image

Maria Elisabeth Aigner ·

Johann Pock ·

Hildegard Wustmans (Hg.)

Wie heute
predigen?

Einblicke in
die Predigtwerkstatt

image

Gefördert durch den bischöflichen Fonds

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2014

Inhalt

Vor-Wort

Grundlegungen

Maria Elisabeth Aigner / Johann Pock / Hildegard Wustmans

Wie heute predigen? Wort-Verkündigung und ihre Herausforderungen heute

Wort im Kontext

Johann Pock

Die Freude der Verkündigung. Predigt und Emotion

Anna Findl-Ludescher

Raum bereiten für die Begegnung mit dem Evangelium: Überlegungen zu einer geschlechtersensiblen Verkündigung

Friedrich Schleinzer

Trauungspredigt – ein Praxisbericht

Bibel-Worte

Maria Elisabeth Aigner

(Wort)reiche Entdeckungen – Bibliolog als gemeinschaftliche Form der Verkündigung

Hans Hütter

Bibelgespräch und Predigt

Wort und Form

Ewald Huscava

Die Predigt im kreativen Dialog mit der klassischen Rhetorik – ein inspirierendes Lernfeld

Veit Neumann

Befreiung aus dem Dasein als Mauerblümchen der Predigt. Die Floskel: Sprachwerkzeug zwischen Kreativität und Identität

Mehr als Worte

Hildegard Wustmans

Predigen und die Kunst der Präsentation

Elke Langhammer

Predigen und Kirchenraum

Christian Bauer

Predigt als Ereignis? Anmerkungen zum theologischen Nicht-Ort eines Sprechaktes

Liste der AutorInnen

Anmerkungen

Vor-Wort

In der Verkündigung geht es um die Rede von Gott. Sprache schafft Wirklichkeit. Was bedeutet beides für jene, denen die Verantwortung zukommt, zu verkündigen? Und welchen Herausforderungen stehen diejenigen gegenüber, die für die Ausbildung jener zuständig sind, die diesen Dienst verrichten?

Die richtigen Worte in eine bestimmte Situation hinein zu sprechen ist risikoreich und kann scheitern. Sie überhaupt zu finden, sie zum Ausdruck zu bringen und sich dabei ganz auszusetzen, ist die zentrale Aufgabe für jeden und jede, der/die verkündigt. Predigen kommt deshalb nicht nur einer Begabung gleich, sondern ist vor allem eine Kunst, die es zu erlernen gilt.

Die AutorInnen des vorliegenden Buches sind in Österreich in der homiletischen Ausbildung tätig, teilweise an Universitätsinstituten, teilweise in der praktischen Ausbildung in den Diözesen. Dies spiegelt die Anforderungen und Zuständigkeiten in der homiletischen Ausbildung wider: Homiletik ist einerseits ein für FachtheologInnen verpflichtendes Fach, andererseits gehört das Absolvieren einer homiletischen Ausbildung in den meisten Diözesen zu den Anstellungsbedingungen. Dieses spezifische Zueinander von Theorie und Praxis aber ist für die Predigtausbildung konstitutiv. Die Predigt ist jener Ort, wo theologisches Wissen und biografische Existenz unmittelbar und direkt aufeinandertreffen und wo sichtbar wird, ob diese Konfrontation sich kreativ und befreiend gestalten lässt oder nicht.

Die AutorInnen der Beiträge in diesem Band geben Einblick in ihre je eigenen „Predigtwerkstätten“, die sich an den jeweiligen Arbeitsstätten sehr unterschiedlich und in einer speziellen Buntheit zeigen. Es handelt sich dabei um Erprobtes und Bewährtes, aber auch um erste tastende Versuche neuer Formen, Gestalten und Ausdrucksweisen von Verkündigung. Die Texte richten sich sowohl an die „PraktikerInnen“ als auch an jene, die sich theoretisch sowie in diversen Ausbildungssettings mit homiletischen Fragen bzw. Predigt und Verkündigung auseinandersetzen.

Der rote Faden, der sich durch die Buntheit der Beiträge zieht, ist das „Wort“. Es lässt den Leser/die Leserin dort einsteigen, wo das Interesse an der jeweiligen Wort-Gestalt am größten ist. Wort im Kontext thematisiert die Freude und Lust am Predigen, lenkt den Blick auf die geschlechtersensible Verkündigung und gibt anhand einer Trauungspredigt einen direkten Einblick in die Praxis. Die Rubrik der Bibel-Worte geht einerseits der Frage nach, welche Bedeutung das Bibelgespräch für die Predigt hat und stellt andererseits eine noch ganz neue und ungewöhnliche Form der „gemeinschaftlichen Textauslegung“ – den Bibliolog – vor. Wie Wort und Form zusammenspielen, wird anhand eines kreativen Dialogs zwischen Predigt und klassischer Rhetorik sowie an der „Floskel als Sprachwerkzeug zwischen Kreativität und Identität“ aufgezeigt. Dass Predigt und Verkündigung weit über das reine Wort hinausgehen, verdeutlicht schließlich der letzte Teil des Buches, in dem es um Mehr als Worte geht. Die „Kunst der Präsentation“, der „Kirchenraum, in dem verkündigt wird“ und die „Predigt als Ereignis“ zeigen die vielschichtigen symbolischen Ordnungen auf, die in Zusammenhang mit der Rede von Gott unmittelbar wirksam werden.

Die Idee zu diesem Buch ist im Rahmen der seit mehreren Jahren stattfindenden Treffen der HomiletikerInnen in Österreich entstanden. Wie denn heutzutage angesichts der vielfältigen gesellschaftlichen und kirchlichen Herausforderungen überhaupt noch gepredigt werden kann ist eine Frage, welche die AutorInnen selbst umtreibt und zum Austausch angeregt hat. Einige erste Überlegungen dazu präsentieren sie in diesem Buch, indem sie einen Einblick in ihre Werkstatt gewähren. Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei den in der Homiletik tätigen KollegInnen bedanken, dass sie sich mit Engagement und Kreativität auf diesen Versuch eingelassen haben. Bedanken möchten wir uns auch bei den MitarbeiterInnen am Institut für Praktische Theologie in Wien, Monika Mannsbarth und Benedikt Collinet, für die sorgfältige Lektoratsarbeit.

