommt sie nach? Zu fragen ist dann auch nach grundlegenden und begleitenden Ressourcen, wie es sich für eine Untersuchung, die sich an der Praxis der Grundschule orientiert und die also nach Handlungsoptionen fragt, gebietet.

Eine wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens „Katholische Grundschule NRW“ als einer öffentlichen Grundschule im konfessionellen Gewand, wie sie hier vorgelegt wird, stellt innerhalb der grundschulpädagogischen und religionspädagogischen Forschung ein Desiderat dar. Sie ist dringend angezeigt, weil sich die KGS den genannten weitreichenden, berechtigten Anfragen ausgesetzt sieht und sich direkte Antworten oder zumindest Handlungsempfehlungen in der wissenschaftlichen Literatur neueren Datums bisher nicht finden.

Die Betrachtung der KGS als einer Bekenntnisgrundschule stellt unter grundschulpädagogischen und religionspädagogischen Gesichtspunkten zweifellos ein weites Feld dar, so dass wir notwendig begründete Abgrenzungen vornehmen müssen.

1.2Fokussierung der Fragestellung

Innerhalb dieser Untersuchung werde ich mich auf das Land NRW konzentrieren, gleichwohl die Bekenntnisgrundschule als Schulart auch in Niedersachsen existiert. Eine solche Abgrenzung ergibt sich aus der föderalen Verantwortung der Bundesländer im Bildungsbereich (Schule und Hochschule) und den daraus resultierenden unterschiedlichen schulrechtlichen Bestimmungen der beiden Länder. Gleiches gilt für die historische Rückfrage, warum andere Bundesländer die Bekenntnisgrundschule im Laufe der Schulgeschichte als Schulart aufgegeben haben.

Ferner wird sich die Untersuchung auf die Katholische Grundschule ausrichten. Dies ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass Katholische Grundschulen unter den Bekenntnisschulen den zahlenmäßig größten Anteil ausmachen. Zum anderen liegt in diesem Zuschnitt auch das persönliche wissenschaftliche Interesse: Denn diesen Forschungsgegenstand auf die Bekenntnisgrundschule als Katholische Grundschule hin zu betrachten, ist für mich auch berufsbiographisch motiviert durch diverse Erfahrungen im Feld: Für mich als katholische Grundschullehrerin, als langjährige Schulleiterin einer Katholischen Grundschule und aktuell als Dozentin für Grundschulpädagogik und -didaktik im Bereich der Lehrerfort- und -weiterbildung haben die aus einer reflektierten Praxis gewonnenen Erkenntnisse subjektiv nachvollziehbare Auswirkungen auf die Ausbildung identitätsstiftender und berufsbezogener Kompetenzen. Insofern bildet die hier vorgelegte wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung durchaus auch einen „inneren Diskurs“ ab, indem sie gewissermaßen auf intrapersonaler Ebene subjektives Erfahrungswissen und kognitive und emotionale Einstellungen und Haltungen in einen differenzierten pädagogischen und religionspädagogischen Denkansatz einzubinden versucht.

Infolge dieser Zuspitzung auf die KGS ist die Evangelische Grundschule, die sich auf den Grundsätzen des evangelischen Bekenntnisses realisiert, der wissenschaftlichen Eindeutigkeit halber aus dieser Untersuchung ausgeschlossen.

Ferner konzentriert sich diese Studie auf die Grundschule als eigenständige Schulstufe innerhalb des Bildungssystems und lässt damit das Feld der Sekundarstufe I, genauerhin die Bekenntnishauptschule, unbeachtet. Eine wissenschaftstheoretische Orientierung an einer eigenständigen wissenschaftlichen Grundschulpädagogik, wie sie sich insbesondere in den 1970er Jahren durchsetzte, ist somit konsequent.

Einem Theorieverständnis von Grundschule wäre sicher auch die Frage nach einem Proprium der Gemeinschaftsgrundschule dienlich, wie sie im nordrhein-westfälischen Schulgesetz ebenfalls definiert ist. Damit wäre die Frage verbunden, was es handlungstheoretisch oder auch normativ-pragmatisch bedeutet, Kinder auf der „Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam“17 zu unterrichten und zu erziehen, und welche Verbindlichkeit in dieser Hinsicht zu erwarten ist. Auch diese Fragestellung wird nicht weiterverfolgt, denn der methodische Zugriff wird – wie noch zu sehen sein wird – nicht in einer komparativen Gegenüberstellung bestehen, sondern in einer phänomenologischen Betrachtung und Bestimmung der Schulart einer Katholischen Grundschule.

