Volker Ladenthin

Mach’s gut?
Mach’s besser!

Eine kleine Ethik
für den Alltag

Volker Ladenthin

Mach’s gut?
Mach’s besser!

Eine kleine Ethik
für den Alltag

echter

Für Aloysius Regenbrecht, in memoriam

„Aber der Mensch ist unabhängig und tut,

was ihm beliebt aus freiem Willen.“

Moses, in Arnold Schönberg

„Moses und Aron“ (1923/1954)

Inhalt

1.  Wo ist das Problem?

2.  Was sollen wir tun?

3.  Wie fällen wir eine sittliche Entscheidung?

4.  Gelten sittliche Prinzipien für alle Menschen?

5.  Wozu brauchen wir Gesetze?

6.  Muss Politik sittlich sein?

7.  Wann ist die Moralität entstanden?

8.  Wie passen Ethik und Religion zusammen?

9.  Warum wir auch dann schon sittlich handeln, wenn wir es noch gar nicht wissen

Nachwort

Das Literaturverzeichnis

1. Wo ist das Problem?

Freitagnachmittag im Supermarkt: Alle Kassen sind geöffnet und doch haben sich sehr lange Schlangen gebildet. Und natürlich steht man mit dem vierjährigen Thomas in der falschen Schlange. „Woanders ist es immer besser!“, sagt die Frau hinter mir. Die Kassiererin schaut zu uns. Sie hat einen hochroten Kopf. Wenn Blicke töten könnten. Thomas hat derweil die Kinderschokolade entdeckt. Ich ignoriere das erst einmal. Hinter mir fragt ein junger Punk, ob man ihn nicht vorlassen könne. Er habe nur eine Flasche mit Kraftstoff. Die Kassiererin reagiert inzwischen recht laut und in dialektischer Wortwahl: „Ja, nee nicht! Ja?“ Bei einem reizenden Rentnerehepaar funktionieren weder Bank- noch Kreditkarte, Bargeld hat es nicht genug dabei. Eingescannt ist allerdings alles. Die Kassiererin muss den Einkaufswagen hinter sich deponieren. Das hält auf. Danach kommt eine elegante Dame mit Hut, die den fürchterlichsten aller fürchterlichen Sätze ausspricht: „Ich glaub, ich hab es passend!“ Es fehlen allerdings fünf Cent. Die Kassiererin verdreht die Augen. Also bezahlt die hilfsbereite Dame die 10,47 € mit dem Hunderter. „Haben Sie’s nicht noch größer? Gibt’s die 500er Scheine nicht mehr?“, kommentiert die Kassiererin. Die Mutter zwei Einkaufswagen vor mir stellt fest, dass ein Ei im Dutzend fehlt. „Können Sie denn nicht vorher aufpassen! Alt genug sind Sie doch?“, wird sie von der Kassiererin angefahren. Jetzt muss gerechnet werden: Kaufpreis durch zwölf mal elf. – „Alle Teile aufs Fließband! Alle! Euch kenn ich!“, meckert die Kassiererin die zwei rotblonden Jungs vor mir an. Und zu mir sagt sie, als ich zu all meinen Kleinigkeiten den Sechserpack mit je 1,5 Liter Mineralwasser aufs Band hieve: „Ja, hallo? Glauben Sie, ich kann das heben? Sie müssen mir schon den Strichcode zudrehen. Sonst kann ich den Preis nicht einscannen, und Sie stehen noch morgen hier.“ Ich drehe das Flaschen-Paket um, dabei reißt die Zellophanverpackung, eine Flasche fällt vom Fließband, schlägt auf und platzt. Thomas findet das recht lustig. Die Kassiererin nicht so sehr: „Ja, nee, nicht! Bezahlen Sie schon mal …“ Ich habe 24,80 € zu zahlen, lege 25 € auf den Wechselteller, sie hat das Wechselgeld schon in der Hand, und ein Azubi kommt, um den Mineralwassersee aufzuwischen, der sich um mich gebildet hat. Ich will irgendwie helfen, mit Papiertaschentüchern …: „Lassen Sie es lieber!“ So packe ich meine Sachen zusammen und gehe. Hinter mir höre ich: „Und Tschüss!“ Ich stelle beim Nachzählen fest, dass mir die Kassiererin statt der 20 Cent Wechselgeld eine Münze im Wert von 50 Cent gegeben hat. Ich drehe mich um und sehe, dass sie schon den übernächsten Kunden abfertigt und angeregt unterhält: „Ja, nee, nicht!“

Sollte ich zurückgehen? Die wartenden Kunden in der langen Schlange noch mal aufhalten? Mir noch einen Kommentar anhören? Bei dieser doch recht energischen Kassiererin? Sie auf den Irrtum hinweisen? Sie war so unfreundlich zu mir! Ach was, zu allen! Ist das professionell? Ist der Kunde nicht König? Und alles wegen 30 Cent? Aber kommt es darauf an, ob man 30 Cent unberechtigterweise kassiert oder 30 Euro oder 30 Millionen? Hängt Moral von der Größe der Summe ab? Man muss doch ehrlich sein. Macht man sich nicht sogar strafbar? Ist das sittlich? Und wie hätte ich gemeckert, wenn sie mir nur 10 Cent rausgegeben hätte! Allerdings werden nun der Kassiererin bei der Abrechnung 30 Cent fehlen, die sie bestimmt aus eigener Tasche bezahlen muss. Es sind schon Angestellte wegen solch geringfügiger Anlässe abgemahnt und sogar entlassen worden. Da kann ich nicht mittun. Und darf man sein Handeln danach richten, ob der andere einem sympathisch ist oder nicht? Was soll ich tun?