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Forschung zur BibelBand 131

Begründet von

Rudolf Schnackenburg

und Josef Schreiner

Herausgegeben von

Georg Fischer

und Thomas Söding

forschung zur bibel

Thomas Frauenlob

Die Gestalt der Zwölf-Apostel
im Lukasevangelium

Israel, Jesus und die Zwölf-Apostel im
ersten Teil des lukanischen Doppelwerks

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2015 Echter Verlag GmbH, Würzburg

978-3-429-04795-5 (PDF)

978-3-429-06211-8 (ePub)

VORWORT

VORWORT ZUM EXZERPT

Die Untersuchung zum Thema „DIE GESTALT DER ZWÖLF-APOSTEL IM LUKASEVANGELIUM. Jesus, Israel und die Zwölf-Apostel im ersten Teil des lukanischen Doppelwerks“ wurde im Januar 2013 an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom verteidigt und angenommen.

Ohne das Zutun und die Unterstützung vieler wäre die vorliegende Arbeit nicht zustande gekommen – ihnen gilt mein aufrichtiger Dank:

Meinem Lehrer am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom P. Klemens Stock SJ der mir das Thema vorgeschlagen, es die elf Jahre meiner Tätigkeit in der Pastoral für mich bewahrte und in der öffentlichen Verteidigung den Vorsitz führte. Meinem Doktorvater Prof. Massimo Grilli, der in freundschaftlicher Art die Entstehung mit spürbarem Interesse, großem Wohlwollen und fachkundigen Hinweisen begleitet hat. Prof. P. Juan Manuel Granados Rojas SJ für die Mühen des Zweitgutachtens.

Dank gilt den Erzbischöfen von München und Freising, Friedrich Kardinal Wetter und Reinhard Kardinal Marx, für die Freistellung sowie dem Präfekten der Kongregation für das Katholische Bildungswesen Zenon Kardinal Grocholewski für die wertvolle Zeit, die ich neben meinem Dienst an der Kurie für die Erstellung der Dissertation erhalten habe.

P. Norbert Hofmann, Melanie Rosenbaum und Prälat Josef Ammer nahmen die Mühen des Korrekturlesens auf sich; Prof. Hans-Georg Gradl (Trier) und Prof. Thomas Söding (Bochum) verdanke ich manch wertvollen Hinweis und fachliche Anregungen. Zahlreiche Menschen in Rom und in der Heimat haben die Entstehung der Arbeit mit wachem Interesse verfolgt und mich immer wieder ermutigt und unterstützt. Allen ein herzliches „Vergelt´s Gott“.

Der Evangelist Lukas zeigt uns, dass Geschichte immer auch Heilsgeschichte ist. So erkenne und spüre ich in vielen Erfahrungen der letzten Jahre Fügungen Gottes und seine führende Hand in meinem Leben. Dafür bin ich ihm zutiefst dankbar. Durch meine Eltern und meine Familie durfte ich Gott zuerst kennen lernen – daher sei ihnen diese Arbeit in Liebe gewidmet.

Rom, am 10. Oktober 2013, dem 20. Jahrestag meiner Priesterweihe

Thomas Frauenlob

VORWORT ZUR GESAMTPUBLIKATION

Durch Freunde und Kollegen ermuntert erfolgt nun die Gesamtpublikation meiner Dissertation, die bisher als Exzerpt an der Pontificia Università Gregoriana erschienen ist. Prof. Dr. Thomas Söding danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die wissenschaftliche Reihe Forschung zur Bibel. Die Vorbereitung der Drucklegung brachte noch viel Arbeit mit sich. Ohne Hilfe wäre vorliegende Veröffentlichung nicht möglich gewesen. Michael Koller und Stefan Schütze gilt mein Dank für die tatkräftige Unterstützung und die viele Zeit, die sie mir in dieser Weise geschenkt haben. Ich danke den Verantwortlichen des Echter-Verlags für die fachkundige und unkomplizierte Begleitung.

Die intensive Beschäftigung mit den biblischen Schriften begann als Student im Heiligen Land und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer echten Liebe zur Heiligen Schrift. Die Jahre der Anfertigung meiner wissenschaftlichen Arbeit haben mir zur Vertiefung der Kenntnisse verholfen und den Reichtum und die Lebensnähe der Bibel klarer erschlossen. Dank dieser Entwicklung steht mir nun ein reicher Fundus für eine lebendige Verkündigung des Wortes Gottes zur Verfügung.

Berchtesgaden, am Gedenktag des Hl. Thomas von Aquin 2015

Dr. Thomas Frauenlob

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

1. Anlass und Bedeutung der Untersuchung

1.1. Status quæstionis

1.2. Notwendigkeit eines neuen Zugangs zum Thema

1.2.1. Warum soll dieses Thema bearbeitet werden?

1.2.2. Die These

2. Aufbau der Arbeit

2.1. Methodologische Koordinaten

2.1.1. Methode

2.1.2. Aufbau und Systematik

2.2. Theologische Koordinaten und Grundgedanken bei Lukas

ERSTER TEIL

DIE GESTALT JESU ALS VORAUSSETZUNG

Proömium (1,1-4)

