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Ulrich Felder

APOPHATIK ALS LÖSUNGSFORMEL FÜR DEN INTERRELIGIÖSEN DIALOG?

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Herausgegeben von

Karl-Heinz Menke

Julia Knop

Magnus Lerch

Bonner

Dogmatische

Studien

Band 53

Ulrich Felder

APOPHATIK ALS LÖSUNGSFORMEL FÜR DEN INTERRELIGIÖSEN DIALOG?

Das Konzept der negativen Theologie in den pluralistischen Religionstheorien von John Hick und Perry Schmidt-Leukel

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

© 2012 Echter Verlag GmbH

Umschlaggestaltung: Peter Hellmund

ISBN 978-3-429-03552-5 (Print)

Vorwort

Die vorliegende Studie entstand im Zeitraum von September 2009 bis Februar 2011. Sie wurde im März 2011 als Dissertation im Fachbereich Fundamentaltheologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau angenommen. Die Thematik der Arbeit knüpft an die Forschungen von Prof. Magnus Striet an und befasst sich mit dem Konzept der negativen Theologie in den pluralistischen Religionstheorien von John Hick und Perry Schmidt-Leukel. Die Arbeit situiert sich somit im Schnittfeld von zwei überaus aktuellen Themen: negative Theologie und pluralistische Religionstheorie. Zugespitzt formuliert fungiert das Konzept der Apophatik in den pluralistischen Religionstheorien als Lösungsformel für den interreligiösen Dialog. Ob die negative Theologie diesem Anspruch gerecht wird, versucht die vorliegende Studie aufzuzeigen. Mein Dank gilt den beiden Gutachtern Prof. Magnus Striet und Prof. Peter Walter für die wissenschaftliche Betreuung der Arbeit. Ein weiterer Dank gilt Gertrud Lienhard für das Korrektorat.

Thalwil, Juli 2012

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

I. Teil: Hinführung

1. Thematik

1.1 Kapitelübersicht

1.2 Die pluralistische Religionstheorie

1.3 Die negative Theologie

1.4 Die negative Theologie in der pluralistischen Religionstheorie

2. These

II. Teil: Fallstudie

3. John Hick

3.1 Kapitelübersicht

3.2 Werk und Entwicklung

3.3 Die pluralistische Religionstheorie John Hicks

3.4 Negative Theologie und die pluralistische Religionstheorie Hicks

3.5 Das Argument im Überblick

4. Perry Schmidt-Leukel

4.1 Kapitelübersicht

4.2 Perry Schmidt-Leukel und die pluralistische Religionstheorie

4.3 Aufgaben und Problemfelder einer Theologie der Religionen

4.4 Der Religionsbegriff: Religionen als Sakramente

4.5 Das religionstheologische Dreierschema

4.6 Hermeneutisch-axiomatische Grundsätze

4.7 Die drei Wege religiöser Rede

4.8 Die Diskussion des „Agnostizismus-Vorwurfs“

4.9 Die Funktion der negativen Theologie für den Pluralismus

4.10 Das Modell negativer Theologie im Entwurf Schmidt-Leukels

III. Teil: Negative Theologie

5. Negative Theologie im Kontext

5.1 Einführung - Kapitelübersicht

5.2 Der Ansatz- und Ausgangspunkt der Kritik

5.3 Der Begriff der „Negativen Theologie“ – Begriffsdefinition

6. Kritik an der negativen Theologie

6.1 Kapitelübersicht

6.2 Kritische Entwürfe negativer Theologie

6.3 Zwischenergebnis

IV. Teil: Negative Theologie und pluralistische Religionstheorie

7. Kritik an der pluralistischen Religionstheorie

7.1 Kapitelübersicht

7.2 Übersicht über die Kritik

7.3 Philosophische Anfragen

7.4 Theologische Anfragen

8. Diskussion der Gegenargumente

8.1 Kapitelübersicht

8.2 Die Kritik Schmidt-Leukels an Striet

8.3 Versimplifizierte Rekonstruktion negativer Theologie

8.4 Die Motive der Neuplatonismus-Rezeption

8.5 Hermeneutische Vorentscheidung für die biblische Tradition

8.6 Verhaftung in der Hellenisierungsdebatte

8.7 Weitere Einwände

9. Zusammenfassung

9.1 Die Bedeutung der negativen Theologie für die pluralistische Religionstheorie

9.2 Das rezipierte Modell von negativer Theologie

9.3 Die Kritik an der negativen Theologie

9.4 Die Kritik an der pluralistischen Religionstheorie

Literaturverzeichnis

Quellen

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Namenregister

I. Teil: Hinführung

1. Thematik

1.1 Kapitelübersicht

Die vorliegende Untersuchung befasst sich – wie es der Titel schon ausdrückt – mit der apophatischen Theologie und dem interreligiösen Dialog. Präziser ausgedrückt untersucht die Studie das Konzept der negativen Theologie in den pluralistischen Religionstheorien von John Hick und Perry Schmidt-Leukel. Der Titel macht deutlich, dass die Untersuchung im Brennpunkt von zwei aktuellen und breit diskutierten Themenkomplexen steht: auf der einen Seite die negative (apophatische) Theologie und auf der anderen Seite die pluralistische Religionstheorie. Dieser erste (hinführende) Teil der Arbeit dient dazu, diesen doppelten Theoriebezug zu beleuchten und daraus die These und Fragestellung der Untersuchung herzuleiten. Dazu wird in einem ersten Schritt die Aktualität beider Themenkomplexe aufgezeigt, womit gleichzeitig eine Situierung der Thematik in die gegenwärtige theologische Diskussion vorgenommen wird. Da es sich um eine Hinführung zur Thematik handelt, bleiben die Ausführungen in jeglicher Hinsicht holzschnittartig und können nur bedingt vertieft werden. In einem zweiten Schritt wird die in dieser Untersuchung vertretene These kurz umrissen und in den Raum gestellt. Eine bessere Verständlichkeit der nachfolgenden Teile der Arbeit soll so sichergestellt werden. In einem dritten Schritt stehen methodisch-hermeneutische Fragen im Zentrum der Betrachtung. Es ist das Ziel dieses ersten Teils, in die Thematik der Studie einzuführen, den Problemhorizont der Arbeit zu beleuchten und so auf die eigentliche Untersuchung hinzuführen.