Ein Dank gilt auch der Bischöflichen Förderung der Katholisch-Theologischen Universität Linz für ihre finanzielle Unterstützung.

Schließlich wünschen wir Ihnen, liebe Leserin/lieber Leser, viel Vergnügen bei der Wort-Lektüre. Möge sie ihren Wahrnehmungshorizont auf das so sensible und prekäre Verkündigungsgeschehen erweitern und vertiefen und die Sehnsucht nach jenem Wort schüren, das befreit.

Maria Elisabeth Aigner / Hildegard Wustmans / Johann Pock

Graz/Linz/Wien, Februar 2014

Grundlegungen

Wie heute predigen?

Wort-Verkündigung und ihre Herausforderungen heute

Maria Elisabeth Aigner / Johann Pock / Hildegard Wustmans

„Mit Lissa in der Kirche. Konnte nicht beten. Die feierliche Amtssprache der Kirche klang fremd. Kunstgewerbevokabular. Glauben die Frommen, Gott höre sie nur, wenn sie beten, er habe keine Ahnung von den Worten, die sie sonst denken und sagen? Man kann sich nicht vorstellen, dass der Pfarrer erlebt hat, was er in der Predigt erzählt. Mein Leben ist in der Gebetssprache nicht mehr unterzubringen. Ich kann mich nicht mehr so verrenken. Ich habe Gott mit diesen Formeln geerbt, aber jetzt verliere ich ihn durch diese Formeln. Man macht einen magischen Geheimrat aus ihm, dessen verschrobenen Sprachgebrauch man annimmt, weil Gott ja von gestern ist.“1

Martin Walser bringt es mit seinem bereits 1960 verfassten Text auf den Punkt: Die Sprache des Pfarrers erreicht die Menschen nicht, sie ist eine andere Sprache, eine, die nicht mehr verstanden wird.

Da wird gefeiert und geredet mit dem Anspruch, Gott zu verkündigen – doch wenn betrifft es? Glaube und Leben fallen auseinander, ja schlimmer noch: durch diese formelhafte Sprache wird Gott verloren.

Verkündigung ist etwas sehr Vielschichtiges. Sie ist ganzheitlich formatiert: durch die eigene Existenz, durch das persönliche Zeugnis – und eben auch durch Worte des Glaubens und über den Glauben, die den Menschen hier und heute etwas zu sagen versuchen. Verkündigung geschieht im Kontext der Predigt im Wesentlichen durch Worte über „das Wort“, den „Logos“, das fleischgewordene Wort Gottes.

Nicht erst seit dem expliziten Auftrag zur Evangelisierung durch Papst Franziskus2 gehört die Verkündigung zu den fundamentalsten Aufgaben der Kirche. So definieren die österreichischen Bischöfe in einer Handreichung von 2012:

Evangelisierung „bedeutet die Verkündigung des Evangeliums, sei es durch das Lebenszeugnis, durch entsprechende Haltungen, durch Taten, Worte … Wo das Evangelium schon angekommen ist, mag es sinnvoll und angemessen sein, seine lebensrelevante Bedeutung wieder einmal aufzufrischen. Dies kann man neue Evangelisierung bzw. Neuevangelisierung nennen.“3

Unter Verkündigung „soll die explizite Weitergabe des Glaubens verstanden werden, die innerhalb der Gemeinschaft der Kirche mit ihrem ganzen Leben eng zusammenhängt, besonders aber mit dem Gottesdienst (Liturgie) und der Liebe zum Nächsten (Caritas).“ Katechese ist schließlich „ein Teilbereich der Verkündigung. Sie spricht Menschen an, die bereits eine Grundentscheidung für den Glauben getroffen haben, und eröffnet ein Verständnis für die Inhalte des Glaubens.“4

Verkündigen heißt „Zeugnis geben“ und stellt die Verkündigenden selbst unter einen sehr hohen Anspruch. Ihre Sprache wird einer Feuerprobe ausgesetzt: Handelt es sich um leere Worthülsen oder um Worte, deren Sinn und Bedeutung eine Kraft beinhaltet, die das Leben fördert und befreit?

1.Globale Herausforderungen für die Predigt

In der Predigtausbildung hat sich das Wort von der „homiletischen Großwetterlage“ eingebürgert: Es meint, dass die Predigt nicht nur auf die spezifischen Erfordernisse einer Gemeinde Rücksicht zu nehmen hat, sondern auch auf jene gesellschaftlichen, politischen, kulturellen, religiösen Entwicklungen, die einer ganzen Gesellschaft gemein sind – und die auch Auswirkungen auf die einzelnen Gemeinden haben.

Zu diesen Kennzeichen der heutigen Situation werden üblicherweise gezählt:

Die Pluralisierung der Lebenswelten – und damit auch der Gottesdienstgemeinden. Damit wird es schwieriger, generelle Lösungsvorschläge anzubieten. Die individuellen Lebensgestaltungen sind hochkomplex geworden und verlangen differenzierte Wahrnehmungsweisen. Den Individualisierungsphänomenen kann nicht mit allgemeingültigen Ratschlägen und generellen Ansätzen begegnet werden.

Die Globalisierung, die bis in den ländlichen Raum vorgedrungen ist. Auch die kleinste Gemeinde ist verbunden mit den Trends und Entwicklungen der Gesellschaft. Die „homiletische Großwetterlage“ lässt sich nicht erfassen, ohne auf jene Vorgänge aufmerksam zu sein, die sich in Wirtschaft, Politik, Kultur und Umwelt tagtäglich ereignen. Die durch das Phänomen der Globalisierung entstandenen internationalen Verflechtungen prägen nicht nur die Gesellschaft – ihre Staaten, Nationen und Institutionen, sondern werden auch zwischen den Individuen wirksam.

