image

THEMA

Gendersensible Theologie – Ein hölzernes Eisen?

Von Saskia Wendel

Sex und Gender

Moraltheologische Überlegungen zur kritischen Funktion einer Unterscheidung Von Stephan Goertz

Begehren performativ gestalten – Beziehung verantwortlich leben.

Die Replik von Saskia Wendel auf Stephan Goertz

Wer begehrt?

Die Replik von Stephan Goertz auf Saskia Wendel

Wo sich das Selbstverständliche nicht von selbst versteht

Gender in der Pastoral Von Stefan Gärtner

PROJEKT

Geschlechtersensible Männerpastoral

Von Andreas Ruffing

INTERVIEW

Genderstudies in Theologie und Kirche sind wichtig, um Kirche und Gesellschaft in Vielfalt neu zu gestalten

Ein Gespräch mit Claudia Janssen

PRAXIS

Geschlechtersensibilität und kirchliche Engagementförderung

Von Elke Langhammer

Gender-Botschaft

Von Maria Elisabeth Aigner

Genderwahnsinn? Was will eine geschlechtssensible (Religions-)Didaktik?

Von Silvia Arzt

„Alles Denken ist Nachdenken, der Sache nachdenken.“ (Hannah Arendt)

Von Barbara Baumann

Kritisch-theologische Männerforschung

Von Björn Krondorfer

FORUM

Pastorale Andersorte?

Von Christian Bauer

Freundschaft in der Ehe

Von Katharina Westerhorstmann

POPKULTURBEUTEL

Spuren im Sofa

Von Matthias Sellmann

NACHLESE

Glosse von Wolfgang Frühwald

Impressum

Buchbesprechungen

image

Hildegard Wustmans Mitglied der Schriftleitung

Liebe Leserin, liebe Leser,

möglicherweise denken Sie bei dem Themenschwerpunkt „Gender“: muss das denn sein? Ich denke: ja, denn die Zeitschrift „Lebendige Seelsorge“ möchte Diskurse eröffnen und Kontroversen austragen, denen kirchlich nicht auszuweichen ist. Das Thema Gender ist ein aktuelles und kontrovers verhandeltes Thema in Kirche und Gesellschaft. Für die einen beschreibt Gender einen Sachverhalt mit kreativem Potential, für die anderen stellt schon das Wort eine Gefahr für die Ordnung der Dinge dar. Dies sind mehr als gute Gründe, dem Begriff Gender in Konzeption und Verwendung nachzugehen und seinen Sinn auszuloten.

Am Anfang des Heftes stehen die Beiträge von Saskia Wendel und Stephan Goertz. Sie bieten aus systematischer und moraltheologischer Perspektive Argumente für eine sachliche Debatte und zeigen auf, welche Grenzen, aber auch Potenziale die Kategorie Gender für die Theologie beinhaltet. Diese Perspektive wird in dem Beitrag von Stefan Gärtner im Feld der Pastoral fortgeführt. Dabei wird vor allem eines deutlich: die Genderthematik ist auch im Bereich der Pastoral nach wie vor nicht selbstverständlich. Maria Elisabeth Aigner befasst sich mit den Herausforderungen einer gendersensiblen Verkündigung. Elke Langhammer wendet sich in ihrem Beitrag der Frage zu, was sich zeigt, wenn innerhalb der Kirche ehrenamtliches Engagement aus der Genderperspektive in den Blick genommen wird. Auch für heranwachsende Mädchen und Jungen ist das Thema bedeutsam. Was in diesem Zusammenhang die Anliegen einer geschlechtersensiblen Religionsdidaktik sind, erläutert Silvia Arzt. Im Kontext von Beratung und Supervision ist das Thema Gender gerade auch aus sytemischer Perspektive von Bedeutung, wofür Barbara Baumann plädiert. Der Beitrag von Björn Korndorfer ist aus der Perspektive der Männerforschung geschrieben und eine gute Ergänzung zum Projekt der Männerseelsorge, das von Andreas Ruffing vorgestellt wird. Im Interview bietet die Studienleiterin des im April 2014 von der EKD eröffneten Studienzentrums für Genderfragen in Kirche und Theologie in Hannover, Claudia Janssen, inspirierende Einblicke in ihre Arbeit und das Aufgabenprofil des Studienzentrums.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und hoffe, dass Sie am Ende sagen können, dass das Thema Gender nicht eines ist, das ignoriert werden kann.