1.2 Die pluralistische Religionstheorie

Der erste Theoriebezug dieser Untersuchung bildet die pluralistische Religionstheorie.1 Grundlegend für die pluralistische Religionstheorie ist die Erfahrung einer pluralen, globalisierten (religiösen) Welt. Ausgehend von diesem ganz praktischen, alltäglichen Befund ist für die pluralistische Religionstheorie die Einsicht leitend, dass eine „Neubestimmung des religiösen Selbstverständnisses im Kontext der religiösen Globalisierung“2 verlangt wird.3 Im Wesentlichen lassen sich drei Punkte der neueren Entwicklung nennen, welche zu dieser Einschätzung geführt haben. Zum einen hat das Wissen der Menschen über die Religionen stark zugenommen. Zum anderen hat die Globalisierung zu einer regen Reisetätigkeit geführt. Darüber hinaus hat auch die Migration zu einem Austausch der Religionen geführt.4

Obwohl die pluralistische Religionstheorie eine in sich divergierende religionstheologische Strömung darstellt, konvergieren die unterschiedlichen Entwürfe im Grundanliegen, „hinsichtlich heilshafter Transzendenzerkenntnis religiöse Vielfalt mit Gleichwertigkeit zu verbinden“5. Es geht der pluralistischen Religionstheorie um die Gleichwertigkeit der Religionen trotz ihrer Verschiedenheit.6 Die pluralistische Religionstheorie postuliert dabei, dass es eine Vielfalt von Offenbarungen gibt, welche heilshafte Transzendenzerkenntnis vermitteln.7 Die pluralistische Religionstheorie macht folglich mit dem Gedanken ernst, „dass es wahre Religion in pluraler Gestalt geben kann und tatsächlich gibt“8. Damit verschwinden die traditionellen Geltungsdifferenzen zwischen den Religionen. Die daraus resultierenden Folgen für eine christliche Religionstheologie liegen auf der Hand: Nicht mehr das Christentum steht im Mittelpunkt, sondern Gott bildet das Zentrum der Religionsgeschichte – ein Paradigmenwechsel, welcher in seiner Tragweite mit der „Kopernikanischen Wende“9 in der Astronomie vergleichbar ist. Die pluralistische Religionstheorie versteht sich denn auch als die Überwindung der beiden religionstheologischen Positionen des Exklusivismus und Inklusivismus, welche beide an immanenten Schwächen leiden.10 Dieser kurze Abriss macht deutlich, dass sich hauptsächlich zwei Ausgangspunkte der pluralistischen Religionstheorie ausmachen lassen: Ein erster Ausgangspunkt der pluralistischen Religionstheorie ist somit die ganz praktische Erfahrung der religiösen Vielfalt; einen zweiten Ausgangspunkt bilden offene Sachfragen im Rahmen der Religionstheologie, welche zur Ausarbeitung der pluralistischen Position geführt haben.

Die Aktualität der pluralistischen Religionstheorie ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass in diesem theologischen Modell die Herausforderung der Vielfalt bzw. der Pluralismus der Religionen für die christliche Religion und deren Absolutheitsanspruch ernst genommen wird. Neben Paul Tillich11 und Ernst Troeltsch12 ist vor allem John Hick zu nennen, welcher die Herausforderung des religiösen Pluralismus der Gegenwart konstruktiv aufgenommen hat und in einem systematischen Entwurf verarbeitet hat. Er kann somit gewissermaßen als „Gründer“13 der pluralistischen Religionstheorie gelten. Grob gesprochen besteht seine „pluralistische Hypothese“ darin, dass sich hinter den konkreten nachaxialen Religionen eine einheitliche, unerkennbare Transzendenzgrundlage befindet, welche den Religionen gemein ist und die sich in den einzelnen Religionen als religiöse Erfahrung manifestiert.14 Dieser Grundgedanke wird von weiteren Theologen aufgegriffen; so auch von Perry Schmidt-Leukel, welcher als Hauptvertreter der pluralistischen Religionstheorie im deutschsprachigen Raum gesehen werden kann.15

1.3 Die negative Theologie

Der zweite Theoriebezug dieser Untersuchung bildet die negative Theologie.16 Genauso wie nicht von der pluralistischen Religionstheorie gesprochen werden kann, gibt es auch nicht die negative Theologie. Wohl noch ausgeprägter als die pluralistische Religionstheorie ist die Lehre der negativen Theologie in sich vielfältig und divergent, d.h. unter dem Begriff der „negativen Theologie“ lassen sich unterschiedliche theologische Konzepte subsumieren. Entsprechend schwierig zu beantworten ist deshalb die Frage, was eigentlich negative Theologie sei. Denn es ist bereits fraglich, worum es der negativen Theologie überhaupt geht. Geht es der negativen Theologie darum, „Gottes Abwesenheit aufzudecken“17 oder umgekehrt vielmehr darum, „Gottes Gegenwart als die ‚Präsenz einer Abwesenheit‘“18 zu sehen? Ist negative Theologie einfach „ein theologischer Hochseilakt“19, welcher „sich auf der Basis einer unaufhebbaren Spannung zwischen Positivität und Normativität abspielt“20? Versteckt sich hinter der negativen Theologie „Widerstand und Protest“21? Diese Fragen müssen an dieser Stelle zunächst offen gelassen werden; eine Begriffsdefinition folgt noch in dieser Untersuchung.

Zentral ist auch die Frage nach den Gründen der Aktualität negativer Theologie, denn es ist unübersehbar, dass gerade in der modernen, gegenwärtigen Zeit die negative Theologie eine besondere Aufmerksamkeit genießt.22 Es stellt sich die Frage, weshalb gerade heute die negative Theologie eine besondere Aktualität besitzt. Ist es letztlich der Zeitgeist, welcher negative Theologie populär macht? Das heißt konkreter: Sind es einfach die „Zeiten sowie Perioden geistiger Erschlaffung“23, welche „der ‚negativen Theologie‘ ihre Sympathien schenken, während erkenntnisfrohe, von intellektuellem Optimismus durchwehte Geister […] danach streben, das Unfassbare doch irgendwie begrifflich fassbar zu machen.“24? Ist die negative Theologie als „Lückenbüßer für rationale Reflexion“25 bzw. als eine „hypertrophe oder dekadente Spekulation am Ende des Denkens“26 gerade heute von Bedeutung? Oder ist nicht vielmehr das Gegenteil der Fall, dass der Begriff der negativen Theologie „für eine entscheidende, auch und gerade in neuzeitlichen Verhältnissen unaufgebbare Sache der systematischen Theologie“27 steht? Tangiert die negative Theologie nicht vielmehr „den innersten Kern der Theologie“28? Auch diese Fragen müssen zunächst offen gelassen werden. Klar ist, dass generell ein Erwachen des Interesses an der negativen Theologie feststellbar ist: „In einer Zeit, in der Gott ferngerückt scheint, der Glaube an Gott schwierig geworden ist, und viele Menschen sich insbesondere mit dem sehr konkreten Gottesbild des christlichen Glaubens schwer tun, gewinnt die zurückhaltende Sprache negativer Theologie an Plausibilität.“29

