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Forschung zur Bibel Band 126

Begründet von
Rudolf Schnackenburg
und Josef Schreiner
Herausgegeben von
Georg Fischer
und Thomas Söding

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Stephan Münch

Das Geschenk der Einfachheit

2 Korinther 8,1–15 und 9,6–15
als Hinführung zu dieser Gabe

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2012 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter-verlag.de
ISBN 978-3-429-03526-6 Print
        978-3-429-04651-4 PDF
        978-3-429-06060-2 ePub

Danksagung

Die Vorliegende Arbeit wurde im Juli 2009 von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main als Doktorarbeit angenommen. Zu Drucklegung wurde sie noch einmal überarbeitet.

Danken möchte ich vor allem meinem Doktorvater Prof. Dr. Norbert Baumert SJ, der mich in die Lektüre der Paulusbriefe eingeführt, diese Arbeit angeregt und jederzeit hilfreich und engagiert begleitet hat.

Ebenfalles möchte ich auch Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig danken, der das Zweitgutachten erstellt hat. Durch seine kritischen Hinweise hat er mich zum Überdenken und zur Korrektur einiger Punkte anregt.

Danken möchte ich auch Prof. Dr. Thomas Söding für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Forschung zur Bibel“.

Vielleicht lässt diese Arbeit, die sich mit der angemessenen inneren Einstellung beim Geben und Schenken befasst, etwas ahnen von der Aktualität des paulinischen Denkens in einer Zeit, in der Finanzkrisen weltweit geworden sind.

Bad Neuenahr- Ahrweiler, im Mai 2012

Stephan Münch

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Neuere Arbeiten zu 2 Kor 8 und 9 und Fragestellung

2. Vorgehen und Methode

1. Semantische, syntaktische und kontextuelle Vorarbeiten zu 2 Kor 8,1-15

1.1 Kontext und Abgrenzung von 2 Kor 8 und 9

1.1.1. Der Zusammenhang von 7,4-16 mit Kapitel 8

1.1.2. Der inhaltliche Zusammenhang von Kapitel 8
und Kapitel 9

a) Formale und inhaltliche
Gesichtspunkte

b) Textverknüpfung zwischen Kapitel 8 und 9

1.1.3. Einordnung von 2 Kor 8 und 9 in das Gesamt
des 2. Korintherbriefes

1.1.4. Gliederung von 2 Kor 8 und 9

1.2. ῾ Aπλóτης

1.2.1. Der klassische Sprachgebrauch von ἁπλóτης

1.2.2. Der jüdische Sprachgebrauch

a) ῾ Aπλóτης in der LXX

b) ῾ Aπλóτης in den Testamenten der Zwölf Patriarchen

- ῾ Aπλóτης als Einfachheit in der Beziehung zu Gott

- ῾ Aπλóτης als Offenheit in der Beziehung
zum Nächsten

c) ῾ Aπλóτης im Kontext des Gebens

- 1 Chr 29,17

- Jos. Ant. 7.332

- Testament des Issachar 3.8

- Röm 12,8

- ῾ Aπλóτης in 2 Kor 8 und 9

1.3. χάρις - das Werden eines Begriffs

1.3.1. Χάρις ein festgeprägter theologischer Begriff im NT?

1.3.2. Das breite Bedeutungsspektrum von χάρις

1.3.3. Der Gebrauch von χάρις im AT und in der LXX

1.3.4. Der Gebrauch von χάρις zur Zeit des Paulus

1.3.5. Χάρις als Gefälligkeit, Gabe, Wohltat im NT

a) Χάρις als rein menschliche Gefälligkeit, Wohltat
in den Paulusbriefen

- 2 Kor 1,15

- 1 Kor 16,3

- Eph 4,29

b) Χάρις in 2 Kor 8 und 9

- Χάρις τοImage θ∊οImage als Zuwendung Gottes

- Χάρις als Wohltat, Liebestat

1.3.6. Zusammenfassung

1.4. Δimageομαι

1.4.1. δimageομαι mit dem Akkusativ?