Nur kurz wird die Sprache auf eine mögliche Genderperspektive kommen. Diese stellt zum Beispiel aufgrund der Tatsache, dass insbesondere Frauen den Beruf der Grundschullehrerin ausüben, und hier unter der Fragestellung spezifischer religiöser Zugänge von Frauen eine interessante und lohnende wissenschaftliche Untersuchung dar, die allerdings ein Desiderat bleiben muss.

1.3Methodischer Zugriff und Forschungsstand

Wissenschaftliche grundschulpädagogische Forschung trifft theoretische Aussagen auf eine grundschulische Praxis hin und aus einer grundschulischen Praxis heraus. Die wissenschaftliche Theoriebildung und die grundschulische Praxis bilden dabei ein korrelatives Verhältnis, eine Wechselbeziehung von Theorie und Praxis.18 Aufgabe grundschulpädagogischer Forschung ist es daher, „Phänomene der gegenwärtigen wie vergangenen Schulwirklichkeit aufzuklären und bei Problemlösungen mitzuwirken“,19 wie Einsiedler, Götz u. a. in einer Auseinandersetzung zum Selbstverständnis von Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik feststellen.

Die vorliegende Arbeit folgt diesem wissenschaftstheoretischen Ansatz und setzt sich mit der pädagogischen Institution Grundschule auseinander, einer Einrichtung, in der sich lebensgeschichtlich bedeutsame „Enkulturations-, Sozialisations-, Erziehungs- und Unterrichtsprozesse abspielen“.20 Sie kann mit Recht als eine zentrale Sozialisationsinstanz angesehen werden,21 innerhalb derer verschiedene direkte und auch indirekte Einflussgrößen und Erwartungshaltungen auszumachen und anzutreffen sind.22

Die Katholische Grundschule als staatliche Regelschule obliegt nun aber nicht nur diesen alle öffentlichen Grundschulen gleichermaßen prägenden Bestimmungen, Einflüssen und Erwartungen: Sie orientiert sich auch an Grundlagen eines Bekenntnisses, das sich in diesem Fall in der Katholischen Kirche als einer Körperschaft öffentlichen Rechts institutionalisiert.

Es ist also festzuhalten: Die KGS als Gegenstandsbereich stellt wissenschaftstheoretisch ein Phänomen innerhalb der pädagogischen Institution „Grundschule“ dar. Mit dem Begriff des Phänomens im allgemeinen Sinn sind hier komplexe Zusammenhänge eines Gegenstandes bezeichnet, deren Erforschung noch aussteht.23 Methodologisch greift diese Studie damit also auf eine „Phänomenologie“ zurück, worunter mit Friedrich W. Kron „die wissenschaftliche Untersuchung komplexer Gegebenheiten, also von Phänomenen der Lebenswelt in Bezug auf das, was ihnen in ihren vielfältigen Erscheinungsformen zugrunde liegt“24, zu verstehen ist.

Innerhalb dieser Studie werden demgemäß methodische Grundregeln einer pädagogischen Phänomenologie25 angewandt, und zwar in der Weise, wie sie von Friedrich Kron in ein siebenschrittiges Regelwerk überführt wurde. Forschungsmethodisch rekurriert diese Untersuchung auf einzelne Aspekte dieses phänomenologischen Leitfadens. Allerdings wird dieser Leitfaden nicht in seiner systematischen Reihung aufgegriffen, sondern im Sinne eines methodischen Kanons. Dieses auf sechs Module zusammengefasste Regelwerk ermöglicht eine Komplexitätsreduktion des Phänomens Katholische Grundschule durch:

eine präzise Beschreibung des erkenntnisleitenden Interesses,

Abgrenzungen von anderen Phänomenen (hier insbesondere der GGS),

Rekonstruktion der geschichtlichen Zusammenhänge und Wurzeln der KGS,

eine tunlichst genaue Deskription der staatlichen und kirchlichen Grundlagen und Grundsätze dieser Schulart,

eine tunlichst genaue Deskription eines wissenschaftlichen Selbstverständnisses einer Grundschulpädagogik und Religionspädagogik im Hinblick auf das Phänomen KGS sowie

die Herausarbeitung der Grundstruktur und der Bedeutung der Akteure auf dem Hintergrund gesellschaftlicher und anthropologischer Bedingungszusammenhänge.

