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Klaus Berger

Theologie als Abenteuer

Gespräche mit Veit Neumann

Mit einem Vorwort
von Wolfgang H. Spindler OP

Klaus Berger

Theologie als Abenteuer

Gespräche mit Veit Neumann

Mit einem Vorwort
von Wolfgang H. Spindler OP

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ›http://dnb.d-nb.de‹ abrufbar.

1. Auflage 2014
© 2014 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter-verlag.de
Umschlag: Peter Hellmund (Foto: KNA-Bild)
Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn (www.hain-team.de)
ISBN
978-3-429-03732-1 (Print)
978-3-429-04767-2 (PDF)
978-3-429-06182-1 (ePub)

Inhalt

Vorwort

1. Biographie ist Theologie und Theologie ist Biographie

Wozu eigentlich ein Buch mit Gesprächen ?

2. In meiner Klasse war ich immer der einzige Katholik

Wie junge Jahre das künftige Leben prägen sollten

Vorbild : „Mit Hingabe und Phantasie am Reich Gottes mitbauen“ / Konservativität : „Mich treibt ein zukunftsfähiges Konzept von Kirche an“ / Heimat : „Die Vergangenheit der Kindheit und Jugend ist immer in mir da“

3. Ich selbst wollte schon immer radikal sein

Auf der Suche nach der Erfüllung im Studium

Frustration : „Die exegetischen Lehrer strahlten Langeweile oder aktiven Unglauben aus“ / Zeitdruck : „Ich wollte die Promotion nicht mitnehmen, sondern ich suchte den Tiefgang“

4. Hier gab es endlich die theologische Wissenschaft

Das Verhängnis nimmt in München seinen Lauf

Irritation : „Die Leugnung jeder historischen Grundlage des Christentums“ / Enttäuschung : „Was ihm selbst angetan worden war, tat er anderen an“ / Bremse : „Er sagte, meine Arbeit sei häretisch, mir fehle der notwendige Antijudaismus“ / Traufe : „Bei Ulrich Wilckens weiter weg von Bultmann, dafür aber näher an Hegel“

5. Es liegt am eigenen Horizont, ob man dem Klüngel verfällt

Betrachtungen zur Theologie als Abenteuer

Bestätigung : „Von der Münchner Fakultät wäre nichts anderes zu erwarten gewesen“ / Nachwuchs : „Die geeignetsten Leute sind oft gegangen oder wurden gemobbt“ / Zukunft : „Nicht in der Diözese Hildesheim verschlissen werden“

6. Lichtblick, Rettung, Alternative zum deutschen Mief

Unkonventionelles Intermezzo im holländischen Leiden

Minimalprobleme : „Mit den Studenten war ich sehr glücklich“ / Katholiken : „Als Erste den offiziellen Atheismus mit dem Christentum versöhnt“

7. Die Berufung scheiterte an einem Tauchsieder

Von Studenten unterstützter „Sozialfall“
statt „Zauber des Anfangs“

Grenzen : „Es ging darum, Neues Testament lehren zu können und zu überleben“ / Schulen : „Hinter Bultmann und Rahner stand der ‚große Anreger‘ Martin Heidegger“ / Menschlich-Allzu-Menschliches : „In Heidelberg habe ich locker mithalten können“ / Diskussion : „Es gibt eigentlich keinen echten theologischen Streit mehr in Deutschland“

8. Aus der Wolle der exegetischen Einsichten einen Pullover stricken

Fruchtbare Jahre in Heidelberg mit verschiedenen Theologien

Anderes : „Aus Prinzip habe ich über alles Vorlesung gehalten, auch über den Judas- und den zweiten Petrusbrief“ / Zusammenleben : „Begabte Studentinnen und Studenten haben gekocht, ich selbst nicht“ / Identität : „Es ist das Schönste, wenn ich exegetisch nachdenke und die tollsten Dinge finde“

