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MARTINA KREIDLER-KOS

Lebensmutig
Klara von Assisi
und ihre Gefährtinnen

Franziskanische Akzente

Für ein gottverbundenes und engagiertes Leben
Herausgegeben von Mirjam Schambeck sf und
Helmut Schlegel ofm

Band 5

Die Suche der Menschen nach Sinn und Glück ernst nehmen und Impulse geben für ein geistliches, schöpfungsfreundliches und sozial engagiertes Leben – das ist das Anliegen der Reihe „Franziskanische Akzente“.

In ihr zeigen Autorinnen und Autoren, wie Leben heute gelingen kann. Auf der Basis des Evangeliums und mit Blick auf die Fragen der Gegenwart legen sie Wert auf die typisch franziskanischen Akzente:

Achtung der Menschenwürde,
Bewahrung der Schöpfung,
Reform der Kirche und
gerechte Strukturen in der Gesellschaft.

In lebensnaher und zeitgerechter Sprache geben sie auf Fragen von heute ehrliche Antworten und sprechen darin Gläubige wie Andersdenkende, Skeptiker wie Fragende an.

MARTINA KREIDLER-KOS

Lebensmutig

Klara von Assisi
und ihre Gefährtinnen

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Herzlicher Dank der Herausgeber geht an Simone Müller für die sorgfältige und kundige Zuarbeit bei den Korrekturen sowie an die Ordensgemeinschaft der Armen Franziskanerinnen von der Heiligen Familie zu Mallersdorf für die finanzielle Unterstützung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

Inhalt

1. Lebensmut zeigen

Himmlischer Rückenwind

Lebensmutige Beterin

Ein Interview zwischen den Zeiten

Weiblicher Aufbruch in der Kirche

Weiblicher Aufbruch in Assisi

2. Lebensmut stärken

Aufs Ganze gehen

Sich die Freiheit nehmen

Was, wenn alles anders wäre?

Beten üben

Mitarbeiterinnen Gottes

Gemeinsam glauben

Das ganz normale Leben

3. Lebensmut beheimaten

Kirchenerfahrungen einer Heiligen

Kirchenträume einer Heiligen

Kirchenerfahrungen heute

4. Lebensmut schöpfen

Zu Großem sind wir berufen

Genug für alle

Anmerkungen

Zum Weiterlesen

Abkürzungsverzeichnis

1. Lebensmut zeigen

Himmlischer Rückenwind

Wenn wir von Heiligen reden, erzählen wir früher oder später von Wundern. Kein Wunder – könnte man meinen, immerhin ist für eine offizielle Heiligsprechung, außer bei Menschen, die ihr Leben für den Glauben lassen, der Nachweis von Wundern zwingend notwendig. In der Geschichte der heiligen Klara von Assisi gibt es sie auch, solche großen – und manchmal kleinen – Wunder.

Als Klara noch jung ist, vielleicht neunzehn Jahre alt, geschieht ein erstes. Es ist ein eher unscheinbares, auf alle Fälle kein spektakuläres Wunder. Genau genommen ist es nicht einmal ein erbetenes Wunder. Es geschieht so nebenbei, gewissermaßen in der Küche, auf alle Fälle mitten in der Geschäftigkeit des Alltags. In die winzige, noch immer im Aufbau begriffene Landkapelle San Damiano unterhalb der Stadt Assisi ist mit Klara und ihren Gefährtinnen im Frühsommer 1211 eine religiöse Frauengemeinschaft eingezogen. Die Schwestern arbeiten nicht für ihren Lebensunterhalt, sondern leben von dem, was die Brüder des Franziskus für sie erbetteln. Noch ist alles neu, es ist dies erst ihr zweiter Sommer. An dem Tag nun, an dem dieses frühe Wunder geschieht, herrscht eine gewisse Aufregung. Das Öl ist in der ohnehin schon kärglichen Küche ausgegangen, und zwar so gänzlich, dass sie gar nichts mehr davon hatten“ (ProKl 1,44, KQ 125). Klara bittet deshalb einen Bruder, für sie um Öl betteln zu gehen. Jener willigt ein und meint nur, er brauche noch ein Gefäß. Klara kümmert sich, wäscht einen Krug aus und stellt ihn an den verabredeten Platz, eine kleine Mauer in der Nähe der Haustür. Kaum will der Bruder los, merkt er, dass der Krug bereits randvoll ist. Auf einmal ist Öl genug da. „Und obwohl man gründlich suchte, fand man niemanden, der das Öl eingeschenkt hätte“ (ProKl 1,48, KQ 126), erzählt eine Augenzeugin. Das Staunen ist groß und die Dankbarkeit auch.

