Stefanie Maria Höltgen

GESTALTEN

EUCHARISTISCHER

ANBETUNG

Bonner

Dogmatische

Studien

Band 60

Stefanie Maria Höltgen

GESTALTEN

EUCHARISTISCHER

ANBETUNG

Phänomenologische Analyse und theologische Reflexion

echter

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Teil I:
Vier Gestalten einer gelebten Theologie der eucharistischen Anbetung

1. Charles de Foucauld (1858-1916)

1.1 Ein kurzer Überblick: Sein Leben vor und nach der Bekehrung

1.2 Aspekte eucharistischer Frömmigkeit und deren Sitz im Leben von Charles de Foucauld

1.2.1 Bruder Marie-Albéric bei den Trappisten (1890-1897)

1.2.1.1 Demut: Verähnlichung mit dem bis in die Unscheinbarkeit der einzelnen Hostie hinabsteigenden Sohn

1.2.1.2 Gehorsam: Christusförmige Leibwerdung

1.2.2 Hausknecht bei den Klarissen in Nazareth (1897-1900)

1.2.2.1 Armut: Vorbereitung auf die ewige Kommunion

1.2.2.2 Erniedrigung: Befreiung vom Wahn der Autonomie

1.2.3 Marabut in der saharischen Wüste (1901-1916)

1.2.3.1 Mission: Sich aussetzen mit dem in der Hostie ausgesetzten Christus

1.2.3.2 Nächstenliebe: Inklusion in die Selbstverschenkung des eucharistischen Christus

2. Charles Péguy (1873-1914)

2.1 Ein kurzer Überblick: Sein Leben vor und nach der Bekehrung

2.2 Aspekte eucharistischer Frömmigkeit und deren Sitz im Leben von Charles Péguy

2.2.1 Gegenwart: Unterbrechung der Zeit durch die Ewigkeit

2.2.1.1 Offenbarkeit des Ewigen im Jetzt

2.2.1.2 Ruf in die Entscheidung des Jetzt

2.2.2 Einbeziehung des Anbetenden in die Hoffnung des Erlösers

2.2.2.1 Untrennbar: Die eigene Gemeinschaft mit Christus vom Himmel aller anderen

2.2.2.2 Untrennbar: Das Leiden der Erlösten vom Leiden des Erlösers

2.2.2.3 Untrennbar: Das Warten des Erlösten vom Warten des Erlösers

3. Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955)

3.1 Ein Naturwissenschaftler, der zugleich Theologe sein will

3.2 Die eucharistische Anwesenheit des Schöpfers als „Herz der Welt“

3.2.1 Die Innenseite der Materie: Unterwegs zur Anbetung ihres Schöpfers

3.2.2 Der Logos als Alpha und Omega aller geschaffenen Wirklichkeit

3.2.3 Die Eucharistie als Konsekration des Universums

3.2.3.1 Der eucharistische Christus universalis

3.2.3.2 Eucharistische Anbetung als ein Sicheinlassen auf die Anziehungskraft der Liebe Christi

3.2.3.3 Eucharistische Anbetung als fortschreitende Vereinigung mit Christus

3.2.3.4 Eucharistische Anbetung als Inklusion des Beters in die Christifizierung der Schöpfung

4. Edith Stein (1891-1942)

4.1 Ein kurzer Überblick: Ihr Leben vor und nach der Bekehrung

4.2 Die Genese einer eucharistischen Spiritualität und Theologie

4.2.1 Verwiesen auf den Grund aller Wirklichkeit

4.2.2 Begegnungen mit dem Grund aller Wirklichkeit

4.2.3 Wahrheit, die ergreift, ohne begreifbar zu sein

4.2.4 Ergriffen von der eucharistischen Liebe

4.2.4.1 Sich dem Ausgesetzten aussetzen

4.2.4.2 Inklusion in die Hingabe des Hingegebenen

4.2.4.3 Inklusion in die stellvertretende Sühne des Erlösers

Teil II:
Skizze zu einer Theologie der eucharistischen Anbetung

1. Elemente einer Christologie und Soteriologie der eucharistischen Anbetung

1.1 Exkurs: Die Jesus-Betrachtungen des Ignatius von Loyola

1.2 Untrennbarkeit der universalen Bedeutung Christi vom historischen Jesus

1.3 Die Einbeziehung des Erlösten in das Erlösungswerk des Erlösers

2. Elemente einer Ekklesiologie der eucharistischen Anbetung

2.1 Kirche als mystischer Leib Christi vom eucharistischen Leib Christi her

2.1.1 In der eucharistischen Anbetung sieht die Kirche, was sie empfängt, und sie empfängt, was sie sein soll

2.1.2 Entwürfe eucharistischer Ekklesiologie: Nicolas Afanas’ev und Joseph Ratzinger

2.1.3 Eucharistische Anbetung: Christusgemeinschaft auch der Exkommunizierten?

2.2 Kirche als Sakrament: nicht identisch mit dem Leib Christi, aber untrennbar von ihm

2.2.1 Die Sakramentalität des Menschseins Jesu

2.2.2 Die Sakramentalität der konsekrierten Gestalten von Brot und Wein

2.2.3 Die Sakramentalität der Kirche

2.2.4 Eucharistische Anbetung als Übersetzung der Ursakramentalität Christi in die Sakramentalität des Menschen

2.3 Die eucharistische Quelle der Katholizität der Kirche

2.3.1 Das concretum ist das Universale

2.3.2 Eucharistische Anbetung im Horizont einer Katholizität der unbedingten Bejahung des Heute

2.3.3 Eucharistische Anbetung: Einweisung des einzelnen Gläubigen und der Kirche insgesamt in die inkarnatorische Bewegung von oben nach unten

2.4 Die eucharistische Quelle des sensus fidei und des consensus fidelium

2.4.1 Eucharistische Anbetung als Vermittlung der persönlichexistentiellen Beziehung zu Christus (fides qua) mit der reflektierenden Betrachtung des geschichtlich bzw. sakramental vergegenwärtigten Erlösers (fides quae)

2.4.2 Eucharistische Anbetung als Berühren der Wahrheit (sensus fidei) und als Einweisung in die Verleiblichung des Erspürten (consensus fidelium)

2.4.3 Klaus Hemmerles Postulat der „Rückkehr in die Anbetung“

3. Elemente einer Eschatologie der eucharistischen Anbetung

3.1 Die unendliche Geduld Gottes

3.1.1 Die Offenbarkeit des Wartens Gottes in der Geschichte

3.1.2 Die im Warten Gottes begründete Anerkennung der Freiheit

3.1.3 Die Unbedingtheit des Wartens Gottes trotz der Schuld

3.1.4 Die bis in den Tod gehende wartende Liebe des Gekreuzigten

3.2 Hoffnung wider alle Hoffnungslosigkeit als Antwort auf das Warten Gottes

Synopse

Literaturverzeichnis

1. Quellenverzeichnis

2. Sekundärliteratur

Namensregister

Für Alfons und Christel Steiner

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn als Dissertation angenommen. Für die Publikation habe ich an einigen Stellen Präzisierungen und stilistische Glättungen vorgenommen.