Die weltweite Vernetzung durch die Fülle der neuen Medien führt dazu, dass die Menschen heute schnell und überall Zugriff auf Fragen, Probleme und Ereignisse haben, die irgendwo auf der Welt geschehen. Die damit verbundenen Themen der Kommunikation und Ästhetik wirken tiefgreifend bis in den Kirchenraum hinein. Nirgends sonst wird die Frage nach den „Zeichen der Zeit“ so virulent, wie in der Verkündigung, die selbst ein Zeichen setzen will, das einerseits spürbar an den Strom christlicher Tradition angebunden ist, andererseits sich wahrnehmungssensibel menschlicher Lebensrealität nicht verschließt. Die „Zeichen der Zeit“ erkennen jene, die verkündigen, aber nur, wenn sie sich von fremden Blicken, Orten und Diskursen irritieren und provozieren lassen. Es sind jene Zeichen, die nicht von der Kirche bestimmt werden, sondern all jene Probleme und Aufgabenstellungen, die alle Menschen angehen.

2.Spezifische Herausforderungen in der Wort-Verkündigung

Das Wort wird nie kontextlos gesprochen und rezipiert. Wort-Verkündigung heißt immer die Verwendung von Sprache in einer bestimmten Kultur, heißt von einem bestimmten Ort in einen bestimmten Raum hinein zu sprechen. Der Kontext der Verkündigung ist in Österreich und Deutschland ein anderer als zum Beispiel in Afrika oder den ehemaligen Ostblockstaaten.

2.1.Die theologischen Inhalte in das „Hier und Jetzt“ setzen

Was im Gefolge des II. Vatikanums mit dem Begriff des „aggiornamento“ („Verheutigung“) ausgesagt worden ist, gilt insbesondere für die Verkündigung. Gerade im Studium der Theologie liegt ein Schwerpunkt auf der Vermittlung und Aneignung von biblischem, historischem und dogmatischem Wissen. Die Praktische Theologie und hierin vor allem die Homiletik versucht zu vermitteln, dass theologisches Wissen gewissermaßen „heruntergebrochen“ werden muss im Blick auf die konkreten HörerInnen und auf die konkreten Situationen.

Für die Predigtausbildung bedeutet dies, dass sie in Rückkoppelung bzw. im Gespräch mit den unterschiedlichen theologischen Disziplinen erfolgen sollte. Dialog bedeutet aber, dass es nicht nur um eine Vermittlung von Inhalten geht, die von Bibelwissenschaften, Dogmatik etc. vorgegeben werden. Es geht um das gemeinsame Suchen und Ringen nach Sinn und Bedeutung jener „großen Begriffe“, die die Theologie von jeher umtreiben, wie zum Beispiel Menschwerdung, Erbsünde, Schuld und Sünde, Gnade, Auferstehung, Ewiges Leben, Heil etc. Erschließende Kraft erhalten diese Begriffe dann, wenn sie durch das Prisma der eigenen Existenz laufen und auf ihre Bedeutung hin geprüft werden. Jene, die im Dienst der Verkündigung stehen, sind gefordert, mit ihrem eigenen Leben Rechenschaft darüber zu geben, ob diese Worte etwas erschließen können, ob sie Türen öffnen können für den zu bewältigenden Lebensweg. Die Kunst zu predigen bedeutet dann in einem zweiten Schritt, in einer bestimmten Präsenz und Ästhetik, die Sprache, Form und Körper mit einschließen, von diesem Erschließungsphänomen zu sprechen und zwar so, dass die Worte bei den HörerInnen landen können: intellektuell, emotional und kinästhetisch.

2.2.Die Verkündigung durch Personen anderer Muttersprache

Verkündigung hat den Anspruch, verstanden zu werden – und zwar inhaltlich wie auch in der Sprachform. Eine spezifische Herausforderung stellt daher die Verkündigung durch Personen dar, die aus anderen Kulturkreisen kommen. Sich in einer anderen Sprache als der Muttersprache zu verständigen, erfordert einen hohen Aufwand und ist bisweilen schwierig: Es geht dabei nicht nur darum, die richtige Aussprache und die richtigen Worte zu finden; um verstanden zu werden, braucht es eine intensive Übersetzungsarbeit in die anderen kulturellen Gegebenheiten. Übersetzungsarbeit gehört zum Kern jeder Verkündigung: denn auch die Bibel, das Evangelium, ist in einer anderen Sprache, die nicht unsere Muttersprache ist, verfasst. Die Übersetzungsarbeit des Evangeliums ist aber selbst am Ursprung der Verkündigung der Kirche angesiedelt.

Was jedoch von Verkündigenden anderer Muttersprache verlangt wird, ist eine doppelte Übersetzungsarbeit: Zum einen, die Botschaft des Evangeliums in die heutige Zeit, in die Situationen der Menschen zu übersetzen – und dann auch noch in die Sprachwelt der jeweiligen anderssprachigen Gemeinden. Das ist ein mühevoller Prozess, gerade zu Beginn, aber er kann auch zu wechselseitigen Entdeckungen führen. Sprachdifferenzen, andere Übersetzungsweisen und fremdklingende Wortformatierungen verlangen Auslegungsprozesse und Deutungen. Damit diesen ein Befreiungscharakter zukommt, ist in erster Linie Respekt erforderlich – Achtung vor der jeweiligen Kultur, Sprache und Biografie.

2.3.Neue pastorale Räume / Pfarrverbände

Die gegenwärtigen Umbrüche in der pastoralen Organisationslandschaft haben auch Auswirkungen auf die Verkündigung. Neue Strukturen führen dazu, dass die Priester immer weniger in einer einzelnen Pfarre bzw. Gemeinde verwurzelt und beheimatet sein können. Das Mitleben mit diesen Gemeinden nimmt ab, wodurch es schwieriger wird, in der Predigt auf konkrete Ereignisse Bezug zu nehmen. Verkündigung und pastorale Präsenz im Alltagsleben der Menschen klaffen damit immer weiter auseinander.

Priester mit mehreren Pfarrkirchen stehen dann an jedem Sonntag vor der Herausforderung, nicht nur für eine, sondern für mehrere oft sehr unterschiedliche Gemeinden eine Predigt vorzubereiten. Das aber bedeutet, dass sie entweder eine eher allgemein gehaltene Predigt halten – oder mehrere unterschiedliche Predigten vorbereiten müssen, was nicht nur zeitlich schwierig ist. Nicht selten kommt es vor, dass in einer Pfarre der normale Sonntagsgottesdienst zu feiern ist, in der anderen z.B. ein Kinder- oder Familiengottesdienst.

