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Dominik Schultheis

DIE KATHOLIZITÄT
DER KIRCHE

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Herausgegeben von
Karl-Heinz Menke
Julia Knop
Magnus Lerch

Bonner
Dogmatische
Studien

Band 55

Dominik Schultheis

DIE KATHOLIZITÄT
DER KIRCHE

Versuch einer Bestimmung
der dritten nota ecclesiae
in der deutschsprachigen
Systematischen Theologie
seit dem Zweiten Vatikanum

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Meinem Vater Bruno
in dankbarer Erinnerung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2015 Echter Verlag GmbH

Umschlaggestaltung: Peter Hellmund

ISBN 978-3-429-03774-1 (Print)

Vorwort

Wenn von der „katholischen“ Kirche die Rede ist, halten viele das Adjektiv „katholisch“ für eine Konfessionsbezeichnung. Zumeist verbindet man mit dem Attribut „katholisch“ die unter dem Haupt des Papstes in Rom geeinte römisch-katholische Kirche, zu der noch die sogenannten unierten Ostkir-chen hinzuzurechnen sind, die in voller Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom stehen. Dass der Begriff „katholisch“ aber auch den altorientalischen und (byzantinisch-)orthodoxen Kirchen, den anglikanischen und traditionellen evangelischen Kirchengemeinschaften sowie der altkatholischen Kirche zu eigen ist, ist oftmals nicht bekannt. Auch diese Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften bekennen sich zusammen mit der (römisch-)katholischen Kirche und den katholischen Ostkirchen im nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Auch sie nehmen für sich in Anspruch, „katholisch“ zu sein. Die evangelischen Kirchengemeinschaften tun dies selbst dann, wenn sie in Folge der Konfessionalisierung des 16. Jahrhunderts in ihren Übersetzungen des Glaubensbekenntnisses statt von der „katholischen“ lieber von der „allgemeinen“ oder „christlichen“ Kirche sprechen.

Die vorliegende Studie, die im Sommersemester 2014 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn eingereicht und als Promotionsschrift angenommen wurde, nimmt – in geringfügig überarbeiteter Form – die dritte nota ecclesiae in den Blick und damit die Allgemeinheit, Ganzheit, Offenheit und Weite der Kirche Christi.

Sie fragt in ihrer Einleitung danach, was „katholisch“ als Wesensattribut ursprünglich bedeutet, welche folgenreiche Geschichte dieser Begriff durch die Jahrhunderte gemacht hat und was die christlichen Konfessionen heute eigentlich meinen, wenn sie das Attribut „katholisch“ gebrauchen. Dass bei der letzten Frage mit verschiedenen Begriffsfüllungen zu rechnen ist, wird nicht überraschen, auch nicht, dass sowohl im innerkatholischen als auch im interkonfessionellen theologisch-wissenschaftlichen Diskurs unterschiedliche Ansätze zu einem ganzheitlichen Verständnis der Katholizität erörtert werden. Dabei besteht die Schwierigkeit, dass alle Bestimmungsversuche einer virulenten Gefahr unterliegen, nämlich die, ungewollt zu neuen konfessionellen Ab- und Ausgrenzungen zu führen.

Ich bin mir dieser Gefahr bewusst, wenn ich aus dem Blickwinkel der (römisch-)katholischen Kirche einen christologischen (sakramentalen) Ansatz zur Bestimmung der Katholizität in die wissenschaftliche Diskussion einbringe, die – betrachtet man die Veröffentlichungen der letzten Jahre1 – unter Theologen offensichtlich ein aufkeimendes Interesse genießt. Mit meiner Studie versuche ich, an die letzte große katholische wissenschaftliche Monographie zu dieser Thematik im deutschsprachigen Raum von vor fünfzig Jahren von Wolfgang Beinert2 anzuschließen.

In einem ersten Teil analysiert die Studie die Beiträge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) zur Frage der Katholizität der Kirche, welche zu einer richtungsweisenden Neubesinnung auf den vollen Gehalt des Katholischen innerhalb der (römisch-)katholischen Kirche geführt haben. Sie bringt die in den Konzilsdokumenten aufscheinende Bedeutungsvielfalt des Begriffs „katholisch“ bzw. „Katholizität“ mit den in der innerkatholischen Wissenschaft etablierten konziliaren Leitbegriffen „Volk Gottes“, „Sakrament des Heils“ und „Communio“ zur Wesensbeschreibung der Kirche in Zusammenhang und kommt zu der Überzeugung, dass der Begriff „katholisch“ als integraler Schlüsselbegriff zu einer rechten Interpretation der ekklesiologischen Grundlinien des Konzils dienen könnte, verbindet dieser doch wesentliche Themen und Aspekte der Ekklesiologie.

Darauf aufbauend versucht die Studie in ihrem zweiten Teil, das Wesen der Katholizität christologisch (sakramental) zu bestimmen, um anschließend nach möglichen Konsequenzen einer so verstandenen Katholizität für das Verhältnis von kirchlicher Einheit und Vielfalt sowohl im Innern der (römisch-)katholischen Kirche als auch in deren Dialog mit den nichtkatholischen Konfessionen und nichtchristlichen Religionen zu fragen.

Ich danke allen, die in irgendeiner Weise zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. In besonderer Weise gilt mein Dank dem emeritierten Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, für die Freistellung zur Promotion in den letzten Jahren. Ebenso bin ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Menke, für die hervorragende, sowohl kritische als auch fachkundige, stets aber freundschaftlich-ermutigende Begleitung in den letzten Jahren und die Erstellung des Erstgutachtens zu Dank verpflichtet. Herrn Prof. Dr. Claude Ozankom gilt mein Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Bonner Dogmatische Studien“, Herrn Handwerk vom Echter Verlag für die reibungslose Zusammenarbeit.

