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THEMA

Familie heute

Von Susanne Breit-Keßler

Ehe und Familie – Gemeinsam erlebt und (dennoch) konfessionell kontrovers?

Von Dorothea Sattler

Weniger Angst, mehr Mut

Die Replik von Susanne Breit-Keßler auf Dorothea Sattler

Ein „Geschenk des Himmels“, aber keine „Göttliche Stiftung“?

Die Replik von Dorothea Sattler auf Susanne Breit-Keßler

„…ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens“

Von Markus Knapp

PROJEKT

Traumpaar, Märchenhochzeit und was dann?

Bedingungen gelingender Paarbeziehung aus Sicht eines Eheberaters

Von Norbert Wilbertz

INTERVIEW

Streitet Euch!

Ein Gespräch mit Klaus Schmalzl

PRAXIS

Ehe und Öffentlichkeit

Von Thomas Ruster

Ehe als Freundschaft?

Von Michael Rosenberger

Jede Ehe ist ein Unikat

Von Werner Ruschil

Ein Impuls aus der Kirchengeschichte des Altertums zur Umfrage zur Bischofssynode 2014

Von Franz Dünzl

Sich trauen: Wegen der Stille. Eine Hochzeitspredigt

Von Klaus Müller

Gleich und gleich gesellt sich gern. Eine Hochzeitspredigt

Von Martin Ebner

Annahme, Treue, Liebe und Gottes Zusage. Eine Hochzeitspredigt

Von Benjamin Gnan

FORUM

Seelsorge in multikultureller Gesellschaft. Ein pastoraltheologischer Blick über den Gartenzaun

Von Stefan Gärtner

POPKULTURBEUTEL

(su)spendiert

Von Bernhard Spielberg

NACHLESE

Glosse von Wolfgang Frühwald

Impressum

Buchbesprechungen

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Bernhard Spielberg Mitglied der Schriftleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

„wir können ja Freunde bleiben“. Das ist einer dieser Schlusssätze, die am Ende mancher Beziehung stehen. Es könnte aber auch der Satz sein, den sich ein Paar bei seiner Hochzeit verspricht. Denn es ist eine Herausforderung, im Tagesgeschäft einer Ehe über die Jahre miteinander vertraut und befreundet zu bleiben.

Um die Kunst, ein ganzes Stück des Lebenswegs miteinander zu gehen, geht es in diesem Heft. Unser Ausgangspunkt ist nicht das Scheitern, an dem sich viele Diskussionen (berechtigterweise) entzünden, es sind auch nicht andere Formen von Partnerschaft (so interessant sie auch sind), sondern die einfache Frage, wie man Ehe heute theologisch anspruchsvoll denken und praktisch gelingend leben kann. Schließlich ist die Ehe nach wie vor die am häufigsten gewählte Lebensform. Die meisten Kinder werden in Ehen geboren. Und nicht zuletzt ist es immer noch der Tod, der den größten Teil der Ehen scheidet.

Dass die Antworten, die unsere Autorinnen und Autoren auf diese Fragen geben, keineswegs einheitlich ausfallen, zeigt, wie vital die Debatte ist: in der Kontroverse über die jüngste Orientierungshilfe der EKD, die Dorothea Sattler und Susanne Breit-Keßler führen, treten die Differenzen zwischen der katholischen und der evangelischen Perspektive hervor. Markus Knapp und Thomas Ruster eröffnen zwei unterschiedliche Zugangsweisen zum Verständnis der Sakramentalität. Und Michael Rosenberger stellt die eingangs formulierte These in Frage, nach der Ehepaare Freunde bleiben sollten. Daneben ist auch der Korb aus der Praxis reich gefüllt: unter anderem kommen mit Norbert Wilbertz und Klaus Schmalzl zwei erfahrene Eheberater zu Wort – und nicht zuletzt lassen drei renommierte Prediger in ihre homiletische Werkstatt blicken. So stecken in diesem Heft Impulse für alle, die mit der Ehe in all ihren Facetten zu tun haben – ob als Begleiter oder Beteiligte.

Übrigens wollen – so die letzte Markt-Media-Studie best for planning (b4p) – in diesem Jahr 580.000 Männer heiraten, aber nur 550.000 Frauen. Ehen sind eben von Anfang an voller Überraschungen.

Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre

Ihr

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Dr. Bernhard Spielberg, Mitglied der Schriftleitung

Familie heute

Weißes Brautkleid, schwarzer Anzug, Blumenkinder. Mann, Frau und irgendwann Kinder. Oder bunte Vielfalt – gleichgeschlechtlich liebende Menschen, Patchwork-Familien? Steht alles unter dem Segen Gottes? Susanne Breit-Keßler

Wenn wir gerecht sein wollen, müssen wir uns umschauen. Ehe und Familie lebt in vielen Formen. Katharinas Vater starb bei einem Unfall, als er mit seiner Geliebten unterwegs war. Konrads Mutter ist magersüchtig. Julias Eltern haben sich zerstritten. Daniels Erzeuger kann sich vorstellen, mit einer anderen Frau als seiner derzeitigen Lebensgefährtin eine neue Familie zu gründen. Franziska braucht Zeit, um den Wechsel aus Bosnien zu ihren Adoptiveltern nach Deutschland zu verarbeiten. Hanno und Lutz, beide über 60, haben den 42jährigen Thailänder Arm adoptiert – er ist ihnen liebevoller Sohn und Lichtblick für ihr kommendes Alter. Vater, Mutter, Kind glücklich vereint? Manch einer ist unterwegs, um den Verfall der Heiligen Familie zu bejammern. Traurig, wenn Kinder ohne Eltern dastehen oder zu Zankäpfeln in rosenkriegerischen Trennungsgeschichten werden. Manch voreilig als zukunftsträchtige Existenzform gepriesene Patchwork-Familie, die sich aus vielen Teilen zerbrochener Beziehungen zusammensetzt, verwirrt kleine Menschen mehr als dass sie ihnen ein echtes Zuhause bietet. Andere schaffen es, in einem solchen Flickerlteppich eine Geborgenheit zu vermitteln, von der manch scheinbar normale Familie nur träumen kann. Gerecht ist, wenn Alleinerziehende nicht mehr zu 40% armutsgefährdet wären, wenn nicht mehr jedes fünfte Kind bei uns in Armut lebte und durch frühe Entbehrungserfahrungen geringe Beziehungskompetenzen entwickelte. Gerecht wäre, das wollen wir, dass solche Kinder nicht Exklusion und Wertlosigkeit erfahren, sondern liebevolle Inklusion und Wertschätzung. Migrations- und Asylbewerberkinder sollen Heiterkeit erleben, Hoffnung spüren, Heimat finden. Gerechtigkeit sind Deutschkurse für Kinder und Mütter – weil Sprachkompetenz und Kommunikationsfähigkeit den Weg in die Zukunft ebnet. Wunderbar, wenn Menschen ihr Ja zueinander bekunden – vor Gott und der Welt. Großartig, wenn Eltern und Kinder füreinander einstehen – in guten und bösen Tagen. Aber: die Mutter eines 13-Jährigen sitzt wegen Totschlags an ihrem zweiten Mann seit sieben Jahren in Aichach ein. „Wir haben bis heute nicht darüber gesprochen“, sagt Tom über die Tat. „Ob er nun ins Messer gelaufen ist oder sie ihn niedergestochen hat. Kein Thema. Wenn ich etwas angestellt habe, will ich auch nicht drüber reden und blöde Sprüche hören.“ Er kämpft mit ADHS. Briefe und Fotos von Mutter Lena müssen noch sie selbst und ihren Willen zur Liebe ersetzen.

SAURE MILCH

Eltern und Kinder: die Beziehung gelingt nicht immer. „Kann man Familienleben nicht mit Milch vergleichen“, fragt Turgenjew. „Milch wird schnell sauer.“ Selbst wenn man Zynismus nicht frönt: gibt es die Heilige Familie ohne Probleme? Maria und Josef: ummunkelte Schwangerschaft, Vater trägt sich mit Fluchtgedanken, Wohnung im Obdachlosenquartier, Asyl wegen politischreligiöser Verfolgung. Später wird der Sohn von Mutter und Geschwistern als „von Sinnen“ bezeichnet. Jesus hat als Familie nicht „Blutsverwandte“ bezeichnet, sondern die, die Gottes Willen tun. Keine Heilige Familie, sondern Familie Gottes.