Notwendig ist dabei insgesamt – aufgrund der verschiedenen wissenschaftlichen Verortungen der anzusprechenden Aspekte und Teilbereiche – ein interdisziplinärer Zugriff im Rückgriff auf relevante Einzeldisziplinen in Form einer textanalytischen Annäherung. Hier wird auf eine Hermeneutik der Textauslegung als „Spezialfall der Hermeneutik“26 zurückgegriffen, „denn das hermeneutische Verstehen macht den Kern des Erfassens von Erziehungswirklichkeit aus, dem phänomenologische Bestandsaufnahme und dialektisches Reflektieren zugeordnet sind“27. Konkret wird hier von historischen Texten und Quellen (Teil I), rechtlichen, theologischen und pädagogischen Grundlagentexten (Teil II) die Rede sein, ohne deren Verstehen und Auslegen eine Klärung der Frage nach den Propria einer KGS nicht möglich ist.28

Von welcher Literaturlage kann dabei ausgegangen werden? Betrachtet man die KGS NRW als Phänomen innerhalb des bundesdeutschen Schulsystems, so stößt man auf eine äußerst dünne Literaturlage „neueren“ Datums: In den 1970er Jahren befasste sich Wilhelm Wittenbruch gemeinsam mit Walter Werres29 in einer Studie explizit mit Fragestellungen einer Katholischen Grundschule. Ferner ist in diesem Zusammenhang das „Handbuch Katholische Schule“, ein von Rainer Ilgner30 herausgegebenes fünfbändiges Werk, bemerkenswert, in dem sich Wissenschaftler in einem multidisziplinären Zugriff verschiedener Facetten Katholischer Schule zuwenden. Allerdings liegt der Fokus in dieser – wie auch diverser anderer – Literatur eindeutig auf der Katholischen Schule in freier Trägerschaft. Nur in einigen Nebenbemerkungen wird – zudem eher selten einmal – auch auf die KGS Bezug genommen. So zeigt sich insgesamt, dass zwar die Katholische Schule als Schule in freier Trägerschaft regelmäßig Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen war und ist, nicht aber die KGS. Weil es sich bei der KGS aber um ein Einzelphänomen besonderer Art handelt, der Staat Träger dieser Schulform ist, ist eine unreflektierte Subsumierung unter den Begriff „Katholische Schule“ wissenschaftlich unzulässig und ein Rückgriff auf diese Literatur nur in zu begründenden Einzelaspekten redlich und damit möglich.

Da es Ziel und Aufgabe dieser Untersuchung ist, die nordrhein-westfälische Grundschule in der Schulart einer Katholischen Grundschule historisch zu rekonstruieren, ihren gegenwärtigen Zuschnitt multiperspektivisch zu beschreiben, sie zu proprialisieren und schließlich zu performieren, richtet sich der Blick auf Teilbereiche31 einer Grundschulpädagogik: Befragt wird das grundschulische Handlungsfeld auf seine Akteure hin, auf die dahingehend relevanten grundschulpädagogischen, religionspädagogischen und theologischen Grundfragen und Grundlagen und auf die Aufgaben und Ziele einer grundschulischen Bildung und Erziehung. Ein – hinsichtlich dieser notwendigerweise zu untersuchenden Teilaspekte einer Grundschulpädagogik und Religionspädagogik – gezielter Blick auf die Literaturlage lässt in allen Einzelfragen einen unübersichtlichen Theorienüberschuss, eine große Komplexität innerhalb der wissenschaftlichen Fachdiskussion und eine ebenso unüberschaubare Literaturlage erkennen. Die Herausforderung besteht nun darin, zu unumgänglichen wissenschaftlich begründeten Abgrenzungen und Einschränkungen innerhalb der Einzelthemen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen hinsichtlich der Akteure und Handlungsebenen von Grundschule zu finden. Der dazu notwendige Einsatz eines „wissenschaftstheoretischen Filterapparats“ ergibt sich aus der Fokussierung auf die Frage nach den Propria, den Spezifika einer KGS. Diese erkenntnisleitende Maxime bestimmt, markiert und begründet die Auswahl der Literatur sowie die notwendigen Zuschnitte und Eingrenzungen in den jeweiligen Teilbereichen.