Von ganzem Herzen möchte ich mich bei all jenen Menschen bedanken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben und die mich auf meinem Weg sowohl theologisch als auch emotional unterstützt haben.

Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater und Erstgutachter Prof. em. Dr. Karl-Heinz Menke, der mich über Jahre hinweg geduldig und bereichernd begleitet hat. Außerdem danke ich für ihre tatkräftige Unterstützung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls für Pastoraltheologie der Universität Bonn, insbesondere meinem Chef und Zweitgutachter Prof. Dr. Jörg Seip. Ebenfalls danke ich der Universität Bonn für ihr „Promotionsstipendium im Rahmen der individuellen Graduiertenförderung“ in den ersten beiden Jahren. Ein herzliches Wort des Dankes geht an Herrn Thomas Pallowski für seine hilfreichen Korrekturen und an meine Kolleginnen und Kollegen im Mittelbau der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn für ihre Tipps und Hilfestellungen. Den Herausgebern der „Bonner Dogmatischen Studien“ danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe und den großzügigen Druckkostenzuschuss. Dankbar erinnere ich mich an viele Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen. Sie alle haben diese Arbeit auf die eine oder andere Weise mitgeprägt.

Großer Dank gilt zuletzt meinen Eltern Thomas und Maria Knapps, die mich stets ganz ohne eigene Ansprüche zu diesem Projekt ermutigt haben, sowie Gertrud und Peter Schäfer. Alle Vier haben mir mit ihrer liebevollen Betreuung meiner Kinder großzügig Zeit für die Arbeit an dieser Studie ermöglicht. Danke aber vor allem meinem Mann Timm, dessen Hilfe unverzichtbar ist.

Wachtberg, am ersten Advent des Jahres 2018,

Stefanie Maria Höltgen

Einleitung

Ab dem frühen 13. Jahrhundert häufen sich abstrus anmutende Berichte über den Wunsch der Gläubigen, die konsekrierte Hostie anschauen zu können: befremdend aus unserer heutigen Perspektive. So wird zum Beispiel erzählt, wie die Menschen Löcher in die Kirchentüren bohren, um die Hostie während der Elevation sehen zu können. Wie sie von Altar zu Altar eilen, um die Elevation so häufig wie möglich miterleben zu können, ohne an der Eucharistiefeier als ganzer teilzuhaben. Wie man sogar Pferde den Kopf in ein Loch in der Kirchenmauer stecken lässt, damit sie den Leib Christi anschauen können. Die Karmeliter mahnen, den Blick auf die Hostie nicht durch Weihrauchwolken zu verschleiern, kranke Ordensschwestern lassen sich täglich zum Schauen der Hostie in die Kirche tragen und in Klöstern öffnen sich eigens für das Erleben der Elevation eingerichtete Fenster. Im 16. Jahrhundert spannt man mancherorts sogar ein schwarzes Tuch vor den Altar, damit die weiße Hostie vor diesem Hintergrund für die Gläubigen besser zu sehen ist1. Wovon diese Geschichten berichten, ist die Entstehung des Kultes der eucharistischen Anbetung, einer Praxis, die den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel im Laufe der Kirchengeschichte sowohl überdauert hat als auch diesen in ihrer jeweiligen Ausgestaltung und Deutung widerspiegelt. Und es mag mit dem Blick auf diese Geschichten überraschen, dass das Besuchen des Allerheiligsten auch heute noch ein fester Bestandteil der Frömmigkeit vieler Gläubigen ist. Umso spannender erschien es mir, mich mit dem Thema „Eucharistische Anbetung“ auseinanderzusetzen und eine systematische Reflexion dieser gelebten Praxis des christlichen Glaubens vorzunehmen.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die eucharistische Anbetung in ihren Ursprüngen ein Zugeständnis an den verobjektivierenden und verdinglichenden Realismus der römisch-germanischen Lebens- und Denkweise ist2. Diese erweist sich in den folgenden Jahrhunderten aber nicht als Hindernis oder gar Deformierung, sondern als Erschließung des Wesens der Eucharistie. Zwar wird den eucharistischen Gestalten von Anfang an eine tiefe Verehrung zuteil3, dennoch wird die Frage nach einer Notwendigkeit zur Aufbewahrung des konsekrierten Brotes schon in den ersten Jahrhunderten der frühen Kirche nicht nur kontrovers diskutiert, sondern im Allgemeinen dahingehend beantwortet, dass Reste konsekrierter Materie tunlichst zu vermeiden beziehungsweise auf ein Mindestmaß zu beschränken sind4. Otto Nußbaum stellt in der Auswertung zahlreicher historischer Quellen heraus, dass in der alten Kirche zunächst die dies liturgici ein Grund waren, die eucharistischen Gestalten aufzubewahren5. Wenngleich dieser Aufbewahrungsgrund zeitlich dem Viaticum voraus liegt, ist dieses bald schon der erste und ursprüngliche Zweck, die eucharistische Materie überhaupt aufzubewahren6. Die Verehrung selbst lieferte also keinen unmittelbaren Grund zur Entstehung der Aufbewahrung der Eucharistie. Im Gegenteil: die Aufbewahrung der Eucharistie zum Zwecke der Wegzehrung und Krankenkommunion war schon lange allgemein üblich, ehe sich eine eigene Form bzw. Praxis der eucharistischen Anbetung entwickelte. Obwohl die Ehrfurcht vor der konsekrierten Materie bereits zu Beginn des Christentums so groß war, dass man aus Angst vor Missbrauch die Aufbewahrung im privathäuslichen Bereich schließlich verbot und ab dem 10. Jahrhundert dann auch ein besonderes und sicheres Gefäß zur Aufbewahrung forderte7, tauchen erst gegen Ende des 11. Jahrhunderts erste Anzeichen einer kultischen Verehrung auf8. Es beginnt mit dieser Epoche eine Zeit, in der sich nicht nur Missbräuche magischer Art oder Wunderberichte über das eucharistische Brot häufen, sondern auch innerhalb der Theologie wird die Auseinandersetzung über das Verständnis der heiligen Eucharistie bestimmend9. Es gilt, die Häresie der Albigenser und die Irrlehre des Berengar von Tours abzuwenden, in deren Kontext die Lehre von der Transsubstantiation als Reaktion auf den Symbolismus entwickelt wird. Diese vielfältigen Faktoren bewirken sowohl in Gelehrtenkreisen als auch in der Volksfrömmigkeit der Gläubigen eine verstärkte Hinwendung auf das Geheimnis der heiligen Eucharistie. Entscheidend für das Aufkommen eines eigenen Kultes eucharistischer Verehrung ist nach Peter Browe und Otto Nußbaum jedoch die Elevation der Hostie10. Für das Aufkommen der Elevation erscheinen zwei Phänomene maßgeblich: Zum einen werden die Gläubigen ab dem 12. Jahrhundert der Eucharistie bzw. der ganzen heiligen Messfeier zunehmend entfremdet. Sie geraten räumlich, sprachlich und kultisch in eine Rolle abseits des Geschehens. Zum anderen gewinnen das Bild und seine Betrachtung an erheblicher Relevanz. Die Bildbetrachtung ermöglicht, ein intensives Nachvollziehen der Heilsgeschichte sowie Jesus Christus anverwandelt zu werden11. Parallel zu dieser mystischen Deutung des Sehens sinkt auch der Kommunionempfang stark ab; die Gründe hierfür sind gleichwohl vielfältig12. Letztendlich kommt es zu einer Fokussierung auf das sichtbare Ereignis der Wandlung, das in der Elevation der Hostie seinen symbolischen Ausdruck bekommt und das das Schauverlangen der Gläubigen befriedigen soll13. Letzteres nimmt rasch immer extremere Formen und Bemühungen an. Man will die Hostie – wie eingangs beschrieben – möglichst oft und lange sehen, um sie anbeten zu können. Der berechtigten Gefahr einer Idolatrie will man entgegenwirken, indem man auf mehreren Synoden im 13. Jahrhundert betont, dass die Hostie immer erst nach den Konsekrationsworten zu erheben ist14. Um eine angemessene Verehrung auch nach außen zum Ausdruck zu bringen, entsteht der Brauch, bei der Elevation zu knien15. Außerdem beginnt man, kurze Gebete bei der Elevation zu sprechen16. Trotz vielfacher Bemühungen von offizieller Seite um angemessene Formen der Verehrung lässt sich nicht verhindern, dass auch eine absonderliche, vom Aberglauben geprägte eucharistische Frömmigkeit aufkommt. So werden der Hostie unter anderem magische Kräfte zugesprochen wie zum Beispiel der Schutz vor Feuer, plötzlichem Tod, einer Seuche und ähnlichem mehr17. Auch andere fragwürdige, dem Aberglauben verhaftete Praktiken stellen sich ein, die häufig einer didaktischen Tendenz folgen und Gläubige entweder zu einer größeren Verehrung führen wollen oder von Missbrauch und unwürdigem Verhalten abhalten wollen18.

