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ROLAND BREITENBACH

Achtsam leben, lieben, handeln

ROLAND BREITENBACH

Achtsam

leben

lieben

handeln

EIN SPIRITUELLER BEGLEITER
DURCH DAS JAHR

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INHALT

Vorwort

JANUAR In der Ruhe liegt die Kraft

FEBRUAR Aufbrechen heißt leben

MÄRZ Die Sinne entdecken

APRIL In Freundschaft leben

MAI Arbeit macht Sinn

JUNI Heute und ganz

JULI Mit erotischer Kraft

AUGUST Spirituelle Energie: Gebet

SEPTEMBER Am Leben reifen

OKTOBER Kraft der Seele

NOVEMBER Leben und Tod

DEZEMBER Erwartungsvolle Sehnsucht

VORWORT

Ein Mensch, der achtsam mit sich selber umgeht, also vor allem auf seine Sinne bedacht ist, wird sich kaum dazu hinreißen lassen, einem anderen Menschen hart, ungerecht, gar feindselig gegenüberzutreten. „Den Nächsten lieben wie sich selbst“ hat Jesus geraten und mit der Gottesliebe in eins gebracht wie kein spiritueller Lehrer vor ihm.

Selbstliebe und Selbstachtung sind damit die Quellen für achtsame und liebevolle, für ehrliche und friedvolle Begegnungen. Das Wasser dieser frischen Quellen ist ein hilfreiches Bild für den Weg zu einer achtsamen Lebenshaltung. Das Wasser ist klar und eindeutig. Es ist weich, freundlich, schmiegt sich seiner Umgebung auf sanfte Weise an. Und doch überwindet es alle Hindernisse, findet unbeirrt, zugleich voller Phantasie, durchaus auf allerlei Umwegen, den Weg zum Meer, zum großen Ziel.

Zugleicht grünt und blüht es an seinen Rändern, an denen neues Leben entsteht. Je länger das Wasser zum Ziel unterwegs ist, desto mehr füllt es sich selber mit Leben. Schließlich kommt alles Leben aus dem Wasser. Die schönste Erfahrung, die ein Mensch machen kann, ist es, geliebt zu werden. Diese Entdeckung führt ihn dazu, selber zu lieben.

Daraus entsteht eine große Freiheit, die letztlich unabhängig macht von allen anderen Erwartungen und Forderungen. Sie lässt uns Ja zu uns sagen. Und darin liegt das ganze Geheimnis der Achtsamkeit. Sie soll uns mit diesem spirituellen Begleiter durch zwölf Monate hindurch führen. Achtsamkeit verbindet sich immer mit Dienst am Menschen. Daran, wie wir achtsam mit Menschen und Dingen umgehen, lässt sich der Grad unserer Reife ablesen.

JANUAR

In der Ruhe liegt die Kraft

Nimm dir Zeit.

Ein Acker, der ausruhen konnte,
liefert eine prächtige Ernte.

Ovid

Der europäische Mensch lebt aktiv, ganz nach den sechs Tagen der Schöpfungserzählung, aber er übersieht, dass Gott am siebten Tag ausruhte. In der Ruhe liegt die Kraft, heißt es. Eine Zisterne kann nur dann Leben spendendes Wasser liefern, wenn sie Zeit genug hat, das kostbare Nass zu sammeln.

Der Januar ist das Symbol für die Ruhe. Die Natur ringsum schläft. Auch für den Menschen gibt es keine treuere Weggefährtin als die Ruhe. Doch wie wird diese freundliche Begleiterin behandelt? Oft genug wird sie unterdrückt oder misshandelt. Dann rächt sich die Natur und zeigt auf das leere Reservoir. Der Mensch wirkt wie ausgebrannt. Und schon ist eine neue Krankheit gefunden, die der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger 1973 erstmals benannt hat: Burnout. Ausgebrannt. Verbraucht. Die Lebensbatterie ist leer. Dieser Zustand ist nicht nur für den betroffenen Menschen gefährlich. Er hat eine lähmende Wirkung auf das Arbeitsfeld und die ganze Umgebung.

An all das denke ich in diesem ruhigen Monat: Meine Reise durch einen dunklen und kalten Winter führt mich Jahr für Jahr hinaus auf das brache Feld. Der tote Acker lässt mich den Frühling zunächst ahnen und später erleben. Bis es so weit ist, haben wir Menschen die heilige Aufgabe, auch uns Ruhe zu gönnen, uns gegenseitig zur Gelassenheit zu ermutigen, neue Kräfte zu sammeln und Zeichen der Hoffnung zu geben.

