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Robert Bellarmin

Ausführliche Erklärung des christlichen Glaubens

Für den heutigen Gebrauch übersetzt und aufbereitet von Andreas Wollbold

Robert Bellarmin

Ausführliche Erklärung
des christlichen Glaubens

Für den heutigen Gebrauch
übersetzt und aufbereitet von
Andreas Wollbold

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

© 2013 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de

Umschlag: Peter Hellmund

Umschlagmotiv: Bildnis des Kardinals Robert Bellarmin SJ am Schreibtisch, nach 1600

© Augsburg, Priesterseminar St. Hieronymus / Foto: Richard Harlacher

Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn (www.hain-team.de)

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN

978-3-429-03578-5 (Print)

978-3-429-04687-3 (PDF)

978-3-429-06086-2 (ePub)

Inhalt

  1.  Kapitel:

Was ist die christliche Lehre und welche wichtigsten Teile hat sie?

  2.  Kapitel:

Erklärung des Kreuzzeichens

  3.  Kapitel:

Erklärung des Glaubensbekenntnisses

  4.  Kapitel:

Erklärung des Vater Unser (Gebet des Herrn)

  5.  Kapitel:

Erklärung des ‚Gegrüßet seist du, Maria (Ave Maria)‘

  6.  Kapitel:

Erklärung der zehn Gebote Gottes

  7.  Kapitel:

Erklärung der Kirchengebote

  8.  Kapitel:

Erklärung der evangelischen Räte

  9.  Kapitel:

Erklärung der Sakramente der heiligen Kirche

10.  Kapitel:

Die Tugenden im Allgemeinen

11.  Kapitel:

Die göttlichen Tugenden

12.  Kapitel:

Die Kardinaltugenden

13.  Kapitel:

Die sieben Gaben des Heiligen Geistes

14.  Kapitel:

Die acht Seligpreisungen

15.  Kapitel:

Die sieben leiblichen und die sieben geistlichen Werke der Barmherzigkeit

16.  Kapitel:

Die Laster und die Sünden im Allgemeinen

17.  Kapitel:

Die Erbsünde

18.  Kapitel:

Die Todsünde und die lässliche Sünde

19.  Kapitel:

Die sieben Hauptsünden

20.  Kapitel:

Die Sünden gegen den Heiligen Geist

21.  Kapitel:

Die himmelschreienden Sünden

22.  Kapitel:

Die vier letzten Dinge

Gebete

Nachwort

1. Kapitel:

Was ist die christliche Lehre und welche wichtigsten Teile hat sie?

Schüler (= S):  Mir ist klar, dass ich für mein Heil die christliche Lehre kennen muss. Bitte erklären Sie mir darum diese Lehre!

Lehrer (= L):   Die christliche Lehre ist eine Kurzfassung bzw. Zusammenfassung all dessen, was Christus, unser Herr, uns für den Weg zum Heil gelehrt hat.

S:  Was sind die wichtigsten und notwendigsten Teile dieser Lehre?

L:  Es sind vier, nämlich:

1. das Glaubensbekenntnis,

2. das Vater Unser,

3. die zehn Gebote und

4. die sieben Sakramente.

S:  Warum sind es gerade vier?

L:  Weil es zunächst einmal drei Haupttugenden gibt: Glaube, Hoffnung und Liebe.

1. Das Glaubensbekenntnis ist notwendig für den Glauben, weil es uns lehrt, was wir glauben müssen.

2. Das Vater Unser ist notwendig für die Hoffnung, weil es uns das lehrt, was wir hoffen müssen.

3. Die zehn Gebote sind notwendig für die Liebe, weil sie uns das lehren, was wir tun müssen, um Gott zu gefallen.

4. Die Sakramente sind schließlich notwendig, weil sie die Werkzeuge sind, mit denen man die Tugenden empfängt und bewahrt, die wie gesagt notwendig sind, um gerettet zu werden.

S:  Ich hätte gern von Ihnen einen Vergleich, um die Notwendigkeit dieser vier Teile der christlichen Lehre besser zu begreifen.

L:  Der hl. Augustinus gibt uns den Vergleich mit einem Haus.

Beim Hausbau legt man zuerst das Fundament, dann zieht man die Wände hoch und deckt es am Ende mit einem Dach ab; dazu braucht man auch einige Werkzeuge. Auch in der Seele soll ein Gebäude des Heils entstehen. Dazu braucht man das Fundament des Glaubens, die Mauern der Hoffnung, das Dach der Liebe sowie Werkzeuge, nämlich die heiligen Sakramente.

„Durch Gesang wird das Haus erbaut, durch Glauben begründet, durch Hoffen errichtet und durch Lieben vollendet.“ (Augustinus von Hippo, 5. Jh., einer der größten Kirchenlehrer)

2. Kapitel:

Erklärung des Kreuzzeichens

S:  Bevor wir zum ersten Teil der Lehre kommen, würde ich mich freuen, wenn Sie mir einen Vorgeschmack dessen geben könnten, was man zu glauben hat.