Die zentrale Ursache für das Entstehen eines eigenen eucharistischen Kultes ist in der Beobachtung Nußbaums vor allem die Übertragung der Bedeutung der Messfeier und des Kommunionempfangs auf das Anschauen der Hostie bei der Elevation19. Die nach einer Schau der konsekrierten Hostie verlangende Frömmigkeit verselbstständigt sich in der Folgezeit zunehmend20. Peter Browe schlussfolgert aus seinen Untersuchungen: „[…] von Anfang an war die Elevation die eindringliche liturgische Geste, die darauf hinwies, daß das Brot wahrhaft und wirklich in den Leib des Herrn gewandelt ist und angebetet werden soll. Sie war Aufforderung zur Anbetung“21.

Neben den Franziskanern und Zisterziensern, denen eine hohe Relevanz im Vorantreiben einer dezidiert eucharistischen Verehrung zugesprochen werden muss, ist es vor allem Lüttich, das im 13. Jahrhundert zu einem Zentrum der eucharistischen Lehre wird und eine eigenständige Form der Verehrung der Eucharistie herausbildet22. Auch das Fronleichnamsfest hat in Lüttich und dem dortigen Kreis der Anhänger einer eucharistischen Verehrung, mit Juliane vom Kornelienberg als Initiatorin, seinen Ursprung.

Seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert finden die ersten theophorischen Prozessionen statt, bei denen das Viaticum feierlich und mit Geleit zu den Kranken getragen wird23. Mit der Entstehung und offiziellen Einführung des Fronleichnamsfestes erhält die eucharistische Verehrung entscheidende Impulse und der Aufbewahrungsgrund auch zum Zwecke der Anbetung wird zunehmend selbstverständlich. Während sich das Fest zunächst nur von einzelnen Kirchen aus über ganze Städte (vor allem in Deutschland) und Bistümer ausbreitet, erfährt es nach der Aufnahme der Bulle Urbans IV. in die klementinische Gesetzessammlung durch Johannes XXII. im Jahre 1317 in ganz Europa Verbreitung24 und fördert enorm die eucharistische Frömmigkeit. Gleichzeitig mit dem Fronleichnamsfest entwickelt sich nun auch der Brauch, die Hostie in einem Schaugefäß ausgesetzt auf dem Altar stehen zu lassen. Zunächst geschieht dies nur in der Messe und innerhalb der Fronleichnamsoktav, doch kommt es schnell zu dem Brauch, auch darüber hinaus die heilige Eucharistie auszusetzen, was ein bedeutendes Indiz zur Verselbstständigung dieses Kultes ist25. Kritik an diesen Praktiken führte zwar mancherorts zu Reduzierungen der Aussetzungen, vor allem außerhalb der Messe und außerhalb der Fronleichnamsoktav, aber eindämmen ließen sie sich nicht mehr; die Volksfrömmigkeit und ihr Schauverlangen blieb stärker26. Das Vierzigstündige Gebet – zunächst als Grabwache gedacht – entwickelt sich schließlich zu einem Gebet vor dem Allerheiligsten27. Die Verehrung der Eucharistie wird von nun an ein zusätzlicher Aufbewahrungsgrund. Schon 1220 bestimmt das Konzil von Durham, dass während eines Versehgangs zumindest eine Hostie in der Kirche zurückbleiben muss, was später mit der Gewährleistung einer Möglichkeit der Anbetung begründet wird28. Als weitere sichtbare Zeichen für einen eigenen Kult der Anbetung nennt Nußbaum die Tatsache, dass es nun vielerorts zwei Aufbewahrungsgefäße gibt – eines für das Viaticum, eines für die Anbetung – und den Brauch, am Aufbewahrungsort ein ewiges Licht zu entzünden29. Kurz: Eucharistische Anbetung in der uns heute noch vertrauten Gestalt ist geboren. Es war wohl ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren30, die zu dieser besonderen Form eucharistischer Frömmigkeit führten, und es tritt in den Untersuchungen Browes und Nußbaums deutlich zu Tage, dass es sich bei ihrer Entstehung nicht um eine von oben indoktrinierte, systematisch angeleitete Frömmigkeitsform handelt, sondern um eine konkrete, lokal statthabende Praxis, die sich sowohl aus dem Volk sowie aus Priester- und Gelehrtenkreisen herausbildete.