Ihre image

Prof. Dr. Hildegard Wustmans, Mitglied der Schriftleitung

Gendersensible Theologie – Ein hölzernes Eisen?

Taucht in kirchlichen Zusammenhängen gegenwärtig der Begriff „Gender“ auf, führt dies häufig zu heftigen Kontroversen; „Gender“ ist ins Arsenal kulturkämpferischer Vokabeln aufgenommen und mit der Funktion eines Platzanweisers für kirchen- wie gesellschaftspolitische „Gesäßgeographien“ in Dienst genommen worden. Es gilt jedoch, ideologisch abzurüsten und die Debatte wieder zu versachlichen – durch Begriffsklärung, durch Differenzierung zwischen unterschiedlichen Theorien, durch Auslotung von Möglichkeiten wie Markierung von Grenzen der theologischen Rezeption. Saskia Wendel

Es ist zunächst einmal wichtig zu sehen, dass der Begriff „Gender“ nicht erst durch „Gender“-Theorien kreiert wurde. Vielmehr unterschied man in Geschlechtertheorien grundsätzlich zwischen den Begriffen „sex“ und „gender“: mit „sex“ wurde die natürliche Geschlechtsidentität in ihrer binären Differenzierung von „Mann“ und „Frau“ bezeichnet, mit „gender“ die Rollenidentität, also unter dem Label „männlich“ und „weiblich“ konstruierte Rollenmuster. Diese kulturell und sozial bedingten Konstruktionen von „gender“ im Sinne von vorgegebenen Rollenidentitäten wurden dann vor allem zum Gegenstand der Kritik der Feministischen Theorien und der Frauenforschung sowie Feld der Gleichstellungspolitik unter dem Maßstab von Geschlechtergerechtigkeit. Dabei machte man auch auf die normierende Macht von Rollenmustern und „gender“-Konstruktionen und auf deren Rückwirkung auf Vorstellungen von Geschlechtsidentitäten (sex) aufmerksam, ohne jedoch die Gegebenheit der sexuellen Differenz und damit die natürliche Geschlechtsidentität grundsätzlich in Frage zu stellen.

„GENDER-TROUBLE“ ODER: VON DER MACHT DER GESCHLECHTERNORMEN

Diese These wurde nun in doppelter Hinsicht radikalisiert: zum einen wurde die einseitige Konzentration auf Frauen aufgesprengt; es wurde anerkannt, dass das Thema „Geschlechtsidentität“, „Geschlechtskonstruktion“ und „Geschlechtergerechtigkeit“ nicht nur Frauen betrifft, sondern auch Männer, denn auch diese sind ja von der normierenden Macht von „gender“-Konstruktionen betroffen. So entstand eine Erweiterung der Perspektive und zugleich eine Verschiebung weg vom „Feminismus“ alten Typs und einer damit verknüpften Identitäts- und Interessenpolitik hin zu „Gender-Mainstreaming“ und entsprechenden politischen Agenden. Mit Letzterem ist also noch gar keine „Gender“-Theorie im engeren Sinn verknüpft, sondern eine unter dem Maßstab der Geschlechtergerechtigkeit stehende Politik, in deren Fokus Frauen und Männer gleichermaßen stehen. Die Ebene von „sex“ und die damit verbundenen Problematisierungen der natürlichen Geschlechtsidentität wird also im Anliegen des „Gender-Mainstreamings“ anders als in manchen Kritiken von Gender-Theorien vermutet noch gar nicht berührt. Entsprechendes ist hinsichtlich der „gender studies“ zu sagen. Hier geht es zunächst einmal um besagte Erweiterung der Perspektive und um die Aufsprengung der Gleichsetzung „Geschlechtertheorie = Frauenthema (= Spielwiese)“ und die damit verknüpfte Konstruktion, dass „Geschlecht“ ein „weibliches“ Sonderthema ist.