1.4.2. δimageομαί τινος bedürfen, brauchen, nötig haben

1.4.3. δimageομαι (τινός ∊ἰς) Verlangen tragen, begehren

1.4.4. δimageομαί τινός τινος jemanden um etwas bitten

a) δimageομαί τινος jemanden um etwas bitten, mit dem
Genitiv der Person

b) δimageομαί τι innerer Akkusativ

- δimageομαί τι figura etymologica

- δimageομαί τι Neutrum eines Pronomen oder Adjektivs

1.5. Die Satzkonstruktion von 2 Kor 8, 3-5

1.5.1. V3 wird V4 zugeordnet

1.5.2. Die Verse 3-5 als syntaktische Einheit

a) Die Antithese οὐ καθὼς ... ἀλλά in V5

b) Ein neuer Lösungsansatz

c) Die Interpunktion der Texteinheit 8,3-5

2. Auslegung von 2 Kor 8,1-15 mit 8,16-24

2.1 2 Kor 8,1-9: Die Auswirkung der χάρις Gottes und die χάρις Jesu Christi

2.1.1. Der griechische Text

2.1.2. 8,1-6: Die χάρις der Makedonier

a) Konstruktion und Syntax von 8,2

- ΘλImageψις-χαρά

- Πτωχϵία-πλoImageτoς

- Imageπϵρίσσϵυσϵν ϵἰς τὸ πλoImageτoς τImageς ἁπλότητoς

b) 8,3-5: Die Entfaltung von πλoImageτoς τImageς ἁπλότητoς

- Das Geben der Makedonier

- Die Kollekte als χάρις

- Die Kollekte als κoινωνία

- Die Kollekte als διακoνία

- Die geistliche Dimension des Gebens: Imageαυτoὺς Imageδωκαν

- Das Bitten der Makedonier

- Die Empfänger der Kollekte: ϵἰς τοὺς ἁγίους

c) V 6

- Der Übergang von V5 zu V6

- ἵνα καθὼς... oὕτως καὶ...καὶ

2.1.3. Exkurs: Vergleich von 2 Kor 8,1-5 mit 1 Chr 29

2.1.4. 8,7-9: Die χάρις Gottes bei den Korinthern und die χάρις Jesu Christi

a) V 7

- ἵνα

- Imageν παντὶ

- Der geistliche Reichtum der Korinther

- Imageν ταύτῃ τImage χάριτι

b) V 8

- oὐ κατ’ Imageπιταγὴν λImageγω

δoκιμαάων

c) V 9: Die χάρις Jesu Christi

- Die Struktur von V 9

- Imageπτώχϵυσϵν - πλούσιος ὤν

- ἵνα ὑμϵImageς τImage Imageκϵίνου πτωχϵίᾳ πλουτήσητϵ

- χάρις τοImage κνρίον ἡμImageν ’ΙησοImage ΧριστοImage

2.2. 8,10-15: Konkreter Hinweis zum Geben

2.2.1. Der griechische Text

2.2.2. 8,10-12: Die Grundregel für das Geben

a) Γνώμη

b) Θimageλϵιν

- Θimageλϵιν als geneigt sein, lieben, gern tun

c) V 11

- Die Art und Weise der Durchführung

- Die Maxime für das Geben

d) V 12

2.2.3. Die Verse 13-15

a) ’Ισότης

b) imageν τimage νImageν καιρimage

c) Πϵρίσσϵυμα

d) ἵνα

e) V 15

2.3. Zusammenfassung von 2 Kor 8,1-15

2.4. 2 Kor 8,16-24: die Empfehlung des Titus und der beiden Abgesandten

2.4.1. Der griechische Text

2.4.2. 8,16-17: Die Empfehlung des Titus

2.4.3. 8,18-21: Die Empfehlung des ersten „Bruders“

2.4.4. 8,22: Die Empfehlung des zweiten „Bruders“

2.4.5. 8,23-24: Zusammenfassende Empfehlung der Boten

2.4.6. Die Übersetzung von 2 Kor 8,16-24

3. Auslegung von 2 Kor 9,6-15 mit 9,1-5

3.1. Die Aufgabe der Abgesandten: 9,1-5

3.1.1. Der griechische Text

3.1.2. V 1

3.1.3. V 2

3.1.4. Die Verse 3-4

3.1.5. V 5a/b als Zusammenfassung

3.1.6. V 5c/d als Übergang

3.1.7. Der Gedankengang der Verse 8,24-9,5

3.2. 9,6-11: Befähigung durch Gott und Hinführung zum Geben in Einfachheit

3.2.1. Der griechische Text

3.2.2. Die Texteinheit 9,6-11

3.2.3. 9,6-9: Gottes Macht
und Unterstützung für ein segensreiches Säen und Ernten

a) Die Verse 6-9 als Einheit

b) Das Bild vom Säen und Ernten

- Gal 6,7-8

- 1 Kor 9,11

c) 2 Kor 9,7

- προήρηται

- τImage καρδίᾳ - μὴ Imageκ λύπης ἤ ἀνάγκης

- ἱλαρὸν γὰρ δότην ἀγαπImage ὁ θϵóς

d) V8

- πImageσαν χάριν in der herkömmlichen Deutung

- Ein anderer Lösungsansatz von πImageσαν χάριν

- Αὐτάρκϵια

- πImageσαν χάριν

c) V9

3.2.4. 9,10-11: die ἁπλóτης als Wesensmerkmal des segensreichen Gebens

a) Struktur und Aufbau der VV 10-11

b) V10

- Der Vordersatz V10a

- Der Nachsatz V10b

c) V11

- V11a Imageν παντὶ πλουτιζóμϵνοι ϵἰς πImageσαν ἁπλóτητα

- V11b ἥτις κατϵργάζϵται δι’ ἡμImageν ϵὐχαριστίαν τimage θϵimage

3.3. 9,12-15: Die Auswirkung des Gebens in Einfachheit

3.3.1. Die Satzkonstruktion von 9,12-14

3.3.2. V12

3.3.3. Vergleich von 2 Kor 9,12 mit 2 Kor 4,15 und 1,11

3.3.4. V13

3.3.5. V14

3.3.6. Eine andere Deutung von V14 nach P46

3.3.7. V15

3.4. Zusammenfassung der Ergebnisse

3.4.1. Arbeitsübersetzung

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Stellenregister

Altes Testament

Neues Testament

Jüdische Schriften

Christliche Schriften

Andere antike Texte

Einleitung

1. Neuere Arbeiten zu 2 Korinther 8 und 9 und Fragestellung

Diese Untersuchung beschäftigt sich mit den Kapiteln 8 und 9 des 2. Korintherbriefes, den Kollektenkapiteln. In der exegetisch-theologischen Literatur ist das Kollektenthema einige Male behandelt worden. Einen guten Überblick über die Forschungsgeschichte der Kollekte gibt Beckheuer in seiner Untersuchung „Paulus und Jerusalem“.1 Im Folgenden sollen nur die wichtigsten Ergebnisse dargestellt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der neueren Abhandlungen des Kollektenthemas.

Einen großen Einfluss hatte der Aufsatz von HOLL „Der Kirchenbegriff des Paulus in seinem Verhältnis zu der Urgemeinde“.2 Nach Holl hat die Jerusalemer Gemeinde einen rechtlichen Vorrang vor den anderen Gemeinden. Dies zeige sich in den Selbstbezeichnungen der Jerusalemer Urgemeinde als „die Armen“ und „die Heiligen“.3 An diesen Ehrenbezeichnungen zeige sich, dass sich die Jerusalemer Urgemeinde den anderen Gemeinden religiös überlegen fühlte. Sie habe einen Vorzug, der sie dauernd auszeichne. Aus dieser Sonderstellung habe die Urgemeinde gewisse Rechtsforderungen abgeleitet: sie habe ein Aufsichts- und Besteuerungsrecht über die ganze Kirche. Wie die Gemeinde verpflichtet sei, den in ihr wirkenden Apostel zu unterhalten, seien die anderen Gemeinden verpflichtet, zum Unterhalt der Muttergemeinde beizutragen. Die Kollekte wird so als Steuer gesehen, die von der Jerusalemer Gemeinde den heidenchristlichen Gemeinden auferlegt wurde. Gal 2,10 sei so eine Auflage der Jerusalemer Gemeinde. In seiner Darstellung der Kollekte Röm 15,25f. habe Paulus verhüllende Redeweisen benützt, weil er sich geschämt habe. In Wirklichkeit habe die Jerusalemer Gemeinde gar nicht als die ärmste gegolten. Gegenüber dem Kirchenbegriff der Urgemeinde habe Paulus einen neuen Kirchenbegriff eingeführt. Für Paulus sei der lebendige Christus die eigentliche Grundlage der Kirche.4

Für K.F. NICKLE5 ist die Kollekte, in Analogie zu der jüdischen Tempelsteuer, eine regelmäßige Abgabe.6 In seiner Darstellung unterscheidet er mehrere Stadien in der Kollekte: Zunächst sei sie „an act of Christian charity among fellow believers motivated by the love of Christ“.7 Nach dem antiochenischen Zwischenfall sei die Kollekte ein Zeichen der Einheit geworden. Für die Organisation der Kollekte greife Paulus auf die Institution der Tempelsteuer zurück. Schließlich sei die Kollekte: “eschatological pilgrimage of the Gentile christians to Jerusalem by which the Jews were to be confronted with the undeniable reality of the divine gift of saving grace to the Gentiles and thereby themselves moved through jealousy to finally accept the gospel”.8