Ebenfalls danke ich allen, die durch ihr beständiges Nachfragen: „Was macht die Diss?“ innerer Antrieb und mahnender Appell zugleich waren, dasjenige zu Ende zu bringen, was vor Jahren beginnen konnte. Frau Dr. Wibke Janssen danke ich für anregende ökumenische Fachgespräche, hilfreiche Literaturhinweise sowie aufmunternde Worte in der Schlussphase. Zu danken habe ich Frau Dr. Claudia Brors, Frau Bettina Laube-Bruchhausen sowie Frau Dr. Anna Wirtz für die mühsame und zeitraubende Arbeit des Korrekturlesens. Dem Erzbistum Köln sowie dem Seminar für Dogmatik und Theologische Propädeutik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn danke ich für deren großzügige Druckkostenzuschüsse.

Schließlich bin ich all jenen zu Dank verpflichtet, die mich seit meiner Kindheit immer wieder Katholizität haben erfahren lassen: allen voran meinen Eltern und beiden Geschwistern mit ihren Familien, meinen Freundinnen und Freunden, schließlich all jenen, die mir auf den Etappen meiner seelsorglichen Tätigkeit bislang begegnet sind, zuletzt meinen Schülerinnen, Kolleginnen und Kollegen der Liebfrauenschule in Bonn sowie den Pfadfinderinnen und Pfadfindern der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) im Erzbistum Köln, die mich lehren, das hier Geschriebene im Alltag zu entdecken und konkret zu leben – jeden Tag ein bisschen mehr.

Die letzten Zeilen gelten meinem Vater Bruno mit seiner „katholischen“, d.h. offenen und kommunikativen Art. Durch seinen plötzlichen und unerwarteten Tod kurz nach Abgabe der Arbeit war es ihm und uns nicht mehr vergönnt, sich gemeinsam über den erfreulichen Abschluss des Promotions-verfahrens zu freuen. Ihm sei diese Arbeit gewidmet im festen Glauben daran, dass er jetzt schon an der katholischen Fülle Gottes teilhat, der wir alle noch entgegengehen.

Bonn, im April 2015

Dominik Schultheis

Inhaltsverzeichnis

0.Einleitung

1.Profane Bedeutung des Begriffs „katholisch“

1.1Herkunft des Begriffs

1.2Verwendung in der philosophischen Terminologie

2.Biblische Verwendung des Begriffs „katholisch“

2.1Der universale Heilsauftrag der Kirche im biblischen Kontext

2.2Die Heilsfülle der Kirche in der Pleroma-Theologie

3.Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation

3.1Das erste Auftreten bei Igantius von Antiochien

3.2Bedeutungserweiterung im dritten und vierten Jahrhundert

3.3Weiterentwicklung bei Augustinus

3.4Akzentuierung bei Vinzenz von Lérins

3.5Verwendung in der mittelalterlichen Theologie

4.„Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica

4.1Katholizität nach ostkirchlichem Verständnis

4.2Katholizität in den aus der Reformation hervorgegangenen traditionellen evangelischen Kirchengemeinschaften

4.2.1Katholizität in evangelisch-lutherischer Sicht

4.2.1.1Katholizität bei Martin Luther

4.2.1.2Katholizität bei Philipp Melanchthon

4.2.1.3Katholizität in heutiger evangelischlutherischer Sicht

4.2.2Katholizität in reformierter Sicht

4.2.2.1Katholizität bei Johannes Calvin

4.2.2.2Katholizität in heutiger reformierter Sicht

4.3Katholizität als Konfessionsbezeichnung

4.4Katholizität in der nachtridentinischen Kontroverstheologie

4.5Katholizität nach anglikanischem Verständnis

4.6Katholizität in freikirchlicher Perspektive

4.7Katholizität in altkatholischer Sicht

5.Ziel der Untersuchung und methodisches Vorgehen

Erster Teil:Die Katholzität als Integral aller wesentlichen ekklesialen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils

I.„Katholisch“ und „Katholizität“ in den Konzilstexten

1.Kritische Durchsicht aller Konzilstexte auf die Begriffe „katholisch“ und „Katholizität“ hin

1.1Die Verwendung in SC

1.2Die Verwendung in IM

1.3Die Verwendung in LG

1.4Die Verwendung in OE

1.5Die Verwendung in UR

1.6Die Verwendung in CD

1.7Die Verwendung in OT

1.8Die Verwendung in GE

1.9Die Verwendung in NA und DV

1.10Die Verwendung in AA

1.11Die Verwendung in DiH

1.12Die Verwendung in AD

1.13Die Verwendung in PO und GS

2.Zwischenresümee: Der unterschiedliche Gebrauch der Begriffe „katholisch“ bzw. „Katholizität“ in den Konzilstexten und deren jeweilige Intention

3.Katholizität als Schlüssel zur Verhältnisbestimmung von kirchlicher Einheit und Vielfalt

II.Kirche als „Volk Gottes“ des neuen Bundes oder: Der Bundescharakter der Heilsgeschichte als Voraussetzung der Katholizität Israels und der Kirche