Zum anderen erfolgte in radikal konstruktivistisch ausgerichteten Gendertheorien wie derjenigen der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler eine Radikalisierung der o. g. These bzgl. der normierenden Macht von „gender“-Konstruktionen. Im Anschluss an entsprechende Überlegungen des französischen Philosophen Michel Foucault geht Butler davon aus, dass das Ich nicht einfach in Diskursen situiert, sondern durch deren Vorgängigkeit konstituiert und konstruiert ist. Ebenso verhält es sich laut Butler mit dem Verständnis von „Geschlecht“: auch „Geschlecht“ sei Effekt diskursiver Praxen, und was als natürlich gegeben erscheine, wie etwa der Körper in seiner geschlechtlichen Differenzierung, sei allein Ergebnis kulturell und gesellschaftlich bedingter Benennungspraxen. Diskursive Praktiken sind Sprachhandlungen, die nicht etwa darin bestehen, eine der Sprache vorgängige Wirklichkeit zu benennen, sondern qua Sprach- und Benennungspraxis Wirklichkeit allererst zu setzen, zu erzeugen (performative Akte). Demzufolge gebe es keine natürliche Geschlechtsidentität (sex) im Unterschied zum kulturell bedingten Geschlecht (gender). So verbietet sich denn auch Butler zufolge jede Form von Identitätspolitik, die vom „Frausein“ oder einer „weiblichen“ Identität ausgeht.

DAS ICH ALS SPIELBALL DES DISKURSES?

Es wurde Butler oft vorgeworfen, dass sie den Körper bzw. materiell Gegebenes leugne. Das ist jedoch nicht der Fall. Butler hat unmissverständlich klargestellt, dass sie keineswegs die Wirklichkeit des Körpers in Frage stellt; sie leugnet nicht die Gegebenheit bestimmter Anatomien oder biologischer Prozesse, etwa die zur Fortpflanzung notwendige Verschmelzung von Sperma und Ei. Allein will sie darauf aufmerksam machen, dass wir in Bezug auf diese Vorgänge gemäß einer binären Logik Körperbilder konstruieren und so auch eine bestimmte Körperpraxis konstituieren. Und diese Kritik ist insofern berechtigt, als sie darauf aufmerksam macht, dass in unseren Annahmen über „sex“ mehr „gender“ steckt als vielfach vermutet. Das Problem von Butlers Theorie liegt daher eher in einem anderen Punkt, nämlich ihrer These von der Vorgängigkeit des Diskurses. Denn wenn das Ich nicht mehr als dem Diskurs vorgängig verstanden wird, ja nicht mehr als Akteur bestimmter Praxen, sondern es umgekehrt einer „Allmacht“ des Diskurses unterworfen ist, dann fällt ein grundlegendes Prinzip einer – von Butler selbst verfochtenen – Philosophie der Freiheit als auch ein Prinzip einer Praxis der Anerkennung als Personen. Damit aber wird das Ich zu einem bloßen Spielball des Diskurses und seiner Macht, kann sich selbst aber weder zum Diskurs verhalten noch „Gegenmacht“ erzeugen, weil es selbst über keine eigene schöpferische Kraft und Macht verfügt. Diskurse fallen nicht vom Himmel, ebenso wenig soziale Normen. Sie sind vielmehr das Resultat der Kultur setzenden, schöpferischen, kreativen Praxis des Bewusstseins. Als solche sind sie auch veränderbar und nicht quasi natürlich gegeben.

