Sebastian Holzbrecher
Jörg Seiler

Herausgeber

Aussöhnung im Konflikt

ERFURTER THEOLOGISCHE SCHRIFTEN

im Auftrag

der Katholisch-Theologischen Fakultät

der Universität Erfurt

herausgegeben

von Josef Römelt und Josef Pilvousek

BAND 41

Sebastian Holzbrecher
Jörg Seiler

Herausgeber

Aussöhnung im Konflikt

Historische Perspektiven auf den Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe 1965

echter

INHALTSVERZEICHNIS

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Karl-Joseph Hummel

Polen und Deutschland 1945-1990
Aktive Verständigung, gelungene Versöhnung, gefährdete Normalisierung

Severin Gawlitta

Von der Langlebigkeit einer Legende

Joachim Piecuch

Vergebung – eine weltliche oder religiöse Handlung?

Helmut Jan Sobeczko

Das katholische Polen und die deutsche Kirche nach 1945 bis 1965

Sebastian Holzbrecher

„Den Hass besiegen“ – Anmerkungen zu deutschen Versöhnungsinitiativen zwischen 1945 und 1965

Konrad Glombik

Die „Causa Hlond“
Darstellung in der polnischen Historiographie

Rainer Bendel

Das Bild Kardinal Hlonds auf deutscher Seite

Theresia Niesing

Wegbereiter der deutsch-polnischen Versöhnung in der DDR Gerhard Schaffran und Günter Särchen

Erwin Mateja

Wegbereiter der deutsch-polnischen Versöhnung Bolesław Kominek und Alfons Nossol

Piotr Górecki

Die Rezeption der Briefe von 1965 in der polnischen Presse Der lange Weg zur Aussöhnung

Theo Mechtenberg

Die Rezeptionsgeschichte des Briefwechsels polnischer und deutscher Bischöfe aus deutscher Perspektive

Tadeusz Dola

Die Kirche in Deutschland aus polnischer Perspektive (1978-1990)

Jörg Seiler

„Sie möchten sich versöhnen […], aber sie stören dabei immer wieder sich selbst“. Die Kirche in Polen aus deutscher Sicht (1978-1990)

Register

EINFÜHRUNG

Der Briefwechsel zwischen dem deutschen und polnischen Episkopat im November 1965 war – nach ersten Annäherungen Ende der 1950er Jahre – der wichtigste Bezugspunkt für die Versöhnungsarbeit der katholischen Kirche in Polen und Deutschland. Die Begegnungen beider Episkopate auf dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) hatten den Briefwechsel wesentlich motiviert. Obgleich die von den polnischen Bischöfen ausgehende Initiative im unmittelbaren Vorfeld verschiedenen deutschen Bischöfen und Theologen angekündigt worden war, handelte es sich doch insgesamt um ein Unternehmen, das von beiden Seiten nicht ausreichend vorbereitet war. Zugleich waren es verschiedene persönliche Kontakte im Vorfeld und im Hintergrund des Briefwechsels, die die offizielle Kontaktaufnahme erleichtert und mental vorbereitet haben.

Seit 1965 ist der polnisch-deutsche Briefwechsel wiederholt Gegenstand historischer Forschungen gewesen und wurde dabei mit unterschiedlichen Interessenslagen untersucht. Nach der frühen Edition der Texte 1966 kamen weitere Forschungsimpulse in der Regel im Kontext von Jubiläen auf. Gerade in jüngster Zeit beschäftigen sich junge Wissenschaftler mit dem Briefwechsel, seiner Entstehung, den zahlreichen Kontexten, in die er hineingestellt wurde, und seiner Rezeption.

Der vorliegende Band entstand anlässlich einer Tagung zum 50. Jubiläum des Briefwechsels im Oktober 2015. Er beinhaltet im Wesentlichen1 die Beiträge der Tagung, die durch das Theologische Forschungskolleg der Universität Erfurt (Kath.-Theol. Fakultät) und der Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte in Erfurt veranstaltet wurde. Das Ziel der Tagung mit deutschen und polnischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern bestand darin, die bislang landesspezifisch geprägten Positionen aus Polen und Deutschland auszutauschen und sie komparativ miteinander ins Gespräch zu bringen. Wir danken den Kollegen der Theologischen Fakultät der Universität Opole/Oppeln, dass sie mit uns die verschiedenen Perspektiven diskutiert haben. Ausgewählte Themenfelder wurden deshalb jeweils durch einen Beitrag aus polnischer und deutscher Perspektive aufgegriffen und behandelt. Auf diese Weise konnten nicht nur Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Beschreibung, Wahrnehmung und Analyse der historischen Ereignisse und Prozesse herausgearbeitet werden. Zugleich ermöglichte dieses Vorgehen eine Rezeption der – in Deutschland oftmals unbekannten – polnischen Forschungsliteratur zu bestimmten Themen und Fragekomplexen.