Eine Chance in diesen neuen Strukturen liegt darin, dass nicht mehr nur die Priester den Verkündigungsdienst in den Gottesdiensten wahrnehmen. Verkündigung geschieht vermehrt auch in Wortgottesfeiern bzw. Wortgottesdiensten, in Andachten und Segensfeiern, die von Diakonen, von Wortgottesdienst-LeiterInnen, von KatechetInnen und ReligionslehrerInnen vorbereitet und geleitet werden, verbunden mit der Verkündigung innerhalb dieses Gottesdienstes.

2.4.Unterschiedliche Predigtsituationen

Nicht nur der Wandel der gesellschaftlichen Umstände hat einen großen Einfluss auf die Predigt, sondern auch die unterschiedlichen Situationen, in denen gepredigt wird. Das gilt nicht nur für die Kasualpredigten, sondern auch für die Predigten an Sonntagen, überhaupt für jene Orte von Verkündigung, die an den kirchlichen Randzonen stattfinden.

PredigerInnen benötigen ganz unterschiedliche Kompetenzen und Begabungen. Neben einer sehr guten Kenntnis der auszulegenden Bibelstellen brauchen sie auch eine sehr gute Kenntnis der Menschen und der Gottesdienst-Kontexte. Erforderlich sind somit theologisches Fachwissen, eine achtsame Wahrnehmungssensibilität in Bezug auf menschliche Lebensrealität und ein bestimmtes ästhetisches Empfinden hinsichtlich Raum und Liturgie. Die Schriftpredigt erfordert exegetisches und systematisches Know-how. Das alleine genügt jedoch nicht. Die Archive der Tradition müssen aufgesprengt werden und sich in das Heute hinein verflüssigen. Es braucht die Berührung mit den Fragen und Sehnsüchten, Hoffnungen, Zweifeln und Ängsten der Menschen. Wer keine Ahnung hat davon, was Frauen, Männer und Kinder heute umtreibt, welchen Phänomenen sie ausgesetzt sind und was sie erwünschen und ersehnen, kann das Evangelium nicht so verkünden, dass es befreiende Kraft hat. Eine Predigt ist immer auch in den liturgischen Kontext eingebettet, manifestiert sich nicht jenseits von Raum und Atmosphäre– weshalb ein Gespräch zwischen HomiletikerInnen und LiturgikerInnen zur Predigt ein (meist noch unerfülltes) Desiderat darstellt.

Auf der anderen Seite gehört zur Situation der Predigten auch das geänderte Hörverhalten der Gottesdienst-TeilnehmerInnen, dem die Predigt Rechnung zu tragen hat. Die HörerInnen sind nicht passive RezipientInnen, die auf die Worte der Verkündigung angewiesen sind. Sie haben bereits selbst eine Geschichte mit Gott, sie sind mündig, kritisch, herausfordernd und sehnsüchtig. Die HörerInnen haben echte Fragen, wollen keine Mittelmäßigkeit, sie haben ein Recht auf Klarheit, Präzision und Authentizität.

3.Neue Ansätze in der Predigtausbildung

Frauen und Männer für den Dienst der Verkündigung vorzubereiten, erfordert angesichts der veränderten Predigtsituationen auch neue Formen der Ausbildung. In den letzten Jahren haben sich in den diversen Predigtwerkstätten spezifische Ansätze herausgebildet, von denen exemplarisch zwei im Folgenden kurz dargestellt werden.

3.1.„Werkstatt Wortverkündigung“

Die über viele Jahre unter der Federführung von Rolf Zerfaß äußerst erfolgreich konzipierten und durchgeführten „Predigtseminare“5 sind seit etlichen Jahren in unseren eigenen Lehrstätten unter dem Titel „Werkstatt Wortverkündigung“ adaptiert und zum Teil neu entwickelt worden.6 Das Konzept von Zerfaß verfolgte eine kreative und interaktive Methode, welche die Arbeit in Kleingruppen unter der Begleitung von Tutores, sowie konkrete Praxisauftritte (Predigt in Gottesdiensten) forcierte.

Die „Werkstatt Wortverkündigung“ stellt den ersten Teil eines Gesamtkonzeptes von verkündigungsorientierter Redeausbildung bzw. -weiterbildung dar und erfährt nach dem Studium eine Fortsetzung in der Predigtausbildung im Rahmen des „Pastoralpraktikums“ sowie im Rahmen eines fünfjährigen Weiterbildungsprogramms der Diözese Graz-Seckau für kirchliche MitarbeiterInnen.

Somit hat diese Werkstatt nicht mehr nur bzw. primär die Predigt im Gottesdienst als Ziel, sondern will einen Raum kreativen Übens schaffen, in dem Studierende ihre personalen Rede- und Verkündigungskompetenzen erfahren und selbstständig praktizieren können. Im Wechselspiel von Theorie- und Praxissequenzen erproben sie das Konzipieren und Praktizieren einer Rede und lernen kontextbezogenes und situationsgemäßes Sprechen zu analysieren.

Diese Form des Lernens erfordert sowohl die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen theologischen Fächern (z.B. Bibelwissenschaften, Liturgiewissenschaft, Pastoralpsychologie etc.) als auch den überfakultären Austausch mit anderen pädagogischen bzw. kommunikationswissenschaftlichen Fächern.

Gemäß ihres „Werkstattcharakters“ gibt es unterschiedliche Formen, wie diese Lehrveranstaltung durchgeführt wird. Von der Form sind Teamteachings (beispielsweise zwei Lehrende, oder Studierende als Tutores), aber auch Kleingruppen, Übungen zu zweit oder Einzelwahrnehmungsübungen möglich. Theorieeinheiten schließen sich an konkrete Praxiserfahrungen an (kleine Redeeinheiten, wie zum Beispiel das Erzählen einer Geschichte, Spiralgespräche, Spontanrede aufgrund eines gezogenen Begriffes etc., freies Sprechen in der Gruppe, Rede / Predigt im öffentlichen Raum bzw. in einem Gottesdienst). Um die biblischen Texte existentiell zu erschließen, können unterschiedliche kreative Zugänge zum Tragen kommen, wie beispielsweise Bibliodrama, Bibliolog, unterschiedliche Formen von Raumwahrnehmungsübungen, Impulse aus den Bereichen der Theaterpädagogik etc. Die Arbeit an der Präsenz (öffentliches Auftreten, Stimme, Haltung, Gestik und Mimik) wird ein zunehmend wichtiger Teil in der Predigtausbildung. Stimmtrainings, Arbeit mit TheaterpädagogInnen, Arbeit an der Bühnenpräsenz u.v.a.m. kann ein wichtiger Bestandteil im Rahmen eines Lehrveranstaltungsprozesses werden. Auch die Arbeit mit Videoaufnahmen ist eine gute Möglichkeit, die Selbst- und Fremdwahrnehmung zu schulen.