Nach D. GEORGI9 bedeutet die Abmachung Gal 2,10 keine Anerkennung einer rechtlichen Vorrangstellung der Jerusalemer. Der Begriff „die Armen“ sei ein eschatologischer Titel der Jerusalemer Gemeinde. Die Vereinbarung auf dem Apostelkonzil Gal 2,10 interpretiert er dahin, „dass die Heidenchristen der exemplarischen Leistung der Jerusalemer Christen Anerkennung zollen sollten. Um deren andauernde und eschatologische Demonstration wäre es dann gegangen, damit aber auch um die eschatologische Hoffnung der Christenheit überhaupt“.10 Nach dem antiochenischen Zwischenfall sei die Abmachung des Apostelkonzils hinfällig geworden. Um der drohenden Auflösung seiner Gemeinden in Mysteriencliquen und mystische Zirkel entgegenzuwirken, habe Paulus die Kollekte, auf eigene Initiative, wieder aufgenommen.11 Das Selbstbewusstsein der paulinischen Gemeinden sei inzwischen stärker gewachsen. Die Kollekte interpretiere Paulus jetzt auf dem Hintergrund von Jes 60,1-21: Mit der Überbringung der Kollekte erfülle sich die Verheißung der Völkerwallfahrt der Heidenvölker nach Jerusalem.12

B. BECKHEUER hat sich in seiner Untersuchung zum Ziel gesetzt, „die Entwicklung des paulinischen Denkens hinsichtlich der Kollekte nachzuzeichnen. Dabei soll deutlich werden, wie eine paulinische Theologie der Kollekte erst durch die Auseinandersetzung mit den Problemen in seinen Missionsgebieten entstanden ist“.13

Nach der getroffenen Kollektenvereinbarung (Gal 2,10) sei es zu einem Streit gekommen (Gal 2,11), so dass für Paulus die Vereinbarung zwischen ihm und den Vertretern der Urgemeinde hinfällig geworden sei. Paulus habe aber weiter an der Gemeinschaft mit der Urgemeinde festgehalten. In der Rückschau der Ereignisse habe er die Kollekte mit einem theologischen Vorzeichen versehen. Auch die Beantwortung von rein praktischen Fragen, wie die Sammlung zu organisieren sei, geschehe in der Sprache der theologischen Reflexion (1 Kor 16,1-4).14

Bei der Kollekte ginge es nicht um das Einbringen eines in qualitativer Hinsicht großen Betrages, sondern um den Vollzug göttlicher aequalitas.

Für 2 Kor 9,6-11 sieht er Jes 61,11 als Hintergrund. „Das Buch Jes scheint die gesamte Theologie des Kollektenwerkes geprägt zu haben. Die Zitate und Anspielungen und das Aufgreifen alttestamentlicher Motive weisen auf die Tatsache hin, dass Paulus aus dem Buch Jesaia lebt und theologisiert (2 Kor 9,5f.): „Der konkrete Vollzug des Christseins demonstriert den Jerusalemern die Erfüllung der Verheißung der Psalmen und der Propheten...“15

Im Römerbrief wird die Kollekte mit dem Vokabular alttestamentlicher Missionstheologie dargestellt. Hintergrund für Röm 15,16 ist Jes. 61,6.16

S. JOUBERT deutet die Kollekte des Paulus mit der Terminologie der Wohltätigkeit in der griechisch – römischen Welt. “The collection is to be understood in terms of the social convention of benefit exchange. Reciprocity was the heart of all forms of benevolence in the ancient Graeco-Roman world. The bestowal of gifts initiated the establishment of long-term relationships that involved mutual obligations and clear status differentials between the transactors”.17 So sei die Kollekte das Ergebnis und der konkrete Ausdruck einer gegenseitigen Beziehung zwischen Jerusalem und Paulus. Benefit exchange liefere den erklärenden Rahmen für die Kollekte. Paulus habe das grundlegende Prinzip von benefit exchange uminterpretiert. Das zeige sich daran, dass Paulus als διάκονος die Kollekte überliefere (Röm 15,25ff.) und nicht seine eigene Ehre suche. Auch ändere er das griechisch-römische Prinzip der gegenseitigen Vergeltung, indem er den Nachdruck von der erwarteten Gegengabe auf die positive innere Ausrichtung der Geber lege. Die Wohltäter in der griechischrömischen Welt suchten durch ihr Wohltun ihren eigenen Ruhm zu vermehren und nicht die Not der Armen zu lindern.18

BYUNG-MO KIM geht es in seiner Untersuchung darum, das Wesen der paulinischen Kollekte herauszuarbeiten.19 Dabei geht er von einer These von K. Berger aus, die Kollekte sei in Analogie zum Almosen der Gottesfürchtigen für Israel zu deuten.20

Die verschiedenen Bezeichnungen für die Kollekte in 2 Kor 8,4 charakterisieren verschiedene Aspekte der Kollekte: διακονία beschreibt den materiellen Aspekt der Kollekte, sie ist eine Hilfe für die Armen der Jerusalemer Gemeinde. Χάρις umschreibt den göttlich-menschlichen Aspekt der Kollekte. Die Kollekte setzt den begnadeten Zustand (Empfang des Evangeliums) voraus. Κοινωνία zeigt den zwischenmenschlichen Aspekt der Kollekte. „Kurzum: durch die Kollekte, die als materieller Hilfsdienst für die Armen in der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem von den makedonischen bzw. korinthischen Heidenchristen des Paulus unternommen wurde, kommen vor den judenchristlichen Kollektenempfängern der begnadete bzw. bekehrte Status der heidenchristlichen Kollektengeber und damit zugleich die durch das Begnadetsein zwischen heidenchristlichen Gebern und judenchristlichen Empfängern bestehende Gemeinschaft zum Ausdruck“.21 Nach Byung–Mo Kim lässt sich die Kollekte als eine Analogie zum Almosen der Gottesfürchtigen für Israel verstehen: „wie im frühen Judentum die im Prinzip beschneidungs- und gesetzesfreien Gottesfürchtigen durch Almosen für die Armen im gesetzestreuen Volk Israel ihre Bekehrung zum Gott Israels und zugleich ihre Zugehörigkeit zum Gottesvolk ausdrückten, so brachten die beschneidungs- und gesetzesfreien Heidenchristen durch die Kollekte für die Armen unter den im Prinzip gesetzesorientierten Judenchristen in Jerusalem ihr Begnadetsein bzw. ihr Bekenntnis zum Evangelium Jesu Christi bzw. ihre Bekehrung und die dadurch zwischen den beiden Seiten entstandenen Glaubensgemeinschaft zum Ausdruck.“22

Neben diesen Untersuchungen zur Kollekte sind noch einige weitere Ansätze zu nennen, die mit Hilfe der griechisch-römischen Rhetorik 2 Kor 8 und 9 analysieren. Ziel der Untersuchung von H. D. BETZ23 ist eine sorgfältige Analyse von 2 Kor 8 und 9 in Bezug auf Briefkategorien der antiken Briefliteratur, d.h. in Bezug auf verwendete argumentierende Rhetorik und ihre Funktion, auf den inneren Aufbau und die literarische Form der beiden Kapitel. Nach seiner Interpretation sind 2 Kor 8 und 9 als zwei getrennte Briefe zu betrachten; Kapitel 8 gehöre zur Verwaltungskorrespondenz des Paulus und stelle ein amtliches Schreiben dar, „das von einem einzelnen in einer offiziellen Stellung an eine Körperschaft, die Gemeinde in Korinth, in Begleitung offiziell ernannter Abgesandter geschickt wird.“24 Der erste Teil von Kapitel 8 sei beratender Natur (VV1-15), der zweite Teil hingegen administrativ oder juristisch (VV16-23). Die Formeln und Ausdrücke des zweiten Teils stammten hauptsächlich aus der hellenistischen Verwaltungssprache.