1.4Aufbau der Studie

Die Studie ist insgesamt auf drei Teile hin angelegt:

Der erste Teil beschäftigt sich mit einer historischen Rekonstruktion des Phänomens „Katholische Grundschule“. Zu fragen ist nach den geschichtlichen Wurzeln der KGS als Grundschule innerhalb der Entwicklung des deutschen Schulsystems insgesamt und spezifisch nach ihrer nordrhein-westfälischen Schulgeschichte. Die Studie konzentriert sich auf die Fragestellung möglicher historischer Absichten der beiden Einflussgrößen Staat und Katholische Kirche mit Blick auf Wesen, Gestalt und Substanz (Propria) einer KGS. Dazu wird eine historische Einteilung vorgenommen, insofern insgesamt vier Phasen ihrer Geschichte Betrachtung finden: die Gründungsphase in der Weimarer Republik,32 ihre Nachkriegsentwicklung, sodann ihre Emanzipationsphase in den ausgehenden 1960er Jahren und schließlich ihre Etablierungsphase, die bis in die Gegenwart reicht.

Innerhalb dieser historischen Rekonstruktion sucht diese Studie nach den geschichtlichen Bau- und Konstruktionsplänen, den politischen, kirchenpolitischen, theologischen und gesellschaftlichen Bedingungen ihres Aufbaus und geht so den zeithistorischen Grundlagen einer auf Konfessionalität ausgerichteten Grundschule nach, um abschließend nach deren Bedeutung für die Gegenwart Katholischer Grundschule zu fragen.

Den Bedingungslagen Katholischer Grundschule der Gegenwart wird sich der zweite Teil dann eingehend widmen. Dabei trifft man in diesem Feld auf zwei Rechtsträger, die in ihrem und für ihren jeweiligen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich über eine eigene Jurisdiktion verfügen, also spezifische gesetzliche Grundsätze erlassen und freilich auch miteinander Vereinbarungen treffen. Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass in Deutschland keine Staatskirche besteht (§ 137 Abs. 1 GG), staatliches Recht also da seine Grenzen findet, wo es um innere Angelegenheiten der Kirchen, hier signifikant der Katholischen Kirche, geht. Als Körperschaft öffentlichen Rechts (vgl. § 140 GG) also obliegt der Katholischen Kirche im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Erlassung einer eigenen Rechtsordnung. Dieses Wechselspiel zwischen staatlicher und kirchlicher Jurisdiktion im Hinblick auf eine religiöse Bildung und Erziehung von Kindern im Bereich der KGS findet eine spannende Schnittstelle in der Frage nach dem vorrangigen Elternrecht (Art. 6 des Grundgesetzes) und der damit verbundenen Pflicht zur Erziehung der Kinder auf dem Hintergrund einer staatlichen Schulpflicht. Deshalb kommt der Frage nach den Elternrechten besondere Bedeutung zu.

Grundsätzlich unterscheidet diese Untersuchung zwischen dem Recht zur Erziehung und Bildung und dem Recht des Kindes als Rechtsträger auf Erziehung und Bildung. Daher wird den Kinderrechten in einem eigenen Abschnitt nachgegangen.