Theresia Niesing (in Vertretung von Josef Pilvousek) und Jörg Seiler erwiderten den Besuch der polnischen Kollegen und referierten über ihre Themen auf der Tagung „50 lat wymiany listów biskupów polskich i niemieckich ‚Przebaczamy i prosimy o przebaczenie’. Konferencja naukowa zorganizowana przez. Katedrę historii Kościoła i Patrologii Wydziału Teologicznego Uniwersytetu Opolskiego oraz Theologisches Forschungskolleg (Universität Erfurt)“ im Dezember 2015 an der Theologischen Fakultät der Universität Opole/Oppeln.

Den verschiedenen Blöcken mit thematischen Doppelbeiträgen des vorliegenden Tagungsbandes sind drei einführende Aufsätze voran gestellt. Karl-Joseph Hummel unternimmt in seiner weitgreifenden historischen Überblicksdarstellung „Polen und Deutschland 1945-1990“ eine Verortung des Briefwechsels innerhalb des deutsch-polnischen Versöhnungsprozesses, der als eine schwierige und bleibende Herausforderung beschrieben wird, die immer wieder vor der Gefahr stand, einer nicht unproblematischen Normalisierung zu erliegen. Severin Gawlitta rekonstruiert in seinem Beitrag „Von der Langlebigkeit einer Legende“ akribisch die Entwicklungen von Oktober bis Dezember 1965 und versucht dabei die Legende von der missglückten Zustellung des polnischen Versöhnungsbriefs und der dadurch entstandenen Verzögerung des deutschen Antwortbriefes zu entlarven und auf ihren historischen Kern hin zu untersuchen. Eine philosophisch-theologisch orientierte Spurensuche unternimmt Joachim Piecuch mit seinen Erörterungen zu „Vergeltung – eine weltliche oder religiöse Handlung?“ und steuert dabei eine Reflexion zum Versöhnungsbegriff bei, der verschiedene Anknüpfungspunkte zu weiteren Aufsätzen des Bandes bietet.

Die ersten beiden Doppelbeiträge widmen sich der gegenseitigen Wahrnehmung von Deutschland und Polen in der Zeit von 1945 bis 1965. Dabei stellen Helmut Sobeczko und Sebastian Holzbrecher nicht nur historische Etappen auf dem Weg zum Briefwechsel vor, sondern gehen auch auf Versöhnungsinitiativen vor 1965 ein.

Im zweiten Themenblock wird die – noch immer als „heißes Eisen“ zu bezeichnende – „Causa Hlond“ aus polnischer und deutscher Perspektive vorgestellt und anhand des jeweils aktuellen Forschungsstandes in Deutschland und Polen diskutiert. Konrad Glombik zeichnet dabei die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Darstellungen über den polnischen Primas August Kardinal Hlond (1881-1948) in der polnischen Historiographie nach, während Rainer Bendel die deutschsprachige Forschungsliteratur, noch immer mit dem Schwerpunkt auf den Forschungen von Scholz, präsentiert. Eine synthetisierende Untersuchung unter Heranziehung sowohl der polnischen als auch der deutschen Forschungsliteratur – dies zeigen die weiterhin stark differierenden Interpretationen – wäre nunmehr wünschenswert.

