Inhalt

Heft 1 | Januar–März 2018

Jahrgang 91 | Nr. 486

Notiz

Den Seelen helfen
Bernhard Bürgler SJ

Nachfolge

Abgrenzung oder Anpassung? Impulse aus der Frühen Kirche
Franz Dünzl

Wer ist Christus für uns heute? Beispiele einer Theologie der Nachfolge aus der Evangelischen Kirche
Bernd Liebendörfer

Nachfolge | Kirche

„Wie konntet ihr mich vergessen?“ Anfragen an klerikale Tendenzen
Edith Kürpick FMJ

Klerikalismus 2.0. Über die Wiederkehr eines alten Phänomens in neuen Formen
Alois Halbmayr

Nachfolge | Junge Theologie

Ein Tag für das Leben.
Vom Sabbat und seiner heilsamen Zweckfreiheit
Jan Oliva

Reflexion

Kontemplation und Freiheit
Walter Schaupp

Dem Namen Jesu zugewandt.
Kontemplative Übungen nach Franz Jalics
Pieter-Paul Lembrechts SJ

Tiefendimension des Betens. Reflexionen im Anschluss an Franz Jalics‘ „Kontemplative Exerzitien“
Simon Peng-Keller

Mitten im Leben Gott erfahren. Sakramentale Mystik bei Henri de Lubac
Dominik Arenz

Spiritualität in Krisenzeit. Louis Lallemant und seine Doctrine Spirituelle
Tibor Bartók SJ

Ein Stadtkloster in Berlin. Erfahrungsbericht aus der evangelischen Communität Don Camillo
Georg Schubert

Lektüre

Wie ein Dieb (Teil II)
Michel de Certeau SJ

Buchbesprechungen

Bernhard Bürgler SJ | Wien

geb. 1960, Provinzial der Österreichischen Provinz der Jesuiten, Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN

bernhard.buergler@jesuiten.org

Den Seelen helfen

„Unmöglich, das geht nicht“: Das war mehr oder weniger die Meinung vieler außerhalb und innerhalb seines Ordens, als er von seinem Vorhaben erzählte, ein „kontemplatives Exerzitienhaus“ zu eröffnen. „Er träumt! Die Nachfrage nach seinen Kursen ist nicht so groß, und ein eigenes Haus kann sich nicht tragen.“

1978, nach seiner Ankunft in Deutschland, begann P. Franz Jalics, kontemplative Exerzitien zu begleiten. Es gab viel positive Resonanz auf seine Art von Exerzitien und so dachte er daran, nicht mehr herumzureisen und Kurse in verschiedenen Häusern anzubieten, sondern ein eigenes Zentrum zu schaffen. Schließlich hat er es mit Erlaubnis seiner Oberen getan. Und, es ist gegangen – sehr gut sogar! Das Haus Gries und die Kontemplativen Exerzitien wurden ein Erfolgsprojekt.

P. Franz Jalics ist am 16. November 2017 90 Jahre alt geworden und er kann auf ein großes Lebenswerk zurückschauen. Was war, was ist das Geheimnis seines „Erfolges“? Drei Begriffe fallen mir ein: Mensch, Weg, Ort.

Ich weiß noch, als ich ihm das erste Mal begegnete. Es war kurz nachdem er von Argentinien nach Deutschland gekommen war. Ich war beeindruckt von seiner Ausstrahlung, von seiner Lebensgeschichte, von seinem Anliegen, Menschen zu Gott zu führen. Ich hatte das Gefühl, einen Menschen zu treffen, der in sich einen Auftrag spürt, der weiß, was er will und der einen geistlichen Weg zeigen kann, der für heutige Menschen gehbar und hilfreich ist. Seit damals haben sich viele Menschen seiner Führung anvertraut. Sie haben ihn erlebt als jemanden, der Gott erfahren hat, und der andere näher zu ihm hinführen will und kann: einen Lebemeister. Geistliche Menschen – sie werden gesucht, innerhalb und außerhalb der Kirche, gerade heute.