9. Der Angriff auf die Dialektische Theologie war doch humorvoll gemeint

Heidelberger Ende : Vom Versuch,
Klaus Bergers Wirkung auszulöschen

Netzwerk : „Ich verstehe mein Christsein keinesfalls konfessionalistisch verengt“ / Beschwerde : „Bei Barth darf man die Frage, ob er Freude bereitet, gar nicht erst stellen“ / Trübung : „Ein intelligenter Mensch, den man nicht gerne zum Gegner im Disput hat“ / Hinauswurf : „Ich bin froh, dass meine Gesundheit keinen tödlichen Schaden genommen hat“

10. So viele Schüler zu haben ist ein Privileg, das kein deutscher Kollege teilt

Beglückende Stunden während der Arbeit
mit den Promovenden

Pädagogik : „Ich habe meine Doktoranden immer hundertprozentig gefördert“ / Mäßigung : „Es erscheint mir wichtig, dass meine Schüler keine Ideologen sind“ / Kontakt : „Man merkt es, wenn zu runden Geburtstagen nicht mehr gratuliert wird“

11. In der Zeit des Niedergangs sollte man nicht allzu viel über Bord werfen

Judentum, Exegese, Kirchengeschichte
und der Unwille gegen das Christentum

Erfinder : „Das sind letztlich Hegels Schablonen aus dem 19. Jahrhundert“ / Vorurteil : „Nüchterne Betrachtung und Ehrlichkeit haben immer noch Chancen“ / Lehrer : „Ich habe viele protestantische Regionalbischöfe hervorgebracht, das genügt“

12. Überängstliches Karrieredenken hinter dem Mangel an Offenheit

Einen Blick für die wesentlichen Geheimnisse bekommen

Schaufel : „Am Strand verwende ich meine Zeit, um Städte aus Sand zu bauen“ / Apokalypse : „Die Kirche als Gegenöffentlichkeit zu den politisch Mächtigen“ / Rückschau : „Ich blicke überhaupt nicht zurück. Ich blicke nur nach vorne“

Personenregister

Vorwort

Die Krise der Kirche ist zuerst eine Krise der Bibelwissenschaft. Beinahe 200 Jahre sind ins Land gezogen, seit diese die Heilige Schrift und besonders das Leben Jesu „kritisch bearbeitet“ (David Friedrich Strauß). Die Wirkung ist verheerend. Indem sie in immer neuen Anläufen die historische Zuverlässigkeit biblischer Erzählungen und Personen in Frage stellt, untergräbt sie die Existenzgrundlage der christlichen Religion. Hierzulande meist an staatlichen Lehranstalten angesiedelt und mit kirchlichem Auftrag ausgestattet, beziehen ihre Vertreter Solde und Pensionen für ein fragwürdiges Geschäft. Keineswegs ist der Glaube in Europa „verdunstet“, wie in kirchlichen Kreisen verharmlosend behauptet wird, als ob wir es mit einem unvermeidlichen Naturereignis zu tun hätten. Nein, er wurde systematisch ausgehöhlt. Wozu das Selbstverständnis vieler – freilich nicht aller – Bibelwissenschaftler, das sich vom depositum fidei glaubte emanzipieren zu müssen, maßgeblich beitrug. Aus biblischer Geschichte wurden Geschichten, Ammenmärchen, religiöse Wunschprodukte. Die Christenheit inmitten der Geschichte der Antike, der Religionsgeschichte blieb lange Zeit unbeachtet. Erst die verspätete Debatte um die zwischen 1947 und 1956 gefundenen Schriftrollen bei Khirbet Qumran im Westjordanland leitete ein gewisses Umdenken ein. So wird deutlich : Mitnichten war die allseits bemühte „Naherwartung“ des eschaton das alles bestimmende, jedes Geschichtsbewusstsein tilgende Motiv der Alten Kirche.