Kapitel 9 gehöre zum Texttyp des beratenden Briefes; dementsprechend sei die Rhetorik beratender Art. Kapitel 9 habe einen anderen Adressaten als Kapitel 8 und auch eine andere Aufgabe. In Kapitel 9 erkläre Paulus den Achäern, welche Rolle sie spielen sollen, um die Kollekte in Korinth zu Ende zu führen. Sie sollen ein gutes Beispiel geben, das von den Korinthern nachgeahmt werden kann, und sie sollen vor allem darauf achten, dass der geistliche Aspekt der Kollekte, die eine „Segensgabe“ sein soll, gewährleistet sei.25

Ebenfalls auf dem Hintergrund der Rhetorik baut K. J. O’MAHONY26 seine Untersuchung auf und zeigt alle rhetorischen Stilfiguren auf, die Paulus in den beiden Kapiteln 8 und 9 verwendet.

Auf diese unterschiedlichen Aspekte der Kollekteninterpretationen soll bei der Auslegung genauer eingegangen werden.

Der Überblick über die neueren Abhandlungen über die Kollekte des Paulus hat gezeigt, dass die Untersuchungen sich schwerpunktmäßig entweder auf das Wesen der Kollekte beziehen,27 den Zusammenhang der Kollekte mit der Mission des Paulus untersuchen,28 oder die Kollekte in die sozio-kulturelle Umwelt einordnen.29 Im Unterschied dazu stehen bei dieser Arbeit semantische und syntaktische Fragen im Vordergrund, woraus sich Konequenzen ergeben für die geistliche Dimension der beiden Kollektenkapitel.

Für die Interpretation von 2 Kor 8 und 9 ist der Bergriff χάρις von entscheidender Bedeutung. Wenn dieser Begriff auch unterschiedlich gedeutet wird, so besteht doch Übereinstimmung, dass Paulus diesen Begriff in einem festgeprägten theologischen Sinn gebrauche. In dieser Untersuchung soll nachgewiesen werden, dass χάρις für Paulus noch ein offener Begriff ist und noch nicht allein auf „Gnade“ festgelegt ist.

Ein weiterer Schlüsselbegriff der Kapitel 8 und 9 ist der Begriff ἁπλóτης. Dieser Begriff wird oft mit „Freigebigkeit“, oder „generosity“, „liberability“ übersetzt. In dieser Arbeit soll aufgezeigt werden, dass Paulus mit ἁπλóτης das biblische und in der jüdischen Tradition bekannte Motiv des „einfachen Gebens“ übernimmt.

In den beiden Kapiteln 8 und 9 wird vielfach auf Anakoluthe und sprunghaft erscheinende Gedankengänge hingewiesen, die Rätsel aufgeben.30 Dies betrifft besonders die Verse 2 Kor 8,3-5.31 Umstritten ist in dieser Einheit vor allem die Konstruktion und Zuordnung des Partizips δϵóμϵνοι. In dieser Arbeit soll aufgezeigt werden, dass das Verb δimageομαι mit dem Genitiv kontruiert wird und ein Akkusativ der Sache nur möglich ist als ein Akkusativ Neutrum eines Pronomens oder Adjektivs.

Weiterhin soll in dieser Untersuchung aufgezeigt werden, dass es die Absicht des Paulus ist, die Korinther zur endgültigen Durchführung der Kollekte zu motivieren. Dabei geht es Paulus in erster Linie nicht um einen großen Betrag, sondern um die geistliche Dimension des Gebens, um ein Geben von Herzen und in Einfachheit. Zu diesem Geben in Einfachheit will Paulus die Korinther in den beiden Kollektenkapiteln hinführen.

Ein weiterer Schwerpunkt dieser Untersuchung liegt im Argumentationsverlauf der beiden Kollektenkapitel. Es soll aufgezeigt werden, dass durch die neue Deutung des Textes der Gedankengang geschlossener wirkt.

2. Vorgehen und Methode

Bevor der Text 2 Kor 8,1-15 und 9,6-15 in den Blick genommen werden kann, sind im Vorfeld semantische und syntaktische Fragen zu klären. Im ersten Kapitel liegt der Schwerpunkt auf philologischen Untersuchungen: auf der historischen Wortsemantik (ἁπλóτης, χάρις), wobei hier neben dem lexikalischen Aspekt auch der diachrone Aspekt der Semantik berücksichtigt wird, ferner auf der syntaktischen Analyse (Konstruktion von δimageομαι, Satzkonstruktion von 2 Kor 8,1-5).

Neben den semantischen und syntaktischen Fragen wird auch der Kontext der beiden Kollektenkapitel und ihre Gliederung in den Blick genommen.

Kapitel 2 und 3 bietet die Auslegung von 2 Kor 8,1-15 und 9,6-15. Die Verse 8,16-24 und 9,1-5 werden nur in einem Überblick dargeboten, und die Einordnung in das Ganze der beiden Kollektenkapitel wird aufgezeigt.

Bei der Auslegung liegt der Schwerpunkt auf der geistlichen Dimension des Gebens. Es soll aufgezeigt werden, dass es die Absicht des Paulus ist, die Korinther zu motivieren, ihre Gabe für die Armen in Jerusalem von Herzen und mit Freude zu geben und sie in mehreren Schritten zu dieser Gabe der Einfachheit hinzuführen.

1    B. BECKHEUER, Paulus und Jerusalem, 13-39.

2    K. HOLL, Der Kirchenbegriff des Paulus in seinem Verhältnis zu der Urgemeinde: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte II, Tübingen 1928. Nachdruck Darmstadt 1964, 44-67.

3    K. HOLL, a.a.O., 59.

4    K. HOLL, a.a.O., 63.

5    K. F. NICKLE, The Collection: A Study in the Strategy of Paul, Naperville 1966.

6    K. F. NICKLE, a.a.O., 74-99.

7    K. F. NICKLE, a.a.O.,142 und 100f.

8    K. F. NICKLE, a.a.O.,142.

9    D. GEORGI, Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, Hamburg 1965; erweiterte Auflage, Neunkirchen 1994.

