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Elmar Mitterstieler

Das Priestertum aller Getauften

Für eine geschwisterliche Kirche
aus dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils

Impulse und Quellentexte

ELMAR MITTERSTIELER

Das Priestertum aller Getauften

Für eine geschwisterliche Kirche
aus dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils

Impulse und Quellentexte

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2015

Umschlag: Peter Hellmund (Foto: Paul Badde)

Statt eines Vorwortes

Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat (1 Petr 2,9).

Christus „liebt uns … er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor seinem Gott und Vater (Offb 1,5 f).

Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Worte der Heiligen Schrift aufgegriffen und damit an ein frühes wichtiges Stück ihrer Tradition wieder angeknüpft. Das Gemeinsame Priestertum aller Getauften wurde ein Basisthema des Konzils. Es hat uns die beglückende Fülle des Christseins wieder neu erahnen lassen, das uns aus der Taufe zukommt – eine Fülle, zu der wesentlich unser aller gemeinsames Priestertum gehört.

In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass das Konzil sich immer an alle gewandt hat: an alle Christen; an das ganze Volk Gottes; an die ganze Ökumene; an alle Schwestern und Brüder im Judentum; an alle, die an den Gott Abrahams glauben; an alle Religionen der Menschheit …, und es hat das Gespräch mit allen Menschen gesucht.

Dies alles und die Lehre des Zweiten Vatikanums vom Gemeinsamen Priestertum aller in der Kirche, ja aller Getauften, die uns hier im Besonderen beschäftigt, ist von großer Dringlichkeit für die Kirche von heute und morgen. Das vorliegende Buch gibt aus mehreren Blickwinkeln eine Einführung in dieses für die Kirche heute unerlässliche Thema und bietet auch Quellentexte für persönliche Reflexion und Austausch.1

Die jeweils angefügten Schrift- und Konzilszitate2 sowie weitere Zitate aus kirchlichen Dokumenten wollen der weiterführenden persönlichen Reflexion und dem eventuellen Austausch in Gesprächskreisen dienen, und es steht da und dort Raum für Arbeitsnotizen zur Verfügung.

Danken möchte ich an erster Stelle Kardinal Christoph Schönborn für die viele Unterstützung und wichtige theologische Herausforderung, die ich von ihm zum Thema des gemeinsamen Priestertums erhalten habe. Seine Hinweise habe ich hier mit aufgenommen. Danken möchte ich meinem langjährigen Lektor, Herrn Heribert Handwerk, für sein Interesse am Thema, für seine Anregungen und die geduldige, sachkundige Betreuung sowie meinem Mitbruder P. Gerwin Komma SJ, der seinen hier wiedergegebenen Vortrag bereitwillig zur Verfügung gestellt hat, und Frau Mag. Lore Prohaska für das sorgfältige Lesen der Korrekturen.

Inhalt

Statt eines Vorwortes

Das ganze Volk Gottes ist eine priesterliche Gemeinschaft

Zur Einleitung ein Interview

Wir alle sind Priester

Gleiche Würde

Aus Wasser und Geist zu Priestern geweiht – die Taufweihe

Das eine christliche Priestertum

Freier Zugang

Das Opfer: die Selbstgabe

Vergebung und Versöhnung

Verkünden

Priesterliche Mittlerschaft: Liebe und Gebet

Königlich im Zeichen des Kreuzes

Gemeinsames Priestertum und priesterliches Dienstamt

Neue Formen der Verantwortung in der Kirche sind erfordert

Weitere Beiträge zum Thema

Johannes Reitsammer:

Wir alle sind zu Priestern berufen

Gerwin Komma:

Unser Christsein in Gemeinschaft (Communio) als Grundlage unseres pastoral-priesterlichen Dienstes

Elmar Mitterstieler:

Beteiligung – ein Grundanliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils

Quellenverzeichnis

Das ganze Volk Gottes ist eine priesterliche Gemeinschaft

Zur Einleitung ein Interview3

1.Warum findet die Rede vom Priestertum aller Getauften noch immer so wenig Widerhall im Raum der Kirche?