Zentral ist für diese Form des Lernens tatsächlich der „Werkstattcharakter“. „Werkstatt“ heißt, dass nichts fertig ist, dass Ungewisses geprobt, Neues ausprobiert, Altes verworfen werden kann. Ein solcher Zugang erfordert ein hohes Maß an Empathie und Wertschätzung, insofern stellt das Einüben einer respektvollen Feedbackkultur das Zentrum dieser Art und Weise des gemeinsamen Lernens und Übens dar. Durch konsequentes wertschätzendes Feedback und Sharing lernen die TeilnehmerInnen voneinander. Sie entdecken ihre ungeahnten Stärken und lernen mit ihren Schwächen umzugehen; sie erfahren, dass ihr theologisches Wissen auf dem Prüfstand steht und sie sind mit der Frage konfrontiert, wovon sie eigentlich selber leben. Die Werkstatt steht im Spannungsfeld von Theorie und Praxis und ist am Ende des Studiums bzw. am Übergang zur beruflichen Tätigkeit angesiedelt. Sie erfährt eine Weiterführung im „Pastoralpraktikum“ (in Form von Begleitung und Supervision der rhetorischen Aufgaben im pastoralen Alltag); ebenso stellt der Bereich der Predigt bzw. der öffentlichen Verkündigungs-Rede einen wichtigen Teil im fünfjährigen Weiterbildungskonzept der Diözese für ihre kirchlichen MitarbeiterInnen dar. Der Praxisbezug innerhalb der Werkstatt selbst ergibt sich durch das Einüben in die eigene Redepraxis, die Analyse exemplarischer Predigten bzw. anderer öffentlicher Reden, den Besuch von relevanten Orten öffentlicher Rede sowie das Hospitieren der Predigten/Reden von Teilnehmenden der Werkstatt.

Durch den Werkstattcharakter der Lehrveranstaltung ist es auch leicht möglich, sowohl in der aktuellen Werkstatt auf konkrete Bedürfnisse der Teilnehmenden einzugehen, als auch durch kontinuierliche Evaluierung Adaptierungen am Konzept vorzunehmen.

3.2.Predigtausbildung für Ständige Diakone7

Das II. Vatikanum hat eine Veränderung innerhalb der Ämterstruktur der Kirche gebracht. Vor allem die Einführung eines eigenständigen Diakonats, das nicht nur eine Durchgangsstufe zur Priesterweihe darstellt, hat die Landschaft des kirchlichen Amtes verändert.

Eine der zentralen Aufgaben der Ständigen Diakone stellt die Verkündigung des Evangeliums dar, wozu sie in der Weiheliturgie explizit beauftragt werden. Die Herausforderung in der Ausbildung der Ständigen Diakone besteht darin, dass hier Männer mit ganz unterschiedlichen Ausbildungen und Lebenswegen teilnehmen, im Alter von Anfang 30 bis fast 70 Jahren. Bei der Ausbildung nehmen in den genannten Diözesen nicht nur die kommenden Ständigen Diakone, sondern großteils auch ihre Ehefrauen teil.

Eine homiletische Ausbildung für diese Gruppe hat somit ein Mehrfaches zu beachten: Einerseits die unterschiedliche theologische Ausbildung der Bewerber (zwischen Fachtheologen und theologischem Fernkurs), dann die unterschiedlichen Berufe, in denen sie beschäftigt sind (da nur ein Teil im Hauptberuf in einer pastoralen Tätigkeit ist), und schließlich die verschiedenen Situationen, in denen die Diakone eingesetzt werden. Dazu kommt die sehr divergierende Erfahrung mit Rede und Sprechen im öffentlichen Raum – zwischen Lehrern und Bauern, zwischen Akademikern und Polizisten.

Das homiletische Konzept geht zunächst von den je persönlichen Vorstellungen und Erfahrungen der Verkündigung des Evangeliums aus – und traut den Bewerbern zu, über ihren Glauben auch öffentlich reden zu können. Neben den grundsätzlichen Zugängen zur „Rede von Gott in moderner Zeit“ und zur Frage einer schriftgemäßen Predigt, sowie den formalen Fragen von Predigterstellung und Predigtaufbau geht es um die ganz konkrete Arbeit an eigenen Predigten: Die Vorbereitung und das Halten einer Predigt (sowohl Schriftpredigten wie auch Kasualpredigten) sowie die Analyse einzelner gehaltener Predigten in Plenum und Kleingruppen stellen einen wesentlichen Teil der Ausbildung dar. Dabei wird vor allem versucht, die unterschiedlichen Predigtsituationen in den Blick zu nehmen, in denen die Diakone den Verkündigungsauftrag wahrnehmen werden.

4.Wortlos glücklich…? Desiderata

Im Rahmen der Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen nehmen HomiletikerInnen auch wahr, wo es im Hinblick auf die Predigt und die Predigtausbildung noch Verbesserungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten gibt. Diese Wünsche sind stark gekoppelt mit den gegenwärtigen Herausforderungen, denen all jene gegenüberstehen, die sich in den Dienst der Verkündigung genommen wissen. VerkündigerInnen haben nie „ausgelernt“ – jedes Mal, wenn sie vor den Ambo treten und ihre Stimme erheben, setzen sie sich aus. Von Gott reden heißt, eine Schwelle zu betreten, die eine große Unsicherheit mit sich bringt. Die Rede von Gott darf weder banal und lau noch drohend und herrschsüchtig sein, sie ist immer ein Versuch, der gelingen oder auch scheitern kann.