Menschen leben zusammen, die nicht verwandt sind; andere brauchen für ihre Beziehung kein gemeinsames Dach; die Frage „Zu mir oder zu dir?“ bekommt eine weitreichende, verbindliche Bedeutung. Neben der traditionellen Ehe und Familie gibt es unterschiedliche Wahlverwandtschaften. Zu meinem engsten Freundeskreis gehören vier gleichgeschlechtlich liebende und lebende Paare, mein bester Freund mit seinem Mann ist darunter. Die beiden sorgen liebevoll füreinander, stärken, trösten, streiten sich, verstehen einander und sind ein Segen für sich und ihre Umwelt. Immer bereit, für andere da zu sein. Das Zusammenleben in einer familialen Gemeinschaft wird in vielen biblischen Texten vorausgesetzt, aber nicht an sich thematisiert. Wie sich Zusammenleben gestalten kann, beschreiben Altes und Neues Testament in einer bezaubernden Buntheit: nach heutigen Begriffen gibt es Paare mit unehelichen Kindern (Maria und Josef), Patchworkkonstellationen (Abraham, Sarah und Hagar mit ihren Kindern), zusammen lebende Geschwister (Maria und Martha), tragende Beziehungen zwischen übrig bleibenden Familienmitgliedern (Rut, Orpat und Noomi). Dabei beschreiben biblische Erzählungen nie eine heile Welt.

Immer wieder erzählen sie von Konflikten zwischen Alten und Jungen, Streit zwischen Geschwistern, Verlust, Eifersucht und Scheitern als ein Teil dessen, was Leben als Paar und als Familie ausmacht. Zu lesen ist von der Freude über die gefundene Liebe, wie im Hohen Lied oder bei Isaak und Rebekka oder über die Geburt von Kindern. Dazu gehören Geschichten des Verzeihens, wie sie das Gleichnis vom Verlorenen Sohn erzählt, und von der Sorge und Verantwortung füreinander, die eine Frau bei Jesus um ihre kranke Tochter kämpfen lässt. Eine Vielfalt von Beziehungen scheint auf.

EIN GESCHENK DES HIMMELS

Deutlich ist: das Miteinander in Ehe und Familie ist wichtig, wird aber nicht verabsolutiert. Jesus entscheidet sich für ein eheloses Leben und ruft seine Jüngerinnen und Jünger auf, ihre Familien zurück zu lassen, um mit ihm zu gehen (u.a. Mk 1,19). Auch die schroffe Zurückweisung, mit der Jesus seinen Eltern schon als Junge im Tempel (Lk 2,48–50), dann später noch einmal seiner Mutter und den eigenen Brüdern begegnet (Lk 8,19–21), passt in dieses Bild. Jesus mahnt zugleich, eingegangene Fürsorge-Verpflichtungen zu erfüllen; warnt vor Ehebruch und verbietet die Scheidung (Mt 19).

Gerechtigkeit bedeutet, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und in großer Weite des Verstandes und des Herzens Leben mit anderen zu gestalten. Jeder Mensch hat Familie und wird in eine gemeinschaftliche Lebensgestalt hineingeboren. Ehe und Familie in ihrer Bedeutung zu erden, war insbesondere ein lutherisches Anliegen. Bei aller Hochschätzung als „göttlich Werk und Gebot“ erklärt Luther sie zum „weltlich Ding“. Ehe und Familie sind keine Einheit mit sakramentalem Charakter. Sie sind ein Geschenk des Himmels, aber keine göttliche Stiftung und keine Institution, die von kirchlichem Placet abhängig wäre.

Sie sind eine soziale Gemeinschaft, die in der Gemeinschaft der Gläubigen aufgeht und von ihr getragen wird. Bereits die Reformatoren betonten, dass vor allem die Liebe Gottes in Ehe und Familie eingehen und als Vorbild gelten solle. Frauen und Kinder brauchen Recht und Gerechtigkeit wie Männer, ihnen stehen auch Chancengleichheit und Fairness innerhalb der Beziehungen zu. Liebe und Gerechtigkeit in Beziehungen bieten jene Stabilisierung, die das Auf und Ab der Zuneigung aushalten lässt. Liebe und Gerechtigkeit gehören zusammen, solange sie nicht in eiskaltes Kalkül, in selbstgerechte Berechnung übergehen.

