Eva-Maria Gärtner / Sebastian Kießig /
Marco Kühnlein (Hgg.)

„… damit eure Freude vollkommen wird!“

Theologische Anstöße zur Synode
„Die Jugendlichen, der Glaube und die
Berufungsentscheidung“ 2018

Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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Herausgegeben von Erich Garhammer und Hans Hobelsberger in Verbindung mit Martina Blasberg-Kuhnke und Johann Pock

Eva-Maria Gärtner / Sebastian Kießig / Marco Kühnlein (Hgg.)

„… damit eure Freude

vollkommen wird!“

Theologische Anstöße zur Synode
„Die Jugendlichen, der Glaube und die
Berufungsentscheidung“ 2018

Inhaltsverzeichnis

Eva-Maria Gärtner / Sebastian Kießig /Marco Kühnlein

Vorwort

Bischof Stefan Oster SDB

Geleitwort

Erzbischof Jean-Claude Hollerich SJ

Grußwort

Von Synode zu Synode

Ute Eberl

Keine Bange: Es geht ans Eingemachte!

Jugend(liche) in der Kirche: Bestandsaufnahmen

Marco Kühnlein

„Die Jugendlichen in der Welt von heute“

Florian Bock

Zwischen Wandervogel und Weltjugendtag
Das 20. Jahrhundert oder wie die Katholiken die Jugend entdeckten

Eva Willebrand

Die sozioreligiöse Situation der Gegenwart und die Religiosität Jugendlicher heute

Joachim Braun

Dem Glauben eine neue Heimat geben Wie jugendliche syrisch-orthodoxe Flüchtlinge in Deutschland glauben

Jan Loffeld

Wunderbar komplex!
Oder: Wie damit umgehen, dass es „die Jugend“ nicht mehr gibt

(Heutiges) Christwerden: Dimensionen

Sebastian Kießig

„Glaube, Unterscheidung, Berufung“

Agnethe Siquans

„Das Wort kehrt nicht leer zu mir zurück“ (Jes 55,11): Die Inspiration zur Prophetie

Georg Rubel

„Wenn du vollkommen sein willst…“
Biblische Betrachtungen zu einer besonderen Berufungsgeschichte (Mt 19,16-30)

Eva-Maria Gärtner

Kirchenväter und ihre „geistigen Kinder“
Jugendliche und ihr Glaubensweg unter dem Einfluss des Augustinus und Hieronymus

Marco Kühnlein

„…weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist“ – Jugendliche und junge Erwachsene im Spannungsfeld von Glaube, Unterscheidung und Entscheidung

Johannes Först

Jugendliche und Säkularisierung
Ein Vorschlag zur theologischen Anerkennung der ‚Erlebnisrationalität‘ junger Menschen

Jugendliche Lebensperspektiven: Optionen

Eva-Maria Gärtner

„Die pastorale Tätigkeit“

Ute Leimgruber

Kirche ist nicht die „message“
Über kirchliche Marketingstrategien und Jugendpastoral

Thomas Wienhardt

Junge Menschen erwarten Qualität

Nicole Stockhoff

„Da wohnt ein Sehnen tief in uns.“: Jugendgottesdienst als Thema

Sebastian Kießig

Berufungsentscheidungen sind jugendlich und jugendfrei
Optionen priesterlicher Berufungswege

Simone Birkel

Connected – Was hält Dich?
Poetry Slam als sprachproduktives Moment der Jugendpastoral

Anhang

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Vorwort

Der vorliegende Studienband „… damit eure Freude vollkommen wird!“ Theologische Anstöße zur SynodeDie Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung“ 2018 ist ein Beitrag von Nachwuchskräften der Theologie des deutschen Sprachraumes anlässlich der im Oktober 2018 stattfindenden XV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode.