Franz Jalics hat vielen Menschen einen Weg zu Gott, zu sich selbst und zu den Menschen gezeigt. Diesen Weg wurde er selbst geführt und ist ihn konsequent gegangen. Auf seiner eigenen Erfahrung aufbauend hat er ihn weitervermittelt. Dieser Weg ist eine Gebetsweise, das kontemplative Jesus-Gebet. Er ist aber mehr als das, er ist eine Lebensweise; eine Weise des Umgangs mit der Welt, den Menschen und sich selbst. Dieser Weg führt vom Denken zum Spüren und Wahrnehmen, von der Vergangenheit und Zukunft ins Hier und Jetzt, in die Gegenwart. So kann allmählich etwas von der Gegenwart Gottes aufleuchten, so kann der Ich-Bin-Der-Ich-Bin erfahrbar werden.

Franz Jalics ist ein Praktiker. Seine Stärke ist weniger über das Wesen von Kontemplation nachzudenken, zu schreiben und zu sprechen, als Menschen ganz konkret, Schritt für Schritt einen kontemplativen Weg zu zeigen und sie auf ihm zu begleiten. Die Beschreibung, was im Gehen dieses Weges geschieht, was einem begegnet, wie man mit bestimmten Phänomenen, die sich einstellen, umgehen und wie man sich in bestimmten Situationen verhalten soll, damit der Weg weiterführt, ist sein Anliegen. Hilfreiche Anleitung und Begleitung eines kontemplativen Weges, darum geht es ihm.

Diese einfache Weise des Betens und Lebens, die er zeigt, gründet zutiefst in der christlichen Tradition. Sie trifft ein Bedürfnis unserer heutigen Zeit. Die Sehnsucht nach Ruhe und Stille, nach einfachem Dasein und nach Erfahrung ist groß. Durch den Weg, den er zeigt, ist es ihm gelungen, eine in vielen Menschen lebende Sehnsucht zu stillen. Auf diesem Weg geschieht Verwandlung und Heilung. Viele Menschen haben das erfahren. In Religion, in der christlichen Religion steckt eine große transformative Kraft.

Mit dem von ihm gegründeten Haus Gries hat Franz Jalics zudem einen heute weit über Deutschland, ja sogar über Europa hinaus bekannten Ort geschaffen, der unzähligen Menschen Bezugspunkt und Heimat geworden ist. Menschen, die dort Kurse besucht haben, fühlen sich mit ihm verbunden. In Zeiten, in denen Menschen sich mit einer Bindung an die Kirche als Ganze oder eine bestimmte Pfarrei schwer tun, sind solche geistliche Orte von Bedeutung.

Bis heute werden in diesem Haus das ganze Jahr über kontemplative Exerzitienkurse angeboten, die nach wie vor gut besucht sind. Luxus gibt es nicht. Ausstattung und Lebensstil sind einfach. Eine Gruppe von Voluntär(inn)en macht die Hausarbeit, die Kursteilnehmer(innen) helfen mit. Es wird auch nicht auf die Armen vergessen. Projekte in Entwicklungsländern werden unterstützt. Die Atmosphäre der Stille, der Einfachheit, der Solidarität ist spürbar. Sie zieht Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Religion und Konfession an. Dort finden sie einen Raum, in dem sie zur Mitte finden können, wo das göttliche Wort hörbar werden kann.

Mensch, Weg, Ort – diese drei Begriffe, die für mich das Lebenswerk von Pater Franz Jalics charakterisieren, scheinen mir zukunftsweisend zu sein. Wenn es der Kirche, wenn es uns gelingt, mehr davon zu haben, dann ist es möglich, die meines Erachtens große spirituelle Sehnsucht der Menschen heute aufzugreifen und „den Seelen zu helfen“ – wie es Ignatius von Loyola ausgedrückt hat, zu dessen Orden Franz Jalics gehört.