1.Der trinitarische Rahmen konziliarer Ekklesiologie

2.Die Bezeichnung der Kirche als „Volk Gottes“ des neuen Bundes

2.1Biblisch-theologische Grundlegung des Volk-Gottes-Begriffs

2.2Theologiegeschichtliche Verwendung von „Volk Gottes“

2.3Neurezeption des Volk-Gottes-Begriffs auf dem Konzil: Das Volk-Gottes-Sein der Kirche als Erweis ihrer Katholizität

3.Exkurs: Die schwierige Verhältnisbestimmung zwischen Jesu Sammlung des wahren Israels und der Kirche

3.1Die Bedeutung des alttestamentlichen Begriffs berît und die alttestamentlichen Bundestheologien

3.2διαθήκη zur Wiedergabe des alttestamentlichen Bundesbegriffs und die Stränge neutestamentlicher Bundestheologien

3.3Die Verhältnisbestimmung Alter-Bund – Neuer Bund

3.4Würdigung und Ertrag für diese Untersuchung

III.Kirche als „Grundsakrament“ des Heils oder: Die Sakramentalität der Kirche als Voraussetzung ihrer Katholizität

1.Die Bezeichnung der Kirche als „Sakrament“

2.Die missverständliche Bezeichnung als „Leib Christi“

2.1Biblisch-theologische Grundlegung des Leib-Christi-Begriffs

2.2Theologiegeschichtliche Verwendung des Leib-Christi-Begriffs

3.Kirche als „Volk Gottes vom Leib Christi her“: Der Zusammenhang von Eucharistie und Sakramentalität der Kirche

3.1Eucharistie als Herzmitte der Kirche: de Lubacs Zusammenschau von ekklesialem und eucharistischem Leib Christi

3.2Ansätze einer eucharistischen Ekklesiologie in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils

3.3Die Wesensbeschreibung der Kirche als Grundsakrament im Horizont ihrer Katholizität

4.Exkurs: Der Streit um das „subsistit in“ oder: Die Verhältnisbestimmung von unsichtbarer und sichtbarer Kirche im Horizont ihrer Katholizität

4.1Das „subsistit in“ in LG 8

4.2Würdigung und Ertrag für diese Untersuchung

IV.Kirche als „Communio“ oder: Die Verhältnisbestimmung von Einheit und Vielheit als Kriterium wahrer Katholizität

1.Biblisch-theologische Grundlegung des Communio-Gedankens

1.1Communio-Denken im Alten Testament

1.2Communio im Neuen Testament

2.Theologiegeschichtliche Entfaltung des Communio-Gedankens

2.1Die „Communio Sanctorum“ in der Alten Kirche

2.2Die Krise des ekklesiologischen Communio-Gedankens

3.Die Neurezeption des Communio-Seins der Kirche im Horizont ihrer Katholizität

3.1Communio als Teilhabe an der innertrinitarischen Communio Gottes

3.2Die eucharistisch bestimmte Communio der Kirche als Ausdruck ihrer Katholizität

3.3Die bischöfliche Kollegialität als sakramentale Repräsentation der Katholizität

3.4Die Communio Fidelium als Verwirklichung der Katholizität aller Gläubigen

3.5Das Verhältnis von bischöflicher Kollegialität und päpstlichem Primat oder: Der Prüfstein echter Katholizität

4.Exkurs: Das Verhältnis von Universal- und Ortskirche oder: Die Kontroverse um das Verhältnis von Einheit und Vielfalt als Kriterium der Katholizität

4.1Die Weiterschreibung der konziliaren Formel „Ecclesia in et ex Ecclesiis“ durch die Glaubenskongregation: „Ecclesiae in et ex Ecclesia“

4.2Die von Joseph Ratzinger betonte ontologische und zeit- liche Priorität der Universalkirche vor der Ortskirche oder: Die christologische Deutung der katholischen Einheit in Vielfalt

4.3Der Disput der Kardinäle oder: Die Möglichkeit einer trinitarischen Deutung der katholischen Einheit in Vielfalt

4.4Würdigung und Ertrag für diese Untersuchung

5.Resümee der bisherigen Erkenntnisse

Zweiter Teil:Die sakramentale Bestimmung der Katholizität der Kirche und ihre Konsequenzen nach innen und nach außen

V.Die Katholizität als christologisch begründete Einheit in Vielfalt

1.Die Wesensbestimmung von Kirche als Sakrament

1.1Die Begründung der Kirche im Heilshandeln Gottes und in dessen innergeschichtliche Offenbarung in Jesus Christus

1.2Die Kirche als sakramentales Zeichen und Werkzeug zur Durchsetzung des universalen Heilswillens Gottes

1.3Das innergeschichtliche Handeln der Kirche als ihre sakramentale Einbindung in das Heilshandeln Gottes

1.4Jesus Christus als das Ursakrament der Selbstmitteilung Gottes und die Kirche als das Grundsakrament des in Jesus Christus erschienenen göttlichen Heils

1.5Die trinitarische Bezugsebene: Gott als Ursprung und bleibendes Gegenüber von Kirche und der Heilige Geist als die charismatische Dimension von Kirche

2.Die Katholizität der Kirche als Sakrament der Katholizität Christi

2.1Die Katholizität Christi als Begründung der Katholizität der Kirche

2.1.1Die Katholizität Christi als „universale concretum“

2.1.2Die Katholizität der Kirche als Entfaltung der Katholizität Christi

2.2Die Katholizität der Kirche als je zu verwirklichende personale Christusrepräsentation und darin notwendige Einheit in Vielfalt

2.3Die Kirche als objektiv und subjektiv zu verwirklichendes heilsnotwendiges Sakrament der Katholizität Christi um der Vielen willen