Dem rechtlichen Begründungs- und Bezugsrahmen schließt sich das vierte Kapitel an, welches sich – in Orientierung an eine eigenständige Grundschulpädagogik, wie sie sich in den ausgehenden 1960er Jahren durchsetzte – theologischen, pädagogischen und religionspädagogischen Grundsachverhalten und Grundlagentexten einer grundschulischen Erziehung und Bildung widmet. Die Grundschulpädagogik, die, im Bild gesprochen, die Operationsbasis dieser Studie bildet, stellt eine eigene wissenschaftliche Richtung dar, die sich den besonderen Lern- und Entwicklungsbedingungen von Grundschulkindern und den spezifischen Bedingungen, Aufgaben und Funktionen der Grundschule verpflichtet weiß und die von einer allgemeinen Schulpädagogik und Unterrichtsdidaktik zu unterscheiden ist. Aus dieser Grundannahme heraus ist im Sinne einer phänomenologischen Annäherung an eine Katholische Grundschule nach deren institutioneller Verortung innerhalb ihrer beiden Bezugsgrößen Staat und Kirche zu fragen. Hier richtet sich das Augenmerk zunächst auf zentrale Texte des II. Vatikanischen Konzils, dem wohl wichtigsten und entscheidendsten Großereignis der jüngeren Geschichte der Katholischen Kirche. In den zentralen Konstitutionen „Lumen Gentium“ und „Gaudium et Spes“ trifft die Katholische Kirche wesentliche Aussagen über ihr Selbstverständnis, ihren Auftrag und ihre Sendung, ihr Verhältnis zur Welt sowie zu anderen Konfessionen und Religionen. Dabei geht es in dieser Untersuchung keineswegs um eine allgemeine Darstellung dieser Texte. Vielmehr betrachtet diese Abhandlung die Konzilstexte auf der Folie „Katholische Grundschule NRW“ und arbeitet heraus, unter welchem genuinen Verständnis der Katholischen Kirche sich der Auftrag der KGS, nämlich „Unterricht und Bildung auf der Grundlage des Bekenntnisses“ zu gestalten, normativ realisieren muss.

Da die KGS keine Privatschule darstellt, sondern als staatliche Einrichtung den jeweiligen Bildungsprogrammen verpflichtet ist, werden in einem nächsten Schritt die aktuellen Richtlinien des Landes NRW deskribiert, dekonstruiert und interpretiert. In Bekenntnisschulen sind diese auf der Grundlage des jeweiligen Bekenntnisses zu lesen und auszulegen. Auf der Suche nach Propria der KGS werden im Rahmen dieses Kapitels die aktuellen Richtlinien daher daraufhin befragt, ob und in welcher Weise die „Grundsätze des Bekenntnisses“ zu einer Interpretation der Richtlinien beitragen können und auch müssen.

Die Grundschule als pädagogisches Handlungsfeld weiß sich ihren Akteuren als Handlungsträgern verpflichtet, denn natürlich sind es die Menschen auf der Meso- und Mikroebene von Schule, welche die pädagogische Gestalt einer Katholischen Grundschule maßgeblich bestimmen und prägen. Somit stellen sich die sehr wesentlichen Fragen nach einer „Anschlussfähigkeit“ der bislang erarbeiteten Grundlagen wissenschaftlicher Theorien und Theoriefelder einer Grundschulpädagogik an die zentralen Akteure. Dazu bedarf es zunächst einer Klärung der Begriffe „Person“, „Subjekt“ und „Identität“, weil es sich hierbei um anthropologische und theologische Grundkategorien handelt, die aus christlicher Sicht konstitutiv sind für ein Verständnis vom Menschen und die diesem Akteursverständnis zugrunde liegen.

Damit ist das phänomenologische Substrat Katholischer Grundschule erarbeitet und sind grundschulpädagogische und religionspädagogische Grundlagen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene für ein genuines Verständnis umfassend gelegt.

Im dritten Teil dieser Untersuchung werden die aus der rekonstruierten Historie resultierenden und die aus der Deskription der rechtlichen, theologischen, religionspädagogischen und grundschulpädagogischen Grundlagen gewonnenen Erkenntnisse in eine Performation Katholischer Grundschule überführt und damit die sie bestimmenden Propria und vorrangigen Optionen in ein handlungsbezogenes Modell eingebunden. Dabei wird auch nach den notwendigen Ressourcen und Ressourcengebern zu fragen sein, da die Antworten auf das, was (Propria) und wie (vorrangig optional) eine KGS normativ sein sollte und muss, auf allen Ebenen von Grundschule und mit Blick auf ihre Bezugsgrößen Staat, Kirche und Wissenschaft tief- und raumgreifend voraussetzungsvoll sind. Diese Studie stellt sich insgesamt der Herausforderung einer wissenschaftlichen, also theoretischen Untersuchung, deren Ergebnisse sich allerdings im Verständnis einer Grundschulpädagogik an einem für Katholische Grundschulen erkennbaren Theorie-Praxis-Verhältnis messen lassen sollen und müssen. Theologisch erweist sich dann an der KGS auch der Praxischarakter einer Theologie, sofern „es ihr gelingt, christliche Glaubenspraxis im Kontext gelebter Religion zu sehen“33 und – zielperspektivisch – die gegenwärtigen Herausforderungen einer KGS im Licht der Bibel und der kirchlichen Überlieferungen zu reflektieren und in eine Praxis grundschulischer Bildung und Erziehung einfließen zu lassen.