Vordergründig könnte man meinen, die konsekrierten eucharistischen Gaben seien zum Konsum durch die Gläubigen bestimmt und würden ihres inneren Sinnes entleert, wenn sie – in Schaugefäßen ausgestellt – zu Objekten verdinglicht statt gegessen bzw. getrunken würden. Hans Urs von Balthasar legt dem „zeitgenössischen Kritiker“ die Worte in den Mund: „Welchen Sinn soll es denn haben, stundenlang vor einem Stück Brot – wie immer transsubstantiiert es sein mag – zu knien und ‚anzubeten’ […] Brot ist zum Essen da, nicht zum Anschauen oder Andenken, und die Gegenwart Christi ist durch Kirchenmauern ebenso wenig eingeschränkt wie durch Tabernakel oder Monstranz. Weder kann man sich Jesus im Abendmahlssaal vorstellen, der das Stück Brot den Jüngern zur Verehrung statt zum Essen hinhalten würde, noch sich ausdenken, wie ihm zumute sein mag als Ausstellungsgegenstand auf Altären der Kirche. Man sieht deutlich, wo die Dinge – wenn auch sehr allmählich, durch Jahrhunderte – auf die schiefe Bahn geraten sind, vom Pneumatischen weg immer mehr ans Materielle heran: das Ereignis wurde statisch, der Vorgang wurde Zustand, das unfasslich sich Darbietende zum fasslich Dargebotenen, das Unanschauliche zum Gesehenen, die göttliche zu einer irdischen Nähe“31.

Aber, so wendet Balthasar ein, „vielleicht ist es für einen, der etwas tiefer nachdenkt, gar nicht auf so einfache Formeln zu bringen. […] Eucharistie heißt: Der Herr kommt, das ist sein Akt; aber dem folgt kein Akt des Fortgehens. […] Die Eucharistiefeier ist ein wahres Ereignis, gleichsam ein Einbruch der Ewigkeit in die Zeit; aber dem folgt kein Rückzug der Ewigkeit aus der Zeit. […] Die Unterscheidung zwischen Zustand und Ereignis fällt dahin: das ewige Ereignis der dreieinigen Liebe Gottes, das zugleich sein ewiger Zustand ist, hat sich in einem unverwechselbaren einmaligen geschichtlichen Ereignis im Menschwerden, Leben und Sterben-Auferstehen Jesu Christi der Welt offenbart“32.

Der in der Materie einer unscheinbaren Hostie verdichtete Glaube an die Inkarnation Gottes hat de facto zu einer auf Erfahrung gegründeten Theologie des Konkreten und nicht zuletzt zu der Bereitschaft geführt, Christentum als Praxis der herabsteigenden, fußwaschenden, gekreuzigten Liebe zu verstehen. Diese Mystik des eucharistischen Sakramentes bestätigt den unauflöslichen Zusammenhang von Liturgie und Diakonie, der – wie zu zeigen sein wird – in der eucharistischen Anbetung das Moment einer Unbedingtheit erfährt. Denn es geht in der eucharistischen Anbetung nicht um eine privatistische Abkehr von der Welt (wenngleich die Gefahr einer solchen natürlich immer gegeben ist), sondern um die Begegnung mit dem Christus, der den Liebesdienst an seinem Nächsten radikal gelebt hat33.

Zunächst gilt für die eucharistische Anbetung die gleiche Charakterisierung wie für die Anbetung im Allgemeinen. Dass Gebet mehr ist als die ihm üblicherweise innewohnende Zweckmäßigkeit, wird besonders in der Anbetung deutlich. Anbetung in ihren verschiedenen Ausdrucksformen und Kulten entbehrt vor allem jedweder funktionalistischen Intention. So legitim Funktionen wie Bitte und Dank für eine religiöse Existenz sein mögen, letztendlich begegnet dem Christen im Evangelium ein Gott, der sich nicht darin erschöpft, was er für ihn in dieser oder jener Situation bedeutet. Die Erkenntnis, dass Gott diese Größe bei weitem übersteigt, lässt am Ende nur die schweigende Anbetung übrig. Sie ist der Sprachlosigkeit angesichts der alles überragenden Größe Gottes angemessen und verwandelt sie in einen bestimmbaren Akt, in einen Akt der Anerkennung und des Lobpreises34: Akt im Sinne einer Haltung, die sich ganz der Allmacht Gottes übereignet und so die eigene, endliche Geschöpflichkeit realisiert. Eine solche Haltung erscheint dem modernen, funktional denkenden Menschen heute schwierig und befremdlich. Denn wenn es bei der Anbetung einzig um die Begegnung mit Gott geht, verzichtet sie auf den Gewinn oder die Befriedigung spiritueller Erfahrungen und Bedürfnisse.