Die Synode möchte sich in Kontinuität zu den bisherigen weltkirchlichen Versammlungen des Pontifikats Papst Franziskus’ mit relevanten Fragen von Seelsorge und Pastoral beschäftigen. Konkret geht es um die Jugend auf ihrem Weg zur Reifung im Glauben, zu ihrer speziellen Berufung durch Unterscheidung und Begleitung. Die Anstrengungen des Papstes, auch in seiner synodalen Tätigkeit, zielen darauf ab, das Freudige, ja das Heilbringende des christlichen Glaubens verstärkt in den Mittelpunkt zu rücken. Der Evangelist Johannes (vgl. Joh 15,1-17) hat die Worte Jesu festgehalten, dass Berufung in seine Nachfolge, die bleibende (Liebes-)Gemeinschaft mit ihm, dem Vater und untereinander sowie das christliche Leben nach seinen Geboten nicht Einengung sondern Entfaltung, „Fruchtbringen“ zum Ziel hat. Daher steht das Wort Jesu aus dem Johannesevangelium gleichsam als Motto über dem Studienband: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in Euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Joh 15,11).

In einem ersten Kapitel werden bestandsaufnehmende Gedanken zu Jugendlichen sowie jungen Menschen in der Kirche formuliert. Diese werden dabei als Gesprächssubjekte in der und für die Kirche wahrgenommen, was einen nicht zu unterschätzenden Perspektivenwechsel beinhaltet. Zugleich, so wird deutlich, unterliegen die persönlichen Glaubenszugänge junger Menschen noch einem starken Wandel. Dies verstärkt sich in den ausgeprägt individualisierten Gesellschaften des deutschen Sprachraums. Gegenwärtige Relevanz des Glaubens für Jugendliche und erste Perspektiven für die Pastoral werden ersichtlich.

Sodann werden in einem zweiten Kapitel die Dimensionen heutigen Christwerdens reflektiert. Jugendliche und junge Menschen wachsen in einem von Diskontinuitäten und innovativ-belebenden Faktoren geprägten Prozess mit offenem Ausgang. Dies gilt auch für das Glaubensleben, die Berufung und eine damit zusammenhängende (Lebens-)Entscheidung. Man ist nicht einfach Christ, sondern wird es immer wieder neu, indem man seiner Berufung nachkommt. Biblische und geschichtliche Impulse ebnen den Weg, diese Prozesse im Heute besser zu verstehen und aufzugreifen.

Jugendliche und junge Menschen benötigen für ihr alltägliches sowie auch geistliches Leben visionäre und pragmatische Optionen. Im dritten Kapitel werden daher seelsorgliche und pastoral-praktische Perspektiven angesprochen, die Wege zu Glaubens- und Berufungsentscheidungen gangbar machen und fördern. Die mannigfachen (Selbst-)Verwirklichungschancen, die Jugendlichen in den Ländern des deutschen Sprachraums geboten werden, bieten dabei ebenso viele Prozessoptionen. Zugleich erfordert der Glaube aber auch Bekenntnisse und Lebensentscheidungen, so dass die Freude im Glauben vollkommen wird.

Zur Realisierung dieses Studienbandes haben zahlreiche Menschen beigetragen. Unser erster Dank geht zunächst an die Co-Autorinnen und Co-Autoren, welche das Wagnis der Zusammenarbeit mit wenig bekannten Nachwuchswissenschaftlern eingegangen sind und uns einen Forschungsbeitrag anvertraut haben.

Für die Geleitworte und die damit verbundenen Würdigungen dieses Studienbandes seien dem Jugendbischof der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Stefan Oster SDB, Passau, sowie dem Präsidenten der Jugendkommission des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen, Erzbischof Jean-Claude Hollerich SJ, Luxemburg, ein herzliches Vergelt’s Gott gesagt.

Ebenso zu danken ist den Herausgebern der Reihe Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge (SThPS) unter dem Vorsitz von Herrn Prof. Dr. Hans Hobelsberger, die diesen Studienband in die Reihe aufgenommen und uns die Möglichkeit geboten haben, diesen im renommierten Würzburger Echter-Verlag zu platzieren. Gedankt sei auch dem Lektor des Verlags, Herrn Heribert Handwerk, für seine kompetente und umsichtige Betreuung des Manuskripts.

Dieser Studienband wäre ohne die großzügige finanzielle Unterstützung Dritter nicht zu realisieren gewesen. Ermöglicht haben die Projektierung und Publikation die Firma Hipp GmbH & Co Vertriebs KG, die Eichstätter Universitätsgesellschaft e.V., der Alfons-Fleischmann-Verein e. V. sowie das Bistum Eichstätt. Den genannten Institutionen und verantwortlichen Personen einen herzlichen Dank für Ihre großherzige Unterstützung theologischer Arbeit!