Im Gegenteil : Das Christentum ist eine Religion, die wie keine andere auf Geschichte beruht. In ihrem Kern gründet es auf die feste Überzeugung, dass in einem bestimmten Augenblick der Geschichte des Kosmos der ewige Logos Gottes in einem Menschen namens Jesus von Nazaret „inkarniert“, das heißt „Fleisch“ (Joh 1,1.14), geschichtliche Person geworden ist. Gott wurde sterblich. Und die Person, die über den Gottmenschen das Todesurteil sprach, ist ebenso eine Gestalt der Geschichte : Pontius Pilatus, 26 bis 36 n. Chr. Präfekt der römischen Provinz Judäa. Damit sein Name nicht vergessen und der geschichtliche Kern des Christentums nicht in eine mythologische Spekulation aufgelöst würde, hat man Pilatus in die Magna Charta dieser Religion, in das christliche Glaubensbekenntnis, aufgenommen. Wie aber soll man dies (und noch viel mehr !) glauben, gar sein Leben darauf bauen können, wenn die moderne Bibelauslegung zu dem Ergebnis kommt, es sei alles ganz anders gewesen, als der blanke Buchstabe verspreche ? Wie noch an Jesus, an seine Auferstehung von den Toten glauben, wenn die Mehrzahl seiner Worte und Taten sich als „unecht“ beziehungsweise „spätere Gemeindebildung“ herausgestellt haben sollte ? Wie ihm nachfolgen, wie zu ihm beten, wenn er sich – zum Beispiel – mit der Ankündigung des Reiches Gottes noch zu Lebzeiten seiner Zuhörer (nach Mk 9,1) komplett „geirrt“ haben sollte ? Die Anzahl jener, die durch solche „Erkenntnisse“ der „aktuellen“ theologischen „Forschung“ den Glauben verloren haben, dürfte immens sein. Darunter auch Geistliche, die, wenn sie im Amt bleiben, ihren als Wissenschaft verbrämten Unglauben auf ihre Gemeinden streuen. Allein in meiner Verwandtschaft mütterlicherseits hatten von 16 Vettern und Basen vier ein Theologiestudium aufgenommen. Zwei brachen es infolge bohrender Zweifel vorzeitig ab, zwei fielen vom überlieferten Glauben ab, einer davon „glaubt“ jetzt, wie er sagt, an Friedrich Nietzsche. Familie, Gymnasium, Universität hatten ihnen nicht das Rüstzeug zu geben vermocht, mit dem man die Waffen der Kritik gegen diese selbst richten muss, will man den tatsächlichen Erkenntniswert moderner Bibelwissenschaft richtig einschätzen können.

Ihr Flaggschiff, die „historisch-kritische Methode“, ist ein typisches Produkt der (klassischen) Moderne. Wo sie religionsgeschichtliche Vergleiche zieht und die unterschiedlichen Texte des Alten wie des Neuen Testamentes mit sprachwissenschaftlichen, also text- und literarkritischen, form-, redaktions- und traditionsgeschichtlichen Mitteln untersucht, zeitigt sie bisweilen staunenswerte Ergebnisse. Doch wie die Moderne selbst ist auch die „historisch-kritische Methode“ in die Jahre gekommen. Es konnte nicht ausbleiben, dass sie nach ihrem beispiellosen Triumphzug durch die theologischen Fakultäten selbst zum Gegenstand kritischer Untersuchungen wurde. Doch das Beharrungsvermögen etablierter Institutionen und scientific communities, zu denen die Mehrheitstheologen wie kaum eine andere Zunft zusammengeschweißt sind, sorgt dafür, dass solche Arbeiten unterdrückt oder lächerlich gemacht werden. Ich erinnere mich gut, wie 1993 der Würzburger Ostkirchenkundler Hans-Joachim Schulz seine bahnbrechende, trotz „erhebliche(r) Einwände“ von Rudolf Schnackenburg, wie dieser im Vorwort schrieb, in die renommierte Herder-Reihe Quaestiones disputatae aufgenommene Studie über „Die apostolische Herkunft der Evangelien“ (3. Aufl. 1997) veröffentlicht hatte und das exegetische Establishment tat, was in der Wissenschaft seit jeher die tödlichste Waffe ist : es schwieg ! Dabei zeigte das Buch – neben der Verortung der Evangelienentstehung in die liturgisch-anamnetische Praxis der frühen Christengemeinden –, was für Historiker und Altphilologen als längst ausgemacht galt : Die tragenden Prämissen, auf denen die moderne Bibelauslegung beruht, stammen aus der Mottenkiste des 19. Jahrhunderts, das wiederum rationalistische Engführungen der Aufklärung transportiert hat. Wunder beispielsweise konnte es nicht geben, weil sie dem mechanistischen Weltbild widersprachen. Berühmt geworden ist die Sentenz des protestantischen Bibeltheologen Rudolf Bultmann, der sein Entmythologisierungsprogramm 1941 so begründete : „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klarmachen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.“ Dabei veranschaulichte Bultmanns Analogie, „existential“ betrachtet, kaum mehr, als dass der heideggernde Theologe Glühbirnen, Radiogeräte und Gerätemedizin noch Mitte des 20. Jahrhunderts für Wunder (der Technik) hielt.