Die kritischen Einwände liegen auf der Hand: es handle sich bei der eucharistischen Anbetung um eine isolierte Frömmigkeitsübung, die, den Leib Christi verobjektivierend, sich zu sehr auf den Einzelmenschen und sein persönliches Heil beziehe. Sie dränge sowohl die Gemeinschaft als auch den eschatologischen Charakter des Christentums in den Hintergrund und fördere magische Deutungshorizonte des Glaubens. Sicherlich sind diese Sorgen nicht völlig von der Hand zu weisen, dennoch scheinen sie unbegründet, solange es in der Anbetung um eine Begegnung mit dem sich offenbarenden Christus geht; genauer: dem Christus, der sich uns in der heiligen Eucharistie als Speise schenkt. Die Beziehung der eucharistischen Anbetung auf die Kommunion ist also vorausgesetzt, ein Grundprinzip sozusagen35. Karl Rahner merkt dazu an: „Er gibt also in Wahrheit sich als Ganzen zur Speise. Und darum ist die Anbetung hier durchaus legitim, weil man nicht einer wirklich «sachhaft» zu verstehenden Speise begegnet, sondern IHM selbst“36. Die konsekrierte Hostie wird – so Rahner – nicht angebetet, weil Jesus Christus in ihr gegenwärtig ist. Auf gewisse Weise ist er ja in der ganzen Schöpfung gegenwärtig. Sondern sie wird angebetet, weil in ihr Jesus Christus gegenwärtig ist „als der sich uns zur Speise Anbietende“37: Das heißt als derjenige, der mit uns einen Bund eingehen will, Gemeinschaft stiften will und sich uns, um des Heiles willen, durch die Kommunion zueignen will. Dieses Angebot Christi birgt also ein qualitatives Mehr als seine bloße Gegenwart und insofern ist eucharistische Anbetung nicht bloßes Stehen vor den eucharistischen Gaben, sondern „subjektive Fortsetzung der Messe und Anheben der (künftigen) Kommunion“38. Es geht also um einen Prozess, ein In-Gang-setzen eines Beziehungsgeschehens zwischen Mensch und Gott.

Impliziert ist hier auch schon der Zusammenhang zwischen eucharistischer Anbetung und geistlicher Kommunion. Rahner weist darauf hin, dass die Lehre der Tradition in der Frage nach der Möglichkeit geistlicher Kommunion eindeutig ist und betont ausdrücklich, dass diese kein „Als-ob“ ist. Im Gegenteil: Sie ist ebenso reale Kommunikation mit Jesus Christus im Heiligen Geist wie es der tatsächliche Empfang des eucharistischen Sakramentes ist39; natürlich nur, wenn die geistliche Kommunion in ihrem Vollzug wesentlich auf den Empfang der sakramentalen Kommunion bezogen bleibt und dort ihre Vollendung findet. Voraussetzung bleibt außerdem, dass sie sich personal in Glaube und Liebe zum Herrn ereignet: „[…] in und mit dem Wunsch, das Sakrament später zu empfangen, ereignet sich jetzt ein wahres «Essen des himmlischen Brotes»“40. Nirgendwo anders aber als in der eucharistischen Anbetung könne geistliche Kommunion ausdrücklicher und sinnvoller sein. Denn hier werde der Christus besucht und betrachtet, der sich uns in liebender Hingabe zur Speise schenkt und sich mit uns vereinigen will. Nirgendwo sonst sei also die Hinordnung auf die reale und personale Kommunikation mit der Liebe Gottes offenbarer als im Verweilen vor dem aufbewahrten eucharistischen Brot. Rahner spricht vom „eigentlichen Ort“ der geistlichen Kommunion. Umgekehrt ist dann aber auch die Anbetung des Allerheiligsten gerechtfertigt, kann sie in ihrem Wesen doch gar nichts anderes sein als geistliche Kommunion41.

Diese selektiven Anmerkungen verweisen auf verschiedene Dimensionen einer Theologie der eucharistischen Anbetung: Inkarnation bzw. Konkretion; Primat des Empfangens vor dem Geben; Eingestaltung in die Bewegung von oben nach unten; inklusive Stellvertretung; Bestimmung der Schöpfung als Antwort an das Wort des Schöpfers; Bestimmung der Erlösung als Liebe, die sich dem Sünder „aussetzt“; Kirche als sakramentaler Leib des zur „hostia“ gewordenen Christus; Christsein als Eingestaltung des je einzelnen Christen in die Selbstverschenkung des eucharistischen Christus; Durchbrechung des eigenen Begreifens und Planens durch das „Ant-litz“ des „ganz Anderen“; Eingestaltung in das Warten Gottes auf den Letzten der Brüder und Schwestern.

Hans Urs von Balthasar unterscheidet diesbezüglich vier Dimensionen der eucharistischen Anbetung: eine schöpfungstheologische, eine soteriologische, eine ekklesiologische und eine eschatologische. Er bezeichnet nicht nur die Feier der Eucharistie, sondern auch die betende und reflektierende Betrachtung der eucharistischen Gaben als Brennpunkt des christlichen Selbstverständnisses. Wörtlich bemerkt er: „Abrückend von den antiken und orientalischen Kontemplationstheorien lernt die christliche verstehen, dass auch die einsamste Beschaulichkeit, im rechten Geist geübt, eine Funktion im Gefüge der Kirche und damit der Welterlösung ausübt. Dieser Gedanke ist schon bei Origenes und Augustinus da, er bestimmt den Karmel der Großen Theresia (Beschauung als Gebetshilfe für die Kirche im Kampf gegen die Reformation) und gipfelt in der Theorie der Kleinen Therese, dass das beschauliche und sühnende Karmelleben das innerste Triebrad aller kirchlichen Aktion sei.“42 Während die neuplatonisch bestimmte Mystik von einem „egressus“ des Göttlichen in das Andere seiner selbst spricht und unter Kontemplation die zumindest mentale Rückkehr des Menschen in den göttlichen Ursprung versteht, spricht die Bibel von einer unumkehrbaren Bewegung Gottes von oben nach unten, weshalb die Kontemplation des sich den Menschen im eucharistischen Brot aussetzenden Herrn das Gegenteil einer privatistischen Abkehr von der Welt ist. Denn den eucharistischen Christus versteht nur, wer sich einbeziehen lässt in die besagte Bewegung von oben nach unten. Maurice Blondel fasst diesen Kerngedanken in seinem „Tagebuch vor Gott“ in folgendes Gebet: „Mein Gott, laß mich sein wie gutes Brot und sprich dann über mich die Worte der Wandlung!“43