Die inhaltliche wie konzeptionelle Arbeit am vorliegenden Studienband fand wohlwollende Unterstützung und fortwährende Motivation durch unsere akademischen Lehrer und Dienstvorgesetzten an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Gedankt sei Herrn Prof. Dr. Dr. Erwin Möde, Ordinarius für Christliche Spiritualität und Homiletik sowie Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie, und Herrn Prof. Dr. Dr. Andreas Weckwerth, Inhaber des Lehrstuhls für Alte Kirchengeschichte und Patrologie.

Ein herzliches Dankeschön möchten wir Frau Magdalena Branner, studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Christliche Spiritualität und Homiletik, sagen für die zuverlässige Hilfe und die gründlichen Korrektur- und Formatierungsarbeiten am Manuskript.

Die Herausgabe des Studienbandes ist Ausdruck eines jahrelangen vertrauensvollen, kollegialen und freudigen Zusammenarbeitens. Möge diese Publikation dazu beitragen, die Freude der Jugendlichen und jungen Menschen am christlichen Glauben in unserer Kirche und das Verständnis dafür anzufachen.

Eichstätt, am Hochfest der Auferstehung des Herrn 2018

Eva-Maria Gärtner, Sebastian Kießig und Marco Kühnlein

Geleitwort von Bischof Dr. Stefan Oster SDB
zum Studienband
„… damit eure Freude vollkommen wird!“

Junge Menschen und die katholische Kirche sind bei uns einander in den letzten Jahren und Jahrzehnten vielfach fremd geworden. Eine Entfremdung, die sicherlich einer der Anlässe für Papst Franziskus war, im Oktober 2018 zu einer Weltbischofssynode unter dem Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“ einzuladen. Dazu sollen auch Jugendliche selbst einbezogen werden, damit sie ihre Sicht der Dinge zum Ausdruck bringen können. Ein zweiter Aspekt ist die aus der Entfremdung folgende Krise der Berufungen zum Priester- und Ordensberuf – zumindest in den Ländern des Westens. Aber nicht nur: es geht grundsätzlich um einen Beruf oder ein Engagement in der Kirche und daher drittens auch um die Frage: Wie und unter welchen Umständen findet heute ein junger Mensch erstens in den Glauben, aber zweitens zugleich in die Klärung des eigenen Lebens- und Berufungsweges? Und wie gelingt eine Unterscheidung der Geister unter den Bedingungen des Lebens der jungen Menschen von heute – in ihren vielfachen Lebensbezügen in der globalisierten, vernetzten Welt, aber eben auch unter ganz konkreten Umständen des je eigenen Lebens vor Ort? Solche Fragen werden Papst und Bischöfe im Oktober in Rom beschäftigen – in der begründeten Hoffnung, auch wichtige Empfehlungen und Erkenntnisse für den Weg der Kirche mit den Jugendlichen in unserem Land zu bekommen.

Jugendliche werden oft am besten von denen verstanden, die ihrem Alter noch am nächsten sind. Und so haben im Vorfeld der Synode drei junge Vertreter der Theologenzunft der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Eva-Maria Gärtner, Sebastian Kießig und Marco Kühnlein als Herausgeber, dazu eingeladen, diese kirchliche Weltveranstaltung theologisch zu reflektieren. Ihnen dient dazu als Leitfaden das einladende Vorbereitungsdokument zur Synode von Papst Franziskus. Die Beiträge sind vielfältig: praktisch, exegetisch, historisch und systematisch. Ich wünsche dem Band intensive Lektüre und dass er uns allen helfen möge, junge Menschen besser zu verstehen, so dass wir uns von ihnen zeigen lassen können, wie wir ihnen helfen können, die Einladung Jesu in sein Reich am besten zu verstehen und anzunehmen.