2.4Notwendige Grenzziehungen und Weitungen innerhalb der Kirche zur Wahrung katholischer Einheit in Vielfalt

VI.Die Katholizität der Kirche als Maßstab innerkirchlichen Lebens

1.Zusammenfassender Überblick der bisherigen Erkenntnisse

2.Katholizität nach innen: Das spannungsreiche Zueinander von Einheit und Vielfalt im binnenkirchlichen Bereich

2.1Die Katholizität der Kirche in der strukturellen Spannung von gemeinsamem und besonderem Priestertum

2.1.1Weitungen zu einer katholischen Vielfalt im Bereich der Liturgie und der Pastoral

2.1.2Grenzen katholischer Vielfalt zur Wahrung kirchlicher Einheit

2.1.3Der Dialog als geistgewirkter Weg zu einem Mehr an gelebter Katholizität

2.2Die Katholizität der Kirche in der strukturellen Spannung von Ortskirchen und Universalkirche

2.2.1Der Papst und das Bischofskollegium als aufeinander zugeordnete Subjekte communialer Katholizität

2.2.2Gesamt- und partikularkirchliches Recht als einander zugeordnete Größen communialer Katholizität

2.2.3Die klassischen Sozialprinzipien der Kirche als Hilfen zu einem Mehr an gelebter Katholizität

2.2.4Das Ringen um ein Mehr an „katholischer“ Haltung

VII.Die Katholizität der Kirche als ökumenische Brücke in der Suche nach kirchlicher Einheit

1.Aspekte einer im Wesen sakramental bestimmten Katholizität in ökumenischen Konsenspapieren

1.1Die Unterscheidung von quantitativer (exklusiver) und qualitativer (inklusiver) Katholizität

1.2Die Kirche als Sakrament der Katholizität Christi

1.3Die Katholizität in der Spannung von Schon und Noch-nicht sowie von Gabe und Aufgabe

1.4Die Katholizität in der Spannung von Einheit und Vielfalt

1.5Die Katholizität in der Spannung von Orts- und Universalkirche

1.6Die Katholizität in der Spannung von Inklusivität und Exklusivität

1.7Die Katholizität und ihre amtliche Bezeugung

1.8Resümee

2.Katholizität und der steile Weg zu einer sichtbaren Einheit der getrennten Kirchen

2.1Unterschiedliche Modelle kirchlicher Einheit

2.2Ein (römisch-)katholisches Modell sichtbarer Kircheneinheit

2.3Resümee

VIII. Die Katholizität als Motor einer Offenheit von Kirche auf die nichtchristlichen Religionen sowie auf Welt hin

1.Die in der Katholizität gründende Selbstverpflichtung zum Dialog

1.1Die Heilsgeschichte als Dialog Gottes mit den Menschen

1.2Das dialogische Wesen Gottes

1.3Die Empfänglichkeit der Menschen für den Dialog mit Gott

1.4Konsequenzen für eine gelebte Katholizität nach außen

2.Der in der Katholizität begründete Auftrag zur Mission

2.1Mission als Teilhabe an der Katholizität Christi

2.2Mission als Teilgabe des katholischen Glaubens sowohl nach innen wie nach außen

2.3Mission als Kontextualisierung und Inkulturation

2.4Mission als Befreiungshandeln und diakonischer Dienst

2.5Mission als dialogisches Geschehen

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Die Katholizität der Kirche gehört neben der Einheit, Heiligkeit und Apostolizität zu den vier Attributen, mit denen das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis (381 n.Chr.) die wahre Kirche Jesu Christi qualifiziert und gegenüber häretischen Gruppen abgrenzt: „Wir glauben […] an die eine heilige katholische und apostolische Kirche“ (DH 150). Wenn heute von der „katholischen“ Kirche gesprochen wird, dann zumeist in einem konfessionellen, von anderen christlichen Denominationen abgrenzenden Sinne. Ursprünglich dient „katholisch“ jedoch nicht als Konfessionsbezeichnung, sondern als Wesenseigenschaft: Kirche ist „katholisch“ meint, dass sie allumfassend, universal und allgemein ist und dies in einem sowohl quantitativen als auch qualitativen Sinne. Katholizität zeigt an, dass wahre Kirche im Gegensatz zu schismatischen und lokalen Abspaltungen durch die Zeiten hindurch und über den ganzen Erdkreis verbreitet ist, dass sie zu allen Menschen, Völkern, Kulturen und Rassen aller Zeiten und Orte gesandt ist, das Evangelium zu verkünden, und dass sie zur Bewältigung dieser Aufgabe im Besitz aller notwendigen Gnadengaben ist. Katholische Kirche „verkündet den ganzen Glauben und das ganze Heil für den ganzen Menschen und die ganze Menschheit.“3

Während alle christlichen Denominationen einig darin sind, dass sie „katholisch“ und folglich wahre Kirche Jesu Christi sind, so zeigt sich doch ein weites Spektrum, was die jeweiligen Konfessionen unter ihrer „Katholizität“ verstehen und noch mehr: mit welcher inhaltlichen Füllung und mit welcher Gewichtung sie den Begriff „katholisch“ bzw. „Katholizität“ verwenden. Das aber wirft die Frage auf, was genau das Referenzobjekt ist, auf das sich die dritte nota bezieht: Welcher Kirchenbegriff ist vorausgesetzt, wenn von der Katholizität „der“ Kirche die Rede ist? Oder anders gefragt: Welche Wirklichkeit von Kirche, ist Trägerin dieses Wesensmerkmals (Frage nach dem Seinsgrund der Katholizität)?