Überblickt man die Forschungsliteratur, dann fällt auf, dass es historische und liturgiewissenschaftliche Studien zum Aufbewahrungsort der Eucharistie, über Formen der eucharistischen Anbetung, über Orden und Gemeinschaften zur Pflege der eucharistischen Anbetung und über deren Zielsetzungen (Sühne, Satisfaktion, Stellvertretung, alternative Lebensformen etc.) gibt, aber nur gelegentlich Aufsätze über die Theologie dieses zentralen geistlichen Vollzuges. In der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatten die sogenannten Genitivtheologien Hochkonjunktur, aber unter den entsprechenden Monographien findet sich keine einzige, die das Reden über Gott (= Theo-logie) der eucharistischen Anbetung thematisiert. Man müsste eigentlich von den Anfängen der eucharistischen Anbetung bis heute nach Zeugnissen fragen, in denen Menschen das Reden der Anbetung über Gott (= Theo-logie der eucharistischen Anbetung) thematisieren. Eine flächendeckende Realisierung dieses Vorhabens würde den Rahmen einer Promotionsschrift allerdings in jeder Weise sprengen.

Ich treffe daher eine exemplarische – im Nachhinein sich hoffentlich als paradigmatisch erweisende – Auswahl einzelner Gestalten44 der jüngeren Kirchengeschichte (20. Jh.), deren Spiritualität45 (1.) von der eucharistischen Anbetung bestimmt wurde, und die sich – selten genug – (2.) zugleich schriftlich Rechenschaft gegeben haben über Sinn und Bedeutung dieses geistlichen Grundvollzugs.

Im ersten Teil der Arbeit werden Leben und Werk folgender vier Gestalten analysiert: Charles de Foucauld, Charles Péguy, Teilhard de Chardin und Edith Stein, und zwar insofern, als sie zur Entwicklung einer Theologie der eucharistischen Anbetung anregen. Anliegen dieser Arbeit ist nicht die historische Einordnung oder eine lückenlose Berücksichtigung aller zugänglichen Quellen der Gestalten im Sinne der kritischen Biografieforschung; vielmehr geht es um ihren systematischen Vergleich. Die vier ausgewählten Positionen sind theologisch-praktische Fundorte des christlichen Glaubensvollzuges eucharistischer Anbetung. Ihr Zeugnis dient mit anderen Worten als Best-Practice-Beispiel einer „Dogmatik in actu“ bzw. einer Dogmatik der Praxis. Sie sind – exemplarische – Fundorte, die nicht nur die Möglichkeit eröffnen, die stattfindende Praxis theoretisch einzuholen, sondern deren unschätzbarer Wert vor allem darin liegt, dass sich die Praxis gelebten Glaubens als Instanz der Kritik für die nachträgliche Theorie erweisen kann.

Dabei wird unter anderem gezeigt, dass die vier Gestalten sich durch Abgrenzung profilieren lassen und jeweils eine zentrale Dimension der eucharistischen Anbetung repräsentieren bzw. erschließen können. Diese Zuschreibung soll aber keinesfalls als kategorisch verstanden werden. Im Gegenteil: Sie ist ein heuristisch leitendes Konstrukt – ein methodischer Kunstgriff sozusagen, der es ermöglicht, das komplexe Geschehen eucharistischer Anbetung zu ordnen und für den derzeitigen wissenschaftlichdogmatischen Diskurs aufzuschließen. Zugleich wird die Praxis der Anbetung entdeckt als Korrektiv jenes Diskurses. Insofern greifen die beiden Teile dieser Arbeit, Teil I „Vier Gestalten einer gelebten Theologie der eucharistischen Anbetung“ und Teil II „Skizze zu einer Theologie der eucharistischen Anbetung“, auf jene Relationierung von Dogma und Pastoral zurück, die sich schon in der Perichorese der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ und der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ des Zweiten Vatikanischen Konzils findet. Unwillkürlich stellt sich die Frage nach dem Bedeutungszusammenhang der beiden Teile. Nimmt man nun Teil I als Folie, um Teil II zu lesen oder genau umgekehrt? In beiden Fällen entstünde eine Hierarchie zwischen den Teilen; es fände eine Unterwerfung statt, die aber nicht angemessen wäre.

Beide Teile stehen je für sich und sind doch unverzichtbar füreinander. Zugespitzt formuliert lässt sich das Verhältnis beider Teile folgendermaßen beschreiben: Es geht darum, dass sich sowohl die Praxis etwas von der Dogmatik sagen lassen muss als auch die Dogmatik von der Praxis. In beiden Fällen kann es unbequem werden, nämlich dann, wenn ein eingefahrenes Denken oder eine zur Routine gewordene Praxis einen Einspruch durch das jeweils andere erhält. Die Notwendigkeit des Sich-offen-Haltens stellt sich vor Augen. Umstoßungen und Durchbrechungen sind so jederzeit möglich. Die Horizonte, die sich in der Dogmatik des zweiten Teils ergeben oder für die Leser und Leserinnen ergeben können, erscheinen im Licht des ersten Teils, also der Praxis der Anbetung, möglicherweise völlig anders. Umgekehrt ebenso. Beides – die theologische Reflexion und die religiöse Praxis – können einander zum Korrektiv werden und die gewonnenen Erkenntnisse jeweils neu perspektivieren. Der unlösliche Zusammenhang des Denkens mit seinen performativen Praktiken wird sichtbar und damit auch kritisch befragbar. Die Frage nach den (Handlungs-)Bedingungen einer Theologie eucharistischer Anbetung und einer Praxis eucharistischer Anbetung wird in ihren Anfängen gestellt. Eucharistische Anbetung als „Rede von Gott“ zu verstehen bedeutet für die vorliegende Arbeit, dass sie vor allem Bausteine im Sinne einer Genitivtheologie (Theologie der eucharistischen Anbetung) liefert. Die Verbindung einer gelebten Praxis eucharistischer Anbetung mit einer Theologie eucharistischer Anbetung, wie sie hier vorgenommen wurde, weist auf die notwendige Verhältnisbestimmung von Kirche und Welt und Dogma und Pastoral und unternimmt wichtige Schritte in diese Richtung. Teil I und Teil II relationieren; sie relationieren Gott und Mensch, Kirche und Welt, Wissenschaft und Praxis.