Die Frage nach der Aktualität der negativen Theologie tangiert auch die Frage nach dem „Ort“ der negativen Theologie: Wo kommt negative Theologie heute vor? Klar ist, dass negative Theologie in der Moderne auf vielfältige Weise rezipiert wird, wobei die Gründe für die Rezeption stets unterschiedlich sind.30 Ein erster Ort der Rezeption der negativen Theologie bildet die Theodizee, die Frage nach dem Leiden angesichts eines allgütigen und allmächtigen Gottes.31 In jüngster Zeit hat gerade die Flutkatastrophe in Südostasien, ausgelöst durch den verheerenden Tsunami im Jahr 2006, die Frage nach Gott und dem Leiden wieder ins Bewusstsein der Menschen gerufen. Die Frage der Theodizee ist eine bleibende oder zumindest eine stets wiederkehrende Frage des Menschen. Negative Theologie eignet sich ideal als Lösungsformel für die Theodizee; und dies hauptsächlich in zweifacher Weise: (1) Da Gott als unerkennbar und unergründlich bezeichnet werden muss, ist auch die Frage nach dem Leiden als unbegreiflich zu betrachten. Da Gottes Wege letztlich unergründbar sind, ist auch die Antwort auf die Frage nach dem Leiden als unbegreiflich zu bezeichnen. (2) Genauso wie Gott in der Sprache der negativen Theologie dem Menschen entzogen ist, gibt es ein negatives Mysterium des menschlichen Leidens, welches der menschlichen Sprache letztlich entzogen bleibt.32 Diese argumentative Strategie in der Theodizeedebatte kann dabei als eine „reductio in mysterium“33 bezeichnet werden. Auf eine vertiefte Betrachtung der negativen Theologie im Rahmen der Theodizeefrage muss verzichtet werden. Und ob die Theodizee sich durch den Rekurs auf die negative Theologie lösen lässt, muss an dieser Stelle offen bleiben. Festzuhalten bleibt nur die große Affinität der negativen Theologie zur Theodizeefrage.

Die negative Theologie findet sich heute ebenfalls in der weit verbreiteten deistischen Glaubenshaltung, nach welcher zwar an „etwas“ geglaubt wird, jedoch von diesem „Etwas“ nicht genau aussagbar ist, was es denn ist. Negative Theologie, welche das Gottesbild gerade nicht festlegt, spielt diesem modernen Unverbindlichkeitsstreben in die Hand: Während die affirmative Theologie ein konkretes Gottesbild zeichnet und dabei Verbindlichkeit impliziert, greift die negative Theologie mit ihrer Unverbindlichkeit den Zeitgeist auf.34 Die Moderne weist ganz allgemein eine gewisse „Tendenz zur Beliebigkeit“35 auf. Auch auf die Religion bezogen ist die Zeitdiagnose wohl zutreffend, dass sich Religion in ihrer postmodernen Spielart in einer total gegenläufigen Tendenz abspielt, d.h. zwischen „einer totalen Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit einerseits, eine[m] fanatischen Fundamentalismus andererseits“36. Allgemein ist die moderne Lebenswelt unverbindlich, subjektiv und letztlich auch relativ. Einem solchen Relativismus scheint die negative Theologie geradezu in die Hand zu spielen.37 Da sich Gott letztlich hinter einem Schleier der Unerkennbarkeit verbirgt, kann jede Aussage über Gott nur in Relation zu seinem eigenen Standpunkt gesehen werden.38 Die Unerkennbarkeit Gottes birgt einen Relativismus in sich, indem keine eindeutige Referenz mehr gegeben ist und jedes Erkennen der Gottheit als relativ verstanden werden muss. Der grundsätzlich identische Gedankengang findet sich auch in der Religionstheologie: Da Gott unerkennbar ist, kann keine Religion für sich beanspruchen, Gott in seiner Ganzheit zum Ausdruck zu bringen. Fraglich bleibt, ob die Religionstheologie damit nicht den Relativismus erbt, den die negative Theologie impliziert. Fakt ist, dass der ursprüngliche Sinn der negativen Theologie, Gott in seiner Unverfügbarkeit zu schützen, teilweise verloren gegangen ist. Hinter dieser durchaus integren Zielsetzung, Gott vor der Bemächtigung des Menschen zu bewahren, verbirgt sich letztlich ein dezidierter Relativismus.

Letztlich hat die negative Theologie auch eine Affinität zum religiösen Pluralismus der Gegenwart – ein Bezugspunkt, welcher für die vorliegende Untersuchung natürlich von besonderer Bedeutung ist (Pluralismusproblem). Ganz allgemein gesprochen ist die Moderne von einem Pluralismus geprägt. Eine von einem solchen pluralen Markt gekennzeichnete Moderne muss einen letzten Referenzpunkt aufgeben, um pluralismusfähig zu sein. Denn nur durch einen solchen Verzicht kann ein gleichberechtigtes Nebeneinander gewährleistet werden. Was in der Wirtschaft sich als freie Marktwirtschaft bewährt hat, soll nun auch im religiösen Bereich Einzug halten.39 Auch in der Religionstheologie soll die negative Theologie ihre guten Dienste leisten. Nur wenn sich Gott als letzter Referenzpunkt hinter dem Schleier der Unerkennbarkeit verbirgt, können die Religionen gleichwertig nebeneinander existieren – so die These der pluralistischen Religionstheorie. Aus diesem Grund greifen die Vertreter der pluralistischen Religionstheorie auf die negative Theologie zurück, um „die Gleichsinnigkeit des Transzendenzbegriffs in den verschiedenen Religionen denken zu können, verbunden mit der Hoffnung, dadurch das mit den Absolutheitsansprüchen der Religionen verbundene Konfliktpotenzial befrieden zu können“40. Negative Theologie scheint das Christentum pluralismusfähig zu machen und somit den Anschluss an die globale Welt zu ermöglichen. Die christliche Religion kann so mit einigen Jahren Verspätung doch noch im Zeitalter der Globalisierung ankommen.

1.4 Die negative Theologie in der pluralistischen Religionstheorie

Dieser erste schlaglichtartige und teilweise auch thesenartige Augenschein hat einen zweifachen Befund ergeben: Zum Einen sind beide Theoriebezüge sind in sich divergent bzw. keineswegs einheitlich. Zum Zweiten erfahren beide Theoriebezüge in der gegenwärtigen theologischen Diskussion eine breite Aufmerksamkeit – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Doch wie sieht es mit der Beziehung der beiden Themenfelder zueinander aus? Inwiefern hat die negative Theologie eine Funktion in der pluralistischen Religionstheorie? Wie das vorhergehende Kapitel gezeigt hat, besteht zwischen negativer Theologie und pluralistischer Religionstheorie ein grundsätzlicher Zusammenhang.