I. KAPITEL: JESUS – GOTTES HEILSWEG DURCH DIE ZEIT

Vorbemerkung

1. Präludium (1,5 – 2,52): Die Heilsinitiative Gottes

1.1. Jesus und Johannes in Parallelstruktur

1.2. Gottes Heil in der Zeit: Adressaten, Hymnen und Heiliger Geist

1.3. Conclusio 1,5 – 2,52

2. Triptychon (3,1 – 4,13): Morgenrot des erneuerten Heils

2.1. Johannes der Täufer (3,1-20)

2.2. Die Taufe und der Stammbaum Jesu (3,21-38)

2.2.1. Die Taufe Jesu (3,21-22)

2.2.2. Der Stammbaum Jesu (3,23-38)

2.3. Die Versuchungen Jesu (4,1-13)

2.4. Conclusio 3,1 – 4,13

2.4.1. Erste Tafel: Das Auftreten Johannes’ des Täufers

2.4.2. Zweite Tafel: Jesu Taufe und Stammbaum

2.4.3. Dritte Tafel: Die Versuchungen Jesu

II. KAPITEL: JESUS VON NAZARETH – MISSION UND SCHICKSAL

Vorbemerkung

1. Ouvertüre (4,14-30): Identität, Mission und Schicksal Jesu von Nazareth

1.1. Beobachtungen am Anfang des öffentlichen Wirkens

1.2. Jesus in Nazareth – Programmatik einer Episode (4,16-30)

1.2.1. Kontext, Textabgrenzung und Struktur

1.2.2. Synoptische Aspekte

1.2.3. Das Jesaja-Zitat

1.2.4. Die Entwicklung einer zweifachen Reaktion

1.2.5. Jesus in Nazareth – Gegenwarts-Eschatologie pur

1.3. Gegenwarts-Eschatologie und die Zwölf-Apostel – Konturen

1.4. Conclusio 4,14-30

2. Erster Akt (4,31 – 6,11): Auf dem Weg zur Erwählung

2.1. Von Nazareth zur Erwählung – ein synoptischer Strukturvergleich

2.2. Erste Phase: Ankunft am See (4,31-44)

2.3. Zweite Phase: Beginn der Sammlung (5,1-11)

2.4. Dritte Phase: Scheidung der Geister (5,12 – 6,11)

2.5. Die Gelenkstelle 6, (6-)11 – ein synoptischer Vergleich

2.6. Conclusio 4,31 – 6,11

2.6.1. Erste Phase: Ankunft am See (4,31-44)

2.6.2. Zweite Phase: Beginn der Sammlung (5,1-11)

2.6.3. Dritte Phase: Scheidung der Geister (5,12 – 6,11)

III. KAPITEL: JESUS – „EIGENTLICHES ISRAEL“ UND „BASILEIA GOTTES“

1. Postludium primum: Jesus – das „eigentliche Israel“

1.1. Kanonische Lesart

1.2. Die Kanonvarianten des Alten Testaments und die Tora

1.3. Johannes und Jesus – Altes und Neues Testament begegnen sich

1.4. Jesus – der „Knecht Gottes“ und das „eigentliche Israel“

1.4.1. Der „Knecht Gottes“

1.4.2. Das „eigentliche Israel“

1.5. Conclusio

2. Postludium secundum: Jesus – die image

2.1. Wie versteht das Neue Testament die image?

2.2. Jesus – das „Heute“ der image?

2.3. Conclusio

3. Schlussakkord: Jesus – „eigentliches Israel“ und image?

3.1. Drei „gleich-wertige“ Begriffe?

3.2. Die image und „eigentliches Israel“ entsprechen sich

Zusammenfassung: Erste Konturen der Gestalt der Zwölf-Apostel

ZWEITER TEIL

DIE GESTALT DER ZWÖLF-APOSTEL

Vorbemerkung

IV. KAPITEL: DIE ERWÄHLUNG (6,12-16 UND 22,14-30)

1. Der Akt der Auswahl der Zwölf-Apostel (6,12-16)

1.1. Textabgrenzung und textkritische Beobachtungen

1.2. Textanalyse und theologische Deutung

1.2.1. Der betende Jesus

1.2.1.1. Jesu Neuanfang

1.2.1.2. Alttestamentliche Motivsprache

1.2.1.3. Exkursion: Die Wüste als „theologischer“ Ort

1.2.2. Das lukanische Spezifikum in der Einleitung

1.2.3. Der Akt der Erwählung

1.2.4. Die Apostelliste

1.2.4.1. Die Jünger

1.2.4.2. Jesus, der Gottessohn – Berufung als Gottesbegegnung

1.2.4.3. Jesus, der Arzt – Berufung als Heilung

1.2.5. Einzelne Jünger und Struktur des Umfeldes Jesu

1.2.6. Drei-Gruppen-Schema in der Erwählung

1.2.6.1. Am Anfang familiäre Bande

1.2.6.2. Eine Gruppe (fast) Unbekannter

1.2.6.3. … und Judas Iskariot, der zum Verräter wurde

1.2.7. Die Erwählung der Zwölf-Apostel im synoptischen Vergleich

1.2.7.1. Beobachtungen zu Mt und Mk im größeren Kontext

1.2.7.2. Lukanisches Sondergut

1.3. Conclusio 6,12-16

2. Die Gestalt-Werdung der Zwölf-Apostel (22,14-30)

2.1. Abgrenzung und textkritische Beobachtungen

2.1.1. Grundlagen – Abgrenzung und Textzeugen

2.1.2. Vorbemerkung und Gliederung der Perikope

2.1.3. Die Feier des Paschamahles

2.1.3.1. Zur Problematik Paschafeier oder Abschiedsmahl?

2.1.3.2. Exkurs: Die Feier des Paschamahles in der Zeit Jesu

2.2. Textanalyse und theologische Deutung

2.2.1. Das Pascha – das Mahl mit den Seinen vor dem Leiden

2.2.2. Die Perspektive der image

2.2.3. Gemeinschaft in der Zwischenzeit

2.2.3.1. „Einsetzungsbericht“ – Tradition und lukanische Besonderheiten

2.2.3.2. In der Mitte des Pascha – Brot wird zum Leib Christi (v 19)

2.2.3.3. Der neue Bund – Blut und Wein als Zeichen (v 20)

2.2.3.4. Exkurs: Der Begriff image

2.2.3.5. Die Zwölf-Apostel – Adressaten des neuen Bundes

2.2.4. Ankündigung des Verrats und Streit unter den Aposteln

2.2.4.1. Judas Iskariot – „Schicksal“ eines Verräters?

2.2.4.2. „Wehe“, Menschensohn und Zweifel der Zwölf-Apostel

2.2.5. Rangstreit und (neue) Gemeinschaftsordnung

2.2.5.1. Der Rangstreit in synoptischer Sicht

2.2.5.2. Die Zwölf-Apostel – berufen zum Dienen

2.2.5.3. Exkurs: 1 Sam 8 – „wie die anderen Völker“

2.2.5.4. Die Zwölf-Apostel – Phänomenon der image

2.2.5.5. Conclusio

2.2.6. Die Zwölf-Apostel – Erben und Richter

2.2.6.1. Versuchung, Treue und Belohnung

2.2.6.2. Eschatologische Mahlgemeinschaft und Richteramt