Dr. Stefan Oster SDB
Jugendbischof
Bischof von Passau

Grußwort von Erzbischof Jean-Claude Hollerich SJ
zum Studienband
„… damit eure Freude vollkommen wird!“

Als Bischof ist mir die Jugendseelsorge ein ganz besonderes Anliegen, denn die Jugendlichen sind das Potential, das Gott hat, um seine Kirche als lebendige Gemeinschaft in die Zukunft zu führen. Sie sind auch die Zukunft Europas. Es ist deshalb sehr wichtig, dass Jugendliche Freude am Glauben finden. „Feste kann man organisieren, nicht aber die Freude!“, schreibt Benedikt XVI. in Verbum Domini 123. Die Freude, die trägt, auch wenn wir schwere Situationen im Leben zu meistern haben, diese Freude kommt allein von Gott. Und ich möchte sagen: Gott schenkt wirklich Freude, echte Freude. Lasst Euch auf ihn ein und Euer Leben wird erfüllt sein von einer Kraft, einer Energie, durch die Ihr andere mit Freude erfüllen könnt.

Es ist mir bewusst, dass es für viele Jugendliche nicht einfach ist, Orte zu finden, wo sie den Glauben als lebendig, freudig, ansteckend erfahren. Mein Dank geht deshalb an alle, die Räume schaffen, damit Jugendliche dem lebendigen Gott begegnen können, im Hören auf das Wort Gottes, in der Feier der Eucharistie, im Gebet. Die Erneuerung der Kirche hat sich zu allen Zeiten aus der Begeisterung für das Evangelium ergeben. Wenn es uns gelingt, die Jugendlichen für das Evangelium Jesu Christi zu begeistern und in ihnen die Freude am Glauben zu wecken, dann ist mir um die Zukunft der Kirche nicht bange! Gerade in Zeiten des stetigen Wandels und der Unsicherheit erweist sich das Evangelium als konstantes Fundament und als fruchtbarer Nährboden für Berufungen zu einem Dienst in der Kirche.

Danken möchte ich, insbesondere auch als Präsident der Jugendkommission des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen, den jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich aus der Perspektive ihrer jeweiligen theologischen Fachdisziplin dem Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“, angenommen haben und auf diese Weise ihren Beitrag zur Vorbereitung auf die XV. Ordentliche Bischofssynode im Oktober 2018 in Rom leisten. Mögen dieser Studienband und die Bischofssynode dazu führen, die Situation der Jugend in der Welt von heute besser zu verstehen, und neue Impulse geben, die Jugendlichen in ihrer Freude am Glauben zu stärken und sie für das Evangelium Jesu Christi zu begeistern!

+Jean-Claude Hollerich SJ
Erzbischof von Luxemburg
Präsident der Jugendkommission des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen
Präsident der Kommission der EU-Bischofskonferenzen

Von Synode zu Synode

Keine Bange: Es geht ans Eingemachte!

Ute Eberl

Eine Erwachsenensynode mit dem Thema Jugend steht uns bevor – kein Weltjugendtag. Sollte jemandem Bange werden – hier die Franziskus-Beruhigung:

„Die Kardinäle und ich, wir sind nicht die Gerontokratie der Kirche. Wir sind Großväter! Großväter. Und wenn wir das nicht innerlich spüren, dann sollten wir um die Gnade bitten, das zu spüren. Großväter – unsere Enkel schauen auf uns.“1

Wie Großväter und Enkel. Das Narrativ, das Franziskus wählt, lebt von der Beziehung. Großväter können sich zurücklehnen, weil sie wissen, dass die Zukunft den Jungen gehört und sie ihnen vertrauen dürfen. Ja, sie können nicht nur, sie müssen den Enkeln erzählen, was sie umtreibt, ihre Schätze anbieten, von ihren Träumen erzählen. Nur, die Enkelinnen und Enkel – die sind durchaus nicht aus einem Holz geschnitzt. Sicher, es werden welche dabei sein, die an den Lippen der Alten hängen, und sie werden in ihren Herzen bewegen, was sie hören und entscheiden, was davon für ihr Leben heute taugt. Andere lagern sich bei den Großvätern und setzen ihr aufmerksames Gesicht auf, weil sie den Großvater lieben und wissen, wie wohl es ihm tut, wenn ihm zugehört wird. Und wieder andere haben einfach keine Zeit, die Welt verlangt ja gerade vieles von ihnen. Aber trotzdem, auf den Großvater können sie sich verlassen, der ist nicht beleidigt, weil er sie ja kennt, um sie weiß - weil er sie liebt. Ah ja, und manche, die würden lieber der Großmutter zuhören. Die Frage muss der Großvater dann aushalten.

