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ANTON ROTZETTER

Zukunft,
die Hoffnung
verheißt

Franziskanische
Perspektiven
für eine globale
Gerechtigkeit

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Inhalt

Vorwort

Wider die vielfältige Krise:

Hoffnung, die Zukunft verheißt

Wider die Sinnkrise:

Verbindliche Zugehörigkeit

Wider den Traditionalismus:

Ein Geschichtsbewusstsein, das der Gegenwart und der Zukunft verpflichtet ist

Wider die Sackgassen der Kirche:

Franziskus als Papst

Wider ein bloß institutionelles Kirchenverständnis:

Eine mystisch verankerte und lokal erlebbare Kirche

Wider Aggression und Gewalt in der Argumentation:

Miteinander die Wahrheit erschließen

Statt politischer Konfrontation Dialog auf der Grundlage der Gegenseitigkeit

Wider den Sexismus:

Geschwisterlichkeit und gleichberechtigtes Miteinander von Frau und Mann

Widerspruch zur herrschenden Wirtschaftstheorie und -praxis:

Eine Wirtschaft, die dem Leben dient

Wider den Konsumismus:

Eine Kultur des Teilens und der Solidarität

Wider die Klimakrise:

Ein schöpfungsorientierter Lebensstil

Wider die gewalttätige Ausbeutung:

Hütende Sorge und Zärtlichkeit

Wider die falsch verstandene Globalisierung:

Hoffnung für alles, was geschaffen ist

Abkürzungsverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort

In seiner Regel spricht Franz von Assisi von der Gerechtigkeit, die wir den Armen schulden und die durch Jesus von Nazareth erworben ist. Mit anderen Worten: Die Armen haben von Christus her einen Anspruch, von den Menschen Hilfe zu erfahren, welche dazu in der Lage sind. Dieses Postulat geht weit über dasjenige hinaus, was sich aus einem bloß humanen Ansatz heraus sagen lässt. Das heißt aber auch, dass die Kirche und die Christen in besonderer Weise gefordert sind.

Papst Franziskus spricht darum zu Recht angesichts des schrecklichen Flüchtlingsschicksals bei der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa von „Schande“. Der vieltausendfache Tod dürfte und würde nicht sein, wenn wir Menschen bzw. Christen mehr Gerechtigkeitssinn und Empathie für das Leiden empfänden. Er prägt das eingängige Wort von der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“.

Welch glückliche und provokative Wortwahl! Papst Franziskus übersetzt damit das mystische Globalisierungsprogramm des hl. Franz von Assisi in ein ethisches Verhalten. Während der mittelalterliche Heilige in allen Geschöpfen (Steinen, Pflanzen, Tieren, Menschen) Brüder und Schwestern erkennt und zu einem umfassenden Lob des Schöpfers einlädt, fordert der Papst Empathie und Solidarität mit den Flüchtlingen. Lampedusa ist nur der besonders schreckliche Ort eines umfassenden menschlichen und christlichen Defizits.

Der Papst demaskiert die diesbezügliche Politik ganz allgemein und in besonderer Weise auch jene der sogenannt christlichen Politiker, die immer noch eine menschenunwürdige Flüchtlingspolitik und Gesetzgebung fördern. Und das Schweizervolk ist ihnen bei der Einschränkung des Asyls darin gefolgt, ohne dass es das unermessliche Leid der Flüchtlinge und die dahinterliegenden Ursachen zur Kenntnis nehmen wollte.

Papst Franziskus erfährt viel Zustimmung. Aber haben wir wirklich begriffen, dass wir Europäer durch die Art unseres konsumistischen Lebensstils eine der Mitursachen sind für das Problem der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge? Wir überschwemmen afrikanische Märkte mit unserer Überproduktion, vor allem auch mit Obst, Gemüse und Fleisch, und verunmöglichen einheimischen Bauern das eigene Einkommen. Wir lassen auf lateinamerikanischem Boden Soja und anderes anpflanzen, damit wir unser tägliches Fleisch, auf dem Teller haben. Dass dabei Bauern von ihrem Land vertrieben und ins Elend getrieben werden, ist uns gleichgültig. Ich würde mir wünschen, dass dieser Aspekt der globalisierten Gleichgültigkeit auch von den offiziellen Stellen der Kirchen erkannt würde und besonders auch von den Orden in die tägliche Lebensstilgestaltung einflösse.