Wenn jede christliche Konfession gleichermaßen Katholizität für sich in Anspruch nimmt, den Begriff aber unterschiedlich mit Inhalt füllt, ist danach zu fragen, woran genau man „eine der Konfessionskirchen im Bekenntnis zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche als deren Repräsentation oder Verwirklichung erkennen“4 kann? Inwieweit lassen sich die von der Kirche aussagbaren Wesenseigenschaften empirisch erfassen, so dass auch von außen gesagt werden kann, dass diese oder jene Wirklichkeit von Kirche eine konkrete Existenzform der einen Kirche Jesu Christi ist (Frage nach dem Erkenntnisgrund der Katholizität)? Auch wird in derartige Überlegungen die Frage mit einbezogen werden müssen, in welcher inneren Korrelation die vier Wesensmerkmale zueinander stehen. Denn „Katholizität ist die Eigenschaft der Kirche, durch die sie als die eine (→ Einheit) und stets ihrem Ursprung verbundene (→ Apostolizität) und dank der Macht der heiligenden Gnade (→ Heiligkeit) universale Kirche existiert.“5

Es gibt noch weitere Fragenhorizonte, die eine Reflexion über die Katholizität aufreißen. Bevor ich mich solchen Fragen widme und den Versuch einer Bestimmung der Katholizität der Kirche in der deutschsprachigen systematischen Theologie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil betreibe, scheint eine kurze Analyse des Begriffes „katholisch“ und seiner geschichtlichen (konfessionellen) Entwicklung angezeigt. Hierzu wurden in früheren Studien zur Katholizität bereits umfangreiche Erkenntnisse geliefert. Verwiesen sei etwa auf Arbeiten von Henri de Lubac, Yves Congar, Urs von Balthasar, Wolfgang Beinert, Peter Steinacker u.v.a.m.6 Um den Problemhorizont genauer entfalten zu können, vor dem ich meine Untersuchung aus „(römisch-)katholischem“ Blickwinkel anstelle, sollen die unterschiedlichen konfessionellen Konnotationen des Begriffs „katholisch“ mit in den Blick genommen werden. Denn das (römisch-)katholische Verständnis der Katholizität lässt sich nicht widerspruchsfrei entfalten, wenn nicht die Positionen der anderen Denominationen zumindest ansatzweise präsent sind. Dass dies im Rahmen dieser Untersuchung nur ansatzweise geschehen kann, versteht sich von selbst. Ess können nur einige – notgedrungen selektive – Schlaglichter auf diesen weiten Themenkomplex geworfen werden, die am Ende womöglich mehr Fragen aufwerfen als sie Antworten liefern.

1. Profane Bedeutung des Begriffs „katholisch“

Auch wenn sich der Begriff „katholisch“ in adverbialer Form („καθόλον“) sowohl in der Septuaginta als auch im NT finden lässt7, ist er kein originär theologischer Terminus, sondert entspringt dem profanen Bereich der griechischen Antike.

1.1Herkunft des Begriffs

Etymologisch leitet sich der Begriff „katholisch“ vom griechischen Adjektiv καθολικός ab, das aus dem ursprünglicheren Adverb καθόλον gebildet wurde. Das aus der Präposition κατά (mit Genitiv: „von … herab“; „in … hinein“) und dem Adjektiv ὅλος („ganz“) zusammengesetzte Wort lässt sich wörtlich übersetzen mit: „auf ein Ganzes bezogen“, „vom Ganzen her“, „ein Ganzes betreffend“ und kann auf die Grundbedeutung: „umfassend“, „vollständig“, „vollkommen“ subsumiert werden.8 Griechische Antonyme sind etwa ἴδιος („eigen“, als Adverb ἴδιον: „für sich“) und μέϱικος („einzeln“, „zum Teil“). Als lateinische Synonyme lassen sich nennen: „communis“ („gemeinsam“, „im Allgemeinen“), „universalis“ („allgemein“), „totus“ („ganz“, „voll“, „in vollem Umfang“), „perpetualis“ („allgemeingültig“).9

Da die Begriffe καθολικός und καθόλον in der philosophischen Terminologie in reicher Bedeutungsvielfalt anzutreffen sind, seien nachfolgend die wichtigsten Linien ihrer Verwendung in der antiken Profanliteratur nachgezeichnet.

1.2Verwendung in der philosophischen Terminologie

In der griechischen Philosophie sind sowohl das Adverb καθόλον als auch das Adjektiv καθολικός häufig anzutreffen, erstmals belegt bei Platon (5./4. Jh. v. Chr.).10 Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch und damit in die Logik und Metaphysik finden beide Begriffe durch Aristoteles (4. Jh. v. Chr.). Bei ihm bezeichnen καθόλον bzw. καθολικός den Allgemeinbegriff, einen allgemeinen Satz oder das Objekt einer Wissenschaft, welche Allgemeines behandelt.11 Im aristotelischen Sinne können beide Begriffe demnach übersetzt werden mit: „sich auf ein Ganzes beziehend“, „im allgemeinen“. Zeno (4./3. Jh. v. Chr.) überschreibt eines seiner Werke mit dem Wort καθόλικα, das ins Deutsche mit „Über die Universalien“ bzw. „Über die allgemeinen Prinzipien“ übersetzt werden kann.12