Ich will das Bild nicht überstrapazieren.

Die Frage der Jugendsynode lautet schlicht: Welche Weichen müssen heute die Alten – ich sage das respektvoll – stellen, damit die Jungen auch in Zukunft Luft zum Leben und Glauben haben?

Nostalgische Rückblicke an die eigene Sturm- und Drangzeit werden da nicht weiterhelfen, vielmehr geht es ans Eingemachte. Glauben die Alten – oder sollte ich besser sagen wir –, dass Gott heute und in Zukunft genauso präsent ist wie in vergangenen Zeiten? Glauben wir, dass er den heutigen Jungen näher ist als sie sich selbst sein können, er sie sucht und von ihnen gefunden werden will?

Eine gefährliche Frage. Das reflexive Moment dabei: was müssen die Alten jetzt tun, damit sie der jungen Generation nicht im Wege stehen. Ihre Aufgabe ist doch, den Jungen Wege zu eröffnen. Wo müssen sie Platz machen? Das könnte auch weh tun.

Also sollte unsere Bischofskonferenz nicht alle bisherigen Regeln über Bord werfen und ganz im Sinne von „Gemeinsam Kirche sein“2 ihren Synodenteilnehmerschlüssel mit jungen Erwachsenen teilen, dann könnt das auch seinen Grund darin haben, dass die Generation der Synodenväter zunächst unter sich klären muss, was zu ändern ist. Als da wäre: dient unsere Haltung den Jungen gegenüber einem Mehr an Leben? Dient unser Sprechen von Gott einem Mehr an Glaubenslust? Dienen unsere Strukturen einem Mehr an Miteinander?

Da darf es Reibereien geben.

Klug, wer hört, was Jugendliche zu sagen haben, noch klüger, wer sie direkt fragt. Denn schon das Gefragtwerden erweckt Kräfte, schmeckt nach Partizipation. Denn Junge stehen nicht nur mitten im Wandel, sie sind selbst „Subjekt des Wandels und fähig Neues zu schaffen“ – so der Papst in seinem Einladungsschreiben.

Deshalb bittet Papst Franziskus die 16-29-jährigen um konkrete Mithilfe. Diesmal online – der Zielgruppe angemessen. Die Verheißung ist groß: Kirche fragt nach der Lebensrealität von Jugendlichen, nach ihren Bedürfnissen, wie sie die Welt um sich herum wahrnehmen, wie sie Entscheidungen treffen und wer ihnen dabei mehr oder weniger hilfreich ist, wem sie eher ihr Vertrauen schenken, wo und wie sie sich engagieren, was sie zum Leben brauchen, ob Gott für sie ein Vertrauter oder Unbekannter ist, was sie mit Berufung verbinden…

Während der Familiensynode vor zwei Jahren prägte Erzbischof Tagle den Satz: „Die Familien sind nicht dazu da, der Kirche zu gefallen. Sondern die Kirche ist für die Familien da.“3 Diesen Paradigmenwechsel wünsche ich der Jugendsynode: die Kirche ist dazu da, Menschen untereinander und mit Gott in Kontakt zu bringen, nicht sie passend für die Kirche zu machen.

Mit der Umfrage öffnet der Papst den Raum für eine lernende Pastoral. Eine neugierige Pastoral, die keine vorgefertigten Antworten in der Schublade hat, sondern sich interessiert. Die zu verstehen versucht, zuhört und sich davon überraschen lässt, was den Jungen überaus wertvoll ist und dem, was sie gering achten. Die sich auch befremden lässt und irritiert am Kopf kratzt. Und immer daran glaubt, dass Gott in der ganz konkreten Wirklichkeit, den Welten der Jungen da ist. Die Synode wird nicht umhin können, mit den Antworten der Jugendlichen zu stolpern. Sind doch möglicherweise die Jungen in unserer hochkomplexen Welt besser orientiert als die Alten, haben sie die verheißene Multioptionalität schon längst entlarvt, fällt es ihnen vielfach leichter, perspektivisch zu denken, weil sie sozial und netzwerkerprobt unterwegs sind.

Vielleicht staunen die Alten auch schlicht über die Vielfalt, die die Jungen beschreiben: wie man ausdrücken kann, dass man Gott sucht, mit ihm lebt oder ihn vermisst.