2.2.6.3. Schlussstein in der Motivarchitektur von 22,14-30

2.3. Conclusio 22,14-30

3. Synthetische Betrachtung 6,12-16 und 22,14-30

3.1. Die „Zwölf“ und „Elf“ im Lukasevangelium

3.1.1. image

3.1.2. image

3.2. Die Zwölf-Apostel und das Pascha

3.3. Die Zwölf-Apostel und der „neue Bund“

3.4. Die Zwölf-Apostel und die image – „Schon“ und „Noch nicht“

4. Conclusio 6,12-16 und 22,14-30

V. KAPITEL: DIE SENDUNG (9,1-10 UND 22,35-36)

1. Die Aussendung der Zwölf-Apostel (9,1-10)

1.1. Textabgrenzung und textkritische Beobachtungen

1.1.1. Der Kontext

1.1.2. Textabgrenzung

1.2. Textanalyse und theologische Deutung

1.2.1. Struktur des Textes

1.2.2. Kraft und Vollmacht für die Zwölf-Apostel

1.2.3. Boten der image

1.2.4. Ausführungsbestimmungen und Verhaltenskodex für die Boten

1.2.5. Die Ausführung des Auftrags Jesu

1.2.6. Die Frage des Herodes nach Jesus

1.2.6.1. Synoptische Betrachtung von 9,7-9

1.2.6.2. Die alles entscheidende Frage

1.2.6.3. Herodes als Symbol der Volksmeinung

1.2.7. Rückkehr und Rückzug der Zwölf-Apostel

1.2.8. Speisung der Menge und die Erfahrung der Fülle

1.3. Conclusio 9,1-10(17)

2. Die Zwölf-Apostel: Missionare im Übergang (22,35-36)

2.1. Textabgrenzung und textkritische Beobachtungen

2.2. Textanalyse und theologische Deutung

2.2.1. Rekurs auf die Aussendung der Zwölf-Apostel

2.2.2. Anweisungen für die Zeit des Übergangs

2.3. Conclusio 22,35-36

3. Synthetische Betrachtung 9,1-10 und 22,35-36

4. Conclusio 9,1-10(17) und 22,35-36

VI. KAPITEL: DIE VERFOLGUNG (11,49 UND 22,37-38)

1. Die Verfolgung der Apostel und Propheten (11,49)

1.1. Textabgrenzung und textkritische Beobachtungen

1.1.1. Der Kontext

1.1.2. Die Textabgrenzung

1.1.3. Exkurs: Wehe-Rufe gegen Pharisäer und Gesetzeslehrer

1.2. Textanalyse und theologische Deutung

1.2.1. Theologische Aspekte in 11,47-48.50-51

1.2.2. Die Verfolgung der Apostel

1.3. Conclusio 11,49

2. Die Zwölf-Apostel: Das Wort vom Schwert (22,37-38)

2.1. Textabgrenzung und textkritische Beobachtungen

2.1.1. Der Kontext

2.1.2. Die Textabgrenzung

2.2. Textanalyse und theologische Deutung

2.2.1. Verfolgung als Schrifterfüllung

2.2.2. Vorbereitung für die Zeit des Übergangs

2.3. Conclusio 22,37-38

3. Synthetische Betrachtung 11,49 und 22,37-38

4. Conclusio 11,49 und 22,37-38

VII. KAPITEL: DER GLAUBE (17,5-6 UND 22,31-34)

1. Die Frage nach dem Glauben (17,5-6)

1.1. Textabgrenzung und textkritische Beobachtungen

1.1.1. Der Kontext

1.1.2. Textabgrenzung

1.2. Textanalyse und theologische Deutung

1.2.1. Bitte um Glauben

1.2.2. Die Macht des Glaubens

1.3. Conclusio 17,5-6

2. Die Zwölf-Apostel: Umkehr zum Glauben (22,31-34)

2.1. Textabgrenzung und textkritische Beobachtungen

2.1.1. Der Kontext

2.1.2. Textabgrenzung

2.2. Textanalyse und theologische Deutung

2.2.1. Die Zwölf-Apostel und der Satan

2.2.2. Umkehr und Glaube des Petrus

2.2.3. Ankündigung der Verleugnung

2.3. Conclusio 22,31-34

3. Synthetische Betrachtung 17,5-6 und 22,31-34

4. Conclusio 17,5-6 und 22,31-34

ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNISSE

1. Vorbemerkung

1.1. Die Zwölf-Apostel: Augenzeugen und Diener des Wortes

1.2. Die Zwölf-Apostel: Erste Konturen einer zukünftigen Gestalt

2. Die Erwählung – Jesus, Israel und die Zwölf-Apostel

3. Die Sendung – Im Auftrag des Herrn

4. Die Verfolgung – Prophetenschicksal

5. Der Glaube – Conversio permanens

6. Schlussbemerkung

Bibliographie

Schriftstellenregister (in Auswahl)

EINLEITUNG

1. ANLASS UND BEDEUTUNG DER UNTERSUCHUNG

Thema dieser Arbeit ist die Gestalt der Zwölf-Apostel1 im Lukasevangelium. Ziel und Absicht der Untersuchung vermag prägnant ein Vergleich mit einem Bildhauer illustrieren: Aus dem edlen Marmorblock des Lukasevangeliums soll die darin verborgene Skulptur der Zwölf-Apostel herausgearbeitet und so deren Figur in großer Klarheit zur Anschauung gebracht werden.

1.1. Status quæstionis

Die Literatur zum lukanischen Doppelwerk ist bekanntermaßen immens, und bereits ein erster Überblick hinsichtlich des zu behandelnden Themas führt zu zwei grundsätzlichen Feststellungen: (1) Es zeigt sich, dass es trotz der Materialfülle kaum Untersuchungen gibt, die auf die Apostel aus der Sicht des Evangeliums beschränkt bleiben. Meist wird der Rahmen auf das lukanische Doppelwerk ausgedehnt oder vornehmlich in der Apostelgeschichte geforscht, wobei Petrus und Paulus häufig in das Zentrum der Betrachtung rücken. Aufgrund des begrenzten Fragehorizonts nach der Gestalt der Zwölf-Apostel im Lukasevangelium werden diese Überlegungen nur insofern einbezogen, als diese zur größeren Klarheit in der Hauptfrage beitragen. (2) Die Vielzahl der Arbeiten und Untersuchungen zum lukanischen Werk macht es schwierig, diese in eine eindeutige Systematik einzufügen. Daher muss sich die Darstellung des status quæstionis auf eine überblicksmäßige Wiedergabe der großen Linien beschränken, wie sie sich in den entsprechenden Darstellungen von ROLOFF2 (bis 1965) und BOVON3 (bis 2005) finden.