Polybios (2. Jh. v. Chr.) verwendet das Adjektiv καθολικός unter anderem im Sinne von „vollkommen“, „allumfassend“, „vollständig“, „allgemein“, „in Fülle bestehend“, „in sich vollständig“, womit in metaphysischem bzw. geschichtlichem Zusammenhang eine organische Ganzheit bzw. ein geistesgeschichtlicher Zusammenhang ausgesagt werden soll.13 Bei Rhetorikern und Naturwissenschaftlern wie etwa Philon (1. Jhd. n. Chr.) wird der Begriff im Sinne von „generell“, „allgemein“ im Gegensatz zu „partikulär“ gebraucht.14

Bei aller hier nur exemplarisch dargelegten Bedeutungsvielfalt lassen sich für καθολικός im nichttheologischen Wortgebrauch zusammenfassend drei Grundbedeutungen herausstellen:

„1. Die raum-zeitliche im Sinne von „vollständig“, „allgemeingültig“; 2. „allgemein“, „generell“ in der Fachterminologie von Logik und Rhetorik; 3. „vollkommen“, „in Fülle“, „richtig, d.h. so, wie es sein soll“15.

Während die erste Bedeutung in der lateinischen und neueren Philosophie ihren Niederschlag findet (etwa bei Johannes Clauberg und Emilie Meyerson16), gewinnt die dritte in der Theologie der Patristik an Relevanz. Bevor diese dritte Bedeutung näher betrachtet werden soll, sei ein kurzer Blick auf den biblischen Befund gelenkt.

2. Biblische Verwendung des Begriffs „katholisch“

Im Neuen Testament ist das Adverb καθόλον lediglich einmal belegt (vgl. Apg 4,18). Dort wird es im Sinne von „gänzlich“, „überhaupt“, „jemals“ verwendet. Mit gleicher Bedeutung findet sich der Begriff an neun Stellen in der Septuaginta. Beide Quellen verwenden καθόλον niemals im theologischen, ekklesiologischen Sinne, etwa als Attribut der Kirche zur Bezeichnung von deren Universalität.17 In diesem Wortsinne lässt sich der Begriff „katholisch“ im Neuen Testament nicht finden. Sehr wohl aber sind der Sache nach begriffliche Äquivalente im Neuen Testament enthalten, die das zum Ausdruck bringen, was mit dem erst später verwendeten Terminus „katholisch“ ausgesagt sein will: den universalen Heilsauftrag der Kirche und ihre umfassende Heilsfülle.18

2.1Der universale Heilsauftrag der Kirche im biblischen Kontext

Vorbereitet wird der Gedanke des universalen Heilsauftrages der Kirche bereits im Alten Testament. Vor allem Deutero-Jesaja hat das Heil für die ganze Welt im Blick (vgl. Jes 40,5; 45,23f; vgl. auch Sach 2,15; Ps 22,28; Jes 25,6ff), welches durch Israel bezeugt wird. Dessen eschatologische Sendung ist es, „Licht für die Völker“ (Jes 42,6; 49,6) zu sein und die Völker zur endzeitlichen Wallfahrt nach Jerusalem zu rufen (Jes 2,2ff; Mich 4,1ff). Seit der Berufung Abrahams ist mit der Geschichte Israels eine „allgemein gültige, universale Verheißung verbunden. Über Israel wird das Heil zu allen Völkern gelangen“19. In diese Sendung weiß sich Christus gestellt, der sich anfangs ausschließlich zum Volk Israel gesandt fühlt (Mt 10,6; 15,24).

Mit seinem nachösterlichen Missionsauftrag: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19) weitet er das ursprünglich eschatologisch verstandene Motiv der Völkerwallfahrt missionarisch auf alle Völker aus. So betont etwa der Evangelist Lukas das in Jesus aufgeschienene Licht, das nicht nur das Volk Israel, sondern „die Heiden erleuchtet“ (Lk 2,32). Und auch der Evangelist Johannes unterstreicht den Gedanken der Heilsuniversalität Jesu, wenn er Metaphern wie „Licht der Welt“ (Joh 8,12; 12,46) oder „Retter der Welt“ (Joh 4,26) auf Christus bezieht.

Sowohl in der Apostelgeschichte als auch bei Paulus lässt sich sodann der Gedanke der weltweiten, universellen Mission „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8; Röm 15,19.24) finden. Zur Kirche gehören sehr bald Juden wie Heiden, wobei der Gedanke von der Sammlung aller (Heiden-)Völker stets mit dem Gedanken der Wiederherstellung des Volkes Israels verbunden bleibt (vgl. Apg 15,13–18). Es setzt sich die Einsicht durch, dass es „keinerlei nationale, rassische, geographische, soziologische, biologische Schranken für die Aufnahme in die christliche Gemeinde geben kann, weil der in Christus sich manifestierende Versöhnungswille Gottes universal ist“20. Das universale Heilsgeschehen in Christus bringen vor allem die paulinische Lehre von der Rechtfertigung (vgl. Gal 2,15–21; Röm 3,21–31) sowie die johannäische Rede von der kosmischen Sendung Jesu zum Heil der Welt (vgl. Joh 3,16f; 12,46f; 1 Joh 4,9) zum Ausdruck.