So will die hier vorgelegte Arbeit die Geschichte dieser Schulart und ihre Situation heute aufarbeiten, um auf diese Weise sinnvolle, wissenschaftlich begründete Kriterien zu ihrer substanziellen Bestimmung aufzustellen. Erst wenn solche spezifischen Merkmale, Propria Katholischer Grundschule, gefunden sind, lässt sich legitim über ihre Zukunftsfähigkeit nachdenken. Dies muss geschehen im Kontext einer „Grundschultheorie“, von der Ludwig Duncker34 berechtigt die Frage stellt, ob diese überhaupt schon geschrieben ist. Das Nachdenken über die Schulart Katholische Grundschule versteht sich insofern als ein Beitrag dazu.

TEIL IRekonstruktion

Müßiggang, dem Sprichwort nach „aller Laster Anfang“, wird gemeinhin wohl kaum mit dem Begriff „Schule“ in Verbindung gebracht. Und doch gehen die sprachlichen Wurzeln des Wortes „Schule“, griechisch scholé, auf diesen Ursprung zurück: Gemeint war damit zwar nicht eine Zeit des Nichtstuns, wohl aber eine nicht vordefinierte Zeit zweckfreien Tuns. Schule, so verstanden, als Einrichtung des zweckfreien Sich-Zeit-Nehmens für diverse Studien, insbesondere der Philosophie, Mathematik und Theologie, hat mithin eine lange Geschichte mit Wurzeln im antiken Griechenland; die Grundschule hingegen, wie man sie heute in Deutschland vorfindet, weist – was überraschen mag – eine vergleichsweise sehr junge Geschichte auf.

Doch obwohl dem so ist: Eine wissenschaftliche Untersuchung ihrer Wurzeln, die schul- bzw. ideengeschichtlich für sich genommen nun auch wiederum tief greifen und erst manches von dem verständlich machen, worum heute in der schulischen Landschaft gerungen wird, stellt ein Desiderat dar.35 Ihm stellt sich unter der hermeneutischen Voreinstellung, dass „Erziehung und Bildung ohne die geschichtliche Dimension nicht verstanden werden können“36, dieser erste Teil der vorliegenden Studie.

In Eingrenzung des Themas geht es dabei vorzüglich allerdings nur um die auf Konfessionalität ausgerichteten historischen Wurzeln einer Grundschule sowie die mit ihnen verbundenen pädagogischen Absichten und deren Bedingungsgefüge. Denn es ist das Anliegen dieser Studie, herauszuarbeiten, ob und inwiefern ein auf ein Bekenntnis ausgerichtetes, ideengeschichtliches Erbe einer Katholischen Grundschule substanziell ausgemacht werden kann, um im Anschluss daran prüfen zu können, ob und inwiefern dies heutigen grundschulischen Einrichtungen eine Orientierung in der Ausprägung ihres spezifischen Profils geben kann.

2Historische Wurzeln

Mit Karl-Heinz Nave wird eine historische Eingrenzung vorgenommen, die aus der Definition des Begriffs „Grundschule“ ableitbar ist: Die Institution Grundschule ist eine „organisatorisch nicht in wesensverschiedene Institutionen gegliederte (undifferenzierte) Elementarschuleinrichtung eines Staates“37. Von einer Grundschule im Sinne einer für alle Kinder38 verbindlichen, gemeinsamen und verpflichtenden Einrichtung (als Teil der Volksschule) kann somit erst im Kontext der Weimarer Reichsverfassung von 1919 gesprochen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt besuchten – wenn überhaupt – die Kinder der ärmeren sozialen Schichten die Volksschule, die unter der Aufsicht der Kirche stand. Kinder aus den wohlhabenderen Familien hingegen besuchten diese Schulen in der Regel nicht, sie durchliefen beispielsweise sogenannte Vorschulen, die das Ziel der Vorbereitung auf das Gymnasium verfolgten. Auch Privatunterricht war für Kinder privilegierter Kreise des Adels und des reichen Bürgertums nicht selten.