Erst das kritische Hinterfragen bzw. die Dekonstruktion46 dieses Ansatzes kann den jeweiligen Selbstreflexionen der vier genannten Gestalten ansatzweise gerecht werden und wird zeigen, dass sich nicht nur alle vier Dimensionen in ihrer je eigenen Spiritualität wiederfinden, sondern auch, dass eucharistische Anbetung ein Ereignis ist, das sich einem bestimmten wissenschaftlichen Format der Beobachtung entzieht.

Gerade weil es in der Betrachtung der eucharistischen Gestalten nicht um eine Verobjektivierung des konsekrierten Brotes geht, die Hostie dem Betrachter also nicht als ein „Ding“ erscheint, erhalten die exemplarisch ausgewählten Fundorte christlicher Praxis eine eigene Dignität und folgende wissenschaftsstrategische Relevanz: sie arbeiten das „Zwischen“, das Unsagbare in der Beziehung des konkreten Menschen zum eucharistischen Christus heraus. Sie offenbaren die Leerstelle, in der sich das eigentliche Ereignis der Anbetung abspielt und die, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, eucharistische Anbetung auch in Absenz der (konkreten) Hostie möglich macht.

Die oben genannten Gestalten des 20. Jahrhunderts sind für vorliegende Arbeit geeignet, weil sie eucharistische Anbetung (1.) praktiziert und zugleich (2.) reflektiert haben. Sie haben in der eucharistischen Anbetung einen geistlichen Ort gefunden, die Praxis ihrer Spiritualität schriftlich reflektiert und dabei jeweils einen Aspekt bzw. eine Dimension profiliert. Verkürzt ließen sich die vier Theologien auch durch folgende Titel kennzeichnen: Theologie der Armut (Charles de Foucauld); Theologie der Hoffnung (Charles Péguy); Theologie der Stellvertretung (Edith Stein); Theologie der Schöpfung (Teilhard de Chardin). Allerdings ist dabei zu beachten, dass eine solche Etikettierung (Kartografierung) die Faszination der vier skizzierten Gestalten nur andeuten kann, denn diese liegt in der Einzelaussage und im Einzelzeugnis, also im Detail. Es wird also im zweiten Teil dieser Arbeit notwendig sein, gerade in der theologischen Differenz eine Synthese der behandelten Perspektiven herzustellen.

Dabei kann auf die von Hans Urs von Balthasar unterschiedenen Dimensionen eucharistischer Anbetung zurückgegriffen werden. Anhand einer (a) Profilierung des jeweiligen Spezifikums, einer (b) Synopse der zuvor unterschiedenen Dimensionen und einer (c) metakritischen Reflexion der Einzelanalysen wird schließlich der Versuch unternommen, eine systematische Zusammenstellung und Darstellung der exemplarischen Reflexionen anzufertigen, welche das Spezifikum jeder Gestalt bewahrt und es gleichzeitig ermöglicht, eine Theologie eucharistischer Anbetung zu skizzieren. Vor allem aber soll eine Begründung jener These geleistet werden, die eucharistische Anbetung als eine Schule christlichen Lebens und Daseins, sowohl für den einzelnen als auch für die kirchliche Gemeinschaft, versteht47.

1 Gesammelt und wiedergegeben finden sich diese Frömmigkeitsformen rund um die Elevation der Hostie bei NUßBAUM, Aufbewahrung, 125-139 und BROWE, Verehrung, 49-69.

2 Vgl. Jungmann, Eucharistische Frömmigkeit, 71: „Das germanische Empfinden suchte überall das Anschauliche, Greifbare. Heilige Reliquien wollte man schauen und schauend verehren. So entstand das Verlangen, das heilige Sakrament zu schauen, dies um so mehr, als man es ja nur selten zu empfangen wagte.“

3 So heißt es z.B. bei Augustinus: „Niemand genießt jenes Fleisch, ohne zuvor angebetet zu haben.“ AUGUSTINUS, Enarrationes in Psalmos 98,9 (Corpus Christianorum. Series Latina 39,1385 Dekkers/Fraipont): „nemo autem illam carnem manducat, nisi prius adorauerit“, Übersetzung nach NUßBAUM, Aufbewahrung, 104.

4 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 27.

5 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 37.

6 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 63.

7 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 105f.

8 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 116. Unter anderem kommt es z.B. zur Aufbewahrungspraxis in einem Hängetabernakel über dem Altar, der die aufbewahrte Eucharistie so in den Mittelpunkt der Gläubigen rückt.

9 Vgl. ANGENENDT, Geschichte, 505: „Die konsekrierte Hostie war dem Hoch- und Spätmittelalter die Gottespräsenz schlechthin und damit die wirksamste Heilsmaterie. Hostien dienten als wichtigste Gnadenträger, aber auch als Medizin und Zaubermittel: Man legte sie auf die Brust der Toten, zu den Reliquien im Altargrab, bestrich damit kranke Glieder, mischte sie ins Viehfutter, streute sie zerrieben auf die Felder oder benutzte sie – oft ein Vorwurf gegen Hexen – als Mittel zum Schadenszauber. Die scholastische Theologie versuchte eine theologische Lösung und formulierte die Transsubstantiationslehre.“

10 Browe sieht darin den Ausgangspunkt der ganzen eucharistischen Frömmigkeit des Mittelalters. Siehe BROWE, Verehrung, 49.

11 Vgl. ANGENENDT, Offertorium, 375f.

12 Nußbaum nennt unter anderem den Wechsel vom gesäuerten zum ungesäuerten Brot, die von nun an kleineren Hostien und den Verlust der Handkommunion als Gründe für diese Entwicklung. Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 120.

13 Vgl. BROWE, Verehrung, 49f.

14 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 130.

15 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 132.

16 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 135.

17 Für eine ausführliche Beschreibung abergläubischer Kräfte siehe BROWE, Verehrung, 49-69. Im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens findet sich ebenfalls eine Auflistung der der Hostie zugeschriebenen vielfältigen Kräfte. Unter „Hostienwunder“ heißt es unter anderem: „Schon bei den blutenden H.n ist die Grenze zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen nach dem Mirakulosen hin verschoben. Für das Mittelalter und die Frommen der Folgezeit war indes diese Grenze überhaupt bedeutungslos. Beim hl. Sakrament, dem Inbegriff aller Kräfte, war das Unglaubhafteste denkbar.“ BÄCHTOLD-STÄUBLI, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 412-421, 418f.