Diese Wundererzählung ist wie ein Bild für Klaras Geschichte: Diese Frau wählt die Armut und bekommt dafür die Fülle des Lebens. Sie dreht einem sicheren Platz in der Welt den Rücken zu und ihr wird Gottes tatkräftige Unterstützung geschenkt. Sie sucht die betende Abgeschiedenheit und bekommt solidarische Brüder und liebevolle Schwestern. Nicht umsonst leitet ihre treue Freundin Pacifica diese Geschichte vom Ölwunder mit den Worten ein: „Das Leben der Klara ist voller Wunder gewesen (ProKl 1,43, KQ 125). Sie hätte auch sagen können: Klara ist offen gewesen für alle Wunder des Lebens. Vermutlich war sie sogar angewiesen auf derartigen himmlischen Rückenwind. Immerhin wollte sie einen völlig neuen Weg in der Kirche gehen: radikal und gemeinschaftlich arm sollten auch Frauen – ebenso wie die Brüder um Franziskus – in der Nachfolge Christi leben können.

Lebensmutige Beterin

Klara von Assisi ist mehr als das, was man landauf, landab in ihr zu sehen meint: eine stille, zurückgezogene Beterin. Sie war eine lebensmutige Beterin und eine wagemutige Frau. Sie hat, was niemals eine geringe Sache ist, ihre eigene Berufung erkannt und sichtbar gemacht. Sie hat darüber hinaus für Generationen von Frauen dafür gesorgt, dass diese Berufung innerhalb der Kirche gelebt werden kann. Sie ist die erste Frau in der Geschichte der Kirche, die eine Ordensregel schreibt, welche offizielle päpstliche Anerkennung findet. Man könnte sogar sagen, Klara hat dem heiligen Franziskus, seinen Brüdern und der ganzen Kirche gezeigt, dass sie in ihrem Anliegen Schwestern haben. Für diesen radikal neuen Weg war Lebensmut wirklich vonnöten.

Um den Bogen gleich zu Beginn weit zu schlagen: Als Klara sechzigjährig im Sterben liegt, wachen die Schwestern traurig an ihrem Lager. Manches, was sie in diesen Stunden spricht, können sie nicht verstehen, anderes behalten sie für sich. Einige entscheidende Worte aber überliefern sie uns, vermutlich, weil sie ihnen hilfreich und kostbar erscheinen. Klara spricht sich Mut zu und ermuntert ihre Seele, auch angesichts des nahen Todes nicht stehen zu bleiben: „Geh sicher in Frieden, denn du hast ein gutes Geleit. Der, der dich erschaffen hat, hat dich zuvor schon geheiligt. Nachdem er dich erschaffen hat, hat er den Heiligen Geist in dich hineingegeben. Und immer hat er dich beschützt wie eine Mutter ihr Kind, das sie liebt“ (ProKl 3,72–73, KQ 139). Klara weiß mit ihrer ganzen Existenz, dass Gott nicht nur ins irdische Leben ruft, sondern auch ins himmlische. Und sie weiß, wie ausdauernd und liebevoll er in all dem um uns bemüht ist: wie eine Mutter um ihr Kind.