Ein zweiter problematischer Punkt in Butlers Theorie ist ihre Gleichsetzung von Leib und Körper, was dann in letzter Konsequenz auch die gänzliche Auflösung von „sex“ in „gender“ zur Folge hat. Doch gerade die Phänomenologie hat darauf aufmerksam gemacht, dass zwischen Leib und Körper zu unterscheiden ist, weil dem Leib eine Doppelstruktur eignet: auf der einen Seite ist er Ding unter Dingen und damit Objekt der Wahrnehmung, auf der anderen Seite aber derjenige, der Dinge berührt und sieht und somit selbst kein Ding. Als Ding unter Dingen ist der Leib objektivierter, verdinglichter Körper. Den Körper kann ich benennen, definieren, sezieren, analysieren. Der Körper ist somit derjenige, der in diskursive Praxen eingelassen und durch diese bestimmt wird; die kulturell bedingte Geschlechtsidentität macht sich somit am Körper fest. Aber der Leib ist mehr als nur Körper, er ist vielmehr vom Dasein und seinem Bewusstsein untrennbar. Ist dem Körper die „gender“-Dimension zuzuordnen, so dem Leib die Dimension von „sex“. Diese Differenzierung von Leib und Körper und die ihr entsprechende Differenz von „sex“ und „gender“ wird jedoch von Butler negiert. In „Reinform“ eignet sich daher diese Variante einer Gender-Theorie meiner Ansicht nach nicht zur theologischen Rezeption. Wenn man sie aber modifiziert, dann ist sie durchaus auch theologisch anschlussfähig.

DIE MÖGLICHKEIT GENDERSENSIBLER THEOLOGIE

Diese Möglichkeit einer theologischen Rezeption von Gender-Theorien ist durch anthropologische Überlegungen zur Bestimmung der Kategorie „Geschlecht“ auszuweisen, die wiederum auf bewusstseinstheoretischen Reflexionen zur Bestimmung bewussten Daseins basieren – denn Bewusstsein ist ja ein zentrales Kennzeichen menschlicher Existenz. Bewusstes Dasein vollzieht sich nun unter der Doppelstruktur von Subjekt und Person: Subjektivität bezeichnet die Einmaligkeit des je einzelnen Daseins, die mit einer „ich“-Perspektive einhergeht, Personalität die konkrete Relation zu Anderem und Anderen. Als Person hat das Dasein an diskursiven Praxen teil und übt sie selbst aus. Der gesamte Bereich des Diskursiven kommt also erst auf der Ebene der Person zum Tragen, kann aber auch erst deshalb überhaupt auftreten, weil das Dasein über eine dem Diskurs vorgängige Subjektperspektive verfügt, die es ihm ermöglicht, diskursive Praxen zu entwickeln und auszuüben. Auf der Personebene jedoch entfaltet sich das gesamte Feld an performativen, Wirklichkeit setzenden Akten und sozialen Konstruktionen, die Butler so bestechend analysiert, dabei aber vergisst, dass diese Akte einer Möglichkeitsbedingung bedürfen, die selbst nicht wiederum diskursiv erzeugt sein kann, da das zu Begründende auf diese Weise durch sich selbst erklärt werden würde.