18 Vgl. BÄCHTOLD-STÄUBLI, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 419.

19 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 137.

20 NUßBAUM, Aufbewahrung, 121.

21 BROWE, Verehrung, 50.

22 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 123. Für ihre allgemeine (volkstümliche) Verbreitung – auch im Süden Europas – war Franz von Assisi maßgeblich verantwortlich, der mehrmals Kontakt mit Jakob von Vitry aus dem Lütticher Kreis pflegte.

23 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 142f.

24 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 154.

25 In diesem Kontext entstehen auch die ersten sakramentalen Volksandachten. Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 163.

26 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 163.

27 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 166.

28 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 167f.

29 Vgl. NUßBAUM, Aufbewahrung, 169f.

30 Die wichtigsten wurden hier genannt.

31 BALTHASAR, Klarstellungen, 111.

32 BALTHASAR, Klarstellungen, 113.

33 Benedikt XVI. emeritus brachte es in „Deus caritas est“ auf den Punkt: „[…] in der eucharistischen Gemeinschaft ist das Geliebtwerden und Weiterlieben enthalten. Eucharistie, die nicht praktisches Liebeshandeln wird, ist in sich selbst fragmentiert, und umgekehrt wird […] das «Gebot» der Liebe überhaupt nur möglich, weil es nicht bloß Forderung ist: Liebe kann «geboten» werden, weil sie zuerst geschenkt wird.“ BENEDIKT XVI., Deus caritas est, 22.

34 Vgl. MARSCHLER, Theologie, 7: „Anbetung ist der Schritt vom Erkennen zum Anerkennen, von der Ausrichtung des Denkens auf Gott als sein Objekt zur Ausrichtung der gesamten Existenz auf ihn als Herrn, sie ist die Extase des Bekenntnisses in die Doxologie, das Sich-Übereignen des Menschen aus dem Erkenntnisakt in die Haltung des Lobpreises.“

35 Zur rechtlichen Situation siehe: Deutsche Übersetzung der Editio typica „DE SACRA COMMUNIONE ET DE CULTU MYSTERII EUCHARISTICI EXTRA MISSAM“ der Römischen Gottesdienstkongregation vom 21. Juni 1973: Kommunionspendung und Eucharistieverehrung ausserhalb der Messe. Studienausgabe (herausgegeben von den Liturgischen Instituten Salzburg, Trier, Zürich) Freiburg i.Br. 2003 und „Eucharisticum mysterium“ über Feier und Verehrung des Geheimnisses der Eucharistie (hrsg. von den Liturgischen Instituten in Trier, Salzburg und Freiburg/Schweiz. Lateinisch-Deutsch), in: Nachkonziliare Dokumentationen 6, Trier 1967.

36 RAHNER, Besuchung, 263.

37 RAHNER, Besuchung, 264.

38 RAHNER, Besuchung, 264f.

39 „Man empfängt in ihr wirklich den «fructus» (Frucht) und die «utilitas» (Nutzen) des Sakraments.“ RAHNER, Besuchung, 267.

40 RAHNER, Besuchung, 268. An späterer Stelle schreibt er: „[…] auf jeden Fall ist die Aktualisation der gnadenhaften Christusverbundenheit, die glaubende und liebende Annahme und «Realisation» […] dieser bleibenden Einheit mit Christus das Entscheidende an der geistlichen Kommunion.“

41 Vgl. RAHNER, Besuchung, 269.

42 BALTHASAR, Klarstellungen, 117f.

43 BLONDEL, Tagebuch, 35.

44 Zum Begriff der Gestalt siehe KUHR, Gabe und Gestalt, 55-66. Der Begriff der Gestalt wird deshalb verwendet, weil damit vor allem der unlösliche Zusammenhang einzelner Aspekte (Vielheit) innerhalb einer Person (Einheit) ausgedrückt wird. Ähnlich einem Kunstwerk, das in seiner äußeren Gestalt immer nur einen Teil des Phänomens sichtbar macht, dabei aber das wesentlich Ganze des Dargestellten in sich einbirgt.

45 Da der Begriff der Spiritualität vielerlei Deutungen unterliegt, weise ich darauf hin, dass Spiritualität hier entsprechend der Charakterisierung von Josef SUDBRACK (Systematisch-theologisch) und Gotthard FUCHS (Praktisch-theologisch) im LThK 9, Freiburg i.Br. 32009, 856-859 verstanden und verwendet wird.

46 Der Begriff geht auf Martin Heideggers Destruktion zurück. Siehe HEIDEGGER, Sein, 19-27. Im Sinne der Diskurskritik ist damit gemeint, den Text nicht ausschließlich auf seinen Inhalt hin – das Was – zu befragen, sondern auch hin auf die Bedingungen – das Wie – seiner Entstehung.

47 Eine These, die u.a. von Hans Urs von Balthasar vertreten wird.

Teil I: Vier Gestalten einer gelebten Theologie der eucharistischen Anbetung

 

Die folgenden vier Analysen zu Charles de Foucauld, Charles Péguy, Pierre Teilhard de Chardin und Edith Stein enthalten jeweils eine knappe Skizzierung ihres Lebens. Diese dient den Lesern und Leserinnen zum vertraut werden mit den jeweiligen Gestalten und ermöglicht, bestimmte Lebensereignisse als entscheidend für ihre Spiritualität und ihren Denkweg nachzuzeichnen. Keine der vier Gestalten bietet einen umfassenden Entwurf zur Frage der eucharistischen Anbetung. Verteilt über eine Vielzahl von Schriften und oftmals bruchstückhaft finden sich Aussagen über die eucharistische Anbetung. Anliegen dieser Arbeit ist, dem Thema eucharistischer Anbetung gerecht zu werden und nicht einer biografisch-kritischen Forschung zu den vier Gestalten. Ihre schriftlichen Zeugnisse, verstanden als Best-Practice-Beispiele, sollen helfen Bausteine einer „Theologie eucharistischer Anbetung“ zu erheben. Daher geht es um eine paradigmatische Auswahl der Quellen und Sekundärliteratur, die sich nach folgenden Fragen richtet: Auf welche Weise ist die eucharistische Anbetung Teil der Spiritualität der vier ausgewählten Gestalten? Welchen Sinn und welches Ziel weisen Charles de Foucauld, Charles Péguy, Pierre Teilhard de Chardin und Edith Stein der eucharistischen Anbetung zu?