Wer nun aber meint, eine Ordensfrau des Mittelalters würde das irdische Leben vor lauter Vorfreude auf den Himmel geringschätzen, sieht sich getäuscht: Klara versteht ihr Leben als ein Geschenk – als ein kostbares, einzigartiges und unverwechselbares noch dazu: „Herr, sei gepriesen, weil du mich erschaffen hast“ (ProKl 3,74, KQ 139). Dies sagt oder besser jubelt Klara als alte, kranke Frau, deren Lebenswerk, die eigenständige und anerkannte Ordensregel, wohlgemerkt an diesem Punkt noch nicht vollendet ist. Lebensmut, das lehrt uns Klara, hat nichts mit Erfolgsaussichten zu tun, sondern mit dem Wissen, verdankt zu sein, gehalten und geheiligt. Er beginnt damit, sich glücklich zu schätzen, am Leben zu sein. Lebensmut treibt an, Neues zu wagen und nicht begangene Wege auszuprobieren. Er sieht sich beschützt und behütet auf diesen Wegen. Und Lebensmut endet nicht im Sterben, im Gegenteil. Er hilft uns, beherzt dem neuen Leben bei Gott entgegenzugehen.

Ein Interview zwischen den Zeiten

Ob wir Klaras Lebensmut heute noch etwas abgewinnen können? 800 Jahre sind eine lange Zeit. Können Menschen von heute Menschen von damals überhaupt noch verstehen? Unser Lebensgefühl, unser Denkvermögen und unsere Vorstellungskraft im dritten Jahrtausend – weichen sie nicht völlig von dem ab, was Menschen im 13. Jahrhundert geprägt und bestimmt hat? Können überhaupt Rückschlüsse gezogen werden, die in irgendeiner Weise für unser gegenwärtiges Leben Relevanz hätten?

Klara von Assisi ist eine durch die Kirche ausgewiesene Heilige. In dieser Zuordnung steckt die Zuversicht, dass diese Menschen über ihre historische Gestalt hinaus Bedeutung behalten, ja dass sie mit der jeweiligen Gegenwart in Beziehung treten können. Gläubige Menschen vertrauen darauf, dass Heilige auch und gerade über die Zeiten hinweg gefragt werden können. Nicht weil sie eine unumstößliche Botschaft für alle Zeiten hätten, sondern weil jede Zeit eigens mit ihnen in Kontakt kommen kann. Nicht umsonst wandeln sich Heiligenbilder und wandeln sich vor allem die Fragen, mit denen Menschen vor Heiligenbildern stehen. War es etwa bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts noch wichtig, dass Heilige makellos und unserer Alltagswelt geradezu enthoben erschienen, so halten wir heute nach Heiligen Ausschau, die den Alltag und das Leben kennen – nach Heiligen, die auf Erden nicht immer und von Anfang an perfekt gewesen sind und die noch andere Pläne hatten, als nur in den Himmel zu kommen. Sie erscheinen uns heute mit dieser menschlichen Seite glaubwürdiger. Das alles ist keine Modeerscheinung, sondern eine große Chance: Wir können Heilige nach dem fragen, was uns selber angeht. Auf diese Weise lässt sich mit ihrer Hilfe auch gegenwärtiges Leben meistern.

Die Schwestern erzählen im Prozess für Klaras Heiligsprechung – etwa drei Monate nach ihrem Tod, im November 1253 – es habe in ihrem kleinen Kloster einen Ort gegeben, an dem ganz normale Menschen, wenn sie wollten, „mit den Schwestern sprechen konnten“ (ProKl 4,64, KQ 147 und ProKl 7,41, KQ 156). Wir wissen nicht, wie dieser Ort beschaffen war: War damit ein kleiner Raum mit Platz für zwei Hocker, eine vergitterte Sprechöffnung in der Wand oder eine steinerne Bank innerhalb der Einfriedung des Klosters gemeint? Das ist nicht mehr zu rekonstruieren. Wir wissen nur, dass es möglich war, mit den Schwestern Kontakt aufzunehmen. Erstaunlicherweise werden dafür keine Einschränkungen formuliert. Man musste offensichtlich nicht gebildet oder besonders fromm gewesen sein, um in San Damiano Gehör zu finden, kein bestimmtes Alter oder Geschlecht haben, keiner Stadt, keinem Stand zugehörig sein. Man musste einzig die Begegnung suchen.