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Norbert Clemens Baumgart
Martin Nitsche (Hg.)

Gewalt im Spiegel
alttestamentlicher Texte

ERFURTER THEOLOGISCHE SCHRIFTEN

im Auftrag
der Katholisch-Theologischen Fakultät
der Universität Erfurt

herausgegeben
von Josef Römelt und Josef Pilvousek

BAND 43

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Norbert Clemens Baumgart
Martin Nitsche (Hg.)

Gewalt im Spiegel
alttestamentlicher Texte

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

1. Auflage 2012
© 2012 Echter Verlag, Würzburg

Satz
Matthias Kraus, Erfurt

Druck und Bindung
Difo-Druck, Bamberg

ISBN
978-3-429-03568-6 (Print)
978-3-429-04682-8 (PDF)
978-3-429-06081-7 (ePub)

www.echter-verlag.de

INHALT

VORWORT

WENN MÄNNER SCHLAGEN UND FRAUEN DAVON SINGEN.
ZU FIGURENKONSTELLATIONEN IN 1SAM RUND UM EIN LIED ÜBER GEWALTTATEN

Norbert Clemens Baumgart

GOTTES GEWALT GEGEN KINDER IN DEN BÜCHERN JESAJA UND KLAGELIEDER.
EINE BIBELTHEOLOGISCHE PROBLEMANZEIGE

Ulrich Berges / Bernd Obermayer

ZU JOSUA BEI JESUS SIRACH.
DER ERSTE VERS IM LOB AUF DEN SOHN NUNS (SIR 46,1–8)

Thomas R. Elßner

ANDERE, FREMDE, FEINDE IM BUCH ESRA/NEHEMIA

Maria Häusl

GERECHTIGKEIT UND GEWALT. PSALM 137 IN KANONISCHER LEKTÜRE

Ruth Scoralick

AUTORINNEN UND AUTOREN

VORWORT

Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung der „Alttestamentlichen Arbeitsgemeinschaft“ (ATAG) zurück, die vom 23.-24. September 2011 in Neudietendorf (Landkreis Gotha) stattfand.

Entstanden ist die ATAG aus der Notwendigkeit, die Alttestamentlerinnen und Alttestamentler (beider Konfessionen) in der DDR zu vernetzen. Die Schwierigkeiten, die die Theologie in der DDR an den staatlichen und kirchlichen Ausbildungseinrichtungen hatte, nicht zuletzt in der Beschaffung aktueller Fachliteratur, aber auch durch Reisebeschränkungen und Ähnliches, machten eine enge Vernetzung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unumgänglich. Die Vorteile regionaler Vernetzung, der ökumenische Charakter und die Erweiterung des Kreises um einige geographisch angrenzende Fakultäten und Institute haben dazu geführt, dass auch nach 1990 regelmäßig Tagungen durchgeführt werden. In den letzten Jahren wurden vermehrt auch Kolleginnen und Kollegen verwandter Wissenschaften eingeladen. Die Tagung in Neudietendorf wurde vom Lehrstuhl für Exegese und Theologie des Alten Testaments an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt vorbereitet.

Die Frage nach der problematischen Gewaltthematik in biblischen Texten ist sicher keine exegetische Modeerscheinung,1 auch kein Thema, das auf einer Tagung oder in einem Forschungsprojekt zufriedenstellend behandelt werden könnte. Vielmehr sind jene biblischen Texte, die sich sehr verschiedener Gewaltmotive bedienen, eine bleibende und unauflösbare Herausforderung für jede Art der biblischen Exegese und Theologie. Die folgenden Beiträge gehen je für sich von einem Text oder einem Textbereich des Alten Testaments aus, den sie vor dem Hintergrund des Titels zu diesem Band „Gewalt im Spiegel alttestamentlicher Texte“ auslegen.

Ausgehend vom Gesangstext der tanzenden Frauen in 1Sam 18,7 untersucht Norbert Clemens Baumgart das Echo der dort besungenen Gewalt in der Textwelt des ersten Samuelbuches. Es entsteht davon ausgehend ein eigenes Portrait der Wende im Verhältnis zwischen David und Saul, wobei deutlich wird, dass der Gesang der Frauen nicht ohne Folgen im Handeln der beiden Männer bleibt.

Der Beitrag von Ulrich Berges und Bernd Obermayer nimmt nach der Einführung mit einer Verortung des Themas der göttlichen Gewalt in der alttestamentlichen Theologie (Berges) die göttliche Gewalt gegen Kinder im Jesajabuch (Obermayer) und im Buch der Klagelieder (Berges) in den Fokus. Beide Textbereiche werden auch dahingehend untersucht, inwieweit in ihnen Betroffenheit und Empathie mit den Opfern der Gewalt erzeugt werden.