Der Doppelstruktur von Subjekt und Person auf der Ebene des Bewusstseins entspricht auf der Ebene der Leiblichkeit die schon genannte Differenzierung von Leib und Körper. Durch den Leib ist das einzelne Dasein „zur Welt“, im Leib ist die „ich“-Perspektive vermittelt, in und durch den Leib ist das Dasein einmalig und unvertretbar. Somit sind Subjektperspektive und Leiblichkeit untrennbar miteinander verknüpft. Doch nicht nur die Subjektperspektive, sondern auch die Personperspektive kommt im Leib zum Ausdruck. Denn der Leib ist ein Vermögen, durch das Dasein sich auf Anderes hin zu öffnen und sich auf es zu beziehen; der Leib ermöglicht Relation. Subjekt- und Personperspektive sind also gleichermaßen mit der Leiblichkeit verbunden. Körper ist der Leib nun aber dann und insofern, als er als Ausdruck der Personperspektive ist. Der Leib wird zum Körper, wenn er zum Objekt von Sprachhandlungen, von performativen Akten wird. Als Teil diskursiver Praxen ist der Leib schon Körper und so sämtlichen Bedingungen und Bedingtheiten des „In-der-Welt-seins“ unterworfen, folglich auch der Macht diskursiver Praxen und den Konstruktionsmechanismen, die mit ihnen verbunden sind. Das Dasein bildet so eine personale Identität aus und entfaltet sich in eben jenem Vollzug performativer Akte.

DAS BEGEHREN

Die Leiblichkeit wurde unter anderem als ein Vermögen der Offenheit zum Anderen bezeichnet, somit als Vermögen der Relation, das in der Subjektperspektive ermöglicht, jedoch in der Personperspektive und damit auch durch den Körper allererst realisiert ist. Das impliziert nun auch einen Aspekt, der bislang noch nicht zur Sprache gekommen ist, nämlich den Aspekt des Begehrens. Das Begehren ist zwar immer Begehren von etwas oder jemandem, doch es basiert auf einem Vermögen, das selbst noch nicht auf Objekte bezogen und so noch nicht inhaltlich bestimmt ist: das Begehrungsvermögen, welches als Vermögen, nicht als Verwirklichung, mit der Leiblichkeit verbunden ist. Dem Leib ist eine Struktur des Begehrens eingeschrieben, welche das leiblich verfasste Dasein immer auch zu einem begehrenden Dasein macht. Das Dasein kann vieles begehren: Dinge, Güter, ja das Erleben bestimmter Ereignisse oder von Gefühlen. Es kann aber auch andere Personen begehren, zu denen es in Beziehung steht. Diese Beziehung erhält dann eine erotische Dimension, wenn es auch um das Begehren des Leibes der anderen Person geht. Jenes Begehren anderer Personen in der Dimension des Leibes kann nun auch als „sexuelles Begehren“ bezeichnet werden, das zum Vollzug der Existenz des bewussten Daseins in seiner Leiblichkeit hinzugehört. Erst durch dieses Begehren kann mir in der Welt überhaupt eine andere Person als erotisch anziehend erscheinen. Andere Personen werden sozusagen erst dadurch sexualisiert, dass das Dasein selbst schon über das Vermögen des Begehrens verfügt, das in der Leiblichkeit wurzelt. Dementsprechend lässt sich das sexuelle Begehren nicht allein bzw. in erster Linie dem objektivierten Körper zuzuordnen, sondern dem Leib, insofern die Leiblichkeit mehr bedeutet als „einen benennbaren Körper haben“. Dieses Begehren lässt sich nun auch mit dem Begriff „Geschlecht“ (sex) bezeichnen, und „sex“, die Geschlechtsidentität, ist dann zunächst einmal noch nicht an den objektivierten, gedeuteten Körper gebunden, sondern an den Leib und dessen Begehrungsvermögen. „Geschlecht“ im Sinne von „sex“ ist dementsprechend weder einfach mit der sexuellen Differenz identisch noch ein Gattungsbegriff zur Unterscheidung besonderer Exemplare der menschlichen Spezies in Männer und Frauen. Das funktioniert auch deshalb nicht, weil sprachliche Bezeichnungen wie etwa „männlich“ und „weiblich“ nicht mehr nur als Repräsentanten einer ihnen vorgängigen Wirklichkeit zu verstehen sind. „Sex“, sexuelles Begehren und die damit verknüpfte Geschlechtsidentität konkretisiert sich folglich allererst im personalen Verhältnis zwischen begehrendem Ich und begehrtem Anderem. „Sex“ gehört demnach nicht allein der Subjektperspektive zu – als Begehrungsvermögen, sondern auch der Personperspektive – als konkretes Begehren, das in der Beziehung zu Anderen empfunden und gelebt wird. „Sex“ gehört dem Dasein also nicht nur als Subjekt zu, sondern auch als Person. Doch genau hier kommt erneut die Differenz von Leib und Körper zum Tragen, denn in der Beziehung zu Anderen ist der Leib schon Körper mit all den bekannten Diskurspraxen und Konstruktionsmechanismen, die damit verbunden sind. Sprachhandlungen konstituieren das Verständnis des Körpers, den Blick auf den eigenen Körper und den Körper der Anderen. Körper werden bezeichnet und solcherart bestimmt. Und genau hier beginnt denn auch die Verschiebung von „sex“ in „gender“, der Transformation des Leibes als Körper entsprechend. Die „gender“-Ebene nun gilt es zu analysieren und dabei auf bestimmte Deutungen etwa von „männlich“ und „weiblich“ hinzuweisen, die sozialisationstheoretisch und handlungstheoretisch zu erklären sind.