Ganz neu und unbefangen hat das Zweite Vatikanische Konzil begonnen, vom gemeinsamen Priestertum aller zu sprechen, die aus der Taufe wiedergeboren sind, die also die Taufweihe empfangen haben, wie das Konzil sie auch nennt. Doch das hat in der Kirche nicht nur Freude, sondern auch die Angst hervorgerufen, dass damit eine bisher geltende heilige Ordnung bedroht, durchbrochen und nivelliert würde. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Denn das Konzil erschließt im gemeinsamen Priestertum allen in dem einen Volk Gottes die Fülle des Christseins. Jede und jeder Glaubende und so auch das Amt empfängt Sein und Leben und jeweilige Berufung aus der Quelle der Taufweihe und Firmgnade. So wird keine heilige Ordnung zerstört, sondern das Amt wird und erfährt sich „breiter aufgestellt“ in dem, was es gemeinsam mit allen ist.

2. Wie sieht eine Kirche aus, in der die Taufweihe gelebt wird?

„In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, … werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt“ (Eph 3,17–19). „Mehr und mehr“ – d. h. für die Kirche unserer Tage: Geschwisterlicher möchte sie werden. Gemeinsamer. Lebendiger. Verantwortungsteiliger. (Karl Rahner schrieb schon 1936 : „Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger.“ Das gilt natürlich auch in gendergerechter Sprache, die es damals freilich noch nicht so gab). Menschlicher und reifer. Gott-/Christusverbundener. Weltverantwortlicher. Bewusster und aufrechter … Sie „hatten alles gemeinsam“ (Apg 2,44ff) ; das spricht eine (nicht nur) christliche Ursehnsucht an, die sich zweifellos – und so auch hier in der Apostelgeschichte – nicht allein auf materielle Güter bezieht.

3. Wie kann die Rede, dass jede und jeder Getaufte Priester, König und Prophet ist, verdeutlicht werden?

Wir alle leben als Christen aus ein und derselben Quelle und sind einander ebenbürtig in Wert und Würde. Ebenbürtig, zusammen mit allen Menschen, in unserer Menschenwürde, der zu dienen Christus uns in der Taufe seine Würde schenkt. Ebenbürtig sind wir Christen einander in der priesterlichen Würde als einer Würde des Menschseins, die uns im Priestertum Christi unvergleichlich offenbar und mitgeteilt wird. Das „christliche Volk, ‚das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum …‘“ hat „kraft der Taufe Recht und Auftrag/Amt (ius habet et officium)“ zur „vollen, bewussten und tätigen Teilnahme“ an der Feier der Liturgie, so das Konzil (Sacrosanctum Concilium 14). Das bedeutet zugleich Recht und Auftrag/Amt, das Leben der Kirche priesterlich mitzutragen und mitzugestalten.

4. Was unterscheidet das amtliche Priestertum vom Priestertum aller Getauften?

Aus dem einen und selben Priestertum Christi lebt das Hirten-/Einheits-/Leitungsamt der Kirche und tut seinen Dienst. Es ist priesterliches Dienstamt (so das Zweite Vatikanische Konzil). Die Bezeichnung „Hirtenamt/Hirtendienst“ ist wohl die umfassendste für das Amt in der Kirche. Denn sie umfasst nicht nur den für die Kirche elementaren Einheits- und Leitungsdienst am Glauben und in der Liebe, sondern beinhaltet auch die liebende Sorge um jeweils alle sowie um die Einzelnen (vgl. Ez 34,15 f!) in der „Freude und Hoffnung“, in der „Trauer und Angst“ ihres Lebens (Gaudium et spes 1). Auch Ordo genannt (Sakrament des Episkopats, des Presbyterats und des Diakonats), dient das Amt in den Vorsteherdiensten in der Feier der Liturgie und der Sakramente, in spezifischen Verkündigungs-, Seelsorgs- und Leitungsdiensten, in Caritas und anderen Hilfestellungen wesentlich dem Leben der Gemeinden, der Gemeinschaften und der ganzen Kirche in Einheit und Liebe. Dienend, im Namen und in der Vollmacht der Gesamtkirche, hilft es den Gemeinden und den Einzelnen, ihr Leben aus der Taufe als königliches Priestertum zu entfalten, es gemeinschaftlich zu gestalten und so die Fülle des Christseins zur Darstellung zu bringen. Die Notwendigkeit des Amtes im Leben und Aufbau der Kirche nimmt nicht ab. Aber es wird sich in vieler Hinsicht lebendiger eingebunden vorfinden, in vertiefter Gemeinschaft/Communio mit allen.

Wir alle sind Priester

„Christus der Herr … hat das neue Volk ‚zum Königreich und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht‘ (vgl. Offb 1,6; 5,9–10). Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht …“ (Lumen Gentium 10) und ihm eingegliedert, „der Priester, König und Prophet ist in Ewigkeit“ (so der Taufritus im Gefolge des Konzils).