Thomas R. Elßner arbeitet in seinem Beitrag ein Stück innerbiblischer Rezeptionsgeschichte auf. Er fragt am Beispiel des deuterokanonischen Buches Jesus Sirach, genauer Sir 46,1 in seiner hebräischen und griechischen Fassung, wo Josua als tapferer Kriegsheld gepriesen wird, nach der Aufnahme der Josua-Traditionen aus den Büchern Exodus, Numeri, Deuteronomium und Josua.

Maria Häusl wendet sich einer vielschichtigen Opfergruppe zu: „Andere, Fremde und Feinde“ werden durch die aggressive Abgrenzungsrhetorik der Bücher Esra und Nehemia zu Opfern einer sich abschottenden Gesellschaft. Dies drückt sich etwa im Exogamieverbot oder in der Scheidungsforderung für bereits eingegangene exogame Verbindungen aus.

Ruth Scoralick führt zunächst eine Analyse von Ps 137 mitsamt den verstörenden Seligpreisungen an seinem Ende, die unter anderem Gewalt gegen Kinder nennen, durch. Im Anschluss bietet ihr Beitrag eine kanonische Lektüre des berühmten Liedes. Diese ermöglicht eine erweiterte Sicht auf einen Text, der dabei als selbstreflexives Moment im Psalter wahrgenommen und profiliert wird.

Die Herausgeber danken herzlich den Autorinnen und Autoren der Beiträge sowie Marlen Bunzel, Sarah Fischer und Rebekka Maria Neugebauer (studentische Mitarbeiterinnen des alttestamentlichen Lehrstuhls in Erfurt) für ihre Hilfe beim Korrekturlesen dieses Bandes. Matthias Kraus hat dankenswerter Weise den Drucksatz erstellt.

Erfurt, im Juni 2012

Norbert Clemens Baumgart und Martin Nitsche

1 Zur Gewaltthematik in biblischen Texten vgl. auch die Einführung zum Beitrag von Ulrich Berges und Bernd Obermayer in diesem Band.

WENN MÄNNER SCHLAGEN UND FRAUEN DAVON SINGEN.

ZU FIGURENKONSTELLATIONEN IN 1SAM RUND UM EIN LIED ÜBER GEWALTTATEN1

Norbert Clemens Baumgart

1. Hinführungen zum Thema und Fragestellungen

Der Vers 1Sam 18,7 unterbreitet ein Lied, das auf Gewaltausübungen eingeht. Der Wortlaut fällt kurz aus. Er nennt namentlich Saul und David, die Gewaltschläge vollzogen haben, und erwähnt mit Zahlenangaben diejenigen, welche von ihren Schlägen getroffen wurden.

Saul schlug seine Tausende (Image),
und David seine Zehntausende (Image).2

Der Gesang wird innerhalb des ersten Buches Samuel noch zum geflügelten Wort werden. Er wird späterhin am Königshof zu Gat (21,12) und unter den Obersten der Philister (29,5) zitiert. Erstmals tragen in 1Sam 18 Frauen in Israel den Gesang vor. Die folgenden Erörterungen konzentrieren sich auf die Einbettung dieses Gesanges in das Kapitel 1Sam 18. Dabei werden Hintergründe beachtet und herangezogen, die sich aus den Kontexten dieses Kapitels ergeben.3

Was sich in der erzählten Welt rund um das Erklingen des Liedes in 1Sam 18,7 ereignet, hat Georg Hentschel zutreffend „die große Wende zwischen Saul und David“ genannt. Hier ändert sich das bislang „gute Verhältnis“ zwischen Saul und David „schlagartig“.4 Schon bei einem ersten Lesen der Texte legt es sich nahe, dass das Lied einen Anteil an dieser Veränderung hat. Dieser Anteil kann detaillierter beschrieben und erfasst werden, wenn man den Figuren in den Texten im Einzelnen nachgeht.

Von daher ergeben sich für die folgenden Untersuchungen die einzelnen Fragestellungen, die sich auf einen möglichen Leseprozess beziehen: Was macht die Figuren aus und welche Konstellationen gibt es unter diesen Figuren, während der Gesang erklingt? Welche konkreten Folgen und welcher Widerhall sind dann anschließend bei den Figuren zu verzeichnen, nachdem der Gesang unter ihnen erklungen ist? Im Liedtext haben Saul und David ja bereits geschlagen. Nach dem Singen der Frauen setzen beide Männer das Schlagen fort (18,11; 18,27). Gibt es Zusammenhänge zwischen den besungenen Schlägen und den anschließend ausgeführten Schlägen? Wenn ja, wie sehen diese Zusammenhänge aus?