ROLOFF ordnet die bis 1965 vorliegenden Bearbeitungen des Themas „Zwölf“ und „Apostel“ bei Lk (im lukanischen Doppelwerk!) zu fünf Hauptthesen zusammen:

a)Der Apostel als Bote des Auferstandenen: die image-Hypothese4

Ausgehend von Hieronymus, der einen Bezug von der image-Institution (in der religiösen Ausformung nach 70 n. Chr.) im Judentum und image, also den Aspekt des Boten im Apostolatsbegriff, betont, versucht RENGSTORF aus der neutestamentlich lexikographisch-religionsgeschichtlichen Betrachtung des Verbs des so aufgefassten Apostolats vor allem den Aspekt des Stellvertreterauftrags herauszuarbeiten: „Für das NT ist der Sinn des Apostolats, daß die Apostel den gekreuzigten Herrn der Kirche, nach dem Maße seiner eigenen Vollmacht in ihrer Person vertreten“.5 Er sieht die Apostolizität des Zwölferkreises in „dessen Gemeinschaft mit dem Jesus der Erdentage und auf seiner Aussendung durch den Auferstandenen“6 begründet. BARTH erkennt ein entscheidendes Charakteristikum darin, dass die Zwölf-Apostel Augenzeugen des leibhaft auferstandenen Christus sind. Vorausgesetzt wird immer die Gleichung: Zwölferkreis = Apostel.7 Diesem Ansatz ist das Motiv eigen, alle historischen und religionsgeschichtlichen Einzelerkenntnisse auf eine theologische Mitte, in diesem Fall die Sendung der Apostel durch den Auferstandenen, auszurichten. Damit ist notwendigerweise immer eine betont „harmonistische Tendenz“8 verbunden.9

b)Der Apostel als Missionar: die kritisch-entwicklungsgeschichtliche Hypothese10

Es geht bei dieser Hypothese im Kern um das Verhältnis von Zwölferkreis und Apostelgruppe. Auf die Frage nach der Historizität der Verankerung des Zwölferkreises in den Erdentagen Jesu (WELLHAUSEN, HARNACK) suchte man nach einem undogmatischen Blick auf die ursprüngliche Gestalt des Apostolats. MOSBECH kommt in seiner streng psychologisch-soziologischen Fragestellung zum Ergebnis, dass sich der ursprünglich viel weitere Apostel-Begriff erst durch die mit dem Apostelanspruch des Paulus ergebende Autoritätsfrage soweit verengt, dass sich eine „Zwölf-Apostel-Idee“ herausgebildet hat.11 Hatte HARNACK den Zwölferkreis noch für historisch gehalten, ihm aber die Apostolizität abgesprochen, so bestreitet KLEIN auch dies mit Nachdruck und verweist auf die Nichtexistenz weiterer Zeugnisse für ein Zwölferapostolat außerhalb des lukanischen Geschichtswerks. Aus dem Fehlen dieses Bezugs ergibt sich die Notwendigkeit der Deutung der lukanischen Sicht der Apostel.12 KLEIN und SCHMITHALS haben durch diese Hypothese ein ungewolltes Ergebnis erzielt, nämlich „daß sich eine zufriedenstellende Erklärung des Phänomens des Apostolates nicht mehr ergeben kann, sobald man den Zwölferapostolat als Faktor für dessen Entstehung ausklammert“13. CAMPENHAUSEN meint in seiner entwicklungsgeschichtlichen Hypothese, dass der Zwölferkreis zwar historisch aus der Zeit Jesu sei, aber keinen Apostelcharakter trage. Für ihn sind die Apostel „ursprünglich die grundlegenden, von Christus bevollmächtigten Prediger des Evangeliums, Missionare und Gemeindegründer in einem, ein größerer, keinesfalls mit den zwölf ›Uraposteln‹ gleichbedeutender Kreis“14. Seine theologische Interpretation des lukanischen Zwölf-Apostel-Prinzips ergibt eine Verschiedenheit zwischen „den historischen Wurzeln des Apostelbegriffes und seinem späteren gefüllten Sinne“. Die Apostolizität der Zwölf rettet er durch eine Art „anonymes Apostelsein“: „So wären die Zwölf, obwohl sie ursprünglich «unapostolisch» waren, der Sache nach Apostel gewesen“15. Er führt also eine Differenzierung zwischen historischem Ursprung und nachträglicher theologischer Deutung ein.16

c)Im Banne des doppelten Kirchenbegriffes: die paulinisch-eschatologische Apostolats-Hypothese17

Nach dieser These müssen zwei verschiedene Auffassungen von Kirche zusammenwachsen, welche in eine heidenchristlich-pneumatische Paulus-Kirche einerseits und eine judenchristlich-juridische Zwölferkreis-Kirche andererseits schematisiert werden können. Die eschatologische Perspektive ist schließlich das Kriterium, das beide Richtungen zusammenbringt bzw. unterscheidet. Letztlich gibt es drei Schemata, die das Verhältnis zwischen Paulus und dem Jerusalemer Zwölferkreis erklären:18 (1) Der eigentliche Apostel ist Paulus. Zunächst Gemeindeapostel Antiochiens mit entsprechendem Auftrag, kommt er unter dem Rechtfertigungsdruck durch die Zwölf in Jerusalem zum „Selbst-Verständnis“ als Apostel Jesu Christi. Später bekommt diese Selbstdefinition eine klar eschatologische Note, die im lukanischen Werk schließlich als Charakteristikum auf die Zwölf-Apostel angewandt wird (MUNCK, LOHSE). (2) Paulus und Petrus sind gleichermaßen eschatologische Apostel mit unterschiedlichen Missionsbereichen, jedoch mit gemeinsamem Kerygma und gemeinsamer Paradosis.19 Der Zwölferkreis bleibt die Gruppe der von Jesus als messianische Mitregenten in der kommenden Gottesherrschaft bezeichneten Erwählten ohne eschatologische Perspektive. Erst die nachträgliche Erinnerung der Kirche lässt die Zwölf zu Aposteln werden (FRIDRICHSEN).20 (3) Auch die von Jesus eingesetzten Zwölf sind grundsätzlich eschatologische Gestalten und damit Apostel. Sie erleben eine Ent-Eschatologisierung mit zunehmender Institutionalisierung ihres Kreises in Jerusalem (BARRETT, CULLMANN).21