Die sich sehr bald einstellende Universalität der frühchristlichen Gemeinden schmälert keineswegs Israels originäre heilsgeschichtliche Bedeutung und dessen eschatologische Erwählung. Im Gegenteil: Die Rückbindung der (heiden-)christlichen Kirche an die Sendung Israels wird zum Wesen ihrer universellen – im Epheser- (vgl. Eph 1,10; 1,20; 3,10) und Kolosserbrief (vgl. Kol 1,18) kosmisch ausgeweiteten – Sendung und erweist sich fortan als Merkmal ihrer Katholizität. Dass deren Sendung nicht nur ein geographisches, sondern auch ein zeitlich-universalgeschichtliches Ausmaß haben wird, lässt Paulus anklingen, wenn er davon berichtet, wie er „von Jerusalem aus in weitem Umkreis bis nach Illyrien überallhin das Evangelium Christi gebracht“ (Rom 15,19) hat und darum bemüht ist, „das Wort Gottes in seiner Fülle [zu] verkündige[n]“ (Kol 1,25).

2.2Die Heilsfülle der Kirche in der Pleroma-Theologie

Ausgefaltet wird der Gedanke von der Universalität der Kirche in der deuteropaulinischen πλήϱωμα-Theologie.21 Kolosser- und Epheserbrief bedienen sich des umgangssprachlichen Begriffs πλήϱωμα und verleihen ihm eine soteriologischekklesiologische Bedeutung. Damit wird der Gedanke vom universalen Heilsauftrag der Kirche auf ihre umfassende Heilsfülle ausgeweitet.

Auch wenn sich die jüngere Exegese schwer tut, den in Kol 1,19 verwendeten Terminus πλήϱωμα eindeutig zuzuordnen22, dürfte unumstritten sein, dass Kol 1,15–20 den Kreuzestod Jesu als eine den ganzen Kosmos umspannende Versöhnungstat wertet, die der Kirche als dem „Leib Christi“ (vgl. 1 Kor 12,12–27) wiederum eine kosmische Dimension verleiht. Dadurch kann sowohl die paulinische Völkermission als geschichtliche Antizipation der eschatologischen Sammlung des Volkes Israels verstanden als auch die ἐκκλησία als Verwirklichung bzw. geschichtliche Konkretisierung des in Christus wohnenden Heils interpretiert werden: „Denn in ihm allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes. Durch ihn seid auch ihr davon erfüllt; denn er ist das Haupt aller Mächte und Gewalten“ (Kol 2,9–10; vgl. Kol 1,24–2,5; Joh 1,14–16).

Der Epheserbrief weitet diese soteriologische Sicht der Kirche aus, wenn er dem universellen Heilsgeschehen in Christus eine ekklesiale Bedeutung beimisst. Eph 1,23 gibt dem Begriff πλήϱωμα einen ekklesiologischen Sinn: „Sie [die Kirche] ist sein Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht“ (Eph 1,23). Eph 4,13 beschreibt Ideal und Sendung einer im Innern und Äußeren gereiften Gemeinde, die den österlichen Christus abbildet, während Eph 2,14–17 das Erlösungswerk Christi als „Türöffner“ zum himmlischen Jerusalem versteht: Juden wie Heiden werden durch Christi Heilstat zu einem neuen Menschen gestaltet und erhalten „zusammen mit ihm einen Platz im Himmel“ (Eph 2,6) sowie – als „Hausgenossen Gottes“ einen direkten „Zugang zum Vater“ (Eph 2,18f).

Dieser nur äußerst knappe Einblick in die Pleroma-Theologie macht deutlich, wie die Katholizität – wenn auch nicht explizit, so doch implizit – bereits in frühchristlicher Zeit der ἐκκλησία zugeordnet wird:

„Die Kirche wird zum Raum der Heilsfülle (πλήϱωμα), durch den Christus als das Haupt über alles das All erfüllt […] [D]as ekklesiale Sosein [wird] zur bleibenden Aufgabe der geschichtlichen Kirche, die die ihr geschenkte Heilsfülle in erkennender Reflexion, sittlicher Erneuerung und missionarischer Bemühung je erst einholen muss“.23

3. Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation

In der Theologie erscheint der Begriff „katholisch“ als Theologumenon erstmals in der Väterzeit. Zunehmend dient er der Ausgestaltung des Selbstverständnisses der jungen Kirche und wird mit unterschiedlichen theologischen Inhalten gefüllt. Dies hängt vom Verständnis des im Begriff „Katholizität“ enthaltenen ὅλος ab. Je nachdem, was mit diesem „Ganzen“ ausgesagt ist, variieren auch die sich teils überschneidenden Bedeutungen der „Katholizität“. Im Folgenden seien die wesentlichen Bedeutungsvarianten in ihrer historischen Entwicklung bis zur Reformation nachgezeichnet.24

3.1Das erste Auftreten bei Ignatius von Antiochien

Als Attribut der Kirche sowie im christlichen Sprachgebrauch überhaupt tritt der Begriff „katholisch“ erstmals bei Ignatius von Antiochien auf. In seinem wohl um 110 n. Chr. verfassten Brief an die Gemeinde in Smyrna heißt es: „Wo der Bischof erscheint, da soll auch die Gemeinde sein, wie da, wo Christus Jesus sich befindet, auch die allgemeine Kirche ist.“25