Bei dem sich daraus ergebenden Thema geht es also um eine besungene Gewalt und darum, wie deren Erklingen eingebettet ist, auf welche Weise dieser Gesang weitere Gewalt mitbewirkt haben kann und wie die besungene Gewalt weiter ausgeleuchtet wird.

Die antiken Versionen zu 1Sam bieten bekanntlich unterschiedliche Textgestalten. Formen der Septuaginta weichen teilweise deutlich von hebräischen Texten ab.5 Die folgenden Untersuchungen werden sich allein auf den Masoretischen Text beziehen.

Die Analysen haben beim ersten Abschnitt in Kapitel 18 einzusetzen. Denn die Verse 18,1–5 gehen dem Auftritt der Frauen voraus und leuchten die Situationen unter den Figuren aus, in denen der Gesang der Frauen zu stehen kommt. Diese Ausleuchtung ist also als erstes zu analysieren.

2. Der inoffizielle neue König (1Sam 18,1–5)

Die Verse 18,1–5 folgen auf den Redewechsel zwischen Saul und David nach dem Sieg über Goliat. Diese fünf Verse enthalten keine Reden, sondern nur Erzähltext. David ist in allen Versen präsent. Der Wechsel bei den anderen Figuren ist auffällig. Nacheinander sind mit David befasst: Jonatan (V. 1), Saul (V. 2), Jonatan (V. 3–4) und Saul (V. 5). Jonatan und Saul entwickeln aber keine konkreten Gemeinsamkeiten in Bezug auf David. Jonatan und Saul handeln nebeneinander6 und nicht Hand in Hand.7

Saul nimmt David zunächst zu sich und gestattet ihm keine Rückkehr ins Vaterhaus (18,2).8 Bei der Wendung für nicht-gestatten9 schwingt ein Nicht-Geben mit: ... Image. Als Geber im Sinne von Image tritt aber Jonatan David entgegen, wenn er ihm Kleidung und Waffen reicht (18,4).10 David hatte zuvor Steine geschleudert (1Sam 17,40.49.50); nun kann er fortan mit konventioneller Ausrüstung Züge unternehmen11 und das Militär anführen, wozu ihn anschließend Saul unabhängig von Jonatans Darreichungen bestellt (18,5).

Die Formulierungen in 18,4 heben von Jonatans fünf Gaben den Mantel heraus.12 Nur ihn legt Jonatan ausdrücklich ab.13 Ob dieses Gewand Jonatans Eigentum gewesen ist, wird im Text nicht deutlich. Kleider, Schwert, Bogen und Gurt sind als die seinen ausgewiesen. Aber es ist von „dem Mantel“, Image, die Rede, und es heißt lediglich, dass Jonatan ihn getragen hat. Warum gibt es solche Besonderheiten beim Mantel? Eine Antwort auf die Frage wird durch eine Leseperspektive nahegelegt. Versteht man den Mantel auf der literarisch aufgebauten Bühne des ersten Samuelbuches als eine Requisite, der ein Wiedererkennungseffekt zueigen ist, kann dieses Gewand das Königtum assoziieren lassen.14 Das Wort für Mantel, Image, kam jedenfalls das letzte Mal in 1Sam 15,27–28 vor.

1Sam 15,27–28: 27 Und Samuel wandte sich, um zu gehen. Und er ergriff
den Zipfel seines Mantels (Image). Und er riss (Image). 28 Und Samuel sagte zu ihm (= Saul)15: Gerissen hat (Image) JHWH an diesem Tag die Königsherrschaft Israels (Image) von dir, und er hat sie deinem Nächsten gegeben, der besser ist als du.16

Annett Gierke-Ungermann hat gezeigt, wie die Formulierungen in 15,27 offen lassen, um wessen Mantel es sich handelt, Samuels oder Sauls, und wer von den beiden den Mantel einriss.17 Klarer fällt aber Samuels Deutung des Geschehens in 15,28 aus: Der Riss des betreffenden Mantels „symbolisiert ... die Königsherrschaft Sauls“18 und vor allem das, was mit der Herrschaft geschieht. JHWH hat Saul das Königtum entrissen und einem Anderen, einem Besseren übertragen (vgl. 1Sam 28,17)19.

Die Requisite Mantel überreicht in 18,4 Jonatan, der Sohn des momentanen Königs Saul. Jonatan hätte in der erzählten Welt eigentlich selber „am ehesten Anspruch auf die künftige Königswürde“20 gehabt (vgl. 1Sam 20,30–32). Wenn nun ausgerechnet Jonatan den mit dem Königtum assoziierten Mantel übergibt, kann das anzeigen, dass er David als kommenden König ansieht und ihn als solchen anerkennt.21 Diese Annahme22 gewinnt an Plausibilität durch weitere Beobachtungen.