10   D. GEORGI, a.a.O., 27.

11   D. GEORGI, a.a.O., 39.

12   D. GEORGI, a.a.O., 85.

13   B. BECKHEUER, Paulus und Jerusalem, 9.

14   B. BECKHEUER, a.a.O., 271.

15   B. BECKHEUER, a.a.O., 273.

16   B. BECKHEUER, a.a.O., 274.

17   J. JOUBERT, Paul as Benefactor, 6.

18   J. JOUBERT, a.a.O., 216f.

19   BYUNG-MO KIM, Die Paulinische Kollekte, 1.

20   K. BERGER, Almosen für Israel. Zum historischen Kontext der paulinischen Kollekte, in: NTS 23 (1977), 180-203.

21   BYUNG-MO KIM, a.a.O., 183f.

22   BYUNG-MO KIM, a.a.O., 186.

23   H. D. BETZ, 2 Corinthians 8 and 9, Hermeneia, Philadelphia,1985. Die deutsche Übersetzung trägt den Titel: 2 Korinther 8 und 9. Ein Kommentar zu zwei Verwaltungsbriefen des Apostels Paulus, Gütersloh 1993.

24   H. D. BETZ, a.a.O., 239.

25   H. D. BETZ, a.a.O., 249.

26   KIERAN J . O’MAHONY, Pauline Persuasion, A Sounding in 2 Corinthians 8-9, Sheffield 2000.

27   K.F. NICKLE; D. GEORGI; BYUNG-MO KIM.

28   B. BECKHEUER.

29   S. JOUBERT.

30   BECKHEUER, Paulus und Jerusalem 125.

31   Vgl. H. WINDISCH, 2 Kor 245; C. WOLFF, 2 Kor 147; D. GEORGI, Der Armen zu gedenken 59.

1. Semantische, syntaktische und kontextuelle Vorarbeiten zu 2 Kor 8,1-15

1.1 Kontext und Abgrenzung von 2 Kor 8 und 9

Stellung und Abgrenzung der beiden Kollektenkapitel im Gesamt des zweiten Korintherbriefes sind eng verknüpft mit dem Problem der literarischen Einheitlichkeit des zweiten Korintherbriefes überhaupt. Eng verbunden mit der Einteilung des 2. Korintherbriefes ist die Annahme des Zwischenbesuches und Sicht der Zwischenereignisse zwischen 1. und 2. Korintherbrief. Der Auffassung des 2. Korintherbriefes als literarische Einheit (BIERINGER, J. HARRIS) steht die Sicht verschiedener Teilungshypothesen gegenüber.

Von den meisten Exegeten wird die Grundstruktur des Zweiten Korintherbriefes in drei große Teile:1-7 (und darin 2,14-7,4); 8-9; 10-13 anerkannt.32 Unterschiedlich wird dagegen die Zuordnung der einzelnen Teile gesehen und dementsprechend werden verschiedene Teilungshypothesen aufgestellt.33 Zwei Briefe: 1-9; 10-13 (BARRETT; FURNISH); zeitlich umgekehrt 10-13; 1-9 (KLAUCK); drei Briefe: 1-8; 9; 10-13 (THRALL); 9; 10-13; 1-8 (DAUTZENBERG); 2,14-7,4; 10-13; 1,1-2,13, 7,5-9,15 (J. BECKER); vier Briefe: 2,14-6,13, 7,2-4; 10-13; 1,1-2,13, 7,5-8,24 (G. BORNKAMM).

Die vorliegende Untersuchung geht davon aus, dass der 2. Korintherbrief kein einheitlicher Brief ist, sondern eine Komposition von mehreren Briefteilen darstellt. Mit J. BECKER, N. BAUMERT gehe ich von drei Briefen aus, von der Apologie des Apostels 2 Kor 2,14-7,3, dem Tränenbrief 2 Kor 10,1-13,10 und dem Freudenbrief 2 Kor 1,1-2,13 und 7,4-9,15.

Was Kapitel 8 und 9 betrifft, so lassen sich nach BIERINGER die Lösungsvorschläge auf vier verschiedene Arten zusammenfassen:34

a) 2 Kor 8 und 2 Kor 9 sind ursprünglich zwei selbständige Briefe, die an verschiedene Adressaten gesandt wurden.35 Bei dieser Interpretation stehen die beiden Briefe in keinem Zusammenhang zum Versöhnungsbrief (Freudenbrief) 2 Kor 1-7 bzw. 1,1-2.13 + 7,4-16.

b) Kap 9 schließt an 2 Kor 7,16 an, wogegen Kapitel 8 ein eigenes Schreiben darstellt.36

c) In der Sicht des dritten Typs schließt Kapitel 8 an 7,16 an und bildet einen Teil des Freudenbriefes. Kapitel 9 ist dagegen ein selbständiger Brief, der entweder vor dem Tränenbrief (DAUTZENBERG), vor dem Versöhnungsbrief (SCHMIIHALS) oder nach BORNKAMM nach dem Versöhnungsbrief anzusetzen ist.

d) Nach der vierten Lösungsmöglichkeit gehören die beiden Kapitel 8 und 9 in der kanonischen Reihenfolge zu 2 Kor 1-737 bzw. zum Freudenbrief 1,1-2.13 + 7,4-16.38

Von diesen verschiedenen Lösungsmöglichkeiten wird in dieser Untersuchung die vierte bevorzugt. Die beiden Kollektenkapitel 8 und 9 folgen also unmittelbar auf 7,16 und gehören zum Versöhnungsbrief (Freudenbrief) 1,1-2,13 + 7,4-9,15.39 Für diese Lösung sprechen vor allem der inhaltliche Zusammenhang und die Textverknüpfungen von 7,4-16 mit Kapitel 8 und der inhaltliche Zusammenhang von Kapitel 8 und 9.

1.1.1. Der Zusammenhang von 7,4-16 mit Kapitel 8

Die Verknüpfung 2 Kor 7,4-16 mit Kapitel 8 ist gut gegeben durch die Bezugnahme auf die Wirksamkeit des Titus in Korinth 7,6f. 13-15 und 8,6.16.40 Die Ankunft des Titus und dessen positiver Bericht über die Umkehr der Korinther sind die Voraussetzung für seine erneute Sendung in Bezug auf die Kollekte. Als weitere Verknüpfung ist das Stichwort σπουδή zu nennen. Der Tränenbrief bewirkte bei den Korinthern Eifer für Paulus (7,11.12). In 8,7 wird σπουδή den Korinthern zugesprochen, die durch πάσῃ besonders hervorgehoben wird. In 8,8 wird der Eifer der Makedonier als Vorbild für die Korinther dargestellt und soll zum Anreiz für ihren Eifer und ihre Liebe werden. Die Einführung des neuen Themas γνωρίζομϵν δimage ὑμImageν (8,1) kehrt genauso in 1 Kor 15,1 wieder. Weitere Textverknüpfungen sollen tabellarisch dargestellt werden:

