Raimund Badelt

Energie Liebe

Teilhard de Chardin – ein Mystiker der Evolution

Ignatianische Impulse

Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ

und Martin Müller

SJ Band 77

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Raimund Badelt

Energie Liebe

Teilhard de Chardin – ein Mystiker der Evolution

echter

Inhalt

Zum Einstieg: Warum dieses Buch?

1. Wer war Teilhard de Chardin? – Eine Kurzbiografie

Zum Schauen und Forschen geboren

Der Streit um sein Werk

2. Teilhards innerer Weg

Das Herz, die Natur und die Wissenschaft

Ignatianische Exerzitienspiritualität: der ganze Mensch und Gott in allem

Zwischen Mut und Demut

3. Das Weltbild Teilhards – der Brückenschlag

Die Welt entwickelt sich

… dank der Energie als Bindungskraft

Liebe als Form der Energie

Christus als Ziel der Evolution

4. Mitwirken an der Schöpfung

Spiritualität beginnt mit Staunen

Weltbilder im Wandel

Schöpfung in vollem Schwung

Ein Mystiker liest Paulus

Der bleibende Sinn unserer Arbeit

Wenn’s aber schiefgeht?

Papst Franziskus: »Zeig uns unseren Platz in der Welt!«

5. Die Bedeutung der Eucharistie

Eucharistie – ein umfassenderes Verständnis

Die »Messe über die Welt«

Leben als Kommunion

6. Liebe als Energieform

Warum gibt es uns überhaupt?

Schöpfen heißt Vereinigen

Sein – Lieben – Anbeten

Erotik in die Theologie einbauen!

»Hymnus auf das Ewig-Weibliche«

Kann es »Breitband«-Liebe geben?

Liebe wirkt Wunder und führt zu Anbetung

7. Die große Zusammenschau

Alpha

Omega – »Oh immer größerer Christus!«

Anhang: Anregungen zur Meditation

Zitate Teilhards

»Hymne an die Materie« – Ein moderner Sonnengesang

Sterben als Kommunion

Albert Einstein und die Liebe

Zum Einstieg: Warum dieses Buch?

»Religion nein – Spiritualität ja«. So könnte man die Einstellung nicht weniger Menschen in Westeuropa kennzeichnen. Sie haben zwar ein distanziertes Verhältnis zu Religion, interessieren sich aber durchaus für Spiritualität. Sie leiden an der scheinbaren Unvereinbarkeit des modernen Weltbilds mit der christlichen Religion und suchen innere Erfahrung anstelle ausformulierter Glaubenssätze. Religion als solche scheint zum historischen, geradezu musealen Relikt zu werden, über das man gar nicht mehr streitet, weil es einfach durch die Geschichte überholt ist. Die Sehnsucht nach Spiritualität versuchen viele auf verschiedensten Wegen zu erfüllen, sehr oft weit weg von den Erfahrungen der christlichen Religion und des Evangeliums Jesu Christi.

Auch der französische Jesuit Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955) rang als hervorragender Naturwissenschaftler mit der Frage der Vereinbarkeit seines modernen Weltbilds mit der christlichen Religion. Er hatte ungewöhnliche Einsichten und spirituelle Erfahrungen, die ihn zwar in Konflikt mit den religiösen Autoritäten seiner Zeit brachten, aber letztlich zu einer sehr spezifischen Form von Gott- und Weltverbundenheit führten. Seine Einsichten bieten modernen Menschen die Möglichkeit, ein spirituelles Leben mit tatkräftigem Engagement in der Welt zu verbinden.

Mich faszinierten die kühnen Thesen von Teilhard de Chardin seit meiner Jugend. Kann man wirklich im Zeitalter der Computer und der Weltraumfahrt mit voller Überzeugung und intellektueller Redlichkeit noch Christ sein? Mit einer an Teilhard orientierten Spiritualität kann man es. Im Bereich der Religion dauert es bekanntlich viel länger als im Bereich der Naturwissenschaft, bis sich neue Erkenntnisse durchsetzen; die Pioniere werden leicht zu Opfern – aber im Christentum gehören Tod und Auferstehung ja bekanntlich zusammen.