Jonatan übergibt in 18,4 nicht nur ein Gewand.23 Vor den drei Image-Wendungen in diesem Vers wird „seine Kleidung“ im Plural erwähnt: Image.24 Von solcher – ebenfalls im Plural – war zuletzt vor dem Kampf mit Goliat die Rede, als Saul mit eigener Kleidung und mit einer Rüstung David für den Kampf ausstatten wollte (17,38–39).

1Sam 17,38–39: 38 Und Saul zog David seine Kleidung (Image) an und setzte einen bronzenen Helm auf sein Haupt und zog ihm einen Schuppenpanzer an. 39 Und David gürtete sein Schwert über dessen Kleidung (Image) ...

Auf Sauls Kleidung gürtete David wohl sein eigenes Schwert.25 Kleider und Rüstung behinderten jedoch David beim Schreiten. So legte David alles wieder ab. Dadurch entsteht dann das literarische Bild, dass der Hirtenjunge David ungeschützt dem Recken Goliat entgegentritt und ihn trotzdem niederstrecken kann. – Auf einer ersten Ebene, bei der es in 1Sam 17 ums Praktisch-Nützliche geht, wollte Saul David sicherlich ausrüsten und kampffähig machen. Hinzu kommt aber durch den Kontext eine zweite Ebene, bei der es tiefer liegend um die Aufgaben eines Regenten geht. König Saul selbst konnte der Gefährdung durch Goliat nicht Herr werden,26 und die Requisite „Kleidung“ (Image) ist hier eindeutig königlicher Herkunft.27 Folglich sah Hans Joachim Stoebe in der Begebenheit, bei der Saul seine Kleider und Waffen darreichte (u.a. Image), den Aspekt mitklingen, „daß Saul königliche Pflichten an David delegiert.“28

Die Sequenz ‚Übergabe von Image und von Rüstung’, welche ein Delegieren von königlichen Aufgaben anklingen lässt, kehrt nun bei Jonatan und David in 18,4 wieder. Damit kommt beim Leseprozess durch die Texte hindurch eine zweite Linie hinzu und bestärkt die Annahme, dass Jonatan David das Königtum zuerkennt.

Walter Brueggemann hat folglich die Signale in 18,4 für einen möglichen Lektüreprozess so zusammenfassen können: „It is likely that Jonathan’s unrobing and the gift of his clothes and armor to David constitute a symbolic transfer of power and of his claim to the throne. David is invested with the insignia of authority as Jonathan is divested.“29

Von Jonatans Liebe ist innerhalb von 18,1–5 gleich zweimal die Rede. Er liebt David wie sein eigenes Leben (18,1 Image 18,3 Image). Über die Beziehung zwischen Jonatan und David in den Samuelbüchern ist in den letzten Jahrzehnten reichhaltig spekuliert worden: War es eventuell eine „erotische bzw. (homo)sexuelle Liebe“30? Zur Beziehung zwischen beiden gehören in den Samuelbüchern unzweifelhaft viele Facetten.31

Einem „Lieben“ kann im Alten Orient und Alten Testament je nach entsprechenden Kontexten bekanntlich auch der politische Beiklang der „Gefolgstreue und Loyalität“32 anhaften.33 Diesen politischen Beiklang nahmen für 1Sam 18,1.3 John A. Thompson und andere an.34 Indem Jonatan David liebte, konnte das eine Loyalität zum König in spe einschließen.35 Diese Annahme kann eventuell der Vers 1Sam 16,21 bestätigen. 18,1 benutzt dieselbe grammatische Form wie 16,21;36 das Qere (Image) übernimmt sogar die Schreibweise von 16,21. In Kap. 16 kam David in den Dienst Sauls, und hier ist erstmals in Bezug auf David von Liebe die Rede.

1Sam 16,21: Und David kam zu Saul, und er diente ihm, und er liebte ihn sehr (Image), und er wurde sein Waffenträger.

Vers 16,21 wurde in der Exegese traditionell so verstanden, dass Saul David liebte. Das traditionelle Verständnis entpuppt sich aber beim genaueren Hinschauen als recht unsicher. Denn die rahmenden Sätze in 16,21 haben David als Subjekt.37 Folglich dürfte in 16,21 David dem höhergestellten Saul loyal Liebe entgegengebracht haben, wie Gordon C. I. Wong dargelegt hat.38

Steht Davids Liebe in 16,21 für politische Gefolgstreue, unterstützt solches den Beiklang bei Jonatans Liebe in Kap. 18. Aber auch ohne Vers 16,21 und sein Verständnis dürfte die Liebe in 18,1.3 Jonatans „Gefolgstreue und Loyalität“ gegenüber David implizieren.