Auf konkrete Wegbereiter der Versöhnung dies- und jenseits der lange Zeit höchst umstrittenen Oder-Neiße-Grenze geht der dritte Doppelblock ein. Auf deutscher Seite werden der Meißner Bischof Gerhard Schaffran (1912-1996) und der Leiter der Magdeburger „Arbeitsstelle für pastorale Hilfsmittel“, Günter Särchen (1927-2004), als Pioniere der Versöhnung vorgestellt, wobei Theresia Niesing dabei auf den Tagungsvortrag von Prof. Dr. Josef Pilvousek zurückgreifen konnte. Auf polnischer Seite werden zwei Schlesier von Erwin Mateja exemplarisch portraitiert, die ebenfalls zur Avantgarde der Versöhnung zu zählen sind: der Breslauer Kardinal Bolesław Kominek (1903-1974) und der Oppelner Erzbischof Alfons Nossol (*1932). Diese biografischen Zugänge eröffnen einen Blick auf die netzwerkartigen Strukturen zwischen polnischen und deutschen Katholiken, die bereits vor dem Briefwechsel existierten und die seine Entstehung und die Umsetzung seines Anspruchs in späteren Jahren mit beeinflusst haben.

Die äußerst schwierige und höchst konfliktreiche Rezeptionsgeschichte der beiden Versöhnungsbriefe wird im vierten Themenblock wiederum aus polnischer und deutscher Perspektive analysiert und dargestellt. Piotr Górecki zeichnet den aggressiven Umgang der polnischen Regierung und v.a. die mediale Hetzjagd gegen die Verfasser und Ideen des Versöhnungsbriefs in Polen nach und skizziert dabei die verschiedenen Dilemmata, vor denen die polnischen Bischöfe nach der Veröffentlichung der Briefe standen. Theo Mechtenberg skizziert komplementär dazu die Rezeptionsgeschichte der Briefe aus deutscher Sicht, wobei er einen Schwerpunkt auf den Umgang mit den Versöhnungsbotschaften in der DDR legt.

Die Wahl des Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyła zum Papst Johannes Paul II. 1978 stellt zweifellos eine wichtige, wenn auch nicht unumstrittene Wegmarke für das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen dar. Deshalb nimmt der abschließende Themenblock nochmals die gegenseitige Wahrnehmung und das Gegen- und Miteinander von Deutschen und Polen in der ersten Hälfte des Pontifikats von Johannes Paul II. in den Blick. Tadeusz Dola beschreibt dabei die polnische Perspektive auf die katholische Kirche in Deutschland, wie sie sich in der polnischen Publizistik niederschlug. Den Schwierigkeiten, Problemen und den „atmosphärischen Störungen“ im deutsch-polnischen Versöhnungsprozess bis 1990 geht Jörg Seiler nach, wobei auch er die medialen Diskussionen (v.a. in der Herder-Korrespondenz) und die (Nicht-)Bezugnahme auf den Briefwechsel anlässlich der Reisen von Johannes Paul II. in die Bundesrepublik thematisiert.

Die zahlreichen Tagungen zum 50. Jubiläum des polnisch-deutschen Briefwechsels im Jahr 2015 werden den historischen Forschungsstand in vielerlei Hinsicht ergänzen. Der vorliegende Band möchte seinen Teil dazu beisteuern und vor allem den aktuellen polnischen Forschungsstand für deutschsprachige Leserinnen und Leser zugänglich machen. Es wird weiteren Arbeiten vorbehalten sein, die sich hieraus ergebende Synthese im Rahmen einer bi- bzw. trilateralen Beziehungsgeschichte der katholischen Kirche in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erforschen.

Unser Dank gilt den Herausgebern der Reihe Erfurter Theologische Schriften, Prof. Dr. Josef Pilvousek – der zugleich die Tagung mit vorbereitet hat – und Prof. Dr. Josef Römelt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die polnisch-deutsche Tagung finanziell gefördert, wofür wir gerne Dank abstatten. Den Mühen der redaktionellen Arbeit unterzogen sich Herr Benjamin Litwin (Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit der Universität Erfurt) und in besonderer Weise Herr Dr. Martin Fischer (Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte Erfurt). Auch ihnen danken wir herzlich. Herr Dr. Fischer zeichnet zudem für das Register verantwortlich, das helfen möge, die Bezüge der Beiträge zueinander noch transparenter zu machen.

Erfurt, am 7. Februar 2017

Jörg Seiler / Sebastian Holzbrecher

1 Auf Wunsch von Urszula Pękala wurde ihr Tagungsbeitrag „Europa und die deutsche und polnische Kirche im 21. Jahrhundert“ nicht in den Tagungsband aufgenommen. Eingang fand dafür der Beitrag von Joachim Piecuch „Vergeltung – eine weltliche oder religiöse Handlung?“