Könnten Sie mir dazu zusammenfassend und in groben Zügen die notwendigsten Geheimnisse erklären, die im Glaubensbekenntnis enthalten sind?

L:  Ihr habt recht, so will ich es auch halten.

Ihr müsst also wissen, dass es zwei Hauptgeheimnisse unseres Glaubens gibt und dass beide im Kreuzzeichen enthalten sind.

1. Das erste Geheimnis ist die Einheit und Dreifaltigkeit Gottes.

2. Das zweite ist die Fleischwerdung und Passion des Heilands.

S:  (1) Was bedeutet „EINHEIT UND DREIFALTIGKEIT GOTTES“?

L:  Diese Dinge sind überaus erhaben, und sie werden nach und nach im Lauf dieser Lehre erklärt. Fürs Erste wird es genügen, wenn ihr die Bedeutung der Worte kennenlernt und etwas Weniges davon, so weit es möglich ist, versteht.

Einheit Gottes bedeutet, dass über allen erschaffenen Dingen ein Wesen steht, das keinen Anfang gehabt hat, sondern immer schon gewesen ist und immer sein wird; das alle anderen Dinge gemacht hat; das sie erhält und lenkt und über allen das höchste, edelste, schönste und mächtigste Wesen ist und über alles uneingeschränkt herrscht. Dieses Wesen heißt Gott. Er ist einer, weil es nur eine einzige wahre Gottheit geben kann, das heißt eine einzige Natur oder Wesen, das unendlich mächtig, weise, gut usw. ist.

Dennoch befindet sich diese Gottheit in drei Personen, die Vater, Sohn und Heiliger Geist heißen. Diese drei Personen sind ein einziger Gott, da sie dieselbe Gottheit und dasselbe Wesen haben.

Das ist, als ob hier auf der Erde drei Personen namens Peter, Paul und Johannes dieselbe Seele und denselben Leib hätten. Dann würde man sie doch als drei Personen bezeichnen, weil eine Peter, eine Paul und eine Johannes wäre. Trotzdem wären sie ein einziger Mensch und nicht drei Menschen, weil sie nicht drei Leiber und auch nicht drei Seelen hätten, sondern nur einen Leib und eine Seele. Bei den Menschen ist das nicht möglich, denn das Sein des Menschen ist gering und endlich. Es kann deshalb nicht in mehreren Personen sein. Aber das Sein Gottes und seine Gottheit ist unendlich, und darum kann sich dasselbe Sein und dieselbe Gottheit im Vater, im Sohn und im Heiligen Geist befinden und befindet sich auch tatsächlich in ihnen.

Es sind also drei Personen, denn die erste ist der Vater, die zweite der Sohn und die dritte der Heilige Geist. Trotzdem sind sie nur ein Gott, denn sie haben dieselbe Gottheit, dasselbe Sein, dieselbe Macht, Weisheit, Güte usw.

S:  (2) Jetzt sagen Sie mir bitte, was „FLEISCHWERDUNG UND PASSION DES HEILANDS“ bedeutet!

L:  Die zweite göttliche Person, die wie gesagt Sohn heißt, hat außer ihrem göttlichen Sein, welches sie schon besaß, bevor die Welt erschaffen wurde, ja sogar von Ewigkeit her, auch noch menschliches Fleisch und eine menschliche Seele, also unsere ganze menschliche Natur, im Schoß einer ganz reinen Jungfrau angenommen.

So fing der, der zuvor nur Gott war, an, Gott und Mensch zugleich zu sein. Nachdem er etwa 33 Jahre unter den Menschen geweilt hatte, wobei er sie den Weg zum Heil gelehrt und viele Wunder getan hatte, ließ er sich schließlich ans Kreuz nageln und starb an ihm, um Gott für die Sünden der ganzen Welt Genugtuung zu leisten. Doch nach drei Tagen erstand er vom Tod zum Leben und fuhr nach 40 Tagen zum Himmel auf. Davon werden wir noch bei der Erklärung des Glaubensbekenntnisses sprechen.

Das also ist die Fleischwerdung und die Passion des Heilands.

S:  Warum sind das die Hauptgeheimnisse des Glaubens?

L:  1. Weil im ersten die erste Ursache und das letzte Ziel des Menschen enthalten ist und im zweiten das einzige und sehr wirksame Mittel, um diese erste Ursache zu erkennen und zu diesem letzten Ziel zu gelangen.

2. Ein weiterer Grund ist, dass wir uns, indem wir diese beiden Geheimnisse glauben und bekennen, von allen falschen Parteiungen, d. h. von Heiden, Türken, Juden und Irrgläubigen, unterscheiden.