Die Grundschule von Weimar als Bekenntnisschule wurde trotz des 1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan geschlossenen Reichskonkordats, das den Erhalt und die Neuerrichtung von Konfessionsschulen rechtlich absicherte, in dieser Form aufgelöst und schließlich 1941 in eine achtjährige Volksschule überführt.39 Insofern lässt die Zeit des Nationalsozialismus keine deutliche Fokussierung auf den Aspekt einer „Grundschule als Bekenntnisschule“ zu und wird daher schulgeschichtlich in dieser Untersuchung unberücksichtigt bleiben.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dessen Zusammenbruch stellte sich die Frage einer „Bekenntnishaftigkeit und Bekenntnisgebundenheit“ der Grundschule erneut. Die Besatzungsmächte, denen nach dem Krieg an der zügigen Wiedererrichtung der Schulen gelegen war, suchten in dieser Frage nach Lösungen, die man letztendlich in der „Zeit von Weimar“ fand.

1968 schließlich provozierten die Auflösung der Volksschule und die damit verbundene Gründung einer Grundschule innerhalb der Primarstufe und einer Hauptschule innerhalb der Sekundarstufe I des Bildungswesens – als jeweils eigenständige Schulformen – erneut die Frage nach der Bekenntnishaftigkeit einer staatlichen Regelschule.

So ergeben sich nun vier historische Abschnitte, in denen es die Grundschule als Bekenntnisschule zu untersuchen gilt:

die Grundschule der Weimarer Republik (2.1 und 2.2),

die Grundschule nach dem 2. Weltkrieg (2.3),

die Grundschule in NRW von 1968 (2.4) sowie

die Grundschule in NRW in den Folgejahren bis heute (2.4).

2.1Die Grundschule der Weimarer Verfassung

Der Blick und das Hauptaugenmerk gelten zunächst der „Gründungsphase“ der Grundschule innerhalb der Weimarer Republik und den damit einhergehenden Auseinandersetzungen um ihre Bestimmung und Ausrichtung, dem Für und Wider einer auf ein Bekenntnis ausgerichteten „grundschulischen“ Bildung und Erziehung.

Bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches 1918 waren die Schulen hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur und ihrer inhaltlichen Programmatik an eine durch Klassen und Stände bestimmte Sozialordnung gebunden. Die meisten Kinder besuchten die einklassige Volksschule. Daneben gab es private oder öffentliche, häufig in eine weiterführende Schule integrierte Vorschulen oder auch Privatunterricht.40

Auf die Entwicklung dieser Volksschule wirkten sich nach den Erfahrungen der Revolution von 1848 vornehmlich die stark regulativen Maßnahmen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV,41 prägend aus. Dabei kam namentlich der religiösen Erziehung eine besondere Bedeutung zu. Einen eindrucksstarken Einblick gewährt diesbezüglich Friedrich Paulsen in seiner „Kritik an einer Landschule um 1850“: „Hatte sich einer in ein, zwei Jahren, es konnten auch drei oder vier und mehr werden, durch die Tabellen[42] durchgearbeitet, dann kam er in den Katechismus, zuerst den kleinen, hierauf den großen, um endlich die Frucht der Lesekunst zu genießen, das Auswendiglernen.“43 Und 1908 schreibt er: „Wie sie war? Sie war in ihrem Ursprung Bekenntnisschule. […] Was sie ist? Ein Mittelding zwischen der alten Bekenntnisschule und der neuen Volkserziehungsanstalt. […] Immerhin so, dass das kirchliche Bekenntnis noch als der anerkannte Maßstab aller Wahrheit gilt, dass das alte Ziel: bekenntnisfeste Glieder der Kirche zu erziehen, an keinem Punkt aufgegeben ist.“44

Dieses Zitat verdeutlicht exemplarisch, dass die am Bekenntnis ausgerichtete „Volksschule“ längst schon vor „Weimar“ infrage gestellt wurde. Die Problematik einer an einem Bekenntnis orientierten Grundschule kann also durchaus als „pränatales“ Erbe betrachtet und interpretiert werden, als eine Art „Mitgift“, die sie in ihre eigentliche Gründungsphase bereits mit einbrachte.