Und trotzdem bleibt die Herausforderung: wie kann die Synode der jungen Generation dienen? Wie ihr glaubhaft zusprechen, dass es ihr nicht um „das war schon immer so“ oder „das hatten wir noch nie“ geht. Der große Vorteil der Alten: sie wissen, dass im Wandel die Tradition liegt, dass Entwicklung Beständigkeit ermöglicht. Das ist ein großes Pfund.

Synodenerfahrung a la Franziskus gibt es mittlerweile zum Thema Familie. Als „auditrix“ konnte ich damals von den hinteren Bänken aus die außerordentliche Bischofssynode verfolgen.

Da ist etwas ganz großartiges passiert. In seiner Eröffnungsrede forderte der Papst von den Synodenvätern, frei und offen zu sprechen – und vor allem, einander zuzuhören. Wie großartig dieser Startschuss war, war mir beim ersten Hören nicht bewusst. Ja, was denn sonst? So dachte ich – Menschen aus aller Welt kommen hier doch nicht zum small talk zusammen, oder um sich außerhalb des Plenums an den Papst zu wenden, um ihre Irritation über den Ablauf der Debatte zu beklagen! Der Wiener Kardinal Schönborn hat es später dann trefflich erklärt: Frühere Synoden seien eher so eine Art Süßholzraspelei gewesen…

Das funktioniert jetzt nicht mehr. Der Papst setzt auf Prozesse und sagte – damals zumindest – er wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn in der Synodenaula nicht so heftig gestritten und gerungen worden wäre. Dass solcher Art angestoßene Prozesse nicht am letzten Synodentag erledigt sind, sondern „vor Ort“ weitergehen, wo wiederum miteinander gerungen wird – das dürfen wir in so mancher Diözese erleben.

Prozesse haben es in sich, sie ermöglichen Diskurs: Positionen werden bezogen, Fragen gestellt, es wird argumentiert und gestritten. Und nicht zu vergessen: auch Kofferabsteller in welche Richtung auch immer sind Teilnehmer des Diskurses, selbst wenn sie nicht als Diskursteilnehmer betrachtet werden wollen, sondern sich als alleinige Hüter der Wahrheit verstehen. Auch das durften wir nach der Familiensynode erleben.

„Auditrix“, Hörerin sein, – das klingt ganz entspannt, ist es aber nicht. Mir ist – mitten in der Weltkirche – sehr deutlich geworden, dass ich mit ganz speziellen Ohren höre. Den Ohren einer Frau aus einer offenen Gesellschaft mit einer freiheitlichen Rechtsordnung, mit den Ohren aus dem Land der Reformation, einem Land mit einer hochprofessionellen Caritas und Diakonie, mit sozialen Absicherungssystemen, aber auch aus dem Land mit einem Kirchensteuersystem, in dem hauptamtliche Laienmitarbeiterinnen und -arbeiter ihren Dienst tun. Einem sehr reichen Land.

Zwischen Menschen aus allen Kontinenten mit ihrer je eigenen Sprache sitzend, dachte ich, beim Stundengebet in der Synodenaula – mit Textheft! – da treffen wir uns auf alle Fälle. Umso überraschter war ich, dass nicht 250 Kehlen aus vollem Hals mitsangen, sondern eher herumgenuschelt wurde. Und wohl nicht, weil nicht alle gerne sängen, sondern weil das vermeintlich zusammenführende Latein doch möglicherweise Schwierigkeiten bereitete.

Die weltkirchliche Komplexität ist längst angekommen – das Neue: sie wird kommuniziert. Nicht mehr hinter vorgehaltenen Bischofshänden gewispert, sondern direkt aus der Aula gepostet, geteilt und rasant im Netz verbreitet. Damals ist in der Aula einer der Synodenväter aus der südlichen Halbkugel aufgestanden und hat seine Mitbrüder aufgefordert, zuallererst das Evangelium zum Thema Reichtum, Armut und Gerechtigkeit zu befragen – vor allen hehren Vorstellungen, wie Familie zu sein hat.