3. Und schließlich kann niemand gerettet werden, ohne diese beiden Geheimnisse zu glauben und zu bekennen.

S:  Wie sind diese beiden Geheimnisse im Kreuzzeichen enthalten?

L:  Das Kreuzzeichen macht man, indem man sagt: „IM NAMEN DES VATERS UND DES SOHNES UND DES HEILIGEN GEISTES“ und sich gleichzeitig in Form eines Kreuzes bezeichnet. Dabei führt man die rechte Hand zuerst zur Stirn und spricht: „Im Namen des Vaters“, dann hinab zur Brust unter den Worten: „und des Sohnes“, und schließlich von der linken zur rechten Schulter unter den Worten: „und des Heiligen Geistes“.

Der Ausdruck „im Namen“ zeigt uns die Einheit Gottes, weil man sagt „im Namen“ und nicht „in den Namen“. Unter dem Namen versteht man aber die göttliche Macht und Autorität, die in den drei Personen eine einzige ist.

Die Worte „des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ zeigen uns die Dreifaltigkeit der Personen. Sich in Form eines Kreuzes zu bezeichnen führt uns die Passion und darum auch die Fleischwerdung des Sohnes Gottes vor Augen.

Die Hand von der linken zur rechten Seite zu führen und nicht von der rechten zur linken bedeutet, dass wir durch die Passion des Herrn von den vergänglichen Dingen zu den ewigen gebracht worden sind, von der Sünde zur Gnade und vom Tod zum Leben.

„Bei jedem Schritt und Tritt, bei jedem Eingehen und Ausgehen, beim Anlegen der Kleider und Schuhe, beim Waschen, Essen, Lichtanzünden, Schlafengehen, beim Niedersetzen und welche Tätigkeit wir immer ausüben, drücken wir auf unsere Stirn das kleine Kreuzeszeichen.“ (Tertullian, um 200, nordafrikanischer Kirchenschriftsteller)

„Überall steht dieses Zeichen des Sieges uns zur Seite. Deshalb zeichnen wird es voll Eifer auf die Häuser, Wände und Fenster, auf die Stirn und auf das Herz. […] Man darf das Kreuz aber nicht einfach nur mit dem Finger machen, sondern zuerst mit dem Herzen, voll innigen Glaubens. Wenn du es in dieser Weise auf deine Stirne zeichnest, dann wird dir kein unreiner Geist nahen, weil er die Waffe sieht, die ihm die Wunde geschlagen, das Schwert, das ihm den tödlichen Streich versetzte. […] Dieses Zeichen hatte schon zur Zeit unserer Vorfahren und hat auch jetzt noch die Kraft, verschlossene Türen zu öffnen, Giftmittel unschädlich zu machen, dem Schierling seine Wirkung zu nehmen, vom Biss giftiger Tiere zu heilen; denn wenn es die Pforten der Vorhölle erschloss, das Tor des Himmels öffnete, den Eingang zum Paradies wieder auftat und die Fesseln des Teufels sprengte, was braucht man sich da zu wundern, dass es mächtiger ist als giftige Getränke und Tiere und alles andere der Art?“ (Johannes Chrysostomus [„Goldmund“], um 400)

„Es wagen solche Geister nicht, Zeichen dieser Art zu verkennen: Sie zittern vor ihnen, wo immer sie sie erblicken.“ (Augustinus)

S:  Zu welchem Zweck macht man dieses Kreuzzeichen?

L:  1. Erstens macht man es, um zu zeigen, dass wir Christen sind, das heißt Soldaten unseres höchsten Feldherrn, Christus. Denn dieses Zeichen ist wie ein Banner oder eine Uniform, wodurch sich die Soldaten Christi von allen Menschen außerhalb der Kirche unterscheiden: den Heiden, den Juden, den Muslimen und den Christen in anderen Konfessionen.

2. Außerdem macht man dieses Zeichen, um die Hilfe Gottes bei unserem Tun anzurufen. Denn mit diesem Zeichen ruft man die allerheiligste Dreifaltigkeit kraft der Passion des Heilands zu Hilfe. Aus diesem Grund haben die guten Christen die Gewohnheit, dieses Kreuz über sich zu schlagen, wenn sie sich vom Bett erheben, wenn sie das Haus verlassen, wenn sie sich zu Tisch setzen, wenn sie sich schlafen legen und auch am Beginn jeder anderen Sache, die sie zu tun haben.

3. Schließlich macht man dieses Zeichen, um sich gegen jegliche Versuchung des Teufels zu wappnen. Denn der Teufel erschrickt vor diesem Zeichen und flieht vor ihm, so wie es die Verbrecher machen, wenn sie das Zeichen der Polizei sehen.

4. Häufig entgeht jemand mittels dieses Zeichens des heiligen Kreuzes vielen Gefahren für Leib und Seele, wenn er es mit Glauben macht und mit Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit und die Verdienste Christi, unseres Herrn.