Nach der Novemberrevolution von 1918 trat am 06.02.1919 in Weimar die im Januar 1919 gewählte Weimarer Nationalversammlung (kurz: W.N.) zusammen. Sie war in erster Linie mit der Aufgabe betraut, eine Reichsverfassung zu kreieren und zu erlassen sowie den von den Siegermächten vorgelegten Versailler Vertrag zu verhandeln. Parteipolitisch bildeten in der W.N. die SPD, das Zentrum und die linksliberale DVP die Mehrheitskoalition, Parteien also, die schulpolitisch und religiös unterschiedlich verortet und motiviert waren. Die Weimarer Verfassung wurde schließlich am 31.07.1919 verabschiedet. Am 21.05.1920 löste sich die W.N. auf und wurde nach den Reichstagswahlen im Juni 1920 vom Reichstag abgelöst. Die „Weimarer Koalition“ verlor bei diesen Wahlen bereits die Mehrheit, konnte sich in Preußen allerdings bis 1932 halten.45 In dieser kurzen Zeitspanne zwischen der W.N. und den Reichstagswahlen zum deutschen Reichstag liegt die Gründungsphase der Grundschule als Bekenntnisschule, denn in eben jener Periode ihrer Geschichte wurden die einschneidenden Entscheidungen für ihre weitere Entwicklung getroffen. Dabei traten unterschiedliche Vorstellungen und Vorschläge zur Ausgestaltung der Schullandschaft zutage. In den Ländern und im Reich überschlugen und entluden sich teils heftige und kontrovers geführte Diskussionen. So heißt es in einem programmatischen Aufruf der preußischen Regierung vom 13.11.1918: „Ausbau aller Bildungsinstitute, insbesondere der Volksschule, Schaffung der Einheitsschule, Befreiung der Schule von jeglicher Bevormundung, Trennung von Staat und Kirche.“46 Im Gefolge dieser Programmatik sind dann die Verfügungen der preußischen Minister Haenisch und Hoffmann zu lesen, wonach:

die Schulaufsicht künftig nicht mehr bei den Kirchen liegt, sondern auf staatliche „Kreisschulinspektoren“ übertragen wird (Verordnung vom 27.11.1918),47

die Verpflichtung der Lehrer zur Erteilung von Religionsunterricht entfällt48 und

die Verpflichtung zum Schulgebet aufgehoben wird (Verordnung vom 29.11.1918).49

Diese Verordnungen führten im Raum der Katholischen Kirche zu einem Sturm der Entrüstung und zu apologisierender Widerrede. Im gemeinsamen Hirtenschreiben vom 20.12.1918 wandten sich die preußischen Bischöfe postwendend an die Gläubigen. Sie beklagten eine drohende Trennung von Staat und Kirche, befürchteten finanzielle Einbußen, Enteignung, Macht- und Einflussverluste. „Aus den Schulen schwindet jegliche Religion. Lehrer und Lehrerinnen werden für ihr hohes Amt vorbereitet ohne Religions- und ohne Glaubensbekenntnis.“50 Dabei richteten die Bischöfe ihren Appell besonders auch an die Vertreter der Vereine und Organisationen und riefen zum offenen Widerstand auf. Betrachtet, befragt und analysiert man nun die inhaltliche Seite der Auseinandersetzung, so muss resümierend festgehalten werden, dass seitens des Episkopats zwar ein ideeller und substanzieller Mehrwert einer katholischen Erziehung und Bildung eingeklagt wurde, ohne ihn allerdings explizit zu benennen. Es wurde verteidigt, gerungen und gestritten, ohne tatsächlich substanziell zu benennen, worin nun genau das Proprium christkatholischer schulischer Bildung und Erziehung liegt. Schließlich führte der massive Widerstand breiter Kreise innerhalb der Katholischen Kirche dazu, dass die Verordnungen zur Ausübung der Schulaufsicht rund zwei Monate später wieder außer Kraft gesetzt und die Verordnung vom 29.11.1918 gänzlich zurückgenommen wurde.51

Diese Auseinandersetzung veranschaulicht, dass und warum die Episkopate fortan den staatlichen schulpolitischen Bestrebungen mit hoher Skepsis und großem Misstrauen begegneten.52 Die Katholische Kirche fürchtete deutlich um ihren gesellschaftlichen Einfluss vor allem im Raum von Schule und Erziehung.

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