Textverknüpfung zwischen 7,4-16 und 8,1-24

(ὑπϵρ)πϵρισσϵύω

7,4

8.2.7 (2x)

Χαρά

7,4.13

8,2

ΘλImageψις

7,4

8,2.13

Παρακαλimageω41

7,6.7.13

8,6

Παράκλησις42

7,4.7.13

8,4.17

Σπουδή

7,11.12

8,7.8.16

Καύχησις

7,4.14

8,24

Mακϵδονία,

7,5

8,1.8

Mit der Nennung des Titus und durch die anderen Stichwörter ist also ein guter Zusammenhang von Kapitel 8 mit dem vorherigen Text 7,4-16 gegeben.43

1.1.2. Der inhaltliche Zusammenhang von Kapitel 8 und Kapitel 944

a) Formale und inhaltliche Gesichtspunkte

Einige Exegeten sehen in der Art der Eröffnung πϵρὶ μimageν γὰρ (9,1) den Einsatz eines neuen Themas und trennen Kapitel 9 als selbständigen Brief von dem Vorhergehenden ab.45 Aber anders als πϵρὶ δimage, mit dem Paulus öfter in ein neues Thema einführt (1 Kor 7,25; 8,1; 12,1; 16,1), hat die Wendung πϵρὶ μimageν γὰρ einen Rückbezug zu V 8,24 und führt nicht in ein neues Thema ein.46

Auch die Wendung πϵρισσóν μοί imageστιν τὸ γράϕϵιν ὑμImageν wird von einigen Exegeten als Grund betrachtet, in Kapitel 9 ein eigenes Schreiben zu sehen. Πϵρισσóν μοί imageστιν wird von der überwiegenden Mehrheit der Interpreten als eine praeteritio47 angesehen, die ihrer Funktion nach eine captatio benevolentiae sei. Paulus kenne ihre Bereitwilligkeit (V2), daher sei ein Schreiben überflüssig.

In V3 zeigt sich aber, dass diese Bereitwilligkeit der Korinther gefährdet ist und der Unterstützung bedarf. Von daher ist πϵρισσóν μοί imageστιν wohl keine praeteritio, sondern, wie die Untersuchung zeigen wird,48 ist πϵρισσóν hier mit „bedeutsam“, „wichtig“ zu übersetzen; die Wendung besagt dann, dass das Schreiben für Paulus wichtig ist, da er die Gefährdung der Bereitwilligkeit kennt.

Inhaltlich ist die Verknüpfung von 8,24 mit 9,2f. durch den Begriff „Rühmen“ gegeben, der in 8,24 erwähnt und in 9,2 durch προθυμία näher erläutert wird. Eine weitere Verbindung zwischen Kapitel 8 und 9 stellt das Stichwort ἀδϵλϕούς dar; in 8,24 werden die Korinther aufgefordert, vor den Boten, den „Brüdern“, den Beweis ihrer Liebe zu erbringen, in 9,3f. wird die Aufgabe dieser „Brüder“ dahin beschrieben, die Bereitwilligkeit der Korinther zu unterstützen, damit das Rühmen des Paulus nicht hinfällig wird. Inhaltlich knüpft 9,1f. an 8,24 an.

b) Textverknüpfung zwischen Kapitel 8 und 9

Neben den Abgesandten, dem Rühmen des Paulus, der Erwähnung der Makedonier gibt es viele Stichwörter, die in beiden Kapiteln vorkommen:

Χάρις

8,1.2.6.7.9.1.19

9,8.14.15

Δοκιμή

8,2

9,13

Πϵρισσϵύω

8,2.7 (2x)

9,8 (2x).12

‘Απλóτης

8,2

9,1.13

Κοινωνία

8,4

9,13

Παρακαλimageω

8,6

9,5

Προθυμία

8,11.12.19

9,2

ἀπὸ πimageρυσι

8,10

9,2

′Αδϵλϕóς

8,1.18.22.23

9,3.5

Καύχησις, καύχημα

8,24

9,2 (Verb).3

Μακϵδονία, Μακϵδών

8,1

9,2.4

Der Zusammenhang zwischen Kapitel 8 und 9 ist also aus formaler Rücksicht deutlich gegeben. Inhaltlich muss dies die Auslegung erweisen.

1.1.3. Einordnung von 2 Kor 8 und 9 in das Gesamt des 2. Korintherbriefes

Wie oben dargelegt, geht diese Untersuchung von der Hypothese aus, dass der 2. Korintherbrief vermutlich aus drei Brieffragmenten besteht: 1. 2,14-7,3; 2. 1,1-2,13; 7,4-9,15; 13,11-13; 3. 10,1-13,10. Was die chronologische Reihenfolge anbetrifft, folgt diese Untersuchung der Rekonstruktion von J. BECKER.49 Es wird also von folgendem Ablauf der korinthischen Korrespondenz ausgegangen:

1. ‚Apologie’: 2,14-7,3

2. ‚Tränenbrief’: 10,1-13,10

3. ‚Freudenbrief’: 1,1-2,13; 7,4-9,15

Die einzelnen Brieffragmente entstammen verschiedenen Situationen und spiegeln das Verhältnis zwischen Paulus und den Korinthern.50 In der ‚Apologie’ verteidigt sich Paulus gegen Vorwürfe seiner Gegner; dabei geht es hauptsächlich um sein Apostolat. Dieser Brief führt nicht zum Erfolg und es kommt zum sogenannten „Zwischenbesuch“, der mit einem harten Zerwürfnis endet. Anstelle des angekündigten weiteren Besuches schreibt Paulus den ‚Tränenbrief’, in dem er sich mit den ‚Pseudoaposteln’ auseinandersetzt. Der ‚Tränenbrief’, den Titus überbrachte, führte zum Erfolg, und die Gemeinde stellt sich auf die Seite des Paulus. Nach der positiven Reaktion der Korinther, die Titus dem Paulus überbrachte (2 Kor 7,7), schreibt Paulus den ‚Freudenbrief’, der geprägt ist von der Grundstimmung der Freude über die Aussöhnung mit den Korinthern.

Die beiden Kollektenbriefe gehören zum ‚Freudenbrief’ und bilden den Abschluss der uns bekannten Korrespondenz des Paulus mit den Korinthern. Dies wird durch die Auslegung weiter gestützt werden. Die Kollekte war wegen der Spannungen zwischen Paulus und den Korinthern gefährdet und stand in Gefahr, abgebrochen zu werden. Nach der erfolgten Versöhnung sucht Paulus in 2 Kor 8 und 9 die Korinther dazu zu bewegen, ihre Kollekte fortzuführen und zu vollenden.

