Inhalt

Heft 2 | April–Juni 2018

Jahrgang 91 | Nr.

Notiz

Wortlicht. Lectio Divina über Joh 1,1–14
Margareta Gruber OSF

Nachfolge

„Ohne Christus ist Krieg.“ Mystik und Politik bei Max Josef Metzger (1887–1944)
Christian Heß

Gott arbeitet! Eine theopoietische Wende der Seelsorge
Peter Hundertmark Martina Patenge

Pilgern als mystischer Erfahrungsweg
Detlef Lienau

Jesus und die Alleingelassenen im Johannesevangelium
Erhard Kunz SJ

Nachdenken über Karsamstag
Martin Dieckmann

Nachfolge | Kirche

Geistlicher Machtmissbrauch. Kirchenrechtliche Aspekte
Rüdiger Althaus

Das Eine denken. Dionysius Areopagita neu gelesen
Michiel ter Horst

Dingwelt der Passion. Sieben Konkretionen

Nachfolge | Junge Theologie

Eine geschichtliche „Wasserscheide?“ Was von de Lubacs „Surnaturel“ bleibt
Benjamin Bartsch

Reflexion

Der Glaube als Spiegel der Trinität. Zum theologischen Ansatz von H. U. von Balthasar
Rodrigo Polanco

Lektüre

Muttersprache der Liturgie. Die biblischen Bezüge liturgischer Texte
Jörg Müller

Buchbesprechungen

Margareta Gruber OSF | Vallendar

geb. 1961, Professorin für Exegese des Neuen Testaments und Biblische Theologie, Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN

mgruber@pthv.de

Wortlicht

Lectio Divina über Joh 1,1–14

1,1 Im Anfang war das WORT, und das WORT war bei Gott, und Gott war das WORT.

1,9 Es war das wahre LICHT, das jeden Menschen erleuchtet, (immer wieder) kommend in die WELT.

1,2 Dieses war im Anfang bei Gott.

1,10 Es (das WORTLICHT) war in der WELT.

1,3 Alles wurde durch es (das Wort), und ohne es wurde nichts, was geworden ist.

1,10 Und die WELT ist durch es (das WORTLICHT) geworden.

1,4 In ihm (dem Wort) war Leben, und das Leben war das LICHT der Menschen.

1,10 Und die WELT erkannte es (das WORTLICHT) nicht.

1,5 Und das LICHT leuchtet in der Finsternis,

1,11 In sein Eigenes kam es (das WORTLICHT).

1,5 Und die Finsternis hat es (das Licht) nicht überwältigt

1,11 und die Seinen nahmen es (das WORTLICHT) nicht auf.

Dieser Text des Johannesprologs ist durcheinandergeraten, aber keineswegs nach dem Zufallsprinzip: Die in Standardschrift gehaltenen Zeilen lesen die ersten 5 Verse des Liedes, die kursiv gedruckten Zeilen die VV. 9–11. Manchmal hilft es, das Gewohnte durcheinanderzubringen, damit es sich in neuer Weise ordnen kann. Denn wenn man den vertrauten Text des Johannesprologs probeweise einmal in dieser Reihenfolge (laut) liest, kann man einige Entdeckungen machen.

In den VV. 1–5 geht es um das Wort, in den VV. 9–11 um das Licht. Bereits in V. 4 wird das Wort jedoch mit dem Licht in Verbindung gebracht, und zwar mit dem Licht für die Menschen. Alles, auch die Menschenwelt, ist durch das Wort/ Licht geworden. Dieses Licht kann von der Finsternis nicht überwältigt werden; es gibt einen Bereich, in dem der Sieg des Lichtes immer klar bleibt. Von diesem Licht wird nun in dem zweiten Abschnitt gesagt, dass es in die Welt kommt. Die griechische Sprache malt mit dem Imperfekt in gewisser Weise ein Bild, in dem dieses Kommen immer wieder geschieht. Wie das Wort im Anfang bei Gott „war“, so „war“ das Licht nun in diesem ständigen, immer wieder neuen Kommen in der Menschenwelt, in vielen Gestalten, vor allem in den Propheten. Ab VV. 10–13 ist das Subjekt nicht klar: Ist es das Wort oder das Licht? Mein Versuch, das Wortlicht als Subjekt zu benennen, lässt bewusst beides zusammenklingen. In der Menschenwelt leuchtet das Wortlicht nicht einfach in seiner unbezwingbaren Weise, sondern es ist darauf angewiesen, dass es die Menschen erkennen und annehmen. Doch diese Welt erkannte das Wortlicht nicht. Eine Scheidung geschieht, ein Kampf findet statt. Das wird dann in V. 11 noch einmal zugespitzt, indem die Welt „sein Eigenes“ genannt wird, in das das Wortlicht kommt. Dieses Kommen malt die Sprache des Liedes als etwas Punktuelles, hier wird sozusagen auf den Punkt in der Geschichte Gottes mit der Welt geschaut, an dem die Scheidung geschieht: Die Menschenwelt ist durch das Wortlicht geworden, sie gehört ihm und ist sein Eigentum, aber sie weist es ab. An dieser Stelle rückt das Kommen des Wortlichts in Jesus von Nazaret in den Blick, den die „Seinen“ nicht aufgenommen haben. Alle? Nein, denn die Menschen, die das Wortlicht aufnehmen und an „seinen Namen“ glauben, werden „Kinder Gottes“ genannt. Die Glaubenden werden eine neue Schöpfung; die Menschenwelt, die durch das Wortlicht geworden ist, wird neu in den Kindern Gottes. Damit die Welt jedoch zu dieser neuen Schöpfung werden kann, muss ein anderes Werden stattfinden: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (1,14). Jetzt wird das Wort als Subjekt wiederbenannt. Der Blick ist nun nicht mehr aus der Perspektive des Wortlichts von oben her auf die Welt gerichtet, sondern sozusagen von unten her auf das Fleisch gewordene Wort, das „wir“ gesehen haben. Die Menschenwelt läuft Gott davon, und er läuft ihr nach. In der Welt begegnen sie sich, das Fleisch gewordene Wort und die „Seinen“.

Who is who in diesem Lied? Bewusst legt es sich nicht fest. Das Wortlicht kommt in die universal gedachte Menschenwelt; konkret ist es jedoch Gottes Eigentumsvolk, Israel, zu dem das Wortlicht immer wieder in den Propheten und auf vielerlei Weise kam, und wo es nicht erkannt wurde. Aufnahme und Ablehnung geschehen immer konkret in der Geschichte, und letztlich im Herzen jedes einzelnen Menschen. Das Johannesevangelium wird viele Menschen zeigen, in denen dieses Drama stattfindet. Manche gehören zum Eigentumsvolk Israel, andere nicht. Die Frage, warum Gottes Volk das Fleisch gewordene Wort nicht aufgenommen hat, kann das Johannesevangelium nicht beantworten. Vielleicht war die Verstörung, der Schmerz oder auch der Zorn darüber noch zu groß. Das Evangelium will an dieser Stelle sicher keine negative Aussage über Israel als Ganzes treffen; ein letzter Verdacht von latentem Antijudaismus lässt sich dennoch nicht ausräumen. Heute muss ein/e Leser(in) umso mehr verstehen, dass „die Welt“ universal zu verstehen ist – das Wort kam zu allen Menschen – und gleichzeitig ganz konkret: Jeder Mensch ist „Eigentum“ Gottes, Ort des Kampfes um Annahme und Ablehnung des Lichts, Ort der erlösenden Begegnung mit dem Wort im (eigenen) Fleisch.