Jonatans Liebe ist in 18,3 mit dem Bundesschluss39 zwischen ihm und David verflochten (Image). Nicht zuletzt40 belegt dann 1Sam 23,17–18 die Möglichkeit, dass Jonatan als zurücktretender Thronanwärter (vgl. 20,30–32) und der als König feststehende David eine Berit schneiden können.

1Sam 23,17–18: 17 Und er (= Jonatan) sagte zu ihm (= David): Fürchte dich nicht! Denn die Hand meines Vaters Saul wird dich nicht finden. Und du wirst König über Israel werden (Image). Und ich werde der Zweite nach dir sein. Und auch mein Vater Saul hat erkannt, dass es so ist. 18 Und beide schlossen einen Bund vor JHWH (Image) ...

Neu ist in Kap. 23, dass sich Jonatan zum zweiten Mann41 unter dem neuen König machen will. Der Berit in 18,3 dürfte also auch der Gedanke zugrunde liegen können, dass David der kommende Regent ist.

Vers 18,1 erwähnt unmittelbar vor der politisch eingefärbten Liebe, dass sich Jonatan mit David verbunden hatte.42 Das Verb „verbinden“, Image steht hier im Nifal (Image).43 Über ein Nifal dieses Verbums lässt sich nichts Genaues eruieren, da es nur noch einmal in der hebräischen Bibel vorkommt.44 Das Qal aber bedeutet auch „konspirieren, verschwören“, ähnlich ist das Hitpael ausgerichtet und analog das Nomen Image zu verstehen.45 So gingen Peter R. Ackroyd46 und andere47 in 18,1 dem Beiklang einer politischen Konspiration nach. Ackroyd fand ein erhellendes Echo dafür in 1Sam 22. Dort redet Saul von der Verschwörung seiner Knechte sowie derjenigen Ahimelechs, des Priesters von Nob, und Davids.

1Sam 22,8.13 (hier spricht Saul): ... dass ihr euch alle gegen mich verschworen habt (Image) ... 13 ... Warum habt ihr euch gegen mich verschworen, du und der Sohn Isais
(Image)? ...

In Kap. 22 richtet sich das „verschwören“ im Qal „gegen“ (Image) Saul. Ein „Gegen“ enthält 18,1 nicht und bietet auch einen anderen Satzbau (Image). Ackroyd sprach zu Recht auch nur davon, dass in 18,1 beim „Sich-verbinden“ lediglich als „an overtone“48 ein „Konspirieren“ mitzuhören sei. Eine solche Sicht ist erst dann angebracht, wenn sie in das bisher zu 18,1–5 Beobachtete eingebettet bleibt. Unter diesen Voraussetzungen kann man auch der Auslegung von 18,1, wie sie Klaus-Peter Adam vornimmt, zustimmen: „Die Aussage, Jonatan habe sich mit David ‚verbunden’ Image ni, verwendet das Verb in abgeleiteter Bedeutung. Angespielt wird auf den Aufstand der Priester 22,9.13, sowie die entsprechenden Aufstände der Königszeit.“49 Demnach sieht Jonatan in 18,1 während einer Art Konspiration David als König in spe an.

Das bisher Dargelegte ging von Haupt- und Nebentönen im Abschnitt 18,1–5 aus. Die Annahmen zu den Nebentönen sind insofern angemessen, als sie parallel zu einer aufgebauten Leseerwartung verlaufen. Vor 1Sam 18 wissen die Lesenden bereits, dass Saul als König längst von göttlicher Seite her verworfen ist, JHWH sich einen Besseren als Nachfolger ausersehen hat (13,7–15; 15,1–35) und David als Gesalbter (16,1–13) auf den Thron gelangen soll.50 Solche Leseerwartung erzeugt Achtsamkeit dafür, wie sich der nicht mehr erwartbare Thronfolger Jonatan zum kommenden König David positioniert.

Zentral ist nun, wie dadurch eine erzählte Welt als Hintergrund für den Auftritt der Frauen und ihr Lied in 18,6–7 ausgeleuchtet wird. Mit dem liebenden Jonatan geht ein Erster aus Sauls Familie eine treue und auch politisch orientierte Bindung mit dem inoffiziellen neuen Monarchen David ein. Mit Michal, die David ebenfalls liebt und dessen Frau wird (18,20–28), wird dies später auf andere Weise eine Zweite aus dem Hause Sauls tun und ebenso wie Jonatan David vor Ärgstem bewahren (vgl. 19,11–18).51 Nicht nur Mitglieder von Sauls Familie wenden sich schrittweise David zu, sondern auch das Volk und Sauls Knechte. Dies deutet indirekt bereits 18,5 an (Image Image). Das Volk und Sauls Knechte begrüßen es, dass der erfolgreiche David von Saul zum hohen Militär gemacht wird.52