Mit der Freiheit, den Lebenspartner zu wählen, wachsen die Erwartungen an den anderen. Die Möglichkeit, sich wieder zu trennen, kann dazu führen, dass Partnerschaft voreilig auf den Prüfstand gestellt, der oder die andere an Idealbildern gemessen wird. Die Beziehungen, die dabei entstehen, erinnern eher an das Vorbild von Tauschbeziehungen, deren Verbindlichkeit aufgekündigt werden kann. Sehnsucht nach gelingender Liebe kollidiert mit der Erfahrung von Enttäuschung und Verletzung. Aber der andere dient nicht der Entfaltung, gar Erlösung des eigenen Lebens, der er nützen oder schaden kann. Das wäre ungerecht.

FREIHEIT ZUR BINDUNG

Totales Freiheitsverständnis zerstört Menschen. Wir glauben: der Mensch wird von Gott befreit aus allem, was ihn in sich selbst gefangen und klein hält, aus dem egozentrischen Kreisen um sich selbst. Aus dem Glauben an diese von Gott geschenkte Freiheit heraus, können sich Menschen auf Beziehungen einlassen und Verantwortung für sich und andere übernehmen. Wir wollen das: in liebevollen Beziehung leben, auf ein Miteinander hin. Wir sehnen uns nach Zugehörigkeit. Die kirchliche Trauung, bei der sich Menschen in Freiheit anvertrauen, enthält das Versprechen, sich mit allen Kräften um gelingendes Miteinander zu bemühen.

Verschiedene finden zueinander, die einander als Gleiche achten. Das ermöglicht Entwicklung und Reifung. Familienbeziehungen verbinden Menschen über Generationen und Interessen hinweg. In dieser Liebe lernt man Andere und sich selbst besser kennen und verstehen, erlebt eine wachsende Verbundenheit, die Glückserfahrungen ermöglicht und in schwierigen Lebensphasen Gelassenheit gibt. Wichtig: Beziehungen sind nicht rechnerisch gerecht: Eltern, die Kinder aufgezogen haben, müssen sie vielleicht auch noch unterstützen, wenn sie erwachsen sind. Paare sorgen sich um Pflegebedürftige in der Familie. Aber auch Freiheit kann in den verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich erlebt werden: Liebe befreit die Partner aus falschen Bildern, sie bricht ichbezogene Fixierungen auf und ermöglicht es beiden, zu sich selbst zu kommen. Liebe ermöglicht eine Achtsamkeit, die den anderen mit seinen Stärken und Schwächen respektiert und ihm Entwicklung zutraut. Kinder sind in vielerlei Hinsicht abhängig von ihren Eltern und der Familie. Ihnen zu vermitteln, dass sie trotz dieser Angewiesenheit ihren eigenen Weg gehen, ihr eigenes Leben erproben dürfen, kann das bleibende Vertrauen wecken, als Mensch frei und angenommen zu sein.

Umgekehrt sehen Erwachsene im Leben von Kindern Freiheit, die sie wehmütig zurücksehnen. Durch dieses Miterleben können sie sich an die von Gott immer wieder eröffnete Chance, neue Anfänge und Veränderungen zu wagen, erinnern lassen. Erwachsene haben meistens die Möglichkeit und zugleich die Pflicht, viele Entscheidungen für sich und andere zu treffen, für ihr Leben und Überleben zu sorgen. Mit diesen Freiheiten verantwortlich umzugehen, erleben viele als anspruchsvolle, manchmal beunruhigende Aufgabe. Befreiend kann dann die Erfahrung sein, vom Partner oder der Familie getragen und geliebt zu werden.

WANDLUNGSFÄHIGKEIT

Liebe und Fürsorge finden sich auch jenseits der gängigen Leitbilder. Gerade in der Vielfalt und Wandlungsfähigkeit zeigt sich die Stärke von Familie. So können Menschen im Alter neue Freiheiten entdecken oder auch neue Verantwortungen übernehmen. Andere sind neu auf Hilfe angewiesen; das Erleben von Werden und Vergehen, von starken und schwachen Zeiten kann zu intensiver neuer Gemeinsamkeit führen. Damit Familie als generationenübergreifende Gemeinschaft existieren kann, braucht es exzellente Familienpolitik, braucht es Lobbyarbeit. Familienpolitik geht alle an.