Auf den Zusammenhang zwischen der negativen Theologie und der pluralistischen Religionstheorie weisen die Vertreter der pluralistischen Religionstheorie selbst hin. Dieser Zusammenhang wird in den folgenden Kapiteln der vorliegenden Untersuchung noch umfassend und ausführlich Gegenstand der Betrachtung sein. Aus diesem Grund beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf den wesentlichen Zusammenhang.

Schmidt-Leukel betont, dass die pluralistische Position „auf zwei Pfeilern“41 ruht. Den ersten Pfeiler bildet die epistemologische Annahme, wonach jede religiöse Erfahrung eine begrifflich vermittelte Erfahrung und somit in sich eine vielfältige Erfahrung ist.42 Als zweiter Pfeiler fungiert die negative Theologie, d.h. die metaphysische Annahme, „dass die göttliche Wirklichkeit in ihrer Infinitheit alle menschlichen Begreif- und Beschreibbarkeit transzendiert“43. Ganz allgemein gilt: „Authentische Gotteserkenntnis kann in sich vielfältig und verschiedenartig sein, weil kein menschliches Begreifen Gott vollständig erfasst.“44 Die pluralistische Hypothese einer Gleichwertigkeit der Religionen untereinander lässt sich nur aufrechterhalten, wenn die letzte göttliche Wirklichkeit in ihrem Wesen unerkennbar ist. Gäbe es im Rahmen der Gotteserkenntnis auch nur einen noch so kleinen Teil einer authentischen Gotteserkenntnis an sich, dann würde damit auch klar werden, welche Religion Gott zutreffender erkennt und beschreibt. Somit gilt, dass je konsequenter bzw. radikaler die negative Theologie gedacht wird, desto mehr Plausibilität gewinnt die pluralistische Religionstheorie.45 Oder umgekehrt formuliert: Je „optimistischer die Erkenntnismöglichkeiten […] des menschlichen Geistes im Hinblick auf die göttliche Realität eingeschätzt werden“46, desto mehr verliert die pluralistische Religionstheorie an Überzeugungskraft.47

Aber nicht nur in der pluralistischen Religionstheorie Hicks und Schmidt-Leukels bildet das apophatische Gedankengut das argumentative Herzstück der Theorie. Auch andere pluralistische Entwürfe bauen in ihrer Argumentation wesentlich auf der Ineffabilität Gottes im Sinn der negativen Theologie auf. So verweist beispielsweise Haight darauf, dass die menschlichen Vorstellungen von Gott nicht einfach an Gott angeglichen werden können, da Gott eben transzendent und ineffabel ist.48 Und auch Dupuis verweist in seinem Entwurf auf den hilfreichen Beitrag, den die negative Theologie für eine Theologie der Religionen spielen kann. Dupuis interpretiert die prophetischen Religionen des Westens und die mystischen Religionen des Ostens als zwei Offenbarungsweisen des einen Gottes; als eine Offenbarung in der Geschichte der Welt und eine Offenbarung im Innern des Menschen.49

Nicht nur die Vertreter der pluralistischen Religionstheologie selbst sehen die negative Theologie als Fundament und zentrale Prämisse ihrer Theorie gegeben, auch in der akademisch-wissenschaftlichen Diskussion um die pluralistische Religionstheorie wird die zentrale Stellung der negativen Theologie immer wieder hervorgehoben: So konstatiert Koziel „einen deutlichen Hang zur Geltendmachung negativ-theologischen Denkens in neuerer systematischer Theologie“50 und spielt damit u.a. auf die pluralistische Religionstheorie an.51 Wiertz bezeichnet die Ineffabilitätsthese als den „Dreh- und Angelpunkt von Hicks Argumentation“52. Gemäß der Ineffabilitätsthese ist die göttliche Wirklichkeit „unbegrenzt und übersteigt jedes menschliche Begreifen“53. „Da keine Beschreibung Gott fasst, kann keine Beschreibung Gottes vor anderen einen Vorrang beanspruchen.“54 Faber sieht eine grundlegende Verbindung zwischen negativer Theologie und pluralistischer Religionstheologie. Für sie steht die negative Theologie „im Dienst“55 der pluralistischen Religionstheologie.56 Nach Kreiner besitzt die „Frage der Geheimnishaftigkeit der transzendenten Realität“57 eine Schlüsselstellung in der Diskussion um die pluralistische Religionstheorie.58 Für Kreiner ist klar, dass sich „[w]ieder einmal […] eine ungelöste klassische Problemstellung als Lebensnerv einer höchst aktuellen Auseinandersetzung“59 erweist. Für Hochstaffl spielt die negative Theologie eine „wichtige Rolle“60 in der Frage nach einem angemessenen Ansatz für eine Theologie der Religionen. Aus diesem Grund hat denn auch das „Transzendenzargument“61 der negativen Theologie einen entscheidenden Stellenwert in der Diskussion um die Theologie der Religionen: „Nur wer sich bewusst sei, dass er sich selbst nicht im adäquaten Besitz der Wahrheit befinde, könne sich einem gleichberechtigten Dialog mit Vertretern anderer Religionen öffnen.“62 Auch für Striet ist es „auffällig, dass sich im religionstheologischen Pluralismus die in der Tradition negativer Theologie entstandene Insistenz auf die absolute Transzendenz und somit Unbegreiflichkeit Gottes für die menschliche Vernunft in der religionstheologischen Debatte der Gegenwart größter Zustimmung erfreut“63. Müller sieht in der pluralistischen Religionstheorie die These vertreten, dass die „unhintergehbare absolute Bedingung des Zusammenlebens der Anhänger verschiedener Religionen […] die Anerkennung der Unerkennbarkeit des Absoluten“64 ist. Für Heller ist auffallend, „dass sowohl Pluralisten als auch Inklusivisten […] Wert auf eine angemessene Berücksichtigung apophatischen Gedankensguts innerhalb der Theologie legen.“65 Neben der christologischen Frage nach der heilskonstitutiven Rolle Jesu ist „die epistemologische Frage nach dem Grad der Erkennbarkeit und Aussagbarkeit der Erfahrung Gottes“66 von zentraler Bedeutung.