Davids positive, einnehmende Wirkung auf das (Kriegs-)Volk, bei dem er ein Kommando innehatte, wird sich ebenso später in Kap. 18 ausweiten und verstärken. Anteil daran hat wieder der ‚Erfolg’53 Davids. Solcher Zusammenhang wird zunächst in 18,13–16 herausgestellt. Das Ende von Vers 18,13 konstatiert noch, dass David als Anführer „vor dem (Kriegs-)Volk ausrückte und (wieder) einrückte (Image).“ Nach zwei Hinweisen auf Davids Erfolge innerhalb der Verse 18,14–15 stellt dann der Vers 18,16 einen kausalen Zusammenhang heraus: „Und ganz Israel und Juda liebte David, denn er rückte vor ihnen aus und rückte (wieder) ein (Image).“ In Bezug auf David wird also eine sich steigernde positive Resonanz aufgezeigt. Nicht nur die Weite der Resonanz ist beachtlich („ganz Israel und Juda“; Image), sondern auch ihre Form. David wird von seiner Mitwelt anhaltend geliebt (vgl. das Partizip Image) und ihm wird so anscheinend auf breiter Linie Loyalität entgegengebracht. Schließlich hält der letzte Satz im Kapitel 1Sam 18 nach einer erneuten Notiz zu Davids Erfolgen fest: „Und sein Name war hoch geehrt (Image 18,30).“ Da dieser Schlusssatz niemanden von denen benennt, die Davids Namen ehren, und somit den Bezugsrahmen der Ehrung offen lässt, dürfen die Lesenden hier auch eine erneute Ausweitung der positiven Resonanz auf David und seine Aktivitäten mitdenken.

Der Abschnitt 18,1–5 stellt somit auch ein verhaltenes Vorspiel zu weiteren Inhalten im Kapitel 1Sam 18 dar. Während bei den erzählten Figuren-Konstellationen im Abschnitt David auf recht unterschiedliche Weise Zustimmungen erfährt (einerseits durch den liebenden Jonatan, andererseits durch das ganze Kriegsvolk und Sauls Knechte), deutet sich in Bezug auf Saul an, dass in seiner eigenen Familie einer (Jonatan) seine Regentschaft als bereits im Übergang befindlich ansieht.

Damit ergibt sich für die Fragestellungen dieses Beitrages Folgendes: Das anschließende Singen über Gewaltvermögen ist in eine Situation eingebettet, in der verhalten beim besungenen Saul ein Rückhalt zu schwinden anfing und in der beim besungenen David ein Rückhalt zu wachsen begann. Lesende können in Kap. 18 beobachten, wie die im Gesang thematisierte Gewaltausübung und die gewalttätigen Folgen des Gesanges mit Zustimmung und Ablehnung der besungenen Gewalttäter zusammenhängen.

3. Ruhm und Status (1Sam 18,6–9)

Im Abschnitt 18,6–9 wird nun eingangs der Auftritt der singenden Frauen Israels beschrieben. Die Beschreibung hat Ähnlichkeiten mit anderen Darstellungen im Alten Testament, bei denen Frauen ebenso in festlicher Form agieren: tanzend, mit Handtrommeln (vgl. 1Sam 18,6 Image) und teilweise singend;54 etwa Mirjam und alle Frauen (Ex 15,20–21), Jiftachs Tochter (Ri 11,34), die Töchter von Schilo (Ri 21), Judit und die Frauen Israels (Jdt 15,12–14 und 16) sowie die metaphorische Frauengestalt „Jungfrau Israel“ (Jer 31,4). Das Motiv erfährt in den jeweiligen Texten und Kontexten unterschiedliche Ausformungen und Einbindungen. Das Motiv hat aber eine gewisse Nähe zum Themenkomplex Gewalt, sei es unter dem Aspekt einer Gewaltüberwindung oder unter dem Aspekt eines Dranges zur Gewaltausübung.

In 18,6 fällt auf, wer sich alles im Szenario bewegt und dabei anscheinend zusammentrifft: In der Temporalangabe kommt eine nicht näher identifizierte Gruppe heim (Image), und zudem kehrt David ähnlich wie in 17,5755 vom Schlag gegen den Philister zurück. Treten dann die tanzenden Frauen hinzu, wird zugleich angezeigt, dass durch sie eine breite Öffentlichkeit entsteht: „... aus allen Städten Israels“ ziehen sie aus.56 Mit ihrer Performance steuern die Frauen allerdings nur ein Ziel an: Saul. Saul wird hierbei ausdrücklich als König (Image) tituliert. Doch der Chor der Frauen singt dann in 18,7 von Gewalttaten beider soeben erwähnten Männer und nennt sie – wie eingangs erwähnt – auch beim Namen, allerdings ohne einen Titel zu benutzen: Saul und David.