Mit Berufung auf Franz von Assisi sagt der große französische Schriftsteller und Philosoph Jean Bastaire, der im August 2013 verstorben ist: „Mein Projekt einer neuen geistlichen Bewegung berief sich ausdrücklich auf das Patronat des Franz von Assisi. Denn es ging dabei wie beim Kleinen Armen darum, den Reichtum dieser Welt abzulehnen. In unseren Tagen besteht dieser im Konsumismus, in der Anhäufung der Güter und im Rausch des Konsums. Heilige und Weise mussten sich dabei immer übergeben. Heute ist neu, dass der Konsumismus „demokratisiert“ wurde. Alle nehmen daran teil, wenigstens in den abendländischen Gesellschaften, mit Ausnahme einer kleinen Minderheit, die davon ausgeschlossen ist. Ich wollte zwar nicht eine so radikale Revolution vorschlagen, wie sie Franziskus mit seiner Hingabe an die totale Entleerung Christi am Kreuz bewerkstelligte. Aber der Demokratisierung der Exzesse und der Verschwendung wollte ich die Demokratisierung der Zurückhaltung, der Schonung und der Ehrfurcht entgegensetzen. Die verachtungswürdige Gier und die raubtierartige Ernährungsweise wollte ich durch den nüchternen Gebrauch und die Dankbarkeit ersetzen. Diese Mystik des ‚small is beautiful‘ schien mir weniger fordernd zu sein als der totale Verzicht.“1 Und dann spricht Bastaire von der Empfindungslosigkeit und von der allgemeinen „Anästhesie“, welche gerade auch die Christen und die Kirchen befallen hat gegenüber dem „Martyrium der Schöpfung und der allgemeinen Verachtung der Geschöpfe Gottes“2. Für den Autor gründet die Auffassung des Franz von Assisi, dass der Stein, die Pflanze, das Tier und der Mensch einander Bruder sind und Schwester, in der kosmischen Vaterschaft Gottes. Deswegen braucht es heute eine Spiritualität der „Compassio“, die das Leiden der Geschöpfe als eigenes Leiden leidet. Aus dieser Empathie heraus wird dann auch der gerechte Anspruch der Geschöpfe auf Hilfe und Solidarität, auf Respekt und Schonung erkennbar.

In dieser allumfassenden „Weltanschauung“ habe ich von Franziskus her eine Reihe von Artikeln3 geschrieben, die eine lebens-, menschen- und tierfreundliche Spiritualität erstreben und vermitteln wollen. Sie sind nun in diesem Buch zusammengefasst und eigentlich bloß Fragmente, die beispielhaft einige Denkanstöße geben wollen. Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist meist ein Text des Zweiten Vatikanischen Konzils oder eine andere Äußerung der offiziellen Kirche. Teils kritisch, teils weiterführend werden sie in heutige Kontexte gesetzt. Sie vertrauen darauf, dass sie in Papst Franziskus Verständnis und exemplarische Verwirklichung finden.

Freiburg/Schweiz, Januar 2014

Wider die vielfältige Krise:

Hoffnung, die Zukunft verheißt

 

„Gewiss ist die Menschheit in unseren Tagen voller Bewunderung für die eigenen Erfindungen und die eigene Macht; trotzdem wird sie oft ängstlich bedrückt durch die Fragen nach der heutigen Entwicklung der Welt, nach Stellung und Aufgabe des Menschen im Universum, nach dem Sinn seines individuellen und kollektiven Schaffens, schließlich nach dem letzten Ziel der Dinge und Menschen. Als Zeuge und Künder des Glaubens des gesamten in Christus geeinten Volkes Gottes kann daher das Konzil dessen Verbundenheit, Achtung und Liebe gegenüber der ganzen Menschheitsfamilie, der dieses ja selbst eingefügt ist, nicht beredter bekunden als dadurch, dass es mit ihr in einen Dialog eintritt über all diese verschiedenen Probleme; dass es das Licht des Evangeliums bringt und dass es dem Menschengeschlecht jene Heilskräfte bietet, die die Kirche selbst, vom Heiligen Geist geleitet, von ihrem Gründer empfängt. Es geht um die Rettung der menschlichen Person, es geht um den rechten Aufbau der menschlichen Gesellschaft. Der Mensch also, der eine und ganze Mensch, mit Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen steht im Mittelpunkt unserer Ausführungen. Die Heilige Synode bekennt darum die hohe Berufung des Menschen, sie erklärt, dass etwas wie ein göttlicher Same in ihn eingesenkt ist, und bietet der Menschheit die aufrichtige Mitarbeit der Kirche an zur Errichtung jener brüderlichen Gemeinschaft aller, die dieser Berufung entspricht“ (Gaudium et spes 3).4

Jahrzehnte sind vergangen, seit das Zweite Vatikanische Konzil diesen programmatischen Text geschrieben hat. Noch ist man erfüllt von Optimismus und teilt vorbehaltlos die Bewunderung für die großartigen technischen Erfindungen und die Macht der Menschen, was die Gestaltung der Erde betrifft. Man hatte damals die Hoffnung, dass man sozusagen jedes Problem technisch lösen könne; es brauche dazu nur genügend Geld und einen langen Atem. Wenn nicht jetzt, so doch in – vielleicht ferner – Zukunft würden wir alles in Ordnung bringen können.

Dieser Fortschrittsglaube ist unterdessen gänzlich erschüttert worden, die Ohnmacht des Menschen alltägliche Erfahrung. Nacheinander wurde eine fundamentale Krise greifbar: Krise des wissenschaftlichen Denkens, Vertrauenskrise, Bindungskrise, Finanzkrise, Ernährungskrise, globale Wirtschaftskrise – und alles gipfelt in einer umfassenden Sinnkrise. Etwas davon hat das Konzil bereits damals feststellen können: die Angst und bedrängende Fragen bezüglich der Zukunft und der Stellung und der Aufgabe des Menschen.