Christa Baich / Dorothea Gnau / Christine Klimann

Wenn wir an Grenzen kommen

Hoffnung leben – Hoffnung geben

Ignatianische Impulse

Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ

und Martin Müller SJ

Band 81

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Christa Baich / Dorothea Gnau / Christine Klimann

Wenn wir an Grenzen kommen

Hoffnung leben – Hoffnung geben

echter

Inhalt

Vorwort

1. Eine Hoffnungsgeschichte? (D. G.)

2. Hoffnung in Stichworten (C. K.)

Lebenselixier und Grundmotor

Optimierungsdruck

Vertröstung

Durchkreuzte Hoffnung

Geläuterte Hoffnung

Himmel

Verbundenheit

3. Hoffnung begleiten (C. B.)

Wem glaubt man, was er sagt?

Hoffnungsblick

Heilsgeschichte hier und heute

Wie Gott mir, so ich dir

System je nachdem

Hoffnungsetüden

4. Ein Übungsweg (D. G./C. K.)

Erste Woche: Hoffnung aufspüren

Zweite Woche: Hoffnung, die herausruft

Dritte Woche: Um Hoffnung kämpfen und sie läutern lassen

Vierte Woche: Hoffnung in die Welt tragen

5. Verantwortung für die Welt (D. G.)

Mitarbeit an der Verwandlung der Welt

Beispiel: Flucht und Vertreibung

Anregungen für einen hoffnungsvollen Umgang

6. Kirche zwischen Traum und Wirklichkeit (C. B.)

Im Wechselspiel von Hoffnung und Enttäuschung

Beispiel: Frauen in der Kirche

Anregungen für einen hoffnungsvollen Umgang

7. Schluss

Anhang: Von der Hoffnung inspiriert: die Helferinnen und ihre Gründerin (D. G.)

Anmerkungen

Vorwort

Grenzen sind ambivalent. Sie zu überwinden kann Ansporn sein für Höchstleistungen, oft aber ist es schmerzhaft, an sie zu stoßen. An äußeren Grenzen reiben Menschen sich vergeblich wund, an inneren Grenzen tun sich Abgründe auf. Träume zerplatzen, Selbstverständlichkeiten brechen ein, aus Wegen werden Sackgassen.

Auch der Glaube kann an Grenzen stoßen – und wie viele Menschen erfahren das schmerzlich in ihrem Leben –, aber ihm wohnt auch eine Dynamik inne, die an die Grenzen hindrängt. Jesus hat seine Jünger »bis an die Grenzen der Erde« gesendet (Apg 1,8), denn das Evangelium muss alle Geschöpfe erreichen (Mk 16,15). So sind es die Wechselspiele des Lebens und die christliche Berufung, die immer wieder mit Grenzen konfrontieren. Sendung als Grunddimension ignatianischer Spiritualität hat viel damit zu tun, »an die Grenzen zu gehen«, und auch Papst Franziskus wird nicht müde, für eine Kirche einzutreten, die an die Ränder geht. Damit sind nicht nur geographische Randgebiete oder soziale Brennpunkte gemeint, sondern auch Abgründe von Vereinsamung, Perspektivlosigkeit und Verzweiflung. Wenn dann innere und äußere Grenzen aufeinandertreffen, können sich Ohnmacht und Lähmung breitmachen – oder aber die Hoffnung kommt ins Spiel. Und diese Hoffnung ist nicht einfach da oder nicht, sondern es gilt, um sie zu ringen. An ihr entscheidet sich der Umgang mit Grenzen.

So entstand die Idee zu diesem Buch. Wir drei Autorinnen gehören zu einer ignatianischen Ordensgemeinschaft. Ignatius betont, dass der Mensch auf Gott hin geschaffen ist, und der zentrale Begriff der Sendung verbindet sich bei ihm mit der Hilfe für die Seelen. Eugénie Smet, die Gründer in unserer Gemeinschaft, ist vom Wunsch beseelt, den Menschen zu helfen, das Ziel ihrer Erschaffung zu erreichen. Sie hat dabei besonders die im Blick, die leiden, die vergessen und ausgegrenzt sind. An diesen Grenzen kommt bei ihr der für uns Helferinnen zentrale Begriff der Hoffnung für die ganze Menschenfamilie ins Spiel. Damit bringt sie eine besondere »Klangfarbe« in den Chor der ignatianischen Stimmen ein.