d)Die Apostel als Grundsteine der Kirche: die ekklesiologische Hypothese22

Dieser Ansatz steht unter der Prämisse „der Apostolizität des Zwölferkreises, wobei dessen Historizität selbstverständlich unerlässliche Voraussetzung ist“23. Hier genau liegt die Nahtstelle zwischen Jesus und der Kirche, und auf sie kommt es an, wenn das Apostelamt als Ausdruck und Folge des kirchengründenden Willens Jesu gewertet werden soll.24 MENOUD versucht eine Synthese zwischen paulinischer (1 Kor 15: Einsetzung und Beauftragung durch den Auferstandenen) und lukanischer Apostolatstheologie (nach Apg 1,21-22 ist auch die Augenzeugenschaft der irdischen Tage Jesu essentieller Bestandteil der Definition), indem er annimmt, dass es auch über den Zwölferkreis hinaus Apostel gab. Die Lösung sieht MENOUD in der Entwicklung, dass Paulus sich der Autorität der Ur-Apostel unterstellt und so von der zweiten Bedingung dispensiert wird, wobei die erste Bedingung unersetzbar ist und die „unablösbare Einmaligkeit des Apostolates“ ausmacht.25 Ein typologischer Lösungsansatz (FARRER) sieht in den Zwölf des NT den Antitypus zu den zwölf Stammesfürsten Israels. Damit wird der Themenkomplex Sinaibund und Mose (auf Jesus bezogen) ins Spiel gebracht. Der so genannte Einsetzungsbericht in Lk 22 führt nach dieser Ansicht fast zwangsläufig zu einem „Neuen Bund“.26 In Bezug auf die Zwölf-Apostel wird allerdings noch differenziert: „Während das Amt der Zwölf eine Größe der Tradition ist und nicht weitergegeben werden kann, geht der Apostolat weiter. In ihm verkörpere sich die Sendung, die die Zwölf von Christus erfahren haben, und die sei wiederum nichts anderes als die Verlängerung der Sendung Jesu“.27 GAECHTER trennt den Zwölferkreis von den Aposteln, indem zwar alle Zwölf Apostel sind, aber der Kreis der Apostel „weit über die Zwölf hinaus(reicht)“28. Hierarchisch stehen die Zwölf über den Aposteln, die vom Zwölferkreis ihren Apostel-Auftrag erhalten.29

e)Die Apostel als Christusrepräsentanten: die christologische Hypothese

Diese These – besonders von der UPPSALANER SCHULE30 vertreten – „stellt den konsequenten Versuch dar, die ekklesiologische Interpretationslinie mit der klassischen salîah-Hypothese (RENGSTORF) zur Deckung zu bringen“31. Nach RIESENFELD32 ist Jesus das eigentliche Urbild des Apostels. Sein messianisches Wirken ist auf Perpetuierung in einem messianischen Gottesvolk hin ausgerichtet. Diese Kontinuität realisiert sich in der Kirche, und dies nicht nur im temporalen Sinn, sondern primär im ontologischen Sinne.33 Die Anwendung grundlegender biblischer Bilder gleichermaßen auf Jesus und die Apostel (Fels, Hirte, Richteramt etc.) machen deutlich, dass die Apostel das Amt Jesu weiterführen. Die Beziehung zwischen „den Zwölf“ und „dem Apostel“ gestaltet sich dabei folgendermaßen: Neben den Zwölf gab es einen weiteren, jedoch begrenzten Kreis von Aposteln, für den Augenzeugenschaft der Auferstehung und bevollmächtigende Berufung konstitutiv waren.34 Ein so gearteter repräsentativ-perpetuierender Apostolat endet nicht mit dem Tod der ersten Generation, sondern wird bis zur endzeitlichen Wiederkunft Christi weitergegeben.35

Trotz aller wertvollen Überlegungen und Beobachtungen ist im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung zusammenfassend doch festzustellen, dass die fünf Thesen zwar wichtige Facetten bieten, Detaileinsichten vermitteln und bedenkenswerte Aspekte beitragen, jedoch nicht vollständig auf die im Folgenden bearbeitete Grundthese abzielen. Entweder greifen sie über den Evangeliumstext hinaus oder machen Voraussetzungen, die den Text wertend beschneiden und damit das Gesamt aus dem Blick verlieren. Aber genau um die Aussage des vorliegenden Textes zur Gestalt der Zwölf-Apostel geht es dieser Untersuchung.

ROLOFF legt in seiner Studie Apostel-Verkündigung-Kirche (1965), in der er das Apostolat in der Sicht des Paulus, des Lukas und der Pastoralbriefe umreißt, die wohl umfassendste und detailreichste Untersuchung zum lukanischen Apostelbegriff vor.36 Er beginnt mit dem Evangelium. Eine grundsätzliche Differenz sieht er zwischen der „Erwählung“ (6,12-16) und der Einsetzung beim Abendmahl, wobei er 22,29 dennoch sogar als den Schlüsseltext zur lukanischen Konzeption des Apostelbegriffs ansieht. Die Aufgabe der Apostel besteht im Grunde darin, dem durch den Tod Jesu geschlossenen Bund Dauer zu verleihen. Ihre Aufgabe ist es, diese Botschaft zu verkünden und diesen Dienst als image aufzufassen. Für die theologische Bewertung der „Einsetzung“ sind der heilsgeschichtliche Ort – Jerusalem – und der heilsgeschichtliche Zeitpunkt – Passion – von großer Bedeutung. Lk 24 und die vierzig Tage nach der Auferstehung lassen ein Schwinden des anfänglichen Unverständnisses für das Geschehene bei den Aposteln erkennen, das mit der Ausgießung des Geistes gänzlich der gläubigen Gewissheit weicht.37