Wem der Name Teilhard fremd ist, der kann die Lektüre dieses Buches auch bei den ihn/sie sachlich interessierenden Kapiteln beginnen und dann erst zu den biografisch orientierten Teilen vorstoßen. Die Thematik ist heute aktueller denn je.

Raimund Badelt

1. Wer war Teilhard de Chardin? – Eine Kurzbiografie

Zum Schauen und Forschen geboren

Geboren 1881 in eine streng katholische Familie in Frankreich, tritt der hochintelligente und vor allem auch naturwissenschaftlich interessierte Pierre mit 18 Jahren in den Jesuitenorden ein. Er durchläuft die übliche theologische Ausbildung und wird 1911 zum Priester geweiht. Daneben entwickelt er sich zum brillanten Geologen und widmet sich speziell der neu entstehenden Wissenschaft der Paläontologie, der Lehre vom Leben in vergangenen Erdzeitaltern. Gleich nach seiner Promotion an der Pariser Universität Sorbonne 1922 wird er dort zum Professor berufen. Dazwischen dient er im Ersten Weltkrieg als Sanitäter an der Front. Die Kriegserlebnisse sind für ihn sehr wichtig, offensichtlich hat er in dieser Zeit auch mystische Erfahrungen.

Der Wissenschaftler Teilhard lässt keinen Zweifel daran, dass er die Evolutionstheorie für richtig hält, die damals von der Kirche noch sehr bekämpft wurde. 1923 nimmt Teilhard eine Einladung zu naturwissenschaftliche Arbeiten in China an, ein Schritt, zu dem ihn auch seine Ordensoberen stark drängen.

Was als ein- bis zweijährige Reise geplant war, wird schließlich ein Aufenthalt in China von 23 Jahren (1923–1946), unterbrochen durch mehrere Aufenthalte in Frankreich, Besuche in den USA sowie Forschungsreisen nach Somalia, Indien, Java und Burma. Wissenschaftlich wird Teilhard durch wichtige Erfolge berühmt, u.a. durch seine Mitwirkung bei der Entdeckung und Analyse des »Peking-Menschen«.

Der Streit um sein Werk

Innerlich beschäftigen Teilhard die Zusammenhänge seiner naturwissenschaftlichen Entdeckungen mit seinem religiös geprägten Weltbild; schon in diesen Jahren entstehen die ersten Versionen seiner erst nach seinem Tod allgemein bekannt gewordenen Werke. Bei seinen Heimataufenthalten und Reisen nach Frankreich wiederholen sich immer wieder die gleichen Muster: herzliche Aufnahme bei Freunden, nicht zuletzt aus dem Jesuiten-Orden, einige öffentliche Vorträge, die großes öffentliches Interesse finden, aber kirchlich stark kritisiert werden, mehr oder weniger freiwillige rasche Rückkehr nach China.

Als Teilhard 1946 nach Paris zurückkehrt, hat sich der Kampf um seine Ideen sehr zugespitzt. Einerseits findet sein Brückenschlag zwischen Naturwissenschaft und Theologie in der Öffentlichkeit sehr viel Interesse, anderseits werden seine Ideen von traditionalistischer Seite immer heftiger kritisiert.

Die Vorwürfe kreisen um zwei Punkte: Da er bestreitet, dass man Adam und Eva als historische Einzelpersönlichkeiten sehen dürfe, sehen die kirchlichen Autoritäten durch seine Analysen die Erbsündenlehre gefährdet, was in weiterer Folge die Bedeutung der Erlösung durch Jesus in Frage stelle. Außerdem wirft man ihm vor, sein Ineinanderfügen von materieller Entwicklung und Christentum bedeute Pantheismus, d.h., es gäbe dann letztlich keinen Unterschied mehr zwischen Gott und Welt. Teilhard wehrt sich zwar vehement gegen diese Vorwürfe, hält sich aber als gehorsamer Jesuit und Priester an das über ihn verhängte Publikationsverbot, sodass seine Schriften zu seinen Lebzeiten nur im Untergrund inoffiziell kursieren.

Immer mehr verlegt er nun seinen Lebensmittelpunkt in die USA, pflegt dort Kontakt zu wissenschaftlichen Stiftungen, macht weitere Forschungsreisen vor allem nach Ostafrika. Formeller Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Karriere ist 1950 die Wahl in die französische Akademie der Wissenschaften.