Doch nicht nur der argumentative Zusammenhang zwischen negativer Theologie und pluralistischer Religionstheorie wird in der wissenschaftlichen Diskussion konstatiert. Da mit der negativen Theologie der entscheidende Punkt der Religionstheologie tangiert wird, kann auch bei der negativen Theologie mit der Kritik an der pluralistischen Religionstheorie angesetzt werden. So wird beispielsweise von Fiedrowicz gefragt, ob es sich bei der negativen Theologie nicht einfach um „eine sublime Form intellektueller Schwäche“67 handelt, „die im Bereich des Religiösen auf die Wahrheitsfrage verzichtet, da sie das Göttliche für unerkennbar erklärt, allenfalls mit austauschbaren Metaphern benennen möchte, um letztlich sämtliche religiöse Anschauungen als gleich-gültigen Ausdruck des Unergründlichen zu betrachten“68.

1 Eine Sammlung ausgewählter Publikationen von Vertretern der pluralistischen Religionstheorie bieten: BERNHARDT (Hg.), Horizontüberschreitung.; KUSCHEL (Hg.), Christentum und nichtchristliche Religionen.

2 SCHMIDT-LEUKEL, Wandlungsprozesse der Religionen in der Moderne, 255.

3 Vgl. BERNHARDT, Einleitung, 12. Zur Auseinandersetzung des Christentums mit der Moderne vgl. HICK, The Non-absoluteness of Christianity, 77–101.

4 Vgl. HICK, Wahrheit und Erlösung im Christentum und in anderen Religionen, 114. Vgl. auch SCHMIDT-LEUKEL, Pluralistische Religionstheologie: Warum und wozu?, 260f. Für Schmidt-Leukel sind es sechs Strömungen, die zur Bildung der pluralistischen Religionstheorie beigetragen haben. Zu den sechs Entwicklungslinien zählen neben der (1) systematischen Theologie und Religionsphilosophie auch (2) das Engagement im interreligiösen Dialog, (3) missionstheologische Überlegungen, (4) die feministische Theologie, (5) die Religionswissenschaft und (6) die Schule der „religio perennis“ bzw. „die traditionale Schule“. Vgl. auch SCHMIDT-LEUKEL, Gott ohne Grenzen, 166–171.

5 SCHMIDT-LEUKEL, Pluralistische Religionstheologie: Warum und wozu?, 261. Explizit abgelehnt als Anliegen bzw. Ausgangspunkt der pluralistischen Religionstheorie wird von Schmidt-Leukel der Ruf nach Toleranz bzw. die Dialogfähigkeit im interreligiösen Gespräch. Vgl. SCHMIDT-LEUKEL, Pluralistische Religionstheologie: Warum und wozu?, 265.

6 Vgl. SCHMIDT-LEUKEL, Was will die pluralistische Religionstheologie?, 311.

7 Vgl. SCHMIDT-LEUKEL, Was sind Religionen?, 27.

8 SCHMIDT-LEUKEL, Was sind Religionen?, 27. Vgl. auch die von Schmidt-Leukel zitierte Pluralismus-Definition von Hick: „Zumindest für die größeren religiösen Traditionen wird von pluralistischer Seite eine Gleichrangigkeit im Hinblick auf die heilshafte Gotteserkenntnis behauptet – eine Gleichrangigkeit trotz bzw. in Verschiedenheit und Vielfältigkeit.“

9 HICK, Gott und seine vielen Namen, 21.

10 Vgl. SCHMIDT-LEUKEL, Gott ohne Grenzen, 175. Letztlich gibt der Pluralismus den „exklusivistischen Restbestand des Inklusivismus“ preis. KREINER, Ende der Wahrheit?, 450.

11 Zu den zentralen religionstheologischen Werken Tillichs zählen beispielsweise: TILLICH, Christianity and the Encounter of the World Religions; TILLICH, Das Wesen der religiösen Sprache, 29–38; TILLICH, Die Bedeutung der Religionsgeschichte für den systematischen Theologen, 51–64.

12 Zu den zentralen religionstheologischen Werken Troeltschs zählen u.a.: TROELTSCH, Die Selbständigkeit der Religion, 361–436; TROELTSCH, Der Historismus und seine Überwindung; TROELTSCH, Die Absolutheit des Christentums; TROELTSCH, Die Stellung des Christentums unter den Weltreligionen, 23–38. Vgl. auch die Publikation Schmidt-Leukels zu Troeltsch: SCHMIDT-LEUKEL, Die Herausforderung der Religionsgeschichte für die Theologie, 111–128.

13 RATZINGER, Zur Lage von Glaube und Theologie heute, 361.

14 Vgl. HICK, God and the Universe of Faiths, 138f. Vgl. auch HICK, A Religious Understanding of Religion, 23.

15 Ebenfalls als weiterer bedeutender Vertreter der pluralistischen Position im angelsächsischen Sprachraum kann Paul Knitter bezeichnet werden, welcher jedoch nur bedingt den Grundgedanken Hicks folgt. Zu den zentralen religionstheologischen Werken Knitters zählen u.a.: KNITTER, Ein Gott – viele Religionen.; KNITTER, Horizonte der Befreiung.; KNITTER, Religion und Befreiung, 203–219.; KNITTER, Nochmals die Absolutheitsfrage, 505–516.; KNITTER, No Other Name? Als weitere bedeutende Vertreter der pluralistischen Position können u.a. gelten: Gordon Kaufman, Langon Gilkey, Tom Driver, Alan Race, Glyn Richards, Keith Ward, Peter Byrne, Chester Gillis und Roger Haight. Vgl. SCHMIDT-LEUKEL, Pluralistische Religionstheologie: Warum und wozu?, 260.

16 Eine erste Hinführung zur negativen Theologie bieten: HOCHSTAFFL, Art. Negative Theologie, 723–725.; HOCHSTAFFL, Art. Apophatische Theologie, 848.; STOLINA, Art. Negative Theologie, 170–174.; VORGRIMMLER, Art. Negative Theologie, 864f.; FABER, Negative Theologie heute, 481–503.; ECKERT, Negative Theologie – Zur Einführung, 81–83.; HOCHSTAFFL, Negative Theologie.; BENK, Gott ist nicht gut und nicht gerecht.; WESTERKAMP, Via negativa.; STOLINA, Niemand hat Gott je gesehen.; SCHÜßLER (Hg.), Wie läßt sich über Gott sprechen?; KREINER, Das wahre Antlitz Gottes – oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen.; HOFF/HALBMAYR (Hg.), Negative Theologie heute?; VORGRIMMLER, Theologische Gotteslehre, 21–37.; GALITIS, Apophatismus als Prinzip der Schriftauslegung bei den griechischen Kirchenvätern, 25–40.; OELMÜLLER, Negative Theologie heute.; OELMÜLLER, Wie nicht bzw. wie sprechen über und zu Gott in Traditionen der Aufklärung, Bilderverbots und der negativen Theologie, 135–149.