1.1.4. Gliederung von 2 Kor 8 und 9

Für die Gliederung der beiden Kollektenkapitel sind zwei inhaltliche Aspekte von Bedeutung: der Appell an die Korinther, die Kollekte zu Ende zu führen, und die Sendung des Titus und zweier Begleiter, die Korinther darin zu unterstützen.

BYUNG–MO KIM betont in seiner Gliederung den ersten Aspekt und gliedert die beiden Kapitel 8 und 9 in zwei Teile:

I: 8,1-6 Darstellung der makedonischen Vorbildlichkeit bei der Kollekte

II: 8,7-9,15 Direkte Aufmunterung an die Korinther zum Abschluss ihrer Kollektensammlung.51

Beide Aspekte betont C.H. TALBERT.52 Er vertritt einen chiastischen, dreiteiligen Aufbau:

A

8,1-15

Why the Corinthians need to complete their collection

B

8,16- 9,5

A commendation of the representatives

A’

9,6-14

Why the Corinthians and other Christians in Achaia need to give generously.

Gegenüber diesen beiden Gesichtspunkten betont A. WODKA53 in seiner Gliederung mehr die innere Gesinnung beim Geben. Er gliedert die beiden Kapitel in folgende Abschnitte:

I

8,1-5

Una povertà donante

II

8,6-17

La vera ricchezza

III

8,18-9,5

Il servizio al dare

IV

9,6-15

Dio e l’uomo nel dare

Diese Gliederung trägt der Tatsache Rechnung, dass durch das häufige Vorkommen der Stichworte χάρις, ἁπλóτης, ἀγάπη, πρоθυμία, σπоυδή die innere Gesinnung beim Geben besonders hervorgehoben wird.

Für eine Gliederung, in der die drei oben genannten Aspekte zur Geltung kommen, kann V 8,6 wegweisend sein.54 Hier wird vorausgesetzt, dass die Korinther dieselbe χάρις empfangen haben, deren Wirkung an den Makedoniern in 8,1-5 beschrieben wird. Titus und die beiden Begleiter haben die Aufgabe, dieser χάρις („Gnadenanregung“)55 an den Korinthern zur Ausführung zu verhelfen. Aufgrund dieser Feststellung ergibt sich für Kapitel 8 folgende Einteilung:

8,1-9

Die Auswirkung der χάρις Gottes und die χάρις Jesu Christi

8,10-15

Konkreter Hinweis zum Geben (Maßstab für das Geben)

8,16-24

Die Sendung des Titus und zweier Begleiter

Kapitel 8 ist palindromisch aufgebaut:56

A 8,1-9

Aufforderung an die Korinther, sich in der ‚Gnade des Gebens’ auszuzeichnen; als Vorbild dienen das Beispiel der Makedonier und das Beispiel Jesu Christi

B 8,10-15

Konkreter Hinweis zum Geben (Maßstab für das Geben)

A’8,16-24

Sendung und Empfehlung des Titus und zweier Begleiter, um die Sammlung geistlich vorzubereiten (vgl. V6).

Für Kapitel 9 ergibt sich:

Die Verse 1-5 von Kapitel 9 begründen und vertiefen die Sendung der „Brüder“, von denen in 8,16-24 die Rede war.

Mit τоimageτо δimage in V6 leitet Paulus zu einem neuen Gedankengang über. Subjekt der Verse 7c, 8a, 10, 11a ist Gott. Er gibt seine χάρις, die zur Genügsamkeit und zum ‚guten Werk’ befähigt. So ergibt sich eine Texteinheit 9,6-11: Gottes Befähigung zum ‚Geben in Einfachheit’. Die Verse 12-14 erläutern als dritte Texteinheit den Dank in V11b. Wie Kapitel 8 so ist auch Kapitel 9 palindromisch aufgebaut. Für Kapitel 9 ergibt sich also folgende Einteilung:

A

9,1-5

Die Aufgabe der Abgesandten

B

9,6-11

Gottes Befähigung zum ‚Geben in Einfachheit’

A’

9,12-15

Die Auswirkung des ‚Gebens in Einfachheit’

1.2. ῾Απλóτης

1.2.1. Der klassische Sprachgebrauch von ἁπλóτης

Für das Verständnis der beiden Kollektenkapitel ist die Bedeutung des Begriffs ἁπλóτης von Bedeutung.57 Er ist ein Schlüsselwort und umschreibt die Gesinnung des Gebens, die nach Paulus eine wichtige Voraussetzung für die rechte Durchführung der Kollekte ist.

In den beiden Kapiteln 8 und 9 erscheint ἁπλóτης in 2 Kor 8,2 und 9,11 und 13, also am Anfang und Ende der Kollektenkapitel und bildet eine inclusio. In 8,2 steht der Begriff an hervorgehobener Stelle und prägt den Abschnitt 8,1-6. Dem Inhalt nach erscheint ἁπλóτης in 9,7. Hier wird positiv die Fröhlichkeit beim Geben betont und negativ Furcht und Zwang abgewehrt. Die Fröhlichkeit gehört ins Umfeld der ἁπλóτης, Furcht und Zwang grenzen sie negativ ab. Die Auslegung von V 9,8 wird zeigen, dass mit πimageν imageργоν ἀγαθóν inhaltlich die ἁπλóτης gemeint ist. In 9,11 beschreibt ἁπλóτης die Begleitumstände des Wachstumsprozesses. d.h. des Gebens; in 9,13 gibt der Begriff den Grund für den Lobpreis Gottes an. 2 Kor 8 und 9 werden also durch den Schlüsselbegriff ἁπλóτης entscheidend geprägt. Ziel des Paulus ist es, die Korinther bei der Ausführung der Kollekte vor allem zur ἁπλóτης zu bewegen. Was ist damit genau gemeint?

LSJ gibt für ἁπλóτης folgende Bedeutungen an: „I. singleness; II. simplicity; 2. of persons, simplicity, frankness, sincerity; 3. open-heartedness: liberality”.58 Als weitere Nuance führen B. GÄRTNER/H. BIETENHARD einfältig, dumm an.59 In dieser Untersuchung steht vor allem die Bedeutung von ἁπλóτης im Zusammenhang des Gebens und Schenkens im Mittelpunkt des Interesses. Hier läge liberality nahe, das LSJ unter II 3 anführt. Einige Exegeten nehmen diese Bedeutung und übersetzen ἁπλóτης mit „generosity“, „liberality“ oder „Freigebigkeit“.60 Nach dieser Interpretation wäre es das Ziel des Paulus, die Korinther zur Freigebigkeit, d.h. zu einer möglichst großen materiellen Gabe zu bewegen.