Dieses Buch ist ein Gemeinschaftsprojekt. Wir haben uns nicht nur zum Schreiben getroffen, sondern es gemeinsam konzipiert, die Inhalte diskutiert, um den Aufbau gerungen, gegengelesen. Die einzelnen Teile tragen unterschiedliche Handschriften und sind auch von ihrer Art her verschieden. So sollen grundsätzliche Überlegungen, viele konkrete Beispiele aus eigenen Erfahrungen und aus der Begleitung (deshalb wird häufig auch die Ich-Form und manchmal nur die weibliche Form verwendet) sowie ein Teil mit Übungen und einer mit aktuellen Fragen aus Kirche und Welt das Thema Hoffnung aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Wie die Grundperspektive christlicher Hoffnung das Leben von Eugénie Smet prägte und sie zur Gründungsidee der Kongregation der Helferinnen motivierte, zeigt ein kurzes Kapitel am Schluss des Buches auf.

Grenzen sind oft schmerzhaft, können aber auch Begegnung und neue Möglichkeiten eröffnen. Möge dieses Buch zum Weiter-Gehen, zum Durch-Gehen ermutigen, damit die Hoffnung ihre verwandelnde Kraft entfalten kann.

1. Eine Hoffnungsgeschichte?

Vielseitig begabt, mit einem großen Freundeskreis, das Studium erfolgreich abgeschlossen, inzwischen beruflich erfolgreich als PR-Frau tätig: Andrea1 ist eine Frau, die mitten im Leben steht. Ihr Glaube und ein regelmäßiges geistliches Leben sind ihr wichtig. Christliche Hoffnung trägt und prägt ihre Einstellungen wie auch ihr Engagement. Dass sie entschieden als Christin leben will, ist ihr klar. Nun hat das Anliegen, Gott den ersten Platz in ihrem Leben einzuräumen, Fragen nach der konkreten Lebensform aufkommen lassen. Immer mehr hat sich dabei der Gedanke herauskristallisiert, in einen Orden einzutreten. Vermehrte Kontakte zu einem Kloster haben diesen Gedanken zu einer realen Option werden lassen. Auch der Orden kann sich gut vorstellen, dass diese spirituelle und zugleich sehr geerdete Frau dort eintritt. Hoffnungsvoll, dort ihren Platz in der ihr entsprechenden Lebensform gefunden zu haben, entscheidet Andrea sich, für einige Zeit in diesem Kloster mitzuleben. – Doch die Pläne und Hoffnungen werden durchkreuzt.

Andrea gerät in eine schwere psychische Krise, die schließlich zur Einweisung in eine psychiatrische Klinik führt. Psychose lautet die Diagnose, später: Schizophrenie. Im Rückblick beschreibt sie die Gefühle der Scham, als sie langsam ihre Situation realisiert. Scham über das eigene Verhalten während der Psychose und auch Scham, selbst nicht einmal wahrgenommen zu haben, wie sie in die Krankheit hineinrutschte, ohne selbst zu bemerken, dass sich die eigene Wahrnehmung der Realität zunehmend von der anderer Menschen unterschied; Scham, dass ihr so etwas passiert, ihr, die – wie so viele von uns – das doch nie von sich gedacht hätte. »Psychiatrie, das betrifft nur andere Menschen. Und plötzlich landest du an einem Ort, der bisher überhaupt nicht in deinem Horizont war. … Ich doch nicht …«

Einer längeren Genesungszeit folgt das langsame Zurückfinden in Alltag und Beruf. Andrea findet eine Wohnung und einen Arbeitsplatz. Es wächst die Hoffnung, wieder zurück in die »Normalität« gefunden zu haben – bis es zum nächsten psychotischen Schub kommt. Wiederum ist ein längerer Klinikaufenthalt nötig, wieder dauert es lange, bis sich ihre Situation so weit stabilisiert hat, dass sie in die »Normalität« ihres Privat- und Berufslebens zurückkehren kann. In den darauffolgenden Jahren folgen noch mehrere Klinikaufenthalte, dazwischen jahrelange Phasen, in denen sie wieder voll berufstätig sein kann. Ein Auf und Ab zwischen Hoffnung und Enttäuschung.