Diese Herausforderung des Evangeliums steht. Immer noch. Versehen mit mehreren Ausrufezeichen. Die Zielgruppe der Jugendsynode ist in manchen Ländern wohl gerade nicht online – sie ist auf der Flucht vor kriegerischen Auseinandersetzungen, Gewalt und Korruption. Im Gepäck die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Wer weiß, vielleicht wird das eine Synode, deren Subtext „globale Verantwortung“ lautet, eine politische Synode und zugleich eine zutiefst spirituelle und hoffnungsvolle, weil sie die O-Töne der Jungen nicht überhört, die ihre Hoffnung singen, slamen oder tanzen, die überall tatkräftig das Evangelium verkünden, und wirklich nur notfalls mit Worten4.

Lokale Herausforderungen brauchen lokale Antworten – wenn also hier in unserem Land jetzt schon im Vorfeld der Synode in Verbänden und Diözesen Prickelndes und Unordentliches, Ausrufezeichen und Fragezeichen, Brandgefährliches und überaus Zärtliches – so ist das Evangelium nun mal – miteinander geteilt werden, dann sind die Jungen schon mittendrin – in der Synode.

1 Papst Franziskus, Predigt anlässlich seines 25. Bischofsjubiläums: 27. Juni 2017 RV.

2 Vgl. DBK (Hrsg.), „Gemeinsam Kirche sein“, Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral, 01. August 2015, Bonn 2015.

3 Tagle, Luis Antonio, Wir sollen Wunden heilen, in: DIE ZEIT, Ressort: Glauben und Zweifeln, Gastbeitrag der Ausgabe Nr. 44/2015, 60.

4 Zitat, das dem Hl. Franz von Assisi zugeschrieben wird.

Jugend(liche) in der Kirche:
Bestandsaufnahmen

„Die Jugendlichen in der Welt von heute“

Marco Kühnlein

„Die Jugendlichen in der Welt von heute“1: So lautet in deutscher Übersetzung die Überschrift des ersten Hauptabschnitts des Vorbereitungsdokuments zur Synode „Die Jugendlichen, der Glaube, die Berufungsentscheidung“. Bereits in dieser Überschrift kristallisieren sich die drei Schlagworte des Themen- und Fragenhorizontes heraus, die den Rahmen der Erstellung einer Bestandsaufnahme in diesem Studienband vorgeben: Jugendliche, Welt, Heute.

Das Vorbereitungsdokument merkt eher beiläufig an, „[…] dass die Jugend nicht in erster Linie eine bestimmte Kategorie von Menschen identifiziert, sondern vielmehr eine Phase des Lebens ist, welche durch jede Generation in einer einzigartigen und unwiederholbaren Weise geprägt wird.“2 Mit dieser Aussage ist aber ein wesentlicher Punkt markiert: Die Verhältnisbestimmung „der Jugend“ zum Glauben ist unmöglich, weil es „die Jugend nicht mehr gibt“3. Ein adäquater Sprachgebrauch ist es daher, von „den Jugendlichen“ zu sprechen, um der real existierenden Komplexität und Diversität dieser Altersgruppe gerecht zu werden.

Gewiss wurde „die Jugend“ im 20. Jahrhundert als eine feste Größe nicht nur innerhalb des Milieukatholizismus betrachtet. Doch dies hat sich durch allerlei Verschiebungen, zusammengefasst unter dem Stichwort „Globalisierung“, geändert. Jugendliche erleben sich nicht mehr als passive Empfänger, sondern als aktive Gestalter ihres eigenen Umfeldes. Sie werden unmittelbarer als früher zu „Subjekten des Wandels und fähig, neue Möglichkeiten zu schaffen“4. Diese individuelle Gestaltungsfreiheit Jugendlicher erstreckt sich zweifelsohne auch auf den Bereich des Religiösen und erfordert angemessene Beachtung.

Daraus darf man schließen: Es gibt eine Welt, aber in ihr viele einzelne und sich immer neu justierende Lebenswelten. Durch das veränderte, digitale Kommunikationsgeschehen sowie durch erhöhte Mobilität sind diese Lebenswelten enger miteinander vernetzt, kommen in Berührung und prallen gelegentlich auch aufeinander, wie sich am Beispiel von Flucht und Migration ablesen lässt. Die Folge ist eine Pluralisierung des öffentlichen Lebens bei gleichzeitiger Individualisierung der eigenen Lebenswelt. Das schafft insbesondere bei Jugendlichen ein Bewusstsein dafür, als Individuum Teil einer Masse zu sein, und befördert damit eine dynamische Dialektik von Individualisierung und Homogenisierung, die sich auf das Verhältnis zwischen Lebenswelt und Welt auswirkt.