Geradezu Wunderbares, lange wie Verschollenes wird uns allen hier vom Konzil im Rückgriff auf die Heilige Schrift wieder zu Bewusstsein gebracht und zugesagt: unser Gemeinsames Priestertum, das uns neu erahnen lässt, wer und was wir durch die „Taufweihe“ (so das Konzil) sind. Wir alle haben Anteil an dem einen Priestertum Christi, sind – Männer wie Frauen – durch unsere Taufe zu Priestern geweiht!

Selbst in der Kirche kann es über lange Zeiträume „verschwundene Flüsse“ geben, unter oder knapp unter ihrer Bewusstseinsgrenze. Das Gemeinsame Priestertum aller Getauften war durch viele Jahrhunderte ein „verschwundener Fluss“. Die Kirche hat ihn im Zweiten Vatikanischen Konzil aus dem Schatz der Heiligen Schrift und ihrer Tradition wieder ans Tageslicht gebracht.

Erstaunlicher- und schmerzlicherweise ist das gemeinsame Priestertum aller Getauften in den 50 Jahren nach dem Konzil weiterhin weithin unter Tage geblieben.

Mangelhafte Rezeption

Im April des Jahres 2013, einen guten Monat nach Beginn seines Pontifikates, hat Papst Franziskus in einer Predigt in Santa Marta sehr offene, deutliche Worte bezüglich der Rezeption bzw. mangelnder Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils gefunden:

Um es klar zu sagen: Der Heilige Geist ist für uns eine Belästigung. Er bewegt uns, er lässt uns unterwegs sein, er drängt die Kirche, weiterzugehen. Aber wir sind wie Petrus bei der Verklärung: ‚Ah, wie schön ist es doch, gemeinsam hier zu sein.‘ Das fordert uns aber nicht heraus. Wir wollen, dass der Heilige Geist sich beruhigt, wir wollen ihn zähmen. Aber das geht nicht. Denn er ist Gott und ist wie der Wind, der weht, wo er will. Er ist die Kraft Gottes, der uns Trost gibt und auch die Kraft, vorwärtszugehen. Es ist dieses ‚Vorwärtsgehen‘, das für uns so anstrengend ist. Die Bequemlichkeit gefällt uns viel besser … Das Konzil war ein großartiges Werk des Heiligen Geistes. Denkt an Papst Johannes: Er schien ein guter Pfarrer zu sein, aber er war dem Heiligen Geist gehorsam und hat dieses Konzil begonnen. Aber heute, 50 Jahre danach, müssen wir uns fragen: Haben wir da all das getan, was uns der Heilige Geist im Konzil gesagt hat? In der Kontinuität und im Wachstum der Kirche, ist da das Konzil zu spüren gewesen? Nein, im Gegenteil: Wir feiern dieses Jubiläum, und es scheint, dass wir dem Konzil ein Denkmal bauen, aber eines, das nicht unbequem ist, das uns nicht stört. Wir wollen uns nicht verändern und es gibt sogar auch Stimmen, die gar nicht vorwärtswollen, sondern zurück: Das ist dickköpfig, das ist der Versuch, den Heiligen Geist zu zähmen. So bekommt man törichte und lahme Herzen“ (Radio Vatikan 16.4.2013).

Wissen, wer wir sind

Jesus hat um seine Bedeutung gewusst. Auch wir sollen um die Bedeutung wissen, die wir als Kirche und jeder und jede für die Menschen und für die Welt haben. Es gehört zur Pflicht des kirchlichen Amtes, uns wissen zu lassen, wer wir als Christen sind. Und wir alle sind eingeladen und herausgefordert, uns diesem unserem Christsein zu öffnen und uns einem neuen Lernen – etwa aus der Sorge, zu viel ins gemeinsame Leben einbezogen zu werden – nicht zu entziehen. Das vom Konzil „aus der Taufe gehobene“ gemeinsame Priestertum aller Getauften gehört zu der uns für heute und morgen neu geschenkten Weitung unseres christlichen Bewusstseins: für uns selbst und für den Dienst an den Menschen unserer Welt, zu dem Jesus uns alle in seiner Kirche beruft.

Wenn wir ein solches Bewusstsein nicht offen, bereit und lebendig entwickeln, helfen strukturelle Erneuerungen wenig.

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Für Reflexion und Austausch

Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und hierher zu mir gebracht habe. Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein. Mir gehört die ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.

Ex 19,4–6

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