17 BORGMAN, Negative Theologie als postmodernes Sprechen von Gott, 157.

18 BORGMAN, Negative Theologie als postmodernes Sprechen von Gott, 157. Borgmann bezieht sich dabei auf MISKOTTE, Als de goden zwijgen, 48.

19 HOFF/HALBMAYR, Einleitung, 9.

20 HOFF/HALBMAYR, Einleitung, 9.

21 BENK, Gott ist nicht gut und nicht gerecht, 18.

22 Vgl. STRIET, Bestimmte Negation, 130.

23 Vgl. RAST, Welt und Gott, 8. Die Stelle verdankt sich FABER, Negative Theologie heute, 481.

24 Vgl. RAST, Welt und Gott, 8.

25 HÄRING, Zur Aktualität der Negativen Theologie, 124.

26 BENK, Gott ist nicht gut und nicht gerecht, 18.

27 METZ, Vorwort, 9.

28 BENK, Gott ist nicht gut und nicht gerecht, 9.

29 FABER, Zur Bedeutung negativer Theologie in der christlichen Rede von Gott, 468. Auch Eckert stellt eine zunehmende Bedeutung der negativen Theologie für das postmoderne Denken fest. Vgl. ECKERT, Negative Theologie – Zur Einführung, 83. Vgl. auch STRIET, Offenbares Geheimnis, 31f.

30 Vgl. STRIET, Offenbares Geheimnis, 31f.

31 Vgl. METZ, Memoria passionis, 104f. „Aber ist das Leiden nicht gerade für gläubige Menschen eine Frage? Vielleicht sogar die Frage, jene Frage, die die Religions- und Glaubensgeschichte der Menschheit durch Jahrtausende begleitet?“

32 Vgl. METZ, Plädoyer für mehr Theodizee-Empfindlichkeit, 135. „Gibt es nicht auch und gerade für Theologen jenes negative Mysterium menschlichen Leidens, das sich auf keinen Namen mehr reimen lassen will?“ Die Stelle verdankt sich HOCHSTAFFL, Art. Negative Theologie, 724. Vgl. auch METZ, Memoria passionis, 19f.

33 STRIET, Offenbares Geheimnis, 28.

34 Häring sieht im Wandel der Gottesbilder den Grund für die Aktualität der negativen Theologie: „Viele Menschen sind dabei, aus ihren erlernten religiösen Konventionen auszubrechen und Gottesbilder abzustreifen, die dem Denken und der Praxis ihres Alltags nicht mehr standhalten.“ HÄRING, Zur Aktualität der Negativen Theologie, 126.

35 FABER, Negative Theologie heute, 489. Auch Ratzinger erklärt den „Relativismus zum zentralen Problem für den Glauben in unserer Stunde“. RATZINGER, Zur Lage von Glaube und Theologie heute, 360.

36 MÜLLER, Das Nichts als Ausgangspunkt der Rede von Gott in der Moderne, 5. Vgl. SCHIL-LEBEECKX, Menschen. 114–116.

37 Vgl. STRIET, Bestimmte Negation, 130.

38 Interessant ist diesbezüglich auch die Einschätzung von Faber: „Während in der Jahrhundertmitte eine zu gescheite und wissende Dogmatik, welche die Unbegreiflichkeit Gottes recht gut im Griff zu haben schien, nach einem Korrektiv einer negativen Theologie verlangt, finden sich neuere Entwürfe in einem Kontext vor, der eine gegenteilige Akzentsetzung herausfordert: die ‚postmoderne‘ Rationalitätskritik. Ironischkritisch meint Ingolf U. Dalferth: ‚Dass Gott nicht gefunden wird, wo nur gedacht wird, heißt nicht, dass er sich nur finden lässt, wo nicht gedacht wird.‘“ FABER, Negative Theologie heute, 489. Faber nimmt dabei Bezug auf DALFERTH, Gott, 3.

39 Vgl. dazu auch die Einschätzung von Seckler: „Man kann heute wie nie zuvor auf dem reichbestückten Markt der Angebote seine Auswahl treffen, wobei neben den klassischen Grundsätzen der Religionsfreiheit und der Toleranz zunehmend auch das funktionale Religionsverständnis und die Erosion der Wahrheitsfrage den Entscheidungssituationen ihr Gepräge geben.“ SECKLER, Theologie der Religionen mit Fragezeichen, 168f. Vgl. auch WERBICK, Heil durch Jesus Christus allein?, 11f.

40 STRIET, Offenbares Geheimnis, 27.

41 SCHMIDT-LEUKEL, Theologie der Religionen, 360. Schmidt-Leukel bezieht sich mit diesem Urteil auf die pluralistische Hypothese Hicks.

42 Vgl. SCHMIDT-LEUKEL, Theologie der Religionen, 360. Vgl. auch BERNHARDT, Einleitung, 19. Bernhardt bezeichnet die pluralistische Religionstheorie treffend als erfahrungstheologischen Ansatz, da die religiöse Erfahrung den Ausgangspunkt der Theorie bildet und nicht etwa eine autoritative Tradition.

43 SCHMIDT-LEUKEL, Theologie der Religionen, 360.

44 SCHMIDT-LEUKEL, Demonstratio Christiana, 144.

45 Vgl. SCHMIDT-LEUKEL, Gott ohne Grenzen, 207.

46 SCHMIDT-LEUKEL, Gott ohne Grenzen, 207.

47 Vgl. SCHMIDT-LEUKEL, Gott ohne Grenzen, 207.

48 Vgl. HELLER, John Hicks Projekt einer religiösen Interpretation der Religionen, 472.

49 Vgl. HELLER, John Hicks Projekt einer religiösen Interpretation der Religionen, 472f.

50 KOZIEL, Die Aufhebung der Soteriologie in Religionstheologie, 540.

51 Vgl. KOZIEL, Die Aufhebung der Soteriologie in Religionstheologie, 540.

52 WIERTZ, Der eine Gott und die vielen Religionen, 332.

53 WIERTZ, Der eine Gott und die vielen Religionen, 331.

54 WIERTZ, Der eine Gott und die vielen Religionen, 331.

55 FABER, Negative Theologie heute, 500.

56 Vgl. FABER, Negative Theologie heute, 500.

57 KREINER, Philosophische Probleme der pluralistischen Religionstheorie, 131.

58 Diese Einschätzung Kreiners teilt auch Schmidt-Leukel: „Es ist daher völlig zutreffend, wenn Armin Kreiner urteilt, dass für die Auseinandersetzung um die pluralistische Religionstheologie‘ der Frage der Geheimnishaftigkeit der transzendenten Realität‘ eine Schlüsselstellung zukommt.“ SCHMIDT-LEUKEL, Gott ohne Grenzen, 207.