Das Rezept

Der erfahrene Arzt hatte seinem neuen Patienten lange und aufmerksam zugehört. Schließlich sagte er: „Ich werde Ihnen etwas aufschreiben, was Ihnen sicher hilft. Es ist ein sehr altes, aber hochwirksames Medikament.“ Der Kranke bedankte sich, nahm das Rezept entgegen und eilte frohgemut in die nächste Apotheke. Der junge Pharmazeut reichte das Papier freundlich lächelnd zurück und meinte: „Dieses Medikament kann ich Ihnen leider nicht verkaufen.“ Jetzt erst las der Kranke überrascht die Verschreibung seines Arztes: „1 × tgl. eine Stunde spazieren gehen!“

Ich werde meine Schafe auf die Weide führen,
ich werde sie ausruhen lassen.

Ezechiel 34,15

Gott lieben heißt
gehen, stehen, ausruhen
und überall in der Liebe Gottes sein.

Rilke

Die Stille ist eine der wesentlichen Schwellen, die wir überschreiten müssen, wenn wir zur Ruhe kommen wollen. Diese Schwelle ist in einem modernen Haushalt sehr hoch. Es gilt zunächst einmal, alles ab- und auszuschalten, was die Stille stören könnte: das Schlagwerk der Uhr, die Türklingel, das Telefon und das Handy, den Computer. Dann heißt es, die Fernbedienung des Fernsehers zu verstecken und ein Zimmer hinter sich zu verschließen. Vielleicht ist dann sogar der Kühlschrank noch zu laut. Das alles sollte man wirklich einmal ausprobieren – und wäre es nur für eine Viertelstunde.

Auf einmal wird die Stille greifbar und in ihrem Gefolge breitet sich eine große Ruhe aus. Vielleicht stellt sich der Erfolg nicht beim ersten Mal ein. Unruhe fällt über uns her und plagt uns. Aber auch hier macht die Übung den Meister: möglichst jeden Tag und zur gleichen Zeit für eine gute Viertelstunde über die Schwelle in die Stille gehen, wieder und wieder, bis die Ruhe zu einem wunderbaren Geschenk geworden ist. Ein freundliches Lächeln für sich beim Blick in den Spiegel kann diese Zeit der Gelassenheit begleiten.

In der Stille, so hat einer geschrieben, träumt die Erde. Die Stille träumt auch den Menschen und zeigt ihm, dass es in seinem Leben noch vieles gibt, was er übersieht. Daran sollten wir uns in den Zeiten erinnern, da uns Stille unruhig macht oder sie uns wie Trostlosigkeit vorkommt. Wir können den Traum der Erde mitträumen und darauf warten, bis die erwachende Natur alles zur lebendigen Wirklichkeit macht. Durch Traum und Phantasie gelangen die Stimme Gottes und seine Weisungen in den dunklen Zeiten zu uns.

Die Zelle

Ein Mönch, der sich in die Einsamkeit der Wüste zurückgezogen hatte, blieb rastlos auf der Suche nach spiritueller Erfahrung, sosehr er sich auch mühte. Er litt Hunger und Durst, geißelte gar seinen Körper, bestrafte sich mit Schlafentzug. Vergebens. Schließlich suchte er einen anderen Mönch auf, der eine Tagereise von ihm entfernt in einer Höhle wohnte, und fragte den Gelassenen um Rat. Der Erfahrene antwortete mit einem Satz: „Setze dich ruhig in deine Zelle und deine Zelle wird dich alles lehren.“

In Frieden leg ich mich nieder und schlafe ein;
denn du allein, Herr, lässt mich sorglos ruhen.

Psalm 4,9

Menschen hören nicht auf zu spielen,
weil sie alt werden,
sie werden alt,
weil sie aufhören zu spielen!

Oliver Holmes

Das Spiel ist mit dem Singen und Tanzen verwandt. Alle drei sind Tätigkeiten, die allein aus Freude, zur Entspannung, zum Zeitvertreib im guten Sinne des Wortes geübt werden. Ein Kind kann sich noch ganz ins Spiel versenken. Das Spiel ist für das Kind das einzig Wirkliche, alles andere bleibt zurück. Im Spiel versammelt sich die ganze Welt. Als Erwachsene müssen wir das Spiel neu erlernen, doch darf es nie dazu kommen, dass das Spiel zum Ernstfall wird, etwa zu Gewinnsucht entartet. Dem Spiel dürfen nie Zwecklosigkeit, Ruhe und Gelassenheit genommen werden, sonst rücken Geld, Erfolg oder Sieg in die Mitte und entwerten das Spielerische.

Ein Mensch, der nicht spielen kann, verarmt emotional. Menschen, die miteinander spielen, singen oder tanzen, beleben ihre Gemeinschaft und wecken neue Kräfte. Spielen, hat einer gesagt, ist ein Geschenk, das die Menschen aus dem Paradies mitnehmen durften, damit ihre Arbeit nicht unerträglich würde.

Im Spiel wird einiges von uns sichtbar, was sonst verborgen bliebe: unsere Gedanken, unsere Gefühle, sogar unser Glaube, der uns vor Gott spielen lässt. Der Gottesdienst sollte ein heiliges Spiel sein, zwecklos und frei. Ein schlichtes Ritual sagt oft weit mehr als eine lange Predigt. Eine Geschichte oder ein Märchen lassen uns weit mehr erfahren als Vorträge, Versprechungen und Erklärungen. Im Spiel werden nicht nur Kinder frei. Hand aufs Herz!