Ignatius unterscheidet zwischen der allgemeinen Kirche („ἡ καθολικὴ ἐκκλησία“, „wo Christus Jesus sich befindet“) und ihren Ortskirchen („wo der Bischof erscheint“) und stellt zwischen beiden Größen eine Beziehung her. Die Entsprechung zwischen Bischof und Christus auf der einen und irdischer und himmlischer Realität der Kirche auf der anderen Seite ist für die ignatianische Theologie kennzeichnend. Es scheint unbestritten, dass Ignatius das im Kolosser- und Epheserbrief entfaltete soteriologisch-ekklesiologische Begriffsfeld von πλήϱωκα durch das bis dato nur im profanen Sprachgebrauch verwendete καθόλον ersetzte, ohne das dort Gemeinte abzumildern. Die Kirche im urbildlichen, transzendenten Sinne ist „katholisch“, das heißt heilsuniversal und heilsvollkommen, da Christus in ihr gegenwärtig ist. Katholische Kirche meint also hier primär die Universalkirche, die überall dort ist, wo Christus gegenwärtig ist.26 Die je geschichtlich-konkrete Kirche vor Ort bleibt als Abbild notwendig auf ihr Urbild, die Universalkirche, und damit auf Christus bezogen.27 „Katholisch ist die Kirche also letztlich von Christus her; in ihm ist ja Gott in seiner ganzen Fülle (πλήϱωκα) erschienen (Kol 1,19; 2,9) […]. Diese christologische Fülle ist in der vom Bischof geleiteten Ortskirche präsent. Damit gehört sowohl die christologische Begründung wie die bischöfliche Verfasstheit von Anfang an zur Katholizität der Kirche“28.

Gottes Heilswille setzt innergeschichtlich stets an einem Konkretum an. Immer richtet er sich zunächst auf eine partikuläre und sich von anderen Gruppen unterscheidende Heilsgemeinde, um durch sie und mit ihr seinem Heil universale Geltung zu verschaffen. Gottes Heilswille zielt immer schon darauf, die infolge der Sünde auseinander gebrochene Gemeinschaft aller Menschen mit ihm und untereinander wiederherzustellen. Daran mitzuwirken, ist Kirche gerufen und kraft der Katholizität auch befähigt. Die Entsprechung von partikulärer (örtlicher) Heilsgemeinde und dem universalen Heilswillen Gottes zeigt sich in der bereits bei Ignatius anklingenden universalen (katholischen) Weite der Kirche, die ihrerseits in einer unaufhebbaren Spannung zu ihrer strukturellen Form (Verhältnis von Universal- und Ortskirche) steht.29 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Begriff „Katholizität“ in seiner frühen christlichen Verwendung durch den Märtyrerbischof Ignatius eine geographische, anthropologische, soteriologische und vor allem christologische Bedeutung trägt.30 „Katholisch“ qualifiziert die Kirche als „universell“ und „umfassend“ im Sinne von „vollkommen“ und „ganz“.

Während diese Ansicht von einer Mehrheit der Theologen vertreten wird, meinen einzelne Vertreter31, bei Ignatius bereits eine offenbarungstheologische Bedeutung der Katholizität ausfindig machen zu können. Katholizität meine „die umfassende und (in der Wahrheit und in der Verbundenheit mit Christus) vollkommene Kirche, ja sogar die allein wahre Kirche“32 im Unterschied zu denjenigen Kirchen, die sich zwar Kirche nennen, aber keine im eigentlichen (orthodoxen) Sinne sind. Es bleibt herauszuheben, dass sich die Wissenschaft nicht einig darüber ist, ob der offenbarungstheologische Aspekt bereits bei Ignatius intendiert und somit seinem Begriff von „katholisch“ ein bereits polemischer Unterton gegen häretische Gruppen zu eigen ist. Peter Steinacker warnt davor, allzu voreilig spätere Füllungen des Begriffs „katholisch“ in das von Ignatius Gemeinte hineinzuinterpretieren.33 Unumstritten aber ist, dass die bei Ignatius grundgelegte Bedeutung von „katholisch“ eine „Fülle“ bzw. „Vollkommenheit“ der Kirche zum Ausdruck bringt, die sie nicht für sich behalten, sondern allen Menschen zuteil werden lassen soll: eine Fülle, die in Jesus Christus gründet und sich in der Weite der über den ganzen Erdkreis zerstreuten katholischen Kirche äußert.

Damit aber sind zwei wesentliche und in der Folgezeit an Bedeutung gewinnende Grunddimensionen der Katholizität vorgezeichnet: die quantitative (extensive) Dimension der Katholizität, die auf die universale „Weite“ und globale Ausbreitung der Kirche hinweist, sowie die qualitative (intensive) Dimension der Katholizität, die die christologisch begründete „Fülle“ und Heilsuniversalität der Kirche nach außen trägt.34 Beide Grunddimensionen zeigen sich auch im Bericht vom Martyrium des Bischofs Polykarp (um 160 n. Chr.). Dieser Bericht ist in Briefform an alle Gemeinden der (einen) heiligen katholischen Kirche an allen (vielen) Orten gerichtet.35 Da jede christliche Gemeinde in Christus ihren Hirten erkennt und an seiner Fülle teilhat, sind alle Gemeinden, so die Überzeugung des Verfassers, „katholisch“.36 Die in Christus begründete Fülle der katholischen Kirche korrespondiert mit ihrer sich über den ganzen Erdkreis erstreckenden Weite.37 Entsprechend kann Polykarp als Bischof der katholischen Kirche zu Smyrna bezeichnet werden.38 Wie sich beide Grunddimensionen der Katholizität zueinander verhalten, wird noch zu erörtern sein. Schon jetzt sei aber betont, dass das Adjektiv „katholisch“ von Anfang an eine der Kirche „in allen Verschiedenheiten sich überlegen durchsetzende[…] Identität, Kontinuität […][und] Universalität“39 anzeigt.

3.2Bedeutungserweiterung im dritten und vierten Jahrhundert