59 KREINER, Philosophische Probleme der pluralistischen Religionstheorie, 131.

60 HOCHSTAFFL, Art. Negative Theologie, 724.

61 HOCHSTAFFL, Art. Negative Theologie, 724.

62 HOCHSTAFFL, Art. Negative Theologie, 724.

63 STRIET, Offenbares Geheimnis, 31f.

64 MÜLLER, Erkenntnistheoretische Grundprobleme einer Theologie der Religionen, 20f.

65 HELLER, John Hicks Projekt einer religiösen Interpretation der Religionen, 472. Es stellen sich für Heller zwei Grundsatzfragen: „Kann die Offenbarung Gottes in einer Religion dergestalt gedacht werden, dass sie die qualitative Fülle, die unerreichbare und unüberbietbare Nähe dieses Gottes impliziert, folglich die qualitative und quantitative Gleichwertigkeit anderer Offenbarungen dieses Gottes automatisch negieren muss? Oder muss sich der Glaube, wie die Pluralisten meinen, in seinem Anspruch bescheiden und angesichts des ihm schon unabhängig von anderen Offenbarungsansprüchen anderer Religionen bewussten Unterschieds zwischen der Unendlichkeit Gottes und der Endlichkeit des erfahrenden Menschen auf die Behauptung der Wahrheit des eigenen Glaubens beschränken, ohne damit die Unwahrheit anderer Glaubensüberzeugungen implizieren zu wollen, auch solcher nicht, die Gott anders beschreiben als die eigene Religion?“ HELLER, John Hicks Projekt einer religiösen Interpretation der Religionen, 473.

66 HELLER, John Hicks Projekt einer religiösen Interpretation der Religionen, 473.

67 FIEDROWICZ, Die Anfänge der Negativen Theologie bei den Kirchenvätern, 32.

68 FIEDROWICZ, Die Anfänge der Negativen Theologie bei den Kirchenvätern, 32. Fiedrowicz bezieht sich dabei auf die Intervention Ambrosius, welcher schon zu seiner Zeit den „Rückzug auf ein ‚heiliges Nicht-Wissen‘, das durch Negierung jeglicher positiver Aussagen über Gott alles in der Schwebe zu lassen suchte“, kritisierte. Interessant ist an dieser Stelle der Hinweis Fiedrowicz‘, dass bereits in der Zeit der Kirchenväter der Versuch unternommen wurde, „aus einer bestimmten Form negativer Theologie religionspolitische Konsequenzen abzuleiten. Die starke Betonung der göttlichen Transzendenz schien nur eine unterschiedslose Toleranz verschiedenster Kulturformen zu gestatten, die neuplatonischem Verständnis zufolge letztlich ein und derselben höchsten Gottheit galten, also mit philosophischen Ansprüchen durchaus vereinbar war.“ FIEDROWICZ, Die Anfänge der Negativen Theologie bei den Kirchenvätern, 32.

2. These

Die Ausführungen im vorhergehenden ersten Kapitel haben sich als Hinführung zur Thematik verstanden. Dabei sind viele Fragen aufgeworfen worden, welche jedoch nicht vertieft werden konnten und offen bleiben mussten. In diesem zweiten Kapitel soll nun der Fokus spezifischer gefasst werden und die für diese Untersuchung leitende Fragestellung herausgearbeitet werden. Dazu wird nachfolgend die in dieser Arbeit vertretene These in den Raum gestellt. Konkret geht es in der vorliegenden Untersuchung um folgende These: Die pluralistische Religionstheorie69 vertritt die Ansicht, dass die großen religiösen Traditionen der Menschheit trotz ihrer Verschiedenheit und Vielfältigkeit gleichermaßen eine gleichwertige heilshafte Gotteserkenntnis vermitteln.70 Um diese Ansicht argumentativ zu untermauern, spielt die „Unterscheidung zwischen Erfahrungsgegenstand und subjektivem Erfahrungseindruck“71 eine Schlüsselrolle. Im Grunde ist diese Unterscheidung als solche trivial, für die pluralistische Hypothese dagegen überaus zentral. Denn letztlich muss die pluralistische Position den Aufweis erbringen, „dass ein und derselbe Erfahrungsgegenstand unterschiedliche, ja teilweise sogar konträre Erfahrungseindrücke hinterlassen kann, die dennoch gleichermaßen authentisch sind“72. Oder auf die Problemstellung der Religionstheologie übertragen formuliert: Der eine Erfahrungsgegenstand (Gott) kann in den verschiedenen Religionen durch verschiedene, sogar konträre Erfahrungseindrücke (religiöse Erfahrungen der Menschen) erfahren werden. Damit dieser Aufweis gelingt, gehen Hick wie auch Schmidt-Leukel in ihrer Argumentation von zwei Basisprämissen aus, nämlich einer epistemologischen und einer metaphysischen.73 Die metaphysische Prämisse bildet die negative Theologie. Gott ist seinem Wesen nach unerkennbar (ineffabel) und übersteigt die menschliche Erkenntnismöglichkeit. Die metaphysische Prämisse betrifft somit den Erfahrungsgegenstand bzw. auf die Religionstheologie bezogen die göttliche Wirklichkeit.74 Die epistemologische Prämisse bildet die Einsicht, dass der menschliche Geist eine mitkonstitutive Rolle bei der Wahrnehmung spielt. Dieses Grundmoment einer jeden menschlichen Erkenntnis wird sehr treffend in der Epistemologie Kants deutlich – aber nicht nur. Die epistemologische Prämisse betrifft den subjektiven (menschlichen) Erfahrungseindruck.75

Durch die metaphysische Prämisse der Unerkennbarkeit Gottes, d.h. durch die negative Theologie, wird die göttliche Wirklichkeit der konkreten Beschreibbarkeit des Menschen entzogen. Keine Beschreibung der göttlichen Wirklichkeit, keine religiöse Lehre und auch keine Offenbarungsurkunde kann nun für sich beanspruchen, die (wenn auch nur teilweise) korrekte Beschreibung der göttlichen Wirklichkeit wiederzugeben. Sozusagen eröffnet die Unerkennbarkeit Gottes den entscheidenden Raum für eine pluralistische Position: Nur wenn Gott seinem Wesen nach unerkennbar ist, kann die Behauptung aufrecht erhalten werden, dass es sich bei den verschiedenen Gottesbildern in den Religionen lediglich um kulturell verschiedene Ausdrucksformen des einen (unerkennbaren) Gottes handelt. Sobald Gott auch nur teilweise erkannt werden könnte, würde auch sofort deutlich werden, welche Religion Gott am treffendsten erkennt. Eine pluralistische Position wäre in diesem Fall ausgeschlossen.