3. Kapitel:

Erklärung des Glaubensbekenntnisses

S:  Jetzt kommen wir zum ersten Teil der Lehre. Ich würde gern das Glaubensbekenntnis lernen.

L:  Das Glaubensbekenntnis enthält 12 Teile. Sie heißen Artikel, und 12 sind es entsprechend der Zahl der 12 Apostel, die es verfasst haben. Sie lauten so:

„Wie eine alte Tradition meldet, gab der Herr nach seiner Himmelfahrt den Aposteln […] den Auftrag, einzeln zu den verschiedenen Nationen hinauszuziehen, um ihnen das Wort Gottes zu predigen. Im Begriffe nun, voneinander zu scheiden, stellten sie sich vorher gemeinsam eine Norm ihrer zukünftigen Predigt auf, damit sie nicht etwa, wenn der Eine vom Andern getrennt wäre, denen, welche zum christlichen Glauben eingeladen werden sollten, etwas Verschiedenes vortrügen. Indem so alle vereint und vom Heiligen Geist erfüllt ihre gemeinsamen Überzeugungen zusammenstellten, setzten sie, wie wir sagten, jenes kurze Erkennungszeichen ihrer zukünftigen Predigt fest und fanden darin eine feste Regel, welche sie den Gläubigen zu geben beschlossen.“ (Rufinus von Aquileia, 4. Jh.)

1. Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

2. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,

3. empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria,

4. gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben,

5. hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten,

6. aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters;

7. von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

8. Ich glaube an den Heiligen Geist,

9. die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen,

10. Vergebung der Sünden,

11. Auferstehung des Fleisches

12. und das ewige Leben. Amen.

Erklärung des ersten Glaubensartikels:

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“

S:  Erklären Sie mir bitte den ersten Artikel Wort für Wort.

Was heißt „ICH GLAUBE“?

L:  Es heißt: Ich halte all das, was in diesen 12 Artikeln enthalten ist, für gewiss und für ganz wahr. Der Grund dafür ist der: Gott selbst hat diese Sätze die heiligen Apostel gelehrt, die heiligen Apostel haben sie die Kirche gelehrt, und die Kirche lehrt sie uns. Und weil es unmöglich ist, dass Gott lügt, deshalb glaube ich diese Dinge fester als das, was ich mit den Augen sehe und mit den Händen berühre.

S:  Was heißt „AN GOTT“?

L:  Es heißt, dass wir fest glauben müssen, dass es Gott gibt, auch wenn wir ihn nicht mit den leiblichen Augen sehen. Dieser Gott ist einer, denn man sagt ja „an Gott“ und nicht „an die Götter“.

Auch dürft ihr euch Gott nicht so ähnlich wie etwas Körperliches vorstellen, so groß und schön es auch sein mag. Vielmehr müsst ihr denken, dass Gott etwas Geistiges ist, das immer war und immer sein wird, das alles gemacht hat, alles erfüllt und alles regiert. Er weiß und sieht alles. Kurz und gut, wenn ihr irgendetwas vor Augen habt oder es euch vorstellt, so müsst ihr sagen: Was mir da jetzt vor Augen steht, ist nicht Gott, weil Gott etwas unendlich Besseres ist.

S:  Warum heißt es dann, dass Gott VATER ist?

L:  1. Weil er wirklich der Vater seines eingeborenen Sohnes ist, von dem wir im zweiten Artikel sprechen werden.

2. Des Weiteren, weil er Vater aller rechtschaffenen Menschen ist, freilich nicht der Natur nach, sondern dadurch, dass er sie sozusagen adoptiert hat.

3. Schließlich weil er Vater aller Geschöpfe ist, jedoch weder der Natur nach noch dadurch, dass er sie an Kindes statt angenommen hat, sondern durch die Schöpfung, wie wir es im selben Artikel gleich sagen werden.

S:  Warum sagt man „DEN ALLMÄCHTIGEN“?

L:  Weil dies ein nur Gott zukommender, ihm eigener Titel ist. Obwohl Gott viele ihm eigene Titel hat, wie zum Beispiel ewig, unendlich, unermesslich usw., ist an dieser Stelle doch der passendste, dass er allmächtig ist. So fällt es uns leicht zu glauben, dass er den Himmel und die Erde aus nichts geschaffen hat, wie es ja in den folgenden Worten gesagt wird. Denn für den, der alles tun kann, was er will, und somit allmächtig ist, muss alles leicht sein.

Wenn ihr mir jetzt aber sagen würdet, dass Gott ja nicht sterben und nicht sündigen kann und er so anscheinend nicht alles kann, würde ich euch Folgendes antworten: Sterben und sündigen können ist kein Ausdruck von Macht, sondern von Ohnmacht.