Bewusstes Dasein wird somit zwar (als Person) durchaus durch die Macht des Diskurses bestimmt, doch es kann sich (als Subjekt) zu dieser Macht zumindest verhalten oder gar eine diskursverändernde Gegenmacht entwickeln, und dies im performativen Akt der Identitätskonstitution, von der auch „Geschlecht“ betroffen ist. „Sex“ wird also nicht einfach in „gender“ aufgelöst, sondern geht diesem etwa im Sinne des Begehrensvermögens voraus, realisiert sich jedoch quasi als „gender“ und damit auch unter den Bedingungen diskursiver Praxen und deren normierender Macht.

Diese anthropologischen Reflexionen lassen sich insofern theologisch fruchtbar machen, als bewusstes Dasein in eben jener Doppelstruktur von Subjekt/Person und Leib/Körper sich als ein letztlich Gott Verdankendes und darin als Bild Gottes verstanden werden kann. Diese Gottbildlichkeit kommt im Vollzug des Bewusstseins zum Ausdruck, und dafür ist die Unterscheidung von „männlich“ und „weiblich“ zunächst einmal gänzlich unerheblich, denn ein jedes bewusste Dasein ist Bild Gottes, unabhängig von allen Differenzen, die in der konkreten Existenz des Daseins zum Tragen kommen können. Bewusstes Dasein ist mit „sex“ begabt, also als geschlechtliches Wesen bestimmt, das Andere zu begehren vermag und von Anderen begehrt werden kann, und ihm ist die Fähigkeit verliehen, seine Existenz performativ – auch im Rückgriff auf „gender“-Bestimmungen – zu gestalten. Wie es das letztlich in Gott gründende bewusste Leben und damit auch die Dimension von „Geschlecht“ konkret realisiert, welche Rollen es dabei entwickelt und verändert, ist unbeschadet gesellschaftlicher Prägungen, denen es unterworfen ist, in seine Verantwortung gestellt.

Da nun bekanntlich jede Theologie auf Anthropologie basiert, lassen sich auch andere Felder christlicher Theologie unter Voraussetzung jener „gendersensiblen“ Anthropologie reflektieren. Diese theologische Rezeption von Gender-Theorien sollte zukünftig frei von Ideologie- bzw. Häresieverdacht und entsprechender Vorverurteilungen, ggf. auch Sanktionierungen, erarbeitet und zur Diskussion gestellt werden können. Katholikinnen und Katholiken kennen die fatalen Folgen einer im 19. Jhd. konstruierten Häresie namens „Modernismus“ – man sollte das Ganze im 21. Jhd. nicht nochmals unter anderem Label wiederholen.

Saskia Wendel