Zum gesunden, vernünftigen Realismus eines Christenmenschen gehört immer zugleich die Lust am Besseren, daran, die Dinge hoffnungsfroh voran zu treiben und sich nicht mit den Gegebenheiten abzufinden, wie sie sind – besonders dann nicht, wenn sie nach Korrektur rufen. Familie ist nach wie vor ein Fundament des gesellschaftlichen Miteinanders. Sie steht zu Recht unter dem Schutz des Grundgesetzes. Voraussetzung für die Existenz von Familien ist, dass Menschen Verantwortung für andere übernehmen wollen und die Bereitschaft haben, Kinder aufzuziehen, Sorge zu tragen für Angehörige, die nicht für sich selber sorgen können.

Es ist nach wie vor artistisches Kunststück, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Nicht weniger Anstrengung fordert die Pflege von Angehörigen. Sie verhalten sich nicht immer so, wie Jüngere meinen, dass es gut wäre. Neben den Herausforderungen, die Pflege bedeutet, kommt die Auseinandersetzung zwischen den Generationen: Eltern brauchen wie ein Kind Hilfe von ihren Kindern. Beide können dabei gewinnen: Verbundenheit, die Fähigkeit, wechselnde Rollen zu übernehmen. Was macht Familie aus? Familie sind die Menschen, bei denen man sich geborgen weiß, auf die man sich verlassen kann.

Und die einen – gelegentlich zähneknirschend – lieben mit sämtlichen Sonnen- und Schattenseiten. Ist man damit nicht gesegnet, kann man sich Eltern und Geschwister erobern. In einem brandenburgischen Altenheim ist auch eine KiTa. Alte und Kleine begegnen sich regelmäßig – nicht immer nur zur Freude der Senioren. Es geht mal laut und albern zu und Kinder verstehen nicht alles, was die Großen sagen. Dennoch – beide sind ähnlich: ähnlich unvernünftig, eigensinnig und verträumt. Beide singen gern Lieder und wollen immer wieder dieselben Geschichten erzählen oder hören.

WE ARE FAMILY

Familie sind Menschen, die einen sein und leben lassen. Menschen, die mitlachen und weinen, die einen in Krisen stärken und bei Hoch-Zeiten auf derselben Wolke sitzen. Denen man seinerseits mütterliche, väterliche oder geschwisterliche Gefühle entgegenbringt. Für die man gerne Verantwortung übernimmt. Es stimmt, was Karl Kraus gesagt hat: „Das Wort ‚Familienbande‘ hat einen Beigeschmack von Wahrheit.“ Ob leibliche oder Wahlverwandtschaften – sie können einem von Zeit zu Zeit gewaltig auf die Nerven gehen. Aber so unheilig das Zusammensein ab und zu ist: wahre Brüder und Schwestern, Väter, Mütter und Kinder sollten einem immer heilig sein. Die generationenübergreifende Solidarität und die Gleichberechtigung der Geschlechter sind zentrale Bestandteile eines zeitgemäß-biblischen Familienverständnisses. Partnerschaft ist dort, wo Menschen das Kriterium der Liebe und Treue an ihre Beziehung anlegen. Familie ist überall dort, wo Eltern Verantwortung für sich, füreinander, für Kinder übernehmen und diese in Liebe und Verlässlichkeit aufwachsen können. Familie ist umgekehrt auch der Ort, an dem Kinder Verantwortung lernen und sie für Eltern zu übernehmen bereit sind und tragen. An dem Menschen sich mit ihren Gaben und Fähigkeiten entwickeln dürfen, ihre Grenzen überwinden oder annehmen lernen. Form und Inhalt gehören natürlich zusammen. Die Evangelische Kirche in Deutschland hält die bewährten Formen von Ehe und Familie hoch. Aber sie weiß Form wesentlich an den Inhalt gebunden: Liebe und Verantwortung, Respekt, Fürsorge füreinander, Treue und Verlässlichkeit. Das gibt es in der klassischen Ehe – hoffentlich! –, aber auch in anderen Formen liebe- und verantwortungsvollen Zusammenlebens. Segen liegt darauf, lehrt die Bibel, wenn Menschen so miteinander leben – von Liebe bestimmt. In den Sechziger Jahren sang Lulu „I‘m a tiger”. Ungezähmte Wildheit muss nicht unser Leben charakterisieren. Aber „stark wie ein Tiger“ wollen wir Kinder und Heranwachsende und uns selber schon sehen. Selbstbewusst, beflügelt von innerer Kraft, inspiriert vom guten Geist Gottes, der einen auch hält, wenn man schwach ist und sich elend klein fühlt. Stark wie ein Tiger, neugierig auf die Welt, zuversichtlich, fröhlich – und voller Lust, mit anderen zusammen, in welcher Konstellation auch immer, unsere Welt menschenfreundlich und gerecht zu gestalten. We are family – in der Familie und weit darüber hinaus.