Ab 1965 bis 2005 finden sich bei BOVON weitere wertvolle Hinweise auf wissenschaftliche Beiträge, deren Hauptgedanken hier zumindest skizziert sein sollen: In ekklesiologischer Hinsicht sieht CONZELMANN die Apostel bei Lk mehr als Zeugen denn als Säulen,38 wobei das Interesse des Lk mehr der historischen Seite und weniger den transzendentalen Aspekten gilt. SCHNACKENBURG39 sieht im Bezug auf 22,21-38 in der Eucharistie das Herzstück der Apostelgemeinschaft. Sie ist der Kreuzungspunkt auf der direkten Linie zwischen der vorösterlichen Gruppe der Jünger und der Kirche. Dagegen betont DANIÉLOU SJ40 den aristokratischen, hierarchischen und institutionellen Charakter der Gruppe der Zwölf, die von Jesus selber installiert wurde. Die lukanische Tendenz, die Apostel auf zwölf zu beschränken, denkt er historisch und begrenzt die Gabe des Heiligen Geistes auf diese Gruppe. Lässt auch der Titel der Untersuchung von WASSERBERG „Aus Israels Mitte – Heil für die Welt“41 zunächst vermuten, es könnte hier (auch) um die Erwählung oder die Gemeinschaft der Zwölf-Apostel gehen, so erweist sich dieser erste Eindruck als falsch. Wasserberg behandelt im Wesentlichen jüdische Topoi und Typologien, die Zwölf-Apostel im Evangelium jedoch finden keine weitere Berücksichtigung. Ergiebiger für die These ist LOHFINK, der in den Zwölf-Aposteln den Anfang der Erneuerung Israels sieht. Seine Grundthese geht davon aus, dass in der Person des Jesus von Nazareth das „Heute“ der image image beginnt, ja das „eigentliche Israel“ seinen (Neu-)Anfang nimmt. Die Zwölf-Apostel sind demnach durch Erwählung aus der größeren Jüngergruppe als eine Art erste Extension dieses Reiches Gottes zu sehen. Gottes Heilswille für sein Volk Israel bleibt ungebrochen, bedarf aber eines neuen Aufbruchs und ist angelegt auf Verbreitung in der ganzen Welt.42

1.2. Notwendigkeit eines neuen Zugangs zum Thema

1.2.1. Warum soll dieses Thema bearbeitet werden?

Die vorliegende Untersuchung folgt einer anderen Herangehensweise, um zu einem umfassenden Verständnis der Zwölf-Apostel nach Lk im ersten Teil seines Doppelwerks zu gelangen. Es soll keine Modifikation innerhalb der Grenzen einer der oben beschriebenen Hypothesen erarbeitet, sondern möglichst auf der Basis des vorliegenden lukanischen Evangeliumstextes die Gestalt der Zwölf-Apostel als solche nachgezeichnet werden. Dabei ist eine Beschränkung auf eine der oben genannten Hypothesen ebenso unmöglich, wie es freilich auch nicht gelingen kann, gänzlich ohne deren Befunde auszukommen. Die Untersuchung berührt sowohl die image-Hypothese, als sie auch christologische, ekklesiologische und eschatologische Aspekte behandelt, sowie die Frage nach dem Verhältnis von Israel zu den Zwölf-Aposteln aufwirft. Die Absicht dieser Arbeit ist jedoch grundsätzlich insofern unterschiedlich zu den vorgestellten Thesen, als sie versucht, die Apostelgruppe in ihren verschiedenen Facetten – eher deskriptiv – aus dem Evangeliumstext zu extrahieren und den so gewonnenen biblischen Befund entsprechend theologisch fruchtbar zu machen.

Schon aus der Formulierung des Themas „Die Gestalt der Zwölf-Apostel im Lukasevangelium“ ergeben sich logischerweise drei wichtige Eingrenzungen:

a)Es geht um die Zwölf-Apostel als Gruppe, nicht um einzelne Apostel. Einzelne Apostel werden nur behandelt, soweit sich an ihnen allgemeingültige Aspekte für Nachfolge und Jüngerschaft aufzeigen lassen, die sich als formgebend für die Gestalt der Zwölf-Apostel erweisen.

b)Die Untersuchung bleibt grundsätzlich auf das Lukasevangelium beschränkt. Diese Einschränkung wird relativiert, wenn sich Linien zeigen, die in der Apostelgeschichte weitergeführt werden, oder aber, wenn im zweiten Teil des lukanischen Doppelwerks Verdeutlichungen von Ansätzen aus dem Evangelium aufscheinen.

c)Den dezidiert lukanischen Formelementen dieser Gestalt der Zwölf-Apostel gilt die besondere Aufmerksamkeit. Synoptische Aspekte oder ganze Vergleiche von Textpassagen werden nur zur Hervorhebung des lukanischen Spezifikums eingesetzt. Eine Art „Evangelienharmonie“ ist ebenso wenig beabsichtigt wie eine Beschreibung der Apostel-Gruppe unter Einbeziehung aller Evangelien.

Nicht die Theorie eines letztlich abstrakten Apostolatsbegriffs und auch nicht die Historizität der Gründung durch Jesus ist zentraler Gegenstand, sondern die Untersuchung will insofern über einzelne Aspekte des Apostelbegriffs hinausgehen, als sie die Gruppe in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt sowie ihre Beziehung zu Jesus von Nazareth. Er nämlich ist Ursprung, Zentrum und Modell der Gruppe. Er formt sie und verleiht ihr Perspektive.

Eine deutliche Parallele weist vorliegende Untersuchung zur Arbeit von P. Klemens STOCK SJ in seinem Buch „Boten aus dem Mit-Ihm-Sein“ auf. Dort ist mit folgender Formulierung die zentrale Fragestellung definiert: „Wie bietet sich das Verhältnis zwischen Jesus und den 12 dar in dem uns vorliegenden Text des Markusevangeliums?“43 Eine wissenschaftliche Arbeit mit einem ähnlichen Ziel im Hinblick auf das Lukasevangelium stellt nach bisherigem Befund des status quæstionis noch ein Desiderat dar, und dies soll durch vorliegende Untersuchung zur Verfügung gestellt werden.