4.1.Predigtnachgespräch, Reflexion und Resonanzen

Während in der Predigtausbildung das Gespräch über die Predigt (sowohl auf inhaltlicher wie auch formaler Ebene) einen zentralen Platz einnimmt (und auch von den meisten TeilnehmerInnen als äußerst hilfreich erfahren wird), gibt es kaum eine Praxis des Predigtnachgesprächs.8 Dabei würden solche Gespräche sowohl für die HörerInnen wie auch für die PredigerInnen große Chancen bieten.

Das Gespräch – jenes davor und danach – zeigt, dass wir im Grunde nicht alleine verkündigen, sondern alle gemeinsam auf einem Weg sind. Gespräch heißt in Auseinandersetzung gehen und bleiben, heißt beidseitig sprechen und hören, bedeutet Fremdes zulassen und Vertrautes loslassen. Das Predigtnachgespräch kann für die PredigerInnen relativierend und entlastend sein, aber auch erneut herausfordern. Wenn es den wertschätzenden Charakter wahrt vermag es die Menschen in Kontakt zu halten und ihnen ein Weitersuchen und -gehen zu ermöglichen. Im gegenseitigen Austausch wird nicht nur die Predigt fortgesetzt, sondern auch das Wort Gottes „weitergeschrieben“.

Was die Art und Weise von Predigtnachgesprächen betrifft, sind Phantasie und Kreativität keine Grenzen gesetzt. Die Einladung zum Verweilen, Betrachten, eine sprachliche Reaktion zu ermöglichen ist das eine. Es könnten aber auch Resonanzen ganz anderer Art erfolgen: improvisierte Musikeinlagen, ein Tanz, eine kleine Schreibmeditation, eine Kabaretteinlage, ein Gebärdenreigen u.v.a.m.

4.2.Predigt-Weiterbildungen nach mehreren Dienstjahren

Während die Predigt-Ausbildung von allen Diözesen zumindest für die Priesteramtskandidaten, zumeist aber auch für alle TheologInnen, die in einen pastoralen Dienst treten wollen, vorgeschrieben ist, gibt es für die Weiterbildung kaum Konzepte. In einigen Fällen gibt es im Rahmen des Triennal- oder Quinquennalkurses, also in den ersten drei bis fünf Dienstjahren, kleine homiletische Schwerpunkte. Gerade für einen so zentralen Dienst wie die Verkündigung sehen die HomiletikerInnen es als wichtig an, dass es regelmäßige Angebote zur Weiterbildung gibt.

Die Formen der Weiterbildung im Bereich der Predigt können und sollen sich bunt und vielfältig gestalten. Sie sollten von den diözesan dafür Zuständigen personell und strukturell forciert werden, wenn sie ein attraktives Angebot darstellen sollen. Zentral für homiletische Weiterbildungskonzepte sind aus unserer Sicht in erster Linie das Ernstnehmen der biblischen Texte und ihre Erschließungskraft, aber auch die Liebe zu den Menschen und die möglichst gute Kenntnis der Situationen, in denen die Menschen leben, zu denen man spricht.

4.3.Leidenschaftliche Wortverkündigung

Die antiken RabbinerInnen haben davon gesprochen, dass die biblischen Texte im so genannten „schwarzen und weißen Feuer“ geschrieben sind.9 Die Texte sind im „schwarzen Feuer“ festgeschrieben – es handelt sich um tradierte, jahrhundertelang gedeutete Sätze und Wörter, die Geschichten erzählen: von Leben und Tod, Liebe und Hass, Krankheit und Heil, Gericht und Gnade. Das „weiße Feuer“ bewegt sich „zwischen den Zeilen“ – nach rabbinischer Tradition umspielt es die Buchstaben des Textes. Es handelt sich dabei um jene Gedanken, Gefühle, inneren Bilder und Assoziationen, die die Lektüre meist unbewusst begleiten und unsere Deutungen beeinflussen.

Die Rabbiner haben nicht umsonst das Bild des Feuers im Zusammenhang mit den Texten der Heiligen Schrift verwendet. Das Feuer brennt nicht von selbst, es muss entzündet werden. Seine Flammen können so klein werden, dass sie zu erlöschen drohen, oder aber so heftig lodern, dass sie alles zerstören. Brennendes Feuer wärmt, reinigt, belebt, vernichtet.

Der Umgang mit dem Wort Gottes ist nichts Harmloses. Es ist den Menschen geschenkt und anvertraut, um es zum Leben zu erwecken. Es ist zu kostbar, um es lieblos zu behandeln, zu fremd, um es zu schnell zu verstehen, zu radikal, um es leicht zu nehmen. Das Wort fordert und tröstet, verwirrt und verdeutlicht, es macht uns eng und weit zugleich.

Wer glaubt, es ganz erfasst und verstanden zu haben, ist schon auf dem Irrweg. Aber es zahlt sich aus, es immer wieder erneut zu versuchen.

Literatur

Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute, 24. November 2013 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 194), Bonn 2013.

Roelofsen, Abraham, Das Predigtnachgespräch in der Gemeinde als Element der Gemeindebildung. Eine empirische Untersuchung zur kommunikativen und theologischen Kompetenz in der Gemeinde (Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge 43), Würzburg 2000.

Verkündigung und neue Evangelisierung in der Welt von heute, hg. v. der Österreichischen Bischofskonferenz, Wien 2012.

Walser, Martin, Halbzeit, Frankfurt/M. 1960.

Zerfaß, Rolf, Spruchpredigt. Grundkurs Predigt 1, Düsseldorf 41995.

Zerfaß, Rolf, Textpredigt. Grundkurs Predigt 2, Düsseldorf 21997.

Wort im Kontext

Die Freude der Verkündigung

Predigt und Emotion

Johann Pock

„Wie beim Schauspieler mischt sich bei den Theologen der Verstand mit dem Gefühl, die Vernunft mit der Sinnlichkeit.“10

Freuen Sie sich auf die Predigt? Freuen Sie sich als Predigerin oder Prediger darauf, etwas vom eigenen Glauben einer Gemeinde weitergeben zu können? Freuen Sie sich auf erwartungsvolle Gesichter und eine lebendige Gottesdienstgemeinde? Oder leiden Sie eher daran, eine schwierige Bibelstelle auslegen zu müssen, die zündende Idee zu finden – und das Ganze für eine kleiner werdende Zuhörerschaft?