Um darauf flexibel reagieren zu können, sind die Bezugspunkte der heutigen Lebenswelten nicht Strukturen eines geschlossenen Systems, das Masse und Individuum in ein festes Verhältnis setzt, sondern glaubwürdige Personen. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in einer großen Skepsis Jugendlicher gegenüber der Institution Kirche bei gleichzeitiger Aufgeschlossenheit gegenüber religiösen Fragen. Insofern legt sich nahe, die zwei Fragenbereiche nach der Religiosität oder dem Glauben Jugendlicher einerseits und ihrer (Nicht-)Beziehung zur Kirche andererseits zu trennen, um differenzierte Antworten zu finden.

Das Heute ist treffend charakterisiert mit dem Phänomen der Beschleunigung. Der Abstand zu den Lebenswelten von Menschen anderer Generationen wächst schneller, was sich nicht zuletzt in der Gleichgültigkeit gegenüber überkommener (religiöser) Sprache zeigt. Dabei stehen der Wille und die Freiheit zur aktiven Zukunftsgestaltung Jugendlicher nicht selten in Spannung oder gar im Widerspruch zu einer Zukunftsangst. Sie bewirkt eine „Situation der Verletzlichkeit und Unsicherheit“5 sowie eine Orientierungslosigkeit und Vereinsamung.

Durch den von Unsicherheit geprägten, sich ungewiss verändernden Horizont der eigenen Lebenswelt im Jetzt wird folglich das Durchringen zu letztgültigen Entscheidungen, die auf die Zukunft hin festlegen, erschwert. Daher gehen Jugendliche bei der „Ausbildung einer Identität immer mehr einen ‚reflexiven Weg‘“6, der je neu veränderbare Optionen als bindende Festlegungen bereithält.7

Diese im Vorbereitungsdokument aufgeführten Themen werden in den nachfolgenden Beiträgen auf je eigene Weise aufgegriffen: Aus historischer Perspektive stellt Florian Bock Veränderungen und Umbrüche beim Verhältnis „der Jugend“ zum deutschen Katholizismus des 20. Jahrhunderts bis ins Heute dar. Eva Willebrand fokussiert mithilfe aktueller empirischer Befunde die Religiosität und den Glauben Jugendlicher in Deutschland mit ersten Schlussfolgerungen. Extrem im Umbruch befindliche Lebens- und Glaubenswelten zeigt Joachim Braun auf, indem er die Situation von nach Deutschland geflüchteten, jugendlichen Christen beschreibt und diese selbst zu Wort kommen lässt. Die derzeitig komplexe Lage wird von Jan Loffeld (pastoral-)theologisch im Gespräch mit sozialwissenschaftlichen Theorien ausgedeutet mit dem Impuls, Jugendseelsorge als „Berufungspastoral“ zu verstehen.

Wenngleich durch die Beiträge kein Anspruch auf ein allumfassendes Bild erhoben werden kann, gelingt doch eine vielgestaltige Bestandsaufnahme, die den Blick auf das Subjekt und zugleich Objekt des Fragens richtet, nämlich Jugendliche und ihre Berufung in der Welt von heute.

1 Vorbereitungsdokument zur XV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode „Die Jugendlichen, der Glaube, die Berufungsentscheidung“ vom 13.1.2017: http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2017/01/13/0021/00050.html [Zugriff am 26. Februar 2018].

2 Ebd.

3 Vgl. den Titel des Beitrags von Jan Loffeld in diesem Band, S. 79.

4 Vorbereitungsdokument zur XV. Ordentlichen Generalversammlung (wie Anm. 1).

5 Ebd.

6 Ebd.

7 Das Zutreffen dieser These für Deutschland zeigt das Antwortschreiben der Deutschen Bischofskonferenz anlässlich der XV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode „Jugend, Glaube und Berufungsunterscheidung “ (= Pressemitteilungen der DBK 184a) vom 3.11.2017.