Susanne Breit-Keßler

geb. 1954, Regionalbischöfin der Evang.-Luth. Landeskirche Bayern, Oberkirchenrätin im Kirchenkreis München und Oberbayern.

Ehe und Familie – Gemeinsam erlebt und (dennoch) konfessionell kontrovers?

Beobachtungen in ökumenischer Intention

Die Lebenserfahrung der Menschen ist eine wichtige Quelle für die theologische Erkenntnis. Die Rede des 2. Vatikanischen Konzils vom „sensus fidelium“ – vom „Glaubenssinn der Glaubenden“ (Lumen Gentium 12; 35) – hat im Themenbereich „Ehe und Familie“ eine besondere Bedeutung: wer darf hier mitsprechen? Wie ist die normative Bedeutung der biblischen Schriften trotz ihrer Zeitbezogenheit zu würdigen? Offene Fragen stellen sich gegenwärtig im Themenbereich „Ehe und Familie“ in allen Konfessionen. Dorothea Sattler

In großer zeitlicher Nähe zueinander befassen sich evangelische und römisch-katholische Christinnen und Christen derzeit (nicht nur in Deutschland) mit Fragen von Ehe, Familie und Partnerschaft. Ein Thema, das für viele Menschen im Alltag lebensnah präsent ist, hat an ökumenischer Bedeutung gewonnen.

ZWEI VORGÄNGE EIGENER ART

Papst Franziskus hat sich im Herbst 2013 für viele überraschend dazu entschieden, zur Vorbereitung einer Außerordentlichen Bischofssynode im Oktober 2014 eine weltweite Befragung zum Thema „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung“ in den römisch-katholischen Ortskirchen weltweit zu erbitten (vgl. die Internetseite der Deutschen Bischofskonferenz zur Bischofssynode: http://www.dbk.de/themen/bischofssynode). Dieser Vorgang ist vielfach gewürdigt worden: die Transparenz der Meinungen wird gefördert; eine Partizipation von Betroffenen ist gesichert; Tabuisierungen einzelner Themenaspekte entfallen. Die von den Bischöfen in Deutschland freimütig veröffentlichten Ergebnisse überraschen nicht: der Unterschied zwischen der römisch-katholischen kirchlichen Lehre und dem Leben der Menschen wird in einzelnen Teilthemen ganz offenkundig – insbesondere bei der Frage nach einem Zusammenleben „ad experimentum“ – der „Ehe auf Probe“; im Blick auf die Formen der selbstbestimmten Empfängnisregelung – der „Familienplanung“; in der Achtung der Menschen, die nach einer gescheiterten ersten ehelichen Beziehung erneut heiraten und am gesamten sakramentalen Leben in den Gemeinden teilhaben möchten; auch hinsichtlich der theologischen Einschätzung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

Im Sommer 2013 hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine „Orientierungshilfe“ veröffentlicht, die – so der Untertitel – die „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ möchte. Der Obertitel deutet an, welches Spannungsverhältnis dabei im Blick ist: „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ bewegen sich viele Menschen in den Familien: dem Wunsch nach selbstbestimmt und oft der Realität nach einbezogen in anspruchsvolle Sozialkontexte.