Oder von der anderen Seite her gefragt: Freuen Sie sich als GottesdienstteilnehmerIn auf die Predigt, die Sie hören werden? Oder erleben Sie auch eher dieses „Loch in der Mitte“11, dass Sie vom Gedankengang des Predigers nicht mitgenommen werden und aussteigen? Oder dass Sie sich ärgern und eigentlich widersprechen möchten? Ulrich Nembach spricht explizit davon, dass HörerInnen und PredigerInnen „Leid und Freud mit der Predigt teilen“12.

Predigen, Verkündigen, mit Freude zu verbinden, ist nicht üblich – und doch legt es ja gerade der Verkündigungsauftrag nahe: Es geht ja um nicht mehr und nicht weniger als um die Verkündigung der „frohen Botschaft“. Und es gilt allen VerkündigerInnen der paulinische Auftrag, „fröhlich mit den Fröhlichen“ und „traurig mit den Traurigen“ zu sein (vgl. Röm 12,15 und Phil 4,4).

Ich gehe in meinem Beitrag nicht auf die Vielfalt der Verkündigungssituationen ein (wie z.B. den Religionsunterricht, oder die Verkündigung durch die helfende Tat), sondern habe explizit die Wort-Verkündigung im Rahmen einer Predigt im Blick.

Eine Predigt bzw. eine Homilie dient primär dazu, den Menschen das Wort Gottes zu verkündigen bzw. auszulegen.13 Dies geschieht sowohl durch das persönliche Zeugnis der PredigerInnen, als auch durch das Vermitteln von Erkenntnissen und Überzeugungen. Auch Wort-Verkündigung geschieht dabei ganzheitlich – und deshalb sind nicht nur bei den HörerInnen Verstand, Wille und Gefühl anzusprechen, sondern auch bei den Predigenden selbst hat die Ebene des Gefühls, der Emotionen, der persönlichen Betroffenheit und Leidenschaft eine zentrale Bedeutung für die Verkündigung.

Im Folgenden soll diesem häufig missachteten Aspekt der Emotionen im Umfeld der Predigt nachgespürt werden – beginnend bei der klassischen Rhetorik bis hin zu aktuellen Konzepten für RednerInnen und PredigerInnen. Und hier ist es nicht zuletzt der Enthusiasmus des Papstes und die emotionalen Reaktionen, die gerade durch seine Predigten weltweit hervorgerufen werden, die hier anhand seines Lehrschreibens „Evangelii gaudium“ in den Blick genommen werden.

1.Theologie mit Gefühl?14

Die Emotionalität ins Spiel zu bringen, ist auf dem Feld der Homiletik (wie überhaupt in der Theologie) nicht selbstverständlich. So findet sich das Stichwort „Gefühl“ in der 3. Auflage des LThK überhaupt nicht mehr. In der 2. Auflage war zumindest noch das Stichwort angegeben – mit dem Verweis auf Affekt und Gefühl. Unter dem Stichwort „Gefühl“15 wird darauf verwiesen, dass im allgemeinen Sprachgebrauch Gefühl, Affekt und Emotion synonym verwendet werden, wobei der Mensch im Unterschied zum Denken, das eine Form der Vergewisserung darstellt, im Gefühl etwas in Bezug auf sich selbst lernt. Und während ethisch das Denken als Ort des Meinens und Urteilens und das Wollen als Ort der Handlungsausführung gesehen werden, betrachtet man das Gefühl als jene Kraft, die es braucht, damit letztlich das objektiv Gute eine Herrschaft über den Willen gewinnt. Gott erspürt man nämlich leichter mit dem Herzen als mit der Vernunft.16

Diese Gefühlsebene ist es nun aber, die für unser gegenseitiges Verstehen zentral ist. Psychologisch spricht man hier von der sogenannten „Verstehenspyramide“:17

images

Abb. 118

Hiermit wird deutlich, dass ein Großteil des Verstehens im Unterbewusstsein geschieht, wo unser Gefühl, unsere Wünsche und Interessen bzw. auch unsere Grundantriebskräfte (Selbsterhaltung, Selbstentfaltung, Selbstbestimmung) liegen.19

Auch andere Rhetorikhandbücher verweisen auf die Bedeutung der Gefühlsebene für die Überzeugungskraft einer Rede:

„Die Wirksamkeit von Argumentations-Ketten, in denen nicht nur Verstand und Wille, sondern auch das Gefühl angesprochen werden, ist unbestritten.“20

Wenn ein Hauptziel der Verkündigung darin besteht, Menschen in ihrer Erfahrungswelt zu erreichen und ihnen Horizonte des Reiches Gottes darinnen zu zeigen oder zu eröffnen, so darf dabei die Ebene der Emotionen nicht missachtet werden. Engemann beklagt zu Beginn seiner Einführung in die Homiletik zu recht, dass „die Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit der Hörer einen auffallend spärlichen Raum“21 einnimmt in den landläufigen Predigten – und dies nicht nur in den stärker biblisch ausgerichteten Predigten der protestantischen PredigerInnen. Die Bedeutung der Gefühle greift Engemann unter der Überschrift der „psychologischen und soziologischen Probleme“ auf: „Der Predigt eignet wie jeder sprachlichen Äußerung das Vermögen, sowohl Empfindungen (des Redenden) anzuzeigen als auch auf Seiten der Hörer auszulösen.“22

Er sieht aber die Problematik der Differenz zwischen den Gefühlen des Predigers, seinen Intentionen – und dem, was er tatsächlich im Hörer auslöst. Als Missstand benennt er zu Recht, dass häufig von der Kanzel her bestimmte Befindlichkeiten anempfohlen und unvermittelt aus der eigenen Rede abgeleitet werden. Dies aber setzt das Missverständnis voraus, dass eine Predigt schon in der Form der Aussage bzw. der Aufforderung auch auf der emotiven Ebene das herbeiführen könnte, wovon sie spricht. Nur weil ich von etwas Tröstlichem spreche, müssen die ZuhörerInnen noch nicht getröstet aus dem Gottesdienst gehen. Es gibt aber sehr wohl Ansätze, die diesen Aspekt der Emotionalität positiv und kreativ aufgreifen. Einer davon ist jener von Harald Schroeter-Wittke,23 der unter dem Aspekt der „Unterhaltung“ versucht, Predigten so zu gestalten, dass die Menschen nicht nur auf der Verstandesebene, sondern auch auf der emotionalen Ebene erreicht werden, ohne aber dabei die Gefahr zu übersehen, zur billigen Unterhaltung zu werden.