Nun weist BACHT darauf hin, dass „das Verständnis der ntl. ἁπλóτης-Stellen verfehlt wird, wenn man sie nicht vor dem Hintergrund der biblisch-jüdischen Frömmigkeit sieht“.61 Demzufolge wird ἁπλóτης von einigen Exegeten auch im Sinne von Herzenseinfalt,62 Aufrichtigkeit,63 Einfalt,64 schlichte Güte65 interpretiert. Darüber hinaus sieht J. AMSTUTZ ἁπλóτης in 2 Kor 8,2; 9,11.13 und Röm 12,8 als einen in der jüdischen Tradition stehenden Topos vom rechten Geben.66

Im folgenden soll daher zunächst der alttestamentliche Hintergrund des Begriffs ἁπλóτης erarbeitet werden, danach die jüdische Tradition in den außerbiblischen Schriften, um dann von diesem Verständnis her 2 Kor 8,2; 9,11 und 13 zu interpretieren.

1.2.2. Der jüdische Sprachgebrauch

a) ῾Απλóτης in der LXX

Die Wortgruppe ἁπλóτης, ἁπλоimageς, ἁπλimageς erscheint in der LXX selten: ἁπλóτης siebenmal,67 ἁπλimageς dreimal,68 und ἁπλоimageς einmal.69 2 Sam 15,11 und Spr 10,9 haben als hebräisches Äquivalent image, 1 Chr 29,17 image und Spr 11,25 ist eine freie Übersetzung.70 Die übrigen Belege gehören den Spätschriften der LXX an und haben kein hebräisches Äquivalent. In den späteren Übersetzungen der LXX (alexandrinische, Aquila, Symmachus) erscheint ἁπλóτης öfters und dient überwiegend als Übersetzung von image und seinen Derivaten.71 Die Grundbedeutung von image ist „vollständig werden/sein“.72 Neben den einzelnen Bedeutungsvarianten (fehlerlos, ohne Makel sein;73 unschuldig, schuldlos; ahnungslos, arglos) wird das Adjektiv image auch auf das Gottesverhältnis bezogen. So wird mit image das aufrichtige Verhalten Noach’s (Gen 6,9) beschrieben, ebenso das Wandeln Abrahams, das ganz auf Gott gerichtet ist (Gen17,1). Auch Ijob wird mit image und image als aufrichtiger, rechtschaffener Mann charakterisiert (Ijob 1,1.8). Dtn 18,13 gilt als zentrale Forderung an die Israeliten: Du sollst ganz, ungeteilt deinem Gott gehören (image).74 Ps 15,2 enthält die Aufforderung (image), ganzherzig und rechtschaffen zu wandeln und image Gerechtigkeit zu üben, und Jos 24,14 die Aufforderung, Gott ganz und treu zu dienen. Das vollständige Ausgerichtet-sein auf Gott wird durch Verbindungen mit image mit ganzem Herzen etwas tun,75 und den Wörtern image76 und image ausgedrückt.77 Letzteres meint den redlichen, aufrichtigen Menschen und dessen Lebensgestaltung. EDLUND betont zu recht, dass „image - image und image „einen fundamentalen Begriff der alttestamentlichen Frömmigkeit repräsentieren“.78

Der Bedeutungsinhalt von image und seinen Derivaten wird in der LXX, nicht nur allein mit ἁπλóτης, sondern mit einer Vielzahl von Begriffen wiedergegeben: ἄμωμоς, ἄμ∈μπτоς, ὅσιоς, καθαρóς, τimageλ∈ιоς, ἀθimageоς, ἄκακоς, ἀληθής, ἄπλαστоς, δίκαιоς, ἀκακία.79 Dabei fällt auf, dass die einzelnen Begriffe auch ergänzend gebraucht werden, d.h. der gleiche Sachverhalt durch verschiedene Begriffe ausgedrückt wird.80 In dieser Vielfalt spiegelt sich auch die Schwierigkeit der Übersetzungen.81

Vom 2. Jh. v. Chr. an wird der Bedeutungsinhalt von image mehr und mehr mit ἁπλóτης wiedergegeben. Dies zeigt sich daran, dass Aquila sämtliche Stellen, die image enthalten, mit ἁπλóτης - ἁπλоimageς wiedergibt.82

Als Übersetzungswort empfahl sich ἁπλóτης - ἁπλоimageς, da es in der Bedeutung Aufrichtigkeit, Gradheit, Offenheit mit image übereinstimmt. Beide Begriffe dienen zur Charakterisierung von Menschen. Wie Abraham, Noach, Ijob image genannt werden, so wird griechischen Helden ἁπλóτης zugeschrieben.83 Bei image steht dabei mehr die Beziehung des Menschen zu Gott im Vordergrund. Auch wenn anstelle der Ganzheit bei ἁπλóτης der Begriff der Einfachheit - Einheitlichkeit tritt, so beziehen sich beide Begriffe auf die ungetrübte menschliche Gottesbeziehung. So hat sich allmählich eine Übersetzungstradition herausbildet, die image (Ganzheit) mit ἁπλóτης - ἁπλоimageς (Einfachheit) wiedergibt.84 ῾Απλóτης - ἁπλоimageς bezeichnet die religiöse Grundhaltung, die Einfachheit-Ganzheit des Herzens, die dem Verhältnis des Menschen zu Gott seinen entscheidenden Charakter gibt. Hort bemerkt zu ἁπλimageς: „Later writers comprehend under the one word the whole magnanimous and honourable type of character in which ... singleness of mind is the central feature”.85

Für die Entwicklung von ἁπλóτης zum ethisch-religiösen Begriff finden sich in der außerkanonischen jüdischen Literatur vor allem im Buch der Testamente der zwölf Patriarchen wichtige Belege. Einige dieser Stellen sollen im Folgenden genauer untersucht werden.

b) ῾Απλóτης in den Testamenten der Zwölf Patriarchen

Unter den Tugenden, die in den Testamenten der Zwölf Patriarchen zur Sprache kommen, stellt ἁπλóτης einen Schlüsselbegriff dar. Die über die Testamente verstreuten Einzelaussagen,86 besonders aber das Test. Issa., das die Überschrift ΠΕΡΙ ΑΠΛΟΤΗΤΟΣ trägt, zeigen, dass ἁπλóτης zum „Inbegriff der geistlichen Lehre“ geworden ist.87 In den Testamenten der Zwölf Patriarchen beschreibt ἁπλóτης die entscheidende menschliche Grundhaltung der Beziehung des Menschen zu Gott. Dies zeigt sich auch darin, dass dieser Begriff öfter in Verbindung mit πоρ∈ύоμαι sein Leben führen angewandt wird (Test. Rub. 4,1; Test. Sim. 4,5; Test. Lev. 13,1; Test. Issa. 3,2.4; 4,1, 5,8).88 Auf der gleichen Linie wie ἁπλóτης liegt ∈ὐθύτης (Issa. 3,1; 4,6).

Von der Bedeutung her meint ἁπλóτης Ganzheit, Einfachheit; Aufrichtigkeit des Herzens. Dies wird deutlich in Test. Ben. 6,6, wo ἁπλóτης mit dem Gegensatzbegriff διπλоimageς vorkommt.89imageimageimageimageimageimageimageimage