1.2.2. Die These

Der Evangelist Lk bezeichnet die Gruppe der „Zwölf“ in seinem Evangelium kontinuierlich mit image. Diese Bezeichnung wird insbesondere im Zusammenhang mit den zentralen Themen Erwählung (6,11-16) – Sendung (9,1-10) – Verfolgung (11,47) – Glaube (17,3-5) gebraucht. Diese Begriffe konturieren die Gestalt der Zwölf-Apostel im Lukasevangelium in ihrem Kern. Im Abendmahlsbericht (22,14-38) – wiederum nur bei Lk mit image eingeleitet – werden diese vier Basisbegriffe inhaltlich aufgegriffen und zum Teil deutend ergänzt. Dem Abendmahlsbericht kommt zur Profilierung der ekklesiologischen Bedeutung und einer christologischen Grundlegung des Apostelamts und der gesamten Figur der Zwölf-Apostel eine Schlüsselfunktion zu. Er ist eindeutig der narrative und theologische Zielpunkt, auf den die Apostelkonzeption im Lukasevangelium zuläuft und aus dem sie sich theologisch-inhaltlich speist.

Ziel der Studie ist es, das theologische Profil, die heilsgeschichtliche Dimension und die leserorientierte Funktion der Gruppe der Zwölf-Apostel herauszuarbeiten. Dabei folgt sie dem narrativen Verlauf des Lukasevangeliums unter besonderer Berücksichtigung der Perikopen um die vier zentralen Begriffe. Dieser Auswahl liegt die Beobachtung zugrunde, dass die die Gestalt der Zwölf-Apostel beschreibenden Begriffe (Erwählung, Sendung, Verfolgung, Glaube) untereinander und mit dem Abendmahlsbericht (22,14-38) formal durch den Ausdruck image für die Zwölfergruppe verknüpft sind. Besondere Berücksichtigung gilt der für die lukanische Theologie typischen Absicht, heilsgeschichtliche Kontinuität bei gleichzeitiger Erneuerung des erwählten Volkes Israel aufzuzeigen. Diese Einheit der Heilsgeschichte ist in der lukanischen Sicht durch die Person des Jesus von Nazareth, der der Sohn Gottes und angekündigte Messias ist, gewahrt.

2. AUFBAU DER ARBEIT

2.1. Methodologische Koordinaten

2.1.1. Methode

Der Arbeit liegt eine vornehmlich synchrone Betrachtungsweise auf der Basis des griechischen Textes zugrunde.44 Die redaktionelle Endfassung des Lukasevangeliums als maßgeblicher Bezugspunkt spiegelt wider, wie der Verfasser Herkunft und Wirken des Jesus von Nazareth darstellen und in den Kontext seiner Gegenwart einfügen wollte. Der Text des Evangeliums ist letztlich Ausdruck der intentio auctoris, weshalb der Respekt vor dem Verfasser, die Suche nach seinem Verständnis und die Herausarbeitung seiner Vorstellungen von den Zwölf-Aposteln es geradezu gebietet, den Text in seiner Endgestalt nach seinen impliziten theologischen Gehalten und Aussagen zu befragen. Es geht um die von Lk „erzählte Welt“.45

Ergebnisse exegetischer Arbeiten, die vornehmlich der diachronen Analyse mit dem gesamten Arsenal der historisch-kritischen Exegese folgen, werden in der Untersuchung berücksichtigt, insofern sie in den gängigen Kommentaren und Monographien auffindbar sind, die sich dieses Methodenkanons bedienen. Da es sich um eine bibeltheologische Arbeit handelt, ist die als kanonische Lesart („canonical approach“) nach CHILDS46 bezeichnete Methode zu berücksichtigen. Dies umso mehr, als der damit bevorzugte „ganzheitliche“ Ansatz der Annahme einer grundsätzlichen Einheit der gesamten Bibel dem Denken des Lk entspricht, der ja auch die Heilskontinuität im Handeln Gottes sorgfältig bewahrt und Geschichte als Heilsgeschichte im gesamten biblischen Horizont deutet. Diese ganzheitliche Methode ermöglicht sowohl eine breit angelegte Vorgehensweise als auch die angemessene Berücksichtigung der Vernetzung von Motiven, Gedankengängen und theologischen Topoi hinein in die gesamte Heilige Schrift, sowie eine aus bibeltheologischer Sicht aussagekräftige und facettenreiche Darstellung der lukanischen Gestalt der Zwölf-Apostel.

Hilfreich für die Erkenntnis der spezifisch lukanischen Darstellung haben sich synoptische Vergleiche an „neuralgischen“ Stellen erwiesen. Oftmals lassen erst diese „Seitenblicke“ besondere Sichtweise und Intentionen des Lk erkennen. An entsprechenden Stellen werden deshalb detaillierte Synopsen zusammengestellt, die – aus dem üblichen Duktus etwas herausfallend – vertieft Gedankengänge nachzeichnen.

Eine Eigenart des lukanischen Doppelwerks ist das Doppelwerk an sich. Haben Mt und Mk lediglich ein Buch zur Verfügung, um Jesus als den Messias zu präsentieren, so kann sich Lk über zwei Bücher entfalten und einen weitaus breiteren Zeitraum in den Blick nehmen. Nicht nur das unmittelbare Geschehen mit Jesus wird so beleuchtet, sondern auch die Folgen, die sich aus dem „Ereignis Jesus von Nazareth“ ergeben. Für „das Verständnis von Lukas [ist] stets darauf zu achten, wo Lukas in seinem Erzählwerk was47 zum Thema gesagt hat.

Den zwei Teilen der Arbeit entsprechen im Wesentlichen auch zwei unterschiedliche methodische Zugänge: Der erste Teil (1,5 – 6,11) analysiert, der narrativen Struktur des Evangeliums folgend, durch einige Schwerpunktsetzungen in der Kindheitsgeschichte (1,5 – 2,52), in der Gegenüberstellung von Johannes dem Täufer und Jesus (Lk 3), der Nazareth-Perikope (4,16-30) und der Berufung der ersten Jünger (5,1-11) die wesentlichen Aussagen über Jesus in heilsgeschichtlicher Perspektive. Ziel dieses Teiles ist es, die Figur Jesu hinsichtlich seiner heilsgeschichtlichen Einordnung durch Lk und in einer ersten Phase seines Wirkens (4,14 – 6,11) zu skizzieren und seine Identität aus der Sicht des Evangelisten zu beschreiben.