Doch die metaphysische Prämisse reicht noch nicht aus für eine pluralistische Position. Nicht nur der Erfahrungsgegenstand ist in seiner Erkennbarkeit einer Begrenzung unterworfen, auch das Erfahrungssubjekt ist in seiner Erkenntnisfähigkeit beschränkt. Diese sozusagen zweite Beschränkung auf Seiten des menschlichen Subjekts liefert die epistemologische Basisprämisse. Die epistemologische Prämisse meint, dass „der Erkenntnisgegenstand im Erkenntnissubjekt immer auf die Weise des Erkenntnissubjekts gegeben ist“76. Oder mit anderen Worten ausgedrückt, dass der menschliche „Geist selbst einen positiven Beitrag zum Charakter der von ihm wahrgenommenen Umgebung leistet“77. Auf die religiöse Erfahrung übertragen, gibt es keine religiöse Erfahrung an sich, jede religiöse Erfahrung ist perspektivisch und selektiv. Mit dieser epistemologischen Prämisse wird der zweite entscheidende Raum für eine pluralistische Position geöffnet. Da es keine reine Erfahrung gibt, sondern Erfahrung immer von der historischen, soziokulturellen Umgebung geprägt ist, kann die göttliche Wirklichkeit nicht an sich erfahren werden. Die Erfahrung der göttlichen Wirklichkeit ist stets eine soziokulturell vermittelte, vom menschlichen Geist selbst geprägte Erfahrung.78

Die vorliegende Untersuchung befasst sich in erster Linie mit der metaphysischen Prämisse in den pluralistischen Entwürfen Hicks und Schmidt-Leukels. Die bisherigen Ausführungen im vorhergehenden Abschnitt haben gezeigt, dass die negative Theologie als metaphysische Basisprämisse fungiert und somit ein unverzichtbares Element in der Argumentation darstellt. Schmidt-Leukel und Hick greifen nach ihrer eigenen Interpretation mit der metaphysischen Prämisse eine genuin christliche Vorstellung auf, nämlich die Tradition der negativen Theologie. Die negative Theologie, im Sinn einer apophatischen Gottesidee, ist nach Schmidt-Leukel „eine Idee, die […] von der überwältigenden Mehrzahl herausragender Vertreter der christlichen Tradition bejaht wurde“79. Stets verweisen Hick und Schmidt-Leukel auf die lange Tradition der negativen Theologie, welche diese im Christentum besitzt. Die Unerkennbarkeit Gottes im Sinn der negativen Theologie findet sich nicht nur bei „radikaleren Vertretern“80 einer apophatischen Gotteslehre, sondern auch bei den „Denkern des theologischen ‚mainstreams‘“81 Mit einer Ablehnung dieser Denkkonzeption der negativen Theologie würde nicht nur eine unaufgebbare Sache der christlichen Theologie preisgegeben, sondern man würde sich auch in Widerspruch zu einer langen christlichen Tradition begeben.82

Die pluralistischen Ansätze Hicks und Schmidt-Leukels berücksichtigen jedoch nicht, dass es sich bei der negativen Theologie um eine durchaus umstrittene Denkform innerhalb der christlichen Theologie handelt. Gerade in jüngster Zeit ist die Denktradition der negativen Theologie in theologischen Arbeiten teils einer radikalen Kritik unterzogen worden. Exemplarisch greift diese Untersuchung fünf kritische Entwürfe theologischer Exponenten der Gegenwart auf und untersucht deren Kritik an der negativen Theologie. Einen solchen kritischen Entwurf haben folgende Theologen vorgelegt: Eberhard Jüngel, Hans-Urs von Balthasar, Wolfhart Pannenberg, Walter Kasper sowie Magnus Striet

Wird die Kritik dieser Autoren zusammengefasst und ihre Argumentation kumuliert, ist mit dem Konzept der negativen Theologie folgendes Problem verbunden: Wenn von negativer Theologie gesprochen wird, dann gilt es zu beachten, dass es nicht die negative Theologie gibt, sondern sich vielmehr unterschiedliche Traditionslinien von negativer Theologie herausgebildet haben. Eine breit rezipierte Tradition negativer Theologie ist dabei von besonderer Bedeutung: Es handelt sich um die Traditionslinie der griechisch-neuplatonischen negativen Theologie83. Die neuplatonische Traditionslinie negativer Theologie verlässt den biblisch-heilsgeschichtlichen Rahmen weitgehend und tritt als metaphysische Gotteskonzeption auf. Ihre Ursprünge reichen bis in die Vorsokratik zurück. Die entscheidende Prägung erhielt dieses Modell der negativen Theologie von der Philosophie Platons. Im Rahmen der Platon-Rezeption waren es vor allem die neuplatonischen Denker Proklos und Plotin, welche die Grundgedanken der negativen Theologie aufgriffen, ausbauten und erweiterten. Über die Rezeption des Neuplatonismus gelangte diese Form der negativen Theologie ins Christentum. Als Hauptvertreter dieser Traditionslinie negativer Theologie kann Pseudo-Dionysios Areopagita gelten.84 Das Zentrum seiner Lehre von der negativen Theologie bildet der Satz, „dass die Negationen bei den göttlichen Dingen wahr, die positiven Aussagen hingegen der Verborgenheit der unaussprechlichen Geheimnisse unangemessen sind“85. Von Dionysios beeinflusst, greifen auch Thomas von Aquin, die Mystiker Meister Eckhart und Johannes vom Kreuz sowie Niklaus von Kues diese Traditionslinie negativer Theologie auf.86 Einfach zusammengefasst führt eine Traditionslinie negativer Theologie von den Grundgedanken Platons87 und dessen Rezeption durch Plotin88 und Proklos über Pseudo-Dionysios zu Thomas von Aquin und weiteren mittelalterlichen Denkern. Es ist ein Kennzeichen dieses Modells negativer Theologie, dass ein gänzlich anderes Konzept der Unbegreiflichkeit Gottes vorliegt als in den biblischen Schriften. Bei der neuplatonischdionysischen negativen Theologie handelt es sich um ein religionsphilosophisches Konzept. Im Hintergrund dieser Traditionslinie steht ein metaphysisches Gottesbild, welches zur zeitgenössischen Strömung des Neuplatonismus vermittelnd wirken soll. Es sind vor allem vier konstitutive Elemente des christlichen Glaubens, die in dieser Gotteskonzeption nicht mehr adäquat denkbar sind: die Freiheit, die Geschichtsfähigkeit, die Beziehungsfähigkeit und die Selbstmitteilung Gottes.89 Der neuplatonischen negativen Theologie steht die biblische negative Theologie90, d.h. die Lehre von der Verborgenheit Gottes gegenüber. Zentral für diese „biblische“ negative Theologie ist der Begriff der Selbstoffenbarung Gottes.

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