Für eine Theologie, die weitergegeben, verkündigt werden will, ist somit das Beachten der emotionalen Ebene unumgänglich. Einer Wort-Verkündigung stehen dazu vor allem rhetorische Mittel zur Verfügung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Emotionalität bereits in der klassischen Rhetorik eine wichtige Rolle spielte.

2.Emotionen als rhetorisches (Stil-)Mittel

Nach Aristoteles stehen einem Redner vor allem drei Mittel zur Verfügung, um den Hörer zu überzeugen: logos, ethos und pathos.

„Der Logos bringt die ‚Logik‘ der Begründung und die sachliche Argumentation ein. Dabei wird der Verstand angesprochen. Mit ethos sind die Haltung und das Auftreten eines Sprechers gemeint. Dadurch wirkt der Redner/die Rednerin glaubwürdig – oder nicht. Hier geht es also um die Aufrichtigkeit einer Person und das Vertrauen, das diese dem Zuhörer einflößt. Der pathos ist die Fähigkeit, die Zuhörer in eine bestimmte Stimmung zu versetzen. Der Pathos will Einstellungen des Hörers verändern“.24

Diesen drei Haltungen werden später drei Stilebenen zugeordnet: dem logos das docere, dem ethos das delectare, dem pathos das movere.

In der Rhetoriklehre des Aristoteles25 wird den Emotionen

„eine entscheidende Bedeutung im Hinblick auf die Frage zugemessen, ob eine argumentative Darlegung von Sachverhalten auf Resonanz bei ihren Zuhörern stösst [sic!]. Dahinter steht die lebensweltlich bedeutsame Einsicht, dass viele Menschen vor allem und zuerst auf einer emotionalen Ebene auf einen Sachverhalt reagieren und dass hierin auch die Verschiedenheit ihrer Beurteilung ein und desselben Sachverhaltes begründet ist.“26

Nach Aristoteles sind Emotionen „diejenigen ‚Dinge, durch welche sich (die Menschen), indem sie sich verändern, hinsichtlich ihrer Urteile unterscheiden‘.“27 Eine Emotion ist also eine Reaktion der Seele auf einen Einfluss auf ihre Strebedynamik, und Emotionen sind nach Aristoteles abhängig von den jeweiligen Meinungen, Überzeugungen und Urteilen der Menschen. Klein schätzt dann die Stärken und Schwächen dieses aristotelischen Modells so ein:

„Die Stärke der aristotelischen Rhetoriklehre ist es, dass sie die Rolle der emotionalen Begegnung mit einem Sachverhalt für die kognitive Urteilsbildung nicht unterschätzt oder verharmlost. … Die Schwäche der aristotelischen Rhetoriklehre zeigt sich demgemäss darin, dass sie die Emotionen auf ihre MittIerrolle für die Urteilsbildung beschränkt. Die Emotionen sind nicht Teil der Urteilsfindung.“28

Der aristotelischen Rhetorik ist daher immer wieder (wohl zu Recht) die Instrumentalisierung der Emotionen vorgeworfen worden. Ihre Leistung liegt jedoch darin, dass sie die Bedeutung der Emotionen für den rhetorischen Prozess herausgearbeitet hat.

Aber nicht nur beim Zuschauer ist die emotionale Ebene wichtig, sondern auch beim Redner selbst. Daher lautet ein klassisches Ideal der Rhetorik Ciceros: „ipse moveatur“. D.h. der Redner muss selbst „bewegt“ sein von dem, was er den ZuhörerInnen vermitteln will. In der Rhetoriklehre wird dem persönlichen Engagement des Redners eine große Bedeutung für das Gelingen einer Rede beigemessen:

„Neben aller rhetorischer Strategie kommt die oft entscheidende Bedeutung für das Gelingen oder Mißlingen von Rede wie Gespräch dem spürbaren Engagement des Sprechers zu. Der Sprecher, der Engagement, persönlichen Einsatz, seine innere Beteiligung zeigt, kann in der Regel davon ausgehen, daß eigenes Engagement, eine evtl. spürbare Begeisterung, sich auf den Hörerkreis bzw. den Gesprächspartner überträgt.“29

Dabei ist die Bandbreite der Emotionen sehr groß – und sie können je nach Situation sehr unterschiedlich sein. Michael Thiele versteht sie in seiner „Religiösen Rhetorik“ z.B.

„als ‚zeitlich begrenzte, intensive, auf ein Ziel oder Objekt gerichtete affektive Zustände, die dem betroffenen Menschen bewusst sind‘. Solche Gefühle sind beispielsweise Lust, Zorn, Ärger und Sehnsucht. Zum zweiten fallen unter die Emotionen Basisgefühle wie Liebe & Haß, Freude & Trauer, Überraschung und Verachtung, Furcht, Ekel, Wut. Zum dritten sind darunter allerdings auch diffuse Gestimmtheiten zu verstehen, die kein direktes Objekt haben, wie Melancholie, Lebensangst, Verzweiflung, Niedergeschlagenheit, Glückseligkeit.“30

Und als zentrale Aufgabe der klassischen Rhetorik und ihrer Lehre von den Affekten sieht Thiele es an, „Liebe und Haß, Freude und Trauer, Neid, Furcht und Hoffnung, Verlangen und Abscheu und andere Gefühle zu erzeugen“31. Nach Klein sind Emotionen als rhetorische Figuren aufzufassen, „in denen Phänomene des menschlichen Lebens so zur Sprache kommen, wie sie auch im Erfahrungshorizont der Angesprochenen lebendig und in ihrem Lebensvollzug prägend sind.“32 Und sie möchte „zeigen, dass ein theologisches Verständnis der Rhetorik .. den Erfahrungsbezug der Emotionen stärker in den Vordergrund stellen sollte.“33

Den Hintergrund dieses Ansatzes bildet ein Verständnis von Rhetorik, das Klein von Erne übernimmt. „Es versteht die Predigt als eine Interpretationsbewegung zwischen Religion und Alltag, zwischen kirchlicher Kommunikation und alltäglicher Lebenswirklichkeit.“34