Im zweiten Teil (6,12 – 22,38) sind die zu bearbeitenden Texte durch die vier Grundbegriffe – Erwählung, Sendung, Verfolgung, Glaube – und den Abendmahlsbericht (22,14-38) bestimmt, die alle durch die Anwendung des Ausdrucks image charakterisiert werden und in diesem zweiten Teil die Architektur der Untersuchung bilden. Die narrative Struktur des Evangeliums bestimmt wiederum die Reihenfolge der Untersuchung der Begriffe und damit die Abfolge der vier Kapitel. Die inhaltlich bestimmten Referenzstellen im Abendmahlbericht werden entsprechend der durch die narrative Struktur des Evangeliums vorgegebenen Reihenfolge behandelt. Hinsichtlich der Methode kommen in diesem Teil im Wesentlichen die üblichen Instrumente der Exegese zum Einsatz: Durch Textabgrenzung, Textanalyse, Herausstellung theologischer Implikationen sowie durch synoptische Betrachtung der Bezugstexte zueinander werden die Wesensmerkmale der Zwölf-Apostel-Gruppe herausgearbeitet. Wichtig ist aber auch hier der gesamtbiblische Kontext, der stets den Deutungshorizont ausmacht.

Das abschließende Kapitel greift schließlich die Ergebnisse der Textarbeit, wiederum strukturiert nach den vier Grundbegriffen, auf und versucht in der Sammlung und theologischen Auswertung der Ergebnisse der Einzeluntersuchung eine bibeltheologische Durchdringung und Gesamtdarstellung der Gestalt der Zwölf-Apostel im Lukasevangelium.

2.1.2. Aufbau und Systematik

Die Arbeit gliedert sich innerhalb ihrer drei Teile in sieben Kapitel. Vorbemerkungen, status quæstionis, methodologische Überlegungen und die Begründung für die Untersuchung sowie theologische Grundkoordinaten der lukanischen Theologie bilden die ausführliche Hinführung zum ersten Teil.

ERSTER TEIL: DIE GESTALT JESU ALS VORAUSSETZUNG

Dieser Abschnitt behandelt in drei Kapiteln, der narrativen Struktur des Evangeliumstextes folgend, 1,5 – 6,11. Vorgeschaltet ist eine Kurzbetrachtung des Proömiums, das wesentliche Verständnishinweise für das lukanische Evangelium bildet und bereits einen ersten Bezug zu den Augenzeugen, den Zwölf-Aposteln herstellt. Eindeutig steht die Person Jesu im weiten heilsgeschichtlichen Zusammenhang im Mittelpunkt. Er ist Dreh- und Angelpunkt des Evangeliums. Die Relevanz für die Zwölf-Apostel besteht darin, die erste Extension dieses Zentrums zu sein. Es soll sozusagen der „Verstehenshorizont“ eröffnet werden, der die Folie für die Gestalt der Zwölf-Apostel ausmacht.

Die einzelnen Kapitel des ersten Teils der Untersuchung gliedern sind inhaltlich folgendermaßen:

I. Kapitel: Jesus – Gottes Heilsweg durch die Zeit (1,5 – 4,13)

Leitend ist die Frage nach der Herkunft Jesu, also seiner wahren Identität in der Perspektive der Heilsgeschichte. Die Kindheitsgeschichte, unter besonderer Beachtung der vier Hymnen Magnificat (1,46-55), Benedictus (1,68-79), Gloria (2,13-14) und Nunc dimittis (2,29-32), steht am Anfang. Danach folgen in Form eines Triptychons in drei Bildern das Auftreten des Johannes, die Taufe Jesu und die Versuchungen (3,1 – 4,13). Das Kapitel endet mit 4,13, da damit jener Lebensabschnitt Jesu endet, der sich hauptsächlich im Verborgenen abgespielt hat.

II. Kapitel: Jesus von Nazareth – Mission und Schicksal (4,146,11)

Mit 4,14 beginnt in einem Summarium das öffentliche Wirken Jesu, das mit seinem Auftreten in der Heimatstadt Nazareth erstmals konkret wird. Die Nazareth-Perikope – als lukanische Redaktionsarbeit an prominenter Stelle – ist als verdichteter Vorausblick auf das gesamte öffentliche Wirken Jesu zu verstehen. Sodann werden sein öffentliches Wirken, die Berufung der ersten Jünger und der scheinbar permanente Bruch religiöser Tabus nachgezeichnet. Die gleichzeitig wachsende Ablehnung seitens der „Führer des Volkes“, die in 6,11 mit dem Beschluss, gegen Jesus vorzugehen, einen gewissen Höhepunkt erreicht, wird dargestellt. Damit ist im Evangeliumstext eine Gelenkstelle erreicht, an welche die Erwählung (6,12-16) als erste, vertieft zu behandelnde Perikope im IV. Kapitel wieder anschließt.

III. Kapitel: Jesus – „eigentliches Israel“ und Basileia Gottes

Den eher theologisch-resümierenden und damit methodisch deutlich anders aufgebauten Abschluss des ersten Teils bildet im Kern eine These von G. LOHFINK48, nach der in der Person Jesu Christi das „Heute“ der image anbricht und zugleich das „eigentliche Israel“ präsent wird. Die Verhärtung Israels – insbesondere in seinen religiösen Führern – und die daraus resultierende Ablehnung Jesu und seines Messias-Seins mündet schließlich in einer Erneuerung Israels, jedoch – in Heilskontinuität mit dem erwählten Volk – aus dessen eigener Mitte. Dies entwickelt Relevanz insbesondere für die lukanische Sicht der Gruppe der Zwölf-Apostel. Sie sind mittels Erwählung durch Jesus von Nazareth Anfangspunkt der Erneuerungsbewegung Israels. Im Evangelium auf den Bereich der „Nachkommen Abrahams“ beschränkt, erfährt diese Bewegung später eine Ausdehnung auch auf die Heiden (vgl. Apg), was wiederum zweifellos auf einer Linie mit der göttlichen Heilsgeschichte liegt (vgl. Jes 2). Den Zwölf-Aposteln kommt demnach bereits im Evangelium die Funktion einer das ureigenste Werk Jesu Christi perpetuierenden Extension dieses Reiches Gottes zu, das später in der Entwicklung der Kirche – durch die Heidenkirche über das ursprüngliche Israel hinaus, ja bis nach Rom und die Enden der Erde – sich ausdehnen wird.