Worauf im Wortlaut des Gesanges der Akzent liegt, wird von der Forschung unterschiedlich gesehen. Insbesondere zwei Positionen stehen sich gegenüber. Kurz lassen sie sich so wiedergeben: In der ersten Position zollen Israels Städterinnen Saul und David gleichermaßen Respekt. Beide hätten ihr beachtliches Vermögen demonstriert.57 In diesem Fall übersetzt man die Kopula zwischen beiden Gesangsteilen in 18,7 mit „und“: Saul schlug und David auch.58 Bei dieser Position würden die folgenden Verse 18,8–9 darlegen, wie Saul den Gesang missversteht.

In der zweiten Position hebt der Gesang der Städterinnen auf Steigerung und Gegenüberstellung ab. Wertend benennen die Frauen Quantitäten, und die Kopula ist mit „aber“ zu übersetzen:59 Saul Tausend, aber David zehnmal mehr. In diesem Fall habe Saul in den beiden folgenden Versen 18,8–9 eingesehen, worauf der Gesang der Frauen abhebt.

Der Text des Gesanges lässt vielleicht ein Changieren zwischen beiden Verstehensweisen zu. Aufschlussreich ist jedenfalls die Fokussierung im Abschnitt. Die Verse 18,6–7 führten noch eine öffentliche und festliche Zusammenkunft vor Augen. Mit 18,8–9 folgt ein Umschwenken allein zu Saul. Seine Emotionen, Einschätzungen und sein Selbstgespräch bekunden alles andere als ein Einstimmen in die fröhliche Tanzaufführung.

In seinem Selbstgespräch (18,8) ist Saul auf den Liedtext konzentriert und darauf, wie der damit verbundene Äußerungsakt gesehen werden kann. Saul setzt die Teile des Gesanges neu zusammen. Die Reihenfolge im Gesang Saul-David dreht er um und nennt nun zuerst David. Das Schlagen erwähnt Saul nicht mehr. Stattdessen macht er die Frauen aus den Städten zu Aktanten. Ihren Sprechakt interpretiert Saul als Zuteilung im Sinne von Image: Sie gaben (Image) David, sie gaben (Image) mir. Auf die Zahlen geht Saul unterschiedlich ein. Bei der niedrigeren erscheint der Artikel.60 1.000 und 10.000 sind bekanntlich ein gängiges Staffelpaar.61 So hebt Saul mit dem Artikel auf das aus dem Staffelpaar ihm Eingeräumte ab, was zum adversativen Gepräge der parallelen Sätze beiträgt. Die Kopula ist hier eindeutig als „aber“ zu verstehen:62 David Zehntausende, aber mir nur die Tausende.

Ein Erzähltext führt in 18,8 durch zwei Sätze in den Gedankengang von Sauls Selbstgespräch ein. Die zwei Sätze legen vorauseilend die Form von Sauls verbaler Reaktion auf den Frauenauftritt offen: Saul erzürnte heftig (Image),63 und übel erschien dieses Wort bzw. dieser Sachverhalt in seinen Augen (Image). Durch die Wortwahl im zweiten Satz von 18,8 wird eine Opposition zu 18,5 angezeigt:64

Die Lesenden sind – wie erwähnt – durch 18,5 darüber informiert, wie Davids Erfolge und Beförderung durch Saul zum hohen Militär in einem breiten Konsens begrüßt wurden: Das erschien gut in den Augen des ganzen Volkes und auch in den Augen von Sauls Knechten (Image). Ersichtlich treten danach aus denen, welche im Konsens Davids Aufstieg begrüßen, die Städterinnen hervor. Breiter Zustimmung in Bezug auf Davids Karriere steht eine einzelne Ablehnung Sauls gegenüber. Doch genau besehen, tritt Sauls Ablehnung Davids erst mittelbar ein. Denn eine primäre Ablehnung Sauls richtet sich zunächst gegen das, was die Frauen in seinen Augen publik gemacht haben,65 und dabei erst verändert sich von seiner Warte aus das eigene Verhältnis zu David. So fügt die Erzählstimme in 18,9 an: „Und Saul betrachtete David argwöhnisch ab jenem Tag und fortan.“66

Entscheidend für den übergeordneten Zusammenhang ist Sauls Vermutung, die er am Schluss seines Selbstgesprächs in 18,8 hegt. Der Sinn des letzten Satzes in 18,8 ist nicht ganz klar (Image). Nach Stoebe und anderen schließt das Image „die Bedeutung des Fehlens“67 ein. Daher übersetzt Stoebe wie meist üblich: „nun es fehlt ihm (= David) ja nur noch das Königtum“. Ein anderer Trend in der Forschung geht davon aus, dass im Vers 18,8 das vorherige zweimalige Verb „geben“ (Image) am Ende in Gedanken zu ergänzen sei. Im Vers ist schließlich der letzte Benifizient Image mit dem ersten Image identisch:68 „und sie (= die Frauen) werden ihm auch noch das Königtum geben!“69 Wie dem auch sei,70 in Sauls Überlegungen und Selbstgespräch ist damit offenkundig das angekommen, was die Lesenden bereits wissen sowie bewegen dürfte und was zudem in der erzählten Welt zuletzt Jonatan bei seinem Verhalten angetrieben hat. David ist der Herrscher in spe, während Saul die Herrscherstellung innehat.