Die Maus

Ein Mann war ungerechterweise gefangen gesetzt worden. Er wurde gefesselt und in eine Höhle geworfen. Einmal am Tag brachte man dem Gefangenen eine dürftige Mahlzeit, die er wegen der gebundenen Hände nur mühsam zu sich nehmen konnte. Eine Maus teilte mit ihm die Einsamkeit. Er ließ für sie etwas von dem kargen Essen übrig. Und die beiden gewöhnten sich so aneinander, dass sie miteinander spielen konnten. Eines Tages, das Essen war gebracht worden und es war mit keinem Besucher mehr zu rechnen, begann die Maus wie im Spiel an seinen Fesseln zu nagen. Gegen Abend hatte sie die Stricke gelöst, der Gefangene war frei.

Mein Herz ist bereit, o Gott, mein Herz ist bereit,
ich will dir singen und spielen.

Psalm 58,8

Ich habe nie
irgendwelche Freiübungen unternommen,
mit Ausnahme zu schlafen und auszuruhen.

Mark Twain

Vergangenheit und Zukunft sind die schlimmsten Feinde der Ruhe. Immer weniger Menschen schaffen es, im Heute zu leben. „Heute ist mein Tag“, das wäre eine gute Formel, sich einen Raum der Ruhe zu verschaffen. Blaise Pascal schreibt, alles Unglück der Menschen entstamme der Ursache, „dass sie unfähig sind, in Ruhe allein in ihrem Zimmer zu bleiben“. Die Lösung heißt also, sich bewusst werden: Heute ist mein Tag. Morgen ist auch schon wieder heute.

Es gilt, sich einen Freiraum zu schaffen. Wem das nicht gelingt oder wer es nicht für wichtig hält, lässt sich am Ende selber „links liegen“. Der Freiraum entsteht, wenn wir es uns erlauben, auf unseren Atem zu achten und ruhig zu werden. Mit dieser Erlaubnis vollzieht sich ein Wandel, der vor allem dadurch spürbar wird, dass wir einfacher einschlafen und ruhiger durchschlafen können. Die Sorgen von gestern und die Ängste vor morgen haben in dem gewonnenen Freiraum keinen Platz. Wir lassen sie ganz einfach unberührt, das heißt, wir überlassen unsere Gedanken für eine Zeit sich selbst.

Im Arabischen gibt es das eindrucksvolle Sprichwort: „Der letzte Strohhalm bricht dem Kamel den Rücken.“ Die schwersten Lasten liegen nicht auf diesem Tag, sie werden aus den Sorgen der Vergangenheit und aus den Ängsten der Zukunft zusammengeschnürt. Bevor sie uns den Rücken brechen, sollten wir sie in Ruhestunden und im heilsamen Schlaf loslassen. Dann wird das Gestern zu einem Traum und das Morgen zur Vision.

Geschenk Gottes

Der heilige Mann war so tief im Gebet versunken, dass er zunächst nicht spürte, wie sich ein kleiner Hund auf den Rand seines Mantels legte und einschlief. Er atmete immer noch sanft und tief, als der Meister sich von seinem Gebet erheben wollte. Leise und achtsam schnitt er, um den Hund nicht zu wecken, den Saum seines Mantels ab. Seinen erstaunten Schülern erklärte er: „Der Schlaf ist ein Geschenk Gottes. Sollte ich so wenig achtsam sein und diesem kleinen Wesen eine so wichtige Gabe um eines Fetzen Stoffes willen nehmen?“ Einigen seiner Jünger, so die Überlieferung, wurde bei diesen Worten Erleuchtung geschenkt.

Besser ein trockenes Stück Brot und Ruhe dabei
als ein Haus voll Braten und dabei Streit.

Sprichwörter 17,1

Eine Handvoll Monatsimpulse

Täglich eine halbe Stunde bewusst nichts tun

Dafür sich eine bestimmte Zeit festlegen, um

ungestört zu sein. Alles abschalten, was uns diese

halbe Stunde am Morgen, nach der Mittagspause

oder am Abend nehmen könnte.

Täglich eine halbe Stunde, egal wie das Wetter ist,

an die frische Luft gehen

Gerade in der lichtarmen Zeit ist es wichtig, ins Freie

zu gehen und voller Freude festzustellen, dass die Tage

spürbar länger werden. Das Dunkel weicht zurück.

Mindestens einmal in der Woche spielen

Falls das nicht schon gemacht wird, mit Kindern,

dem Partner, mit Freunden einen festen Termin

vereinbaren, um sich beim Spiel zu entspannen.

Auf Fragen wie „Wie geht’s?“

positiv antworten: „Mir geht es gut!“

Sich darüber hinaus eine positive Redeweise