Bei einem überaus tapferen Soldaten, der alle besiegen kann und selbst von niemandem besiegt werden kann, setzt man doch nicht seine Stärke herab, indem man sagt, er könne nicht besiegt werden. Denn besiegt werden zu können ist keine Stärke, sondern eine Schwäche.

S:  Was heißt „SCHÖPFER“?

L:  Es bedeutet, dass Gott alle Dinge aus nichts gemacht hat und dass er allein sie auch wieder zu nichts machen kann. Wohl können die Engel und die Menschen wie auch die bösen Geister etwas machen oder vernichten. Aber sie können es nur aus einer Materie machen, die schon vorher vorhanden war. Ebenso können sie es nur zerstören, indem sie es in etwas anderes verwandeln.

Es ist wie bei einem Maurer, der ein Haus nicht aus nichts machen kann, sondern aus Steinen, Kalk und Holz, und es auch nicht zu nichts werden lassen kann, wenn er es niederreißt, sondern nur wieder zu Steinen, Staub, Holz und dergleichen. Darum heißt nur Gott Schöpfer und ist es, weil nur er keine Materie braucht, um die Dinge zu machen.

S:  Warum sagt man „SCHÖPFER DES HIMMELS UND DER ERDE“? Hat Gott nicht auch die Luft, das Wasser, die Steine, die Bäume, die Menschen und alles Übrige gemacht?

L:  Unter Himmel und Erde versteht man hier auch alles, was im Himmel und auf Erden ist.

Wenn jemand sagt, dass der Mensch Leib und Seele hat, meint er damit ja auch, dass er alles hat, was sich im Leib befindet, also Adern, Blut, Knochen, Nerven usw., sowie alles, was sich in der Seele befindet, wie Verstand, Willen, Gedächtnis, innere und äußere Sinne usw. Ebenso versteht man unter Himmel auch die Luft, die Vögel und alle Dinge, die noch weiter oben sind, dort, wo die Wolken und die Sterne sind – darum spricht man ja auch von den Vögeln des Himmels, den Wolken am Himmel, den Sternen am Himmel –, und schließlich die Engel.

Unter Erde versteht man alles, was von der Luft umschlossen ist wie das Wasser des Meeres und der Flüsse, die in den niedrigeren Teilen der Erde gelegen sind, und auch alle Tiere, Pflanzen, Steine, Metalle und alles Übrige, was sich in der Erde oder im Meer befindet.

Man spricht also von „Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde“, weil dies die beiden Hauptteile der Welt sind, ein oberer, in dem die Engel, und ein unterer, in dem die Menschen wohnen. Dies sind nämlich die beiden Geschöpfe, die edler als alle anderen sind und denen alle anderen dienen, so wie die beiden wiederum die Pflicht haben, Gott zu dienen, der sie aus nichts geschaffen und ihnen eine so hohe Würde verliehen hat.

Erklärung des zweiten Artikels:

„Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn.“

S:  Erklären Sie mir jetzt bitte den zweiten Artikel. Was heißt „UND AN JESUS CHRISTUS, SEINEN EINGEBORENEN SOHN, UNSEREN HERRN“?

L:  1. Gott, der Allmächtige, von dem wir im ersten Artikel gesprochen haben, hat einen wahren Sohn, der seiner Natur entstammt und Jesus Christus heißt.

Damit ihr aber einigermaßen versteht, wie Gott diesen Sohn gezeugt hat, nehmt den Vergleich mit dem Spiegel. Wenn jemand sich in einem Spiegel anschaut, bringt er im gleichen Moment ein Bild von sich selbst hervor, das ihm selbst so ähnlich ist, dass man überhaupt keinen Unterschied feststellen kann, weil es nicht nur im Aussehen, sondern auch in der Bewegung ähnlich ist, so dass sich, wenn der Mensch sich bewegt, auch das Bild bewegt. Und dieses Bild wird nicht mit Mühe, mit Zeitaufwand oder mit einem Werkzeug erzeugt, sondern sofort und durch einen einzigen Blick. So also habt ihr euch zu denken, dass Gott sich selbst mit dem Auge des Verstandes im Spiegel seiner Gottheit anschaut und dabei ein ihm selbst vollkommen gleiches Bild erzeugt. Weil Gott diesem seinem Bild aber sein ganzes Wesen und sein ganzes Sein gegeben hat, wozu wir, wenn wir uns im Spiegel anschauen, nicht in der Lage sind, ist dieses Bild der wahre Sohn Gottes, während unsere Bilder, die wir in den Spiegeln sehen, nicht unsere Kinder sind. Daran müsst ihr begreifen, dass der Sohn Gottes wie der Vater Gott ist und ein und derselbe Gott mit dem Vater, weil er dasselbe Wesen wie der Vater hat.