Neben ideologischen Grundlagen des Königseins, wie göttlicher Erwählung und Salbung, gehört es bei einem Regenten dazu, dass er vom gesellschaftlichen Netz als König angesehen wird und dass er von solchem Ansehen auch ausgehen kann. Es geht um ein Ansehen im doppelten Sinn des Wortes, wobei der zweite Sinn auch die schillernde Kategorie der Ehre inkludiert. Diese Kategorie ist in den Texten von 1Sam 18 zwar nicht direkt verbalisiert, die Sache schwingt aber mit, und lässt sich als Interpretament heranziehen. Als hilfreich erweisen sich dabei die Begriffsbestimmungen, wie sie Jan Dietrich71 vorgenommen hat und die hier aufgegriffen werden sollen. Demnach ist eine Unterscheidung angebracht. Die Königsehre ist als Statusehre ein begrenztes Gut. In der erzählten Welt kann nur einer König sein. Diese Statusehre ist hier Saul zueigen. Auf ihn als „den König“ gehen die singenden Städterinnen zu.

Doch da die Statusehre ein begrenztes Gut ist, kann sich – je nach Umständen – auch ein Wettbewerb darum in der Form von „Herausforderung (challenge) und Erwiderung (response)“72 ereignen. Mit der Statusehre konkurriert hier die Ruhmesehre, vor allem und zuerst in den Augen Sauls. Ruhm wird erworben durch Leistungen, die bekannt und als solche auch anerkannt worden sind.73 Ruhm ist zunächst an keinen Rang und Stand gebunden. Ruhm kann auch ein einfacher Hirtenjunge wie David erwerben. Ruhm kann aber einen Status verleihen.74 Und das konstruiert hier Saul selbst: Es fehlt David nur noch das Königtum. Mit solch eigenem Konstrukt tangiert Saul hier das Wissen der Lesenden.

Fortan wird Saul das selbst Zurechtgelegte für sich mehrfach als eigene Herausforderung nehmen und darauf – in übler Weise – antworten wollen. Wie und wo sein Antworten beginnt, ist nun genauer zu eruieren. Hierbei spielt eine Rolle, in welcher Weise sich der nächste Abschnitt 18,10–13 an den Abschnitt 18,6–9 anschließt. Im folgenden Punkt ist der Anschluss zu klären und auf diesem Weg zu zeigen, dass besungene Gewalt in Kap. 18 mitursächlich Gewaltausübung erzeugt.

4. Mordversuch und Musik (1Sam 18,10–13)

Der Abschnitt 18,10–13 enthält bis auf ein kurzes Selbstgespräch Sauls nur Erzähltext. Die ersten Sätze sind auf Saul konzentriert, die letzten auf David. Dazwischen werden David und Saul zusammen in den Blick genommen. Der Abschnitt siedelt die ersten Handlungen am Tag nach dem Auftritt der Frauen an. Ereignet sich am neuen Tag ein unabhängiger Zusammenhang? Wohl kaum. Es lässt sich nämlich zeigen, dass die Abschnitte 18,6–9 und 18,10–13 fast wie Ursachen und Folgen zusammenhängen, wenn man vorausgehende Kapitel und Texte in 1Sam mitliest.

Vor allem knüpft Vers 18,10 breit an Erzähltes im ersten Buch Samuel an, greift Fäden im Erzählten auf, verwebt die Fäden aber neuartig.

Ein böser Gottesgeist überkommt Saul in 18,10: „... da durchdrang ein böser Geist Gottes Saul (Image).“ Damit wird den Lesenden erneut 1Sam 16,14–23 wachgerufen. Dort wurde ähnlich mit unterschiedlichen Wendungen dargelegt, dass ein böser Geist Saul beherrschen kann (16,14.15.16.23) und in Schrecken versetzt (16,14.15).75 Um dem abzuhelfen, wurde in Kap. 16 David zu Saul gebracht. Mit seinem Saitenspiel (16,23; vgl. 16,16,17.18) konnte David dem vom Geist beherrschten Saul Erleichterung verschaffen, was Saul guttat und den bösen Geist weichen ließ. Man deutet dies bekanntlich in der Literatur mit dem Begriff der Musiktherapie.

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