Nach einigen Jahren, geprägt von Verschweigen und seltenem sehr betroffenem Berichten in Zweiergesprächen, erzählt jemand Andrea von der Initiative »Experienced Involvement«, die Menschen mit eigener Erfahrung in der Psychiatrie ausbildet, um andere in ähnlichen Situationen zu begleiten. Andrea nimmt Kontakt auf, bietet ihre Mitarbeit als PR-Frau im zugehörigen Verein (www.ex-in-bern.ch) an. »Bei ›Ex In‹ wurde der Krankheits-Erfahrung eine Wertschätzung entgegengebracht, die ich vorher so nie erlebt habe. Das ewige Tabu als Qualifikation und Arbeitsgrundlage – welch ein Wandel. Hier war man nicht trotz, sondern wegen einer Krisenbefähigung willkommen.« Andrea wagt es, mit ihrer Geschichte in Interviews und Artikeln an die Öffentlichkeit zu treten. Bewusst will sie der gesellschaftlichen Tabuisierung und Stigmatisierung etwas entgegenstellen. Ihre eigenen Erfahrungen hat Andrea intensiv reflektiert. In großer Offenheit berichtet sie von den Phasen ihrer Auseinandersetzung mit der Krankheit zwischen Leugnung, Niedergeschlagenheit, Wut und Auflehnung – auch gegenüber Gott – bis hin zur Akzeptanz, dass die Begegnung mit einer anderen Wahrnehmung der Realität zu ihr selbst gehört. »Und ich hoffe immer noch, dass man diese Erfahrung nicht einfach wegmachen muss, sondern dass ich lernen kann, damit umzugehen, sie wert- und wichtig zu schätzen.«

Andrea beschreibt ihr Ringen zwischen Verzweiflung und Hoffnung und auch wie sie darauf angewiesen ist, dass andere bei ihr bleiben und zu ihr stehen, vor allem dann, wenn ihr selbst die Kräfte ausgehen. Sie verschweigt dabei jedoch nicht, wie das Geheimhalten und zugleich Mittragen die Menschen, die in dieser Zeit zu ihr standen, an den Rand der Überforderung brachte.

Neben den positiven Erfahrungen von Unterstützung und Begleitung benennt sie auch die Unsicherheit vieler Menschen im Umgang mit Menschen, bei denen eine psychische Krankheit diagnostiziert wurde. Es macht Angst, weil es ein menschliches Potenzial zeigt, das jede und jeder von uns in sich trägt.

In der Offenheit, mit der Andrea erzählt, werden ihre Erfahrungen fruchtbar für andere. Ihre sprachliche Begabung und ihre Erfahrung aus der PR-Arbeit nutzt sie, um Menschen in psychischen Krisen zu helfen und ihrer gesellschaftlichen Stigmatisierung entgegenzuwirken. Eines der Interviews, in dem Andrea ihre Geschichte erzählt, trägt den Titel »Krankheit, Erfahrung oder gar Begabung?«2.

Leitmotiv in ihrer Arbeit in einer Tagesklinik und in ihrem Engagement für Erfahrungsgenossinnen und -genossen ist für Andrea »Empowerment«, anderen zur Selbstermächtigung zu verhelfen.

Die Frage nach Gott bleibt, wie auch die Herausforderung, mit den Durchkreuzungen und Einbrüchen zu leben. Ist Andreas Geschichte eine Hoffnungsgeschichte? Die Hoffnung, dass es so kommt, wie sie es sich gewünscht hat, hat sich nicht erfüllt. Die Peerarbeit hat auch nicht einfach als Plan B die ursprünglichen Pläne abgelöst. Doch mehr und mehr zeigt sich für sie, wie das eine aus dem anderen erwächst und beides ineinander gründet. »Ich glaube immer noch, dass Gott mich berufen hat, damals im Kloster. Ich habe ›ja‹ gesagt – und sage es noch. Er hat dieses ›Ja‹ angenommen und daraus etwas Neues gemacht.«