2. Weiterhin sollt ihr verstehen, dass der Sohn Gottes nicht jünger ist als der Vater, sondern immer war, so wie der Vater immer war, weil er allein dadurch gezeugt wurde, dass Gott sich selbst anschaut, und Gott schaute sich selbst von Ewigkeit her an.

3. Schließlich sollt ihr begreifen, dass der Sohn Gottes nicht mit der Hilfe einer Frau, in einer bestimmten Zeitdauer, unter niedriger fleischlicher Begierde oder unter anderen Unvollkommenheiten gezeugt wurde, weil er wie gesagt allein vom Vater durch den einfachen Blick auf sich selbst vom allerreinsten Auge des göttlichen Verstandes gezeugt wurde.

S:  Warum wird dieser Sohn JESUS CHRISTUS genannt?

L:  Der Name Jesus bedeutet Heiland, und Christus (also sein Beiname) bedeutet Hoherpriester und König aller Könige. Denn wie ich euch bei der Erklärung des Kreuzzeichens sagte, wurde der Sohn Gottes Mensch, um uns mit seinem Blut loszukaufen und uns zum ewigen Heil zu führen.

1. So nahm er, als er Mensch wurde, diesen Namen „Heiland“ an, um zu zeigen, dass er gekommen ist, um uns zu retten.

2. Daraufhin wurde er vom Vater mit dem Titel des höchsten Priesters und des obersten Königs geehrt.

Dies beides bedeutet der Name Christus, und nach ihm heißen wir Christen.

S:  Aus welchem Grund nimmt ein Geistlicher in der alten Liturgie seine Kopfbedeckung ab oder verneigt sich, wenn der Name Jesus genannt wird, was bei den anderen Namen Gottes nicht geschieht?

L:  1. Der Grund ist, dass dies der Eigenname des Sohnes Gottes ist, alle anderen Namen aber gemeinsam sind.

2. Außerdem weil dieser Name uns vor Augen führt, wie Gott sich für uns erniedrigt hat, indem er Mensch geworden ist. Darum verneigen wir uns aus Dankbarkeit vor ihm.

Doch nicht nur wir Menschen, sondern auch die Engel des Himmels und die Dämonen der Hölle verneigen sich vor diesem Namen, die einen aus Liebe, die anderen gezwungen. Denn Gott wollte, dass alle vernunftbegabten Geschöpfe sich vor seinem Sohn verneigen, weil dieser sich aus Liebe zu uns erniedrigt hat bis zum Tod am Kreuz.

S:  Warum heißt es, dass Jesus Christus unser Herr ist?

L:  1. Weil er uns gemeinsam mit dem Vater erschaffen hat, ist er unser Gebieter und Herr ebenso wie der Vater.

2. Darüber hinaus hat er uns noch mit seiner Mühsal und seinen Leiden aus der Gefangenschaft des Teufels befreit, wie wir gleich erläutern werden.

Erklärung des dritten Artikels:

„Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.“

S:  Der Reihenfolge nach erklären Sie mir jetzt den dritten Artikel! Was bedeutet: „EMPFANGEN DURCH DEN HEILIGEN GEIST, GEBOREN VON DER JUNGFRAU MARIA“?

L:  In diesem Artikel wird die neue und wunderbare Weise der Fleischwerdung des Sohnes Gottes erklärt. Ihr wisst, dass alle anderen Menschen von Vater und Mutter ihre Geburt haben und dass die Mutter nach der Empfängnis und der Geburt des Kindes nicht mehr Jungfrau ist. Nun wollte der Sohn Gottes, als er beschloss Mensch zu werden, keinen irdischen Vater haben, sondern nur eine Mutter mit Namen Maria. Sie war und blieb allezeit eine ganz reine Jungfrau, weil der Heilige Geist, der die dritte göttliche Person ist und mit dem Vater und dem Sohn ein und derselbe Gott ist, mit seiner unendlichen Macht aus dem allerreinsten Blut dieser Jungfrau in ihrem Schoß den Leib eines ganz vollkommenen Kindes und gleichzeitig eine ganz edle Seele formte und diese mit dem Leib dieses Kindes verband. Das Ganze verband der Sohn Gottes mit seiner Person. So fing Jesus Christus, der zuvor nur Gott war, an, Gott und Mensch zugleich zu sein, und wie er als Gott einen Vater, aber keine Mutter hat, so hat er als Mensch eine Mutter, aber keinen Vater.

S:  Ich möchte gern ein Beispiel oder einen Vergleich, um zu verstehen, wie eine Jungfrau empfangen kann.

L:  Die Geheimnisse Gottes muss man glauben, auch wenn man sie nicht versteht. Denn Gott kann mehr tun, als wir begreifen können. Darum sagt man ja am Beginn des Glaubensbekenntnisses, dass Gott allmächtig ist.

„Gott, der Herr, hatte es auf die Erde noch nicht regnen lassen und es gab noch keinen Menschen, der den Ackerboden bestellte; aber Feuchtigkeit stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Fläche des Ackerbodens.“ (Gen 2,5 f., vgl. Gen 1-2)

Dennoch gibt es ein schönes Gleichnis für die jungfräuliche Empfängnis, und zwar bei der Erschaffung der Welt. Ihr wisst, dass die Erde normalerweise kein Getreide hervorbringt, wenn sie nicht zuvor gepflügt, besät, mit Regen benetzt und von der Sonne erwärmt worden ist. Am Anfang hingegen, als zum ersten Mal Korn gewachsen ist, da war die Erde nicht gepflügt, besät, befeuchtet und erwärmt. So war sie in ihrer Art vollkommen jungfräulich. Damals brachte sie auf das bloße Geheiß Gottes, des Allmächtigen, durch die Kraft Gottes in einem Augenblick das Getreide hervor. Ebenso brachte der jungfräuliche Schoß Mariens, ohne dass sie mit einem Mann Umgang gehabt hätte, auf bloßes Geheiß Gottes durch das Wirken des Heiligen Geistes jenes kostbare Weizenkorn des beseelten Leibes des Sohnes Gottes hervor.

S:  Wenn Jesus Christus durch den Heiligen Geist empfangen ist, dann kann man doch anscheinend sagen, dass der Heilige Geist für ihn als Mensch der Vater ist?

L:  So ist es nicht, denn um Vater zu sein reicht es nicht, etwas zu machen, sondern man muss es auch aus dem eigenen Wesen machen. Deshalb nennen wir den Maurer auch nicht den Vater des Hauses, weil er es aus Ziegelsteinen und nicht aus seinem eigenen Fleisch macht. Nun hat der Heilige Geist zwar den Leib des Sohnes Gottes gemacht, aber er hat ihn aus dem Fleisch der Jungfrau gemacht und nicht aus seinem eigenen Wesen. Deshalb ist der Sohn Gottes nicht der Sohn des Heiligen Geistes, sondern als Gott der Sohn Gottes, des Vaters, weil er von ihm die Gottheit hat, und als Mensch der Sohn der Jungfrau, weil er von ihr das menschliche Fleisch hat.

S:  Warum sagt man, dass der Heilige Geist dieses Werk der Fleischwerdung vollbracht hat? Haben daran nicht auch der Vater und der Sohn mitgewirkt?

L:  Was eine göttliche Person wirkt, das wirken auch zugleich die beiden anderen, weil sie dieselbe Macht, Weisheit und Güte haben. Dennoch werden die Taten der Macht dem Vater zugeschrieben, die der Weisheit dem Sohn und die der Liebe dem Heiligen Geist. Weil aber die Fleischwerdung das Werk der höchsten Liebe Gottes zum Menschengeschlecht war, wird es dem Heiligen Geist zugeschrieben.

S:  Ich möchte gern ein Gleichnis, um zu verstehen, wie alle drei göttlichen Personen bei der Fleischwerdung zusammengewirkt haben und dennoch nur der Sohn allein Fleisch und Mensch geworden ist.

L:  Wenn ein Mensch ein Gewand anlegt und zwei andere ihm beim Ankleiden behilflich sind, dann sind es drei, die beim Ankleiden zusammenwirken, und doch wird nur einer angekleidet.

Ebenso haben alle drei göttlichen Personen bei der Fleischwerdung des Sohnes zusammengewirkt, aber nur der Sohn ist Fleisch und Mensch geworden.

S:  Warum ist in diesem Artikel hinzugefügt „GEBOREN VON DER JUNGFRAU MARIA“?

L:  Weil sich auch hierin etwas nie Dagewesenes ereignete, dass nämlich der Sohn Gottes am Ende des neunten Monats aus dem Schoß der Jungfrau Maria ohne Schmerzen und Schaden der Mutter hervorkam und kein Anzeichen seines Hervorgangs hinterließ, so wie er es machte, als er auferstanden aus dem versiegelten Grab hervorkam und als er dann in den Abendmahlssaal, wo sich seine Jünger befanden, bei geschlossenen Türen eintrat und wieder hinausging. Deshalb sagt man, dass die Mutter unseres Herrn Jesus Christus allezeit Jungfrau war, vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt.

Erklärung des vierten Artikels:

„Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.“

S:  Was bedeuten die Worte des vierten Artikels: „GELITTEN UNTER PONTIUS PILATUS, GEKREUZIGT, GESTORBEN UND BEGRABEN“?

L:  Dieser Artikel enthält das überaus heilbringende Geheimnis unserer Erlösung. Kurz zusammengefasst besteht es darin: Christus hat etwa 33 Jahre auf dieser Erde geweilt und durch sein ganz heiliges Leben, durch seine Lehre und durch Wunder den Weg des Heils gelehrt. Dann ließ ihn Pontius Pilatus, der Herrscher über Judäa, zu Unrecht geißeln und an ein Kreuz nageln. An diesem Kreuz starb er. Dann wurde er von einigen frommen Menschen begraben.

S:  Bei diesem Geheimnis kommen mir einige Fragen. Ich möchte sie gern von Ihnen geklärt haben, damit ich Gott umso dankbarer bin für eine solche große Wohltat, je mehr ich sie verstehe. So sagen Sie mir bitte, wenn Christus der Sohn des allmächtigen Gottes ist, warum wurde er dann nicht von seinem Vater aus der Hand des Pilatus befreit, ja wenn Christus selbst Gott ist, warum befreite er sich dann nicht selbst?

L:  Wenn Christus es gewollt hätte, hätte er sich auf tausenderlei Arten aus der Hand des Pilatus befreien können, ja die ganze Welt wäre nicht in der Lage gewesen, ihm irgendein Leid zuzufügen, wenn er es nicht selbst gewollt hätte. Das kann man klar an Folgendem erkennen: Er wusste und sagte es seinen Jüngern auch vorher, dass ihn die Juden suchen würden, um ihn zu töten, und dass sie ihn geißeln, verhöhnen und schließlich umbringen würden. Dennoch versteckte er sich nicht, sondern ging seinen Feinden sogar entgegen. Und als sie ihn ergreifen wollten, ihn aber nicht erkannten, sagte er selbst, dass er der sei, den sie suchten, und im gleichen Moment, als sie alle wie tot zu Boden gefallen waren, lief er nicht davon, wie er gekonnt hätte, sondern wartete, dass sie wieder zu sich kämen und sich aufrichteten. Dann ließ er sich festnehmen, fesseln und wie ein sanftes Lamm wegführen, wohin sie wollten.

S:  Aus welchem Grund ließ sich Christus unschuldig kreuzigen und umbringen?

L:  Aus vielen Gründen, hauptsächlich jedoch, um Gott für die Sünden der ganzen Welt Genugtuung zu leisten. Denn ihr müsst wissen, dass die Beleidigung sich nach der Würde dessen bemisst, der beleidigt wurde, die Genugtuung dagegen nach der Würde dessen, der sie erbringt.

Wenn also zum Beispiel ein Diener einem Fürsten eine Ohrfeige gäbe, würde man das entsprechend der Größe des Fürsten für ein sehr schweres Vergehen halten. Wenn dagegen der Fürst dem Diener eine Ohrfeige gäbe, würde er entsprechend des niedrigen Standes des Dieners nur etwas Unbedeutendes tun. Oder andersherum: Wenn ein Diener vor dem Fürsten seinen Hut zieht, hat das keine große Bedeutung. Wenn aber der Fürst ihn vor dem Diener zieht, wird er ihm damit entsprechend der erwähnten Regel eine bemerkenswerte Gunst erweisen.

Weil nun der erste Mensch und mit ihm wir alle Gott beleidigt haben, der eine unendliche Würde besitzt, verlangte die zugefügte Beleidigung eine unendliche Genugtuung. Aber es gab weder einen Menschen noch einen Engel mit einer so großen Würde. Darum kam der Sohn Gottes, der Gott ist und damit von unendlicher Würde, nahm sterbliches Fleisch an und unterwarf sich in diesem Fleisch zur Ehre Gottes dem Tod am Kreuz. So leistete er mit seiner Strafe für unsere Schulden eine vollständige Genugtuung.

S:  Was ist der andere Grund, warum Christus einen so bitteren Tod erleiden wollte?

L:  Um uns durch sein Vorbild die Tugenden der Geduld, der Demut, des Gehorsams und der Liebe zu lehren. Diese vier Tugenden sind nämlich mit den vier Enden des Kreuzes ausgedrückt. Denn man kann keine größere Geduld finden, als dass jemand zu Unrecht einen so schändlichen Tod erleidet; keine größere Demut, als dass der Herr aller Herren sich dem unterwarf, inmitten von Räubern gekreuzigt zu werden; keinen größeren Gehorsam, als lieber zu sterben, statt den Befehl des Vaters nicht zu erfüllen; und keine größere Liebe, als sein Leben hinzugeben, um sogar die Feinde zu retten. Ihr müsst nämlich wissen, dass sich die Liebe eher in Werken als in Worten und eher durch Leiden als durch Taten zeigt. So hat Christus, indem er uns nicht nur unendliche Wohltaten erweisen wollte, sondern für uns auch leiden und sterben wollte, gezeigt, dass er uns über alle Maßen liebt.

S:  Sie haben bereits gesagt, dass Christus Gott und Mensch ist. Wenn Gott offensichtlich nicht leiden und sterben kann, wieso sagen wir dann hier, dass er gelitten hat und gestorben ist?