Als besonders traditionalistisch erweist sich der mainstream der sog. biblischen Einleitungswissenschaft. Weil der (zweite) Tempel in Jerusalem bekanntlich im Jahr 70 n. Chr. zerstört worden ist, muss die Ankündigung Jesu, dass vom Tempel „kein Stein auf dem andern bleiben“ werde (Mk 13,2 parr.), als ein ihm von den Synoptikern Markus, Matthäus, Lukas nachträglich in den Mund gelegtes vaticinium ex eventu gewertet werden. „Die in Vers 2 enthaltene Prophetie läßt sich schwerlich auf Jesus zurückführen. Zu deutlich schildert sie den Zustand, den das Tempelgelände nach dem Römisch-Jüdischen Krieg bot“, schreibt der hochangesehene Münchner Exeget Joachim Gnilka in seinem Markus-Kommentar (4. Aufl. 1994). Will heißen : Markus lässt Jesus ankündigen, was in Wahrheit längst passiert ist – ein Täuschungsmanöver ! Ebenso die Parallelen bei Matthäus und Lukas, die Markus als Quelle nutzen. Dabei fragt sich jeder unvoreingenommene Leser, warum die Synoptiker ebengerade nicht „schildern“, sprich : veranschaulichen oder näher darstellen, was bei der – angeblich bereits vergangenen – Tempelzerstörung geschehen ist. Warum werden nur die Trümmer erwähnt, wenn doch die Tempelzerstörung als geschichtliche Katastrophe katexochen in Einzelheiten beschrieben werden könnte ? Warum lässt Markus Jesus nur wenige Verse später (13,14) dasselbe Ereignis noch einmal ankündigen, diesmal freilich in apokalyptischer Sprache (vgl. dazu Dan 9,27 ; 11,31 ; 12,11), und warum so eng verknüpft mit allerlei apokalyptisch-kosmischen Zeichen, die nach der Zerstörung des Tempels durch Titus offenkundig ausgeblieben sind ? Längst sind viele weitere Fragen und Argumente nicht zuletzt von Historikern und Klassischen Philologen zusammengetragen worden, die das bibelwissenschaftliche Dogma von der Spätdatierung aller vier Evangelien „nach 70“ – das große Tabu schlechthin – und andere Scheingewissheiten erschüttern müssten. Vergebens ! Selbst kirchenoffizielle Bibelausgaben halten am Unhaltbaren fest. Mancher wird einwenden : Spielt denn die Entstehungszeit überhaupt eine Rolle ? Die Frage nach dem terminus post quem ist deshalb so dringlich, weil Spätdatierungen im Hinblick auf Jesus als historische Person Zeitzeugenschaft ausschließen. Sie bilden das Einfallstor für allerlei „Einschübe“, „Redaktionen“, „Hinzufügungen“ und – sagen wir es deutlich – Phantastereien angeblich von „Parusieverzögerung“ gelähmter Christen und anonymer „Autorenkollektive“, die zu unterstellen manche Exegeten offenbar ungestillte Lust verspüren.

Als Absolvent der Rechtswissenschaften wunderte ich mich schon in den ersten Semestern Theologie, wie hartnäckig hier an Vorurteilen und fraglich gewordenen Prämissen festgehalten wurde. Das wäre unter Juristen undenkbar gewesen. Immerhin lernte ich so das alte Subtraktionsverfahren kennen, bei dem „Schicht um Schicht“